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Sonntag, 24. April 2016

Tipps vom 18.04. - 24.04.2016



DIE NACKTE INSEL - Auf diesem Planeten hat man es so oder so schwer, zu bestehen - den Sinn des Lebens gilt es sodann auch nicht pauschal zu definieren, solange globales und individuelles Verständnis im Zyklus mehrerer Ereignisse, ob nun binnen der Natur oder der Zwischenmenschlichkeit, stehen. Kaneto Shindô mag mit seiner Sicht auf „Die nackte Insel“ dementsprechend auch keine Katharsis einer bereits entschiedenen Siegernatur liefern, stattdessen dient sein Film der Beobachtung, dem Reflektieren und Nachfühlen von Verhältnissen, die allein per Sprachlosigkeit übergreifend ankommen. Der stilistische Formalismus daran ist gewiss auch streng in seiner Vermittlung oder eben schlicht konsequent, wenn er sich dabei in die karge Natur begibt, vor derer Majestät noch nicht mal kleinlaut werden will und ihre Schönheit einfängt, wobei die aus ihr entspringenden Umstände voller Unbarmherzigkeit scheinen. Zentral entscheidend dafür werden seine Protagonisten, das Bauernpaar Toyo (Nobuko Otowa) und Senta (Taiji Tonoyama) mit ihren zwei Söhnen, welche sich für ein Leben auf einer einsamen Insel entschieden haben, tagaus tagein Wasser vom Festland fürs Überleben, auch für die Ernte, per Boot in schweren Eimern transportieren.


Die alltäglichen Mühen haben Archaisches inne, lassen sich allgemein auf den menschlichen Zustand umsetzen, obgleich der Drang zur Selbstversorgung hier trotz aller Behutsamkeit im Handeln durchaus in die Extreme geht. Shindôs konzentrierte Inszenierung strahlt daher zeitweise auch Hochspannung aus, wenn die Wege vom Wasser zum Ziel um Heim und Saat lang und beschwerlich, zudem unter glühender Sonne sowie im Aufgang steiler Täler, als Balanceakt des Willens herausstechen. Der Schmerz einer eigenständig auferlegten Pflicht wird allerdings untereinander auch von Mann und Frau geteilt - die Entspannung leistet man sich auf den sanften Wellen des Meeres, im Antlitz des Flusses unserer lebenden Erde, während das Rudern an sich aber natürlich ebenso Arbeit bleibt und die pointierte Kohärenz Shindôs keine allzu kurzen Strecken suggeriert. Jenem Pro und Kontra entkommt auch der Status der Natur nicht, wenn diese als Heimatort Demut und Wasser verlangt, sogar imminent einsaugt, ohne jene menschlich daher gebrachte Faktoren aber von Vornherein erst gar nicht erblühen würde. Das Wechselverhältnis findet dabei unter anderem in Hikaru Hayashis Musikthemen Harmonie, die Figuren äußern darin ebenso ihr Selbstverständnis von Bescheidenheit, welche sich aber auch nicht dem Ego wegen von der Zivilisation ausschließt.


Man nimmt gewiss auch mehr Lasten auf sich, um die Kinder zur Schule zu bringen, missen will man es aber ebenso nicht wie die gegenseitig abgeklärte Unterstützung, Hilfe, eben dem Austausch am Miteinander. Die friedfertigen Wesen dieses Films werden zudem keine Fantasieideale, dafür bleibt Shindô auch recht elementar am Ball, keinerlei Sachverhalt zu überstrapazieren, in Details oder Spekulationen zu verlieren. Die daraus resultierende Wiedererkennbarkeit von Prozessen gibt schon reichlich Auskunft über das Wesen seiner Charaktere, über deren Glück und deren Leiden, was beiderseits gefasst aufgenommen wird, aber genauso wenig Impulse vermissen lässt, wie es eben auch den selbstsichersten Mitmenschen widerfährt. Eine Dramaturgie der Jahreszeiten spart er gewiss auch nicht aus; Regen, Hitze und Wind, an die sich das einfache Leben anpassen müssen oder Umwege finden, mal voller Stolz und Gemeinsamkeit durch die Generationen hinweg einen Vorteil aus der Natur schlagen, mal vom Unglück der gesellschaftlichen Abkopplung ins Ungewisse sowie zur Wut getrieben werden. Über allem schafft es Shindô, die bedingungslose Liebe zur Verfügung zu stellen, die sich im Rahmen seiner Gesellschaftsdarstellung noch nicht mal als romantisierter Pathos herausstellt.


Im Kontrast dazu bleibt das Aufbegehren aus der Erkenntnis des Ichs sowie dem Zweifel gegenüber jener Position hinsichtlich der Zukunft nämlich ebenso nicht ungesehen. Die Tragik in der Erhaltung des Status Quo lässt sich erkennen, allerdings besitzt es darin ebenso eine Kraft, sich innerhalb dessen in der Existenz nicht brechen zu lassen, den Weg weiterzugehen und an den Widerständen hochzuklettern, ganz gleich, ob ein Ziel in Aussicht ist. Das Fortbestehen allen Lebens ist ein kontinuierlicher Prozess, auch in der Begegnung mit dem Tode, von daher wird Shindôs Film auch keine bloße Reinforcierung vom Leistungsdruck, wie dieser Japans Gesellschaft bis zum heutigen Tage immer stärker verfolgt, sondern ein Beispiel des objektiven Gelingens im Zwiespalt aus Mensch, Natur und deren jeweiligen Bedürfnissen: Es schmerzt in seiner Funktion, aber es sind auch Verhältnisse, über die man herauswachsen kann, wenn sich die Akzeptanz daran beweist. „Die nackte Insel“ ist eben ein differenzierter Durchhaltefilm für alle Zeiten, aber fern von heuchlerischer Propaganda im Herzen der Empathie angesetzt, auf dass die Menschheit sich sowie ihre Erde unter- wie miteinander nicht aufgibt, die Schwierigkeiten dessen dennoch eben als solche beachtet. Letztendlich weiß nämlich niemand, wohin es alles führt, aber Shindô schließt Realismus und Hoffnung gewiss nicht aus.




DER AUSREISSER - Die Handhabung mit Eskapismus ist stets ein delikates Betätigungsfeld, möchte man mehr als die oberflächliche Genre-Platte bedienen oder über diese komplexe Charaktere bilden. Jene potenzielle Transzendenz pendelt auch zwischen Anpassung an den Zuschauer sowie dessen Involvierung hin und her, weshalb es besonders erfrischt, wenn ein Regisseur wie Alain Guiraudie seinen „König der Flucht“ (frei nach dem Originaltitel) mit Leichtigkeit zu einem Balanceakt verleitet, der bereits in der Erscheinung mehrdeutige Werte einnimmt. Armand (Ludovic Berthillot) verkörpert als knapp 40-jähriger Landwirtschaftsverkäufer Imposanz und Zerbrechlichkeit zugleich, könnte mit seiner Statur alles niederschmettern und ist doch zart, ehrfürchtig, keineswegs immer Herr der Lage und, „um dem Ganzen die Krone aufzusetzen“, dem männlichen Geschlecht zugetan. Regisseur Guiraudie baut dabei (auch ganz seinem „Der Fremde am See“ entsprechend) weder auf Sensationalismus noch auf externer Emotionalisierung auf, wenn er Sexualität und andere charakterliche Umstände im Wirken ihrer selbst zeichnet.


Stattdessen verinnerlicht er die Schlichtheit, schaut entgegen dem Gefälligkeitsdrang eines konventionellen Narrativs auf die Zwischenstationen binnen Reflexion oder Alltagsbelanglosigkeit, um durch elliptische Montagen und Eigenwilligkeiten menschlichen Umgangs zum Verständnis sowie durchaus absurde Pointen zu gelangen. Jene Kontradiktionen spielen eben auch mit dem Realitätsverständnis, sobald sich Armand in eine Situation verliert, in welcher er als Retter und Liebhaber der 16-jährigen Curly (Hafsia Herzi) zunächst in eine überspitzte Traumlogik einsteigt, welche einmal aufgelöst wird, sich im Verlauf aber immer wieder ankündigt und kleine Portionen der Abwegigkeit liefert, wie es dem Charakter eben auch entspricht. Selbstzweifel gegenüber dem gesellschaftlichen Rahmen sind bei Armand von Vornherein gegeben, Guiraudies Inszenierung schnitzt sich daraus aber gewiss kein kathartisches oder sadistisches Sozialdrama, zieht stattdessen das Harmonische binnen dem Konsens konträren Situationen auf. Obwohl Curly (nicht ihre Darstellerin) beinahe noch ein Kind ist, besitzen ihre Sexszenen mit dem älteren Alain also keinerlei Schockfaktor, genauso wenig, wenn er sich mit einem 70-jährigen vergnügt.


Der Film sieht darin eben ausschließlich Menschen, gleichsam wird Pathos durch Handlungselemente verhindert, welche dem Antagonismus von Polizei und dem Vater Curlys beinahe übernatürliche Kräfte verleihen, die sie nie adäquat nutzen, ehe dann noch die Saat der „Bumswurzel“ ins Spiel kommt, mit welcher die Potenz stets auf den Siedepunkt steigt und brenzlige Situationen zum richtigen Zeitpunkt aushebeln lässt. Die Norm der Rettungsfantasie zwischen Armand und Curly bleibt dabei bestehen, wirkt durch Guiraudie und Darsteller natürlich authentisch, die Konsequenz dessen sagt aber nicht nur etwas über die eigentlich tieftraurige Verlorenheit Armands aus, sondern auch über den Bezug zu Medien, Geschichten allgemein, eben Zwischenmenschlichem in jeder noch so etablierten Form. Es steht zur Debatte, wie das Universelle der menschlichen Erfahrung im Allgemeinen aufgenommen wird und prägt, dass sich Individuen nach vorbestimmten Idealen oder gleichsam vorgeformten Alternativen sehnen, bis Entscheidungen von ihnen gefordert werden, ob nun von außen oder von innen, bewusst oder unbewusst.


Armand und Curly theoretisieren beidesamt um ihre Zukunft, können selbst mit Generationen übergreifender Erfahrung keine festen Wege festmachen, sich in der Abwägung der Aussichten - zudem gegen Gesetz und Patriarchat - dennoch einer schlussendlichen Unvereinbarkeit ausgesetzt sehen (wohlgemerkt nicht im beiderseitigen Einverständnis). So tief die Betrachtung zu Wegen, Umwegen wie Sackgassen der Sozialität hier gehen, so leicht kann Guiraudie sie aber einfangen, abseits der Erwartungen in sommerliche Irrwege führen und aus dem Stand heraus auf Empathie wie wonniges Chaos hinweisen. Ungewissheit darf hier ruhig gewöhnlich, Gewissheit auch ungewöhnlich sein, beide können Varianz erlernen und genießen, ohne ein endgültiges Urteil aussprechen zu müssen. Guiraudie lässt sich ebenso wenig auf eine Auflösung ein, viel mehr will er das Wesen seines Armands in dieser Charakterstudie über die Ambivalenzen, Differenzierungen und Überraschungen des Selbstbewusstseins erfassen. Es gelingt und zudem bewusst auch inklusive Imperfektionen in der Balance an Deutungen, Selbstverständlichkeiten sowie Surrealem, eben Wahrheit und Wunsch.




DAS TÖDLICHE DUELL DER SHAOLIN - Ständig hört man ja von der potenziellen Funktion des Mediums Film, dass es den Zuschauer in eine fremde Welt entführen kann. Wie oft schafft es jenes aber, einen zum Kindergeburtstag zu entführen? Bühne frei für „Das tödliche Duell der Shaolin“, einem von zahlreichen Martial-Arts-Schnellschüssen aus dem Taiwan der siebziger Jahre und damit von Natur aus weit verspielter als der Großteil traditioneller Shaw-Brothers-Produktionen. Nicht, dass der Genuss des einen den beim anderen ausschließen muss, doch der Appeal von Hou Chengs Film basiert eindeutig auf seiner kontinuierlichen Eskalation an Wunderlichkeiten im Rahmen eines austauschbaren Handlungsgemenges, wie es zuhauf anzutreffen ist und dennoch einige schöne Charakteristika bereithält. Letzteres muss man allerdings irgendwie mit vorgehaltener Hand angeben, verläuft der Großteil des Plots doch als Ansammlung von Kampfsequenzen, die schlicht durch permanente Exposition zusammengehalten wird. Ich habe bisher nie so recht begriffen, warum solch energisch stumpfes Filmverständnis über die Jahre hinweg einzigartig geblieben ist und mich stets zu sich zurückgeführt hat, aber jene naive Umsetzung der Dringlichkeit ist derartig omnipräsent, dass ich deren Mittel rückblickend sogar unbewusst zu meiner frühen Amateurfilmzeit („Tong Tong und die Rache der Faustgiganten“) anwendete.


Das sagt bestimmt eine Menge darüber aus, wie der Ottonormalverbraucher solches Filmgut empfinden dürfte, ganz ab davon ist es dennoch vollkommen legitim, für eine Genrearbeit dieser Größenordnung auf blitzschnelle Funktionalität zu setzen. Dafür werden hingegen Perspektiven frei, die im taiwanesischen Schlägerfilm ein festes Zuhause gefunden haben, angefangen beim toll verschlissenen Zelluloidlook, der schon von Geburt an Zerbrechlichkeit wie Alter vermittelt und sich einem wie eine von weit her gereiste Schatztruhe offenbart. Gleichsam ist die inhärente Darstellung des Erbes einer Kultur jenseits des Westens ein Reiz, in den man sich dank naturgebundener Panoramaeinstellungen gerne hinein verliert. Praktisch gedacht, geht es für die Filmemacher hier durch Paläste, von Tälern umgebene Dörfer und urige Nadelwälder, Gebüsche und Baugruben, eben alles, was in nächster Nähe als Abenteuer vergangener Jahrhunderte herhalten kann - selbst der botanische Garten mit Zaun und Ansichtskarten, im Schatten vom Pavillon ruhend. Amateurfilmer denken auch nicht anders, wenn sie die Liebe zu ihrer vertrauten Umwelt einfangen wollen und gerade wenn die narrativen Qualitäten zu wünschen übrig lassen, wird einem die Atmosphäre geradezu mühelos als willkommener Begleiter beigebracht, muss man Hou Cheng anrechnen - erst recht im Vergleich zu einem Hsiao-hsien Hou, der sich in „The Assassin“ dieselbe Wirkung anhand flüsternder sowie verästelter Prätention erhoffte.


Vor allem aber auch, weil Hou Cheng Stationen des Wahnwitz versucht, die innerhalb des kulturellen Spektrums ihren Ursprung haben, in der Umsetzung freilich abenteuerliche Züge des Trivialvergnügens unternehmen. Magie ist das Schlüsselwort im Kanon einer Rache, die von Rebellen aus gegen das Kaisertum arbeitet. Jenes leitet der Steuern wegen Massaker ein und so kommen die Cousinen Yu Liang (Doris Lung Chun-Erh) und Lu Szu Liang (Chia Ling) Jahrzehnte später zurück, um den Mord an ihrer Sippschaft mit angelernten Kung-Fu-Kräften zu sühnen. Die gehen gewiss aber weiter als es irdische Physik erlaubt - aus dem Stand heraus auf Dächer zu springen, ist da noch die geringste Attraktion. Die Entschlossenheit, die sie dazu gepachtet haben, bringt ihnen im Gegenzug eine gnadenlose Jagd entgegen, bei welcher Carter Wong kräftig als Unterstützer mitmischen darf. Bunter wird es aber fast noch beim Kaiser selbst, dessen Sicherheitsmänner Zorn mit Regenbogenuniformen verknüpfen, während er die kämpfenden Gorillas zweier Geister mit ellenlangen Zungen für sich gewinnt. Das Kräftemessen dazu, im Verlauf eigentlich die irrelevantesten Szenen ergebend, tut sich dann auch keinen Zwang an, unter Tannen die Puppen tanzen zu lassen, auf dass die filmische Verstrahlung sodann noch auf leichtem Fuße und eben mit kleiner Summe verzückt.


Yu und Lu Szu definieren sich ebenso anpackend binnen Stadtmauern, sobald sie in den Palast eindringen wollen, müssen aber erst mal Pläne per Infiltration geschmiedet werden. Also bietet man sich undercover als Hofdamen an, um Fallen kennenzulernen, den Monarchen gar im Bett zu erdolchen, doch da wäre der Film dreißig Minuten zu früh zu Ende. Wäre ja gelacht, wenn ein Werk jener Gattung ohne Längen auskommen könnte, zumindest gesellen sich im Kampfgetümmel einige sehr merkwürdige Eindrücke (Glubschaugen inklusive) dazu, während Support sowie Aufopferung unter Cousinen die empathischen Spitzen des Films finden und die Intrigen des Kaisers verspielte Theatralik (und farbige Rauchwolken) an den Tag legen, als sei er der Regisseur selbst. Am schönsten kreuzen sich jene Wege im Kampf zwischen Yu und den Gorillas, wenn die kleine Kampfgöttin flink gegen die absurden Gegner zu bestehen versucht und die Kamera dies so selbstverständlich binnen klobig goldener Kulissen einfängt, dass man sich zur Aufregung als Kind zurückgeführt fühlt. Will man denn je erwachsen werden, wenn das Blut schließlich in Fontänen aus Gorillaschädeln spritzt und unsere Damen dabei unmöglich in der Luft hängen bleiben? Zumindest für die knapp 80 Minuten Laufzeit kann man gerne drauf verzichten und stattdessen den Wohlfühlfaktor im Eastern-Märchen aufsuchen.




DÄMONEN (DÉMONI 2) - Es ist schon bemerkenswert, wie Démoni 1 & 2 hierzulande von ihren im jeweiligen Narrativ behandelten Medien quasi entkoppelt wurden. Der erste über die Horrormär im Kinosaal kam als Nachzügler in die Videothek, der zweite hingegen durfte initiativ die Leinwand einnehmen. Dabei kommt das höllische Grauen dieses Mal aus dem Fernsehen, eben die nächste Generation an audiovisueller Vermittlung und auch auf narrativer Ebene eine genuine Fortführung. Doch genug der hiesigen Umstände, schließlich ist Lamberto Bava für diese höhere Stufe an Erreichbarkeit auch weiter in den Norden, nämlich nach Hamburg gezogen. Die Bedrängung und gesellschaftliche Teilung durch Mauern hat hier gewiss weniger Gewicht, dennoch stellt sich vor Ort The Tower als Ersatz vor, ein Kristallschloss der Gemütlichkeit, das Wohnkomplex, Fitness-Center, Party-Butze und Familienherberge des Mittelstands in sich vereint. Aus freiwilligen Stücken hat man sich sogar doppelt beschichtetem Panzerglas beholfen, wenn man denn schon den schier unsicheren Zeitgeist der Achtziger geradezu omnipräsent in den Knochen spürt - wahrscheinlich auch als böse Welle aus Berlin (wohlgemerkt nach Tschernobyl) vernimmt, wie es das Intro beschwört -, also ist auch hier die Konzentration des Horror-Genres nicht weit. Schließlich ergibt man sich dem Blutregen nicht mehr im kollektiven Rahmen der Kinoerfahrung, sondern in privaten Zellen, welche ihre Dosis Schrecken über Satelliten empfangen, sich in heimeliger Gesellschaft umso losgelöster an die Passion zur fiktionalen Brutalität machen.


Dabei scheint der Film-im-Film jedoch ein echtes Sequel zu vorangegangen Ereignissen zu sein, jene Postapokalypse wird aber mit vergnügter Selbstverständlichkeit sogar noch dichter ans reale Geschehen montiert. Sicherlich nicht von ungefähr dem Produzenten und Koautor Dario Argento geschuldet, schwingt sich da bis zum Ende hin das Pendel der extremisierten Satire ein, so wie die Grenzen zwischen Welt und Medien hier verschwimmen, um das Böse auf der Erde herauf zu schwemmen. Die Zeiger weisen ohnehin abwechselnd auf „Parasiten-Mörder“ und J.G. Ballards „High-Rise“ hin (Bavas Inszenierung übertrifft sogar die von Ben Wheatley), finden in den Zwischenräumen aber noch weitere Verweise auf kontemporäre Genre-Ausbrüche, von „Evil Dead“ über „Nightmare - Mörderische Träume“, „Videodrome“ bis hin zu „Gremlins“. Eigentlich nimmt Bavas Film auch „Stirb Langsam“ vorweg, wenn man so will, die Anleihen am Desasterkino sind ebenso nicht von der Hand zu weisen, doch jene Orientierung am straffen Hochhausreißer als Eskalation der Gesamtgesellschaft lässt Argentos Faszination mit dem 1978 von ihm betreuten „Zombie“ George A. Romeros noch stärker als beim Vorgänger durchscheinen. Es wird gleichsam finsterer, wenn das Überleben schon vom Eigenheim aus einschlägt, Familien und Jugend vom Teuflischen bedroht werden, welches die kalten monochromen Korridore als Hölle ohne Ausweg zusammenrücken lässt.


Da werden selbst die Punks im Vergleich zum Erstling zur uninvolvierten wie zahmen Nebensache, wenn es hier vom Dach bis in die Tiefgarage brutzelt. Ohnehin gehen viele Personalstränge aus reinem Impuls im Fegefeuer ein, ausgerechnet „Panic“ von The Smiths gibt in vielerlei Hinsicht schon ein frühes Vorzeichen für derartig grausiges Chaos auf der Tonspur ab. Vorerst aber erhalten die Beispiele an Kids und Teens jener Ära ihre flotten Sprüche und bunten Freizeitbeschäftigungen, wobei das verwöhnte (?) Geburstagsmädel Sally (Coralina Cataldi-Tassoni) eher giftig an den eigenen Idealen abprallt, sodann als Erste dem Reiz der Hölle erliegt. Die anderen Zweige im Ensemble kommen sodann durch Löcher an ätzendem Dämonenblut zusammen, wie sie ohnehin allesamt den surreal wirksamen Grusel im Fernsehen verfolgt haben - stärkere Charakterwerte jenseits der Oberfläche bleiben stets wie schon wie bei Teil Eins aus. Zumindest das sympathische Physikstudentenpärchen Georg (David Edwin Knight) und Hannah (Nancy Brilli) erwartet ein Baby im Dickicht von Neon-Reklameschildern, hat jedoch Bock auf Kuchen. Auf dem Weg dorthin verschlägt es Georg in einen festsitzenden Fahrstuhl vom bewährten Formate „Abwärts“, durch weitere urige Umstände bekommt Hannah auch Besuch von einem Mini-Dämon, dessen Geburt in der Abtreibung ihren Meister an Verrücktheit findet. Die italienische Crew spekuliert sich mal wieder eine Menge zusammen, u.a. Säure in der Wohnung, warum auch nicht?


Genauso merkwürdig geht es dann im Fitnessstudio im Keller zu, wenn Bobby Rhodes als Gym-Coach alle Hilfssuchenden (unter ihnen: eine junge Asia Argento und Antonio „Supersonic Man“ Cantafora) zur Verteidigung der Tiefgarage gegen die Mutierten aufruft. Die krasse Zerstörungswut in jenem Szenario lässt jede mögliche Katharsis aber flach fallen, ohnehin besitzt Lamberto Bavas Film eine recht unstete Dynamik, die sich dem Vorgängerfilm gegenüber weniger am erheiternden Rockcharakter in Bewegung setzt, stattdessen die Anti-Euphorie eines Albtraums umsetzt, in welcher Freundeskreis, Kinder und Eltern binnen der Miete in Stücke gerissen werden. Das schleimige Action-Abenteuer daran geht gewiss nicht verloren und zum Ende hin macht der „Dawn of the Dead“ sogar noch den Weg für die Liebe frei, doch gerade dann begibt man sich nochmals in einen bizarren Schlagabtausch an Einschaltquoten zwischen Hoffnung und Terror, leuchtenden und blinden Augen. Die Ungewissheit wird am Phantastischen jedenfalls nur bedingt exerziert, solange die Monolithen der gesellschaftlichen Einmauerung ähnlich der „Night of the Hunted“ Jean Rollins noch um unsere obskur etablierten Protagonisten stehen bleiben.




THE FIRST AVENGER: CIVIL WAR - "[...] Die Belanglosigkeit rührt aber nicht von einer unausgegorenen Charakterzeichnung, sondern einem lückenlos altbackenen Erzählkino, das Zwischentöne und Ambivalenzen der Anbiederung halber eliminiert und die Inszenierung auf Autopilot fahren lässt. Womöglich fühlt es sich auch deshalb an, als würde der Film ein und dieselbe Szene hundert Mal durchkauen, um ein Narrativ zu ergeben. In dieser einen Szene steckt aber genügend Potenzial, um die Fantasie des Superhelden, seine Verantwortung, Reuegefühle und Pflichten zu erforschen [...] Die besten Momente entstehen allerdings gerade dann, wenn die Russos direkt Schmerzen daraus ziehen, den intimen Kampf konzentrieren, sprich die Muskeln spielen lassen. [...] Was seit jeher überzeugend wie unterhaltsam über allen Zweifeln thront, ist Downey Jrs Verkörperung des Tony Stark, der die moralischen Fragen des Vigilantismus mit energiegeladenem Feingefühl vereint und sie am meisten abkriegt; weit mehr als Captain America und dessen Freunde. Diese haben lediglich ihre unverbesserliche Ideologie singulärer Entscheidungsgewalt der Verbrüderung halber anzubieten [...]"



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)

Sonntag, 13. März 2016

Tipps vom 07.03. - 13.03.2016

Da ich ein bisschen Gefallen gefunden habe an der Struktur des Blogeintrags von letzter Woche und ohnehin schaffen will, auch wirklich alle Filme zu würdigen, die mir innerhalb jener Einheiten von jeweils sieben Tagen begegnen, ich aber zeitlich gesehen nicht für alle eine voll formulierte Kritik anbieten kann, versuche ich nun mal regelmäßig eine Art kleinen Rückblick innerhalb des größeren Rahmen des Wochenrückblicks. Umständlich genug? Aller Anfang ist eben schwer, zumindest sollen zeitweise auch einige persönliche Einblicke auf diesen Wegen zustande kommen, auch wenn diese Woche bei weitem nicht so dramatisch wie die letzte verlief. Dank meiner frischen Kundenkarte bei der Hamburger Bücherhalle bin ich allerdings in den Genuss einiger Klassiker gekommen, die sich merkwürdigerweise doch schon länger bei mir aufgeschoben hatten.


Die Nacht des Jägers“ von Charles Laughton zum Beispiel, frisch und zeitlos in seiner Verkettung an Stilistiken und Genres - ein American Gothic, das voller Noir-Power und einem diabolisch guten Robert Mitchum ins Abenteuer mit kindlicher Perspektive springt sowie märchenhaften Expressionismus zur Kritik an der Leichtgläubigkeit der Gesellschaft sowie ihrer Mob-Mentalität nutzt. Charakter-technisch erlebt man daher bis zum Schluss einen regelrechten Wirbelsturm der Emotionen - Katharsis und Schock gehen da Hand in Hand zur Fabel eines ungewissen Weltverständnis auf. Was für ein toller Start, dagegen konnten zwei von drei Kinovorstellungen diese Woche nur schwer gegen ankommen. Da dies Pressevorführungen waren, bewahre ich der Fairness halber noch die Identität der Filme, zumindest kommen in Zukunft noch Texte zu denen ans Licht. Ich habe also durchaus wieder mehr geschrieben, als man hier vertreten sehen wird, aber machen wir uns nichts vor, zu folgenden Werken müsste man ja eigentlich auch was sagen: 


Bumerang“, in dem Fall Elia Kazans Justizdrama von 1947, stellt quasi die Blaupause dessen Genres dar. Das heißt, dass man als Zuschauer knapp sieben Dekaden später mindestens schon tausend weitere Filme jener Art gesehen hat und ja, Kazans Prozedere ist als auf einem wahren Fall basierendes Spannungsstück schon ziemlich zäh in seinem Drang der Beweisführung, der zuvor von einer Tätersuche ohne große Charakterstärken erfüllt wird und gen Finale dementsprechend nur wenig Bindung zulässt. Interessant sind dabei die Ansätze zur Erkennung von Korruption, eine mehr oder weniger subtil aufgespannte Vermittlung des Sachverhalts sowie die Entwertung von Vorurteilen. Im filmhistorischen Sinne also gar nicht mal so verkehrt, aufgrund der nicht von der Hand zu weisenden Didaktik allerdings nicht allzu gut gealtert. 


Obwohl die Bildsprache in „Die Reise nach Tokio“ von Regisseur Yasujiro Ozu auch schon eher an Werke aus der Frühzeit des Kinos erinnert (natürlich auch mit tollem Feingefühl beobachtet), ist die menschliche Beobachtung hier hingegen nochmal empathischer ausgeprägt, inwiefern die Bindung der Familie auf verteilter Basis funktioniert und sich in individuellen Wegen nach Verständnis sehnt. Die 130 Minuten daran machen sich mitunter etwas stark bemerkbar, dafür umfasst das geduldige Drama aber auch Stationen an Güte, Entspannung, Liebe, Verantwortung und Leiden, die nicht im Affekt geschehen, sondern im Bewusstsein einer Alltagspoesie voll stiller Konflikte ankommen wollen. Die emotionalen Brennpunkte binnen überwiegender persönlicher Bescheidenheit verfehlen da garantiert nicht ihre Wirkung, doch obwohl Melodramatisches im hier wirkenden Quasi-Neorealismus vermieden wird, lässt sich die Sentimentalität all dessen nicht verleugnen. Wie man's nimmt.


Spielerischer um die Flucht aus den Strukturen bemüht sich sodann Jan Svankmajers „Alice“, frei nach Lewis Carroll als osteuropäischer Stop-Motion/Realfilm-Hybrid in der Fantasie der Titelheldin unterwegs, die aus den Mauern der Kinderstube eine Tour bizarrer Ausmaße macht. Die Zutaten des Alltags vermengen sich hier zu neuen, teils morbiden Wesen, die vor allem in ihrer Verletzbarkeit unberechenbar bleiben, auf jeden Fall ein Spiel mit dem Realitätsverständnis an sich eingehen und als Widerstand des kindlichen Geistes genauso eigen wirken, wie es den Ursprung im Vertrauten finden. Der Film geht in erzieherischem Sinne also durchaus gegen die Vereinheitlichung von Projektionsflächen der Vorstellungskraft an, letzten Endes lässt er sich auch aus erwachsener Perspektive umso schwerer fassen, was ihn in seiner Qualität wohl auch nochmal bestätigt. Der psychotronische Zauber bleibt dabei auch Herzensangelegenheit, geballtes Ungehorsam und Ekel zugleich, mit Eindeutigkeiten brüstet er sich aber für wahr nicht.


Etwas deutlicher im Herzen der Finsternis unterwegs, zeichnet sich „Augen der Angst“ sodann auch als Genrewerk aus, das mit seinen Perspektiven maßgebliche Einflüsse hervorbrachte, die Bestie Mensch mit einem komplexen Psychogramm zeichnet, das sich aus der Obsession von Medien mit Gewalt auf die Aufnahme von Gefühlen stürzt. Die Verquickung der Macht des Zelluloids mit der geistigen Inkompatibilität wurde zum jähen Karriereende von Regisseur Michael Powell, sagte man ihm hiermit doch Pornographie nach. Fernab zynischer Exploitation ist sein Täterprofil jedoch recht ambivalent zwischen dem Grauen der Erziehung und dem Grauen ihrer Folgen verortet, innerhalb derer Focus-Puller Mark Lewis nur beschwerlich soziale Kontakte knüpfen kann. Powells Farben probieren darin auch in filigraner Verzweiflung die Feier des Lebens, doch der Tanz in den Tod setzt da meist schon früh an, während das Verständnis zum Opfer sowie dem Killer mit seinem scharfen Stativ eine delikate Positionierung wagt. Die Tragik all dessen mündet schlussendlich auch in eine Zelebration der Furcht, da steht man als Connaisseur des Mediums zwischen den Stühlen und lernt die Angst sowie ihre Sehnsucht (anno 1960 sehr mutig) zu schätzen.


Die inneren Zerrungen der Furcht (auch dank Saul Bass' Intro) noch energischer stilisierend, hat John Frankenheimers „Der Mann, der zweimal lebte“ ein für seine Zeit ungewöhnlich experimentelles Wesen inne, das dem Science-Fiction-Thriller drum herum zugrunde liegt. Beinahe ausschließlich mit Bildern der Gewöhnlichkeit schafft er die Suggestion von Körperfeindlichkeit und Bedrängung von außen, ironischerweise mit entfesselten Kameras, die sich umso mutiger um nahe wie urige Perspektiven schlagen, während das Konzept der vertauschten Identitäten aus der so ziemlich indoktrinierten Bitterkeit der Existenz heraus kafkaeske Züge trägt. Die Entscheidung fürs neue Ich bringt eben auch Sanktionen mit sich und selbst wenn das verheißungsvolle Mittendrin mit neuen Reizen punktet (und innerhalb der Laufzeit auch am wenigsten fesselt), gibt es keinen Ausweg aus den Regeln des Lebens, höchstens die zu späte Erkenntnis des vergangenen Ichs. Wo ein „Self-Less“ daraufhin die Katharsis der Befreiung durchsetzen würde, geht Frankenheimer konsequent in das Grauen des Todes, welcher so sehr aufs Geschäft bedacht ausgeführt wird, wie das Dasein als Mensch hier ohnehin als Geißel höherer Mächte oder auch dem Kapital ins Extreme veräußerlicht wird. Paul Verhoevens „Robocop“ hat sich hiervon auch so einiges zu Herzen genommen.

Das ist doch mal eine Auswahl an starken Stücken, was? Schade, dass einem (ob nun aufgrund von Arbeit oder anderen Freizeitaktivitäten) nicht immer die Zeit bleibt, um Übermengen an formulierten Gedanken zu Papier zu bringen, ich hoffe zumindest, dass auf diesem Wege einiges zumindest in Kurzform hängengeblieben ist, im Folgenden gibt es jedenfalls noch drei Texte zu bewundern, die sich etwas detaillierter mit ihren jeweiligen Filmen befassen. Falls das manch einem Leser vielleicht doch alles etwas zu kurz geraten ist, habe ich zum Schluss noch drei Geheimtipps an Musik per Youtube aufgeführt, die hoffentlich genauso viel Freude bereiten wie mir, obgleich die Filmwelt dieses Mal wieder ordentlich in meinem Herzen zugeschlagen hat.

Also dann:




GESICHTER - Man, was sind wir Menschen impulsiv! Jene grundsätzliche Eigenschaft kann einem manchmal echt leicht aus der Wahrnehmung entwischen, so gut man sich insofern mit dem Alltag arrangiert, Menschenkenntnis im positiven wie negativen Sinne fürs Profiling anwendet und insbesondere in der Reflexion per Leinwand meist mit geordnet funktionellen Idealen oder Stereotypen begegnet wird. Geschichten wollen eben eine Perspektive haben, um sich selbst vermitteln zu können, so möchte man meinen. Ein Kerl wie John Cassavetes hatte es jedoch schon vor knapp fünfzig Jahren raus, dass allein diese Flächen der Emotionen, die wir Gesichter nennen, ein Bollwerk an Filmerfahrung ausmachen, vom Titel her bereits ikonisch einschlagen können. Gut, ein Wiedersehen mit später allzu bekannten Ensemble-Visagen seines Gesamtwerkes lädt hier ohnehin ein, von Gena Rowlands bis Seymour Cassel wird es schnell heimelig, nichtsdestotrotz lassen sich hier alle auf ihre Art liebgewinnen. Beinahe wie im trunkenen Taumel lässt Cassavetes diese in seiner Variante des Cinéma vérité ganz nahe beobachten, was an Persönlichkeit, Lebenslust sowie -frust in Augen, Mundwinkeln, Lachen und Tränen zu finden ist. Die Teilhabe am menschlichen Miteinander bannt dabei den Zuschauer, ohne mit voreingenommenen Erwartungen hinsichtlich Genre oder Figureneindeutigkeit anzubiedern oder gar Katharsis im Nachhinein einreichen zu müssen.


Bei solch einem eventuell blumigen Formalismus, den man aus jener Schilderung herleiten könnte, belässt er es aber auch nicht. Obwohl es ohnehin für den Großteil von Cassavetes' besten Arbeiten gilt, bilden Unbekümmertheit und Temperament hier schon mit großem Effekt die Grundessenz aus der Gestaltung heraus. Die Kamera nimmt sich mit krassem 16mm-Korn stets Freiheiten, ebenso befreit sich das Narrativ aus konkreter Emotionalisierung, u.a. mit einem Musikeinsatz, der hauptsächlich entweder on-screen ist, gar nicht existiert oder schlicht aus der Musikalität der Charaktere kommt. Deren Handeln ist nur sekundär mit einer leichten Dramaturgie verbandelt, nicht alle Motivationen lassen sich abseits oder gar binnen der Situationsabhängigheit dechiffrieren - Daumen hoch! Stattdessen tritt nämlich ein Leben zum Vorschein, bei dem Eigensinn um Eigensinn aufeinandertrifft, bar jeder Forcierung in Euphorie und Eskalationen kippen kann, aus anfänglichen Feindseligkeiten Busenkumpel kreieren lässt oder einen schönen Abend voll brüllendem Gelächter zu Offenbarungen innerer Verletztlichkeit verleitet. Und das beste daran: Alle Richtungen können sich stets der Interaktion geschuldet wieder umkehren und Sympathien verschieben, ohne dass auch nur an einer Figur ein Urteil erwirkt wird.


Die schlichte Äußerung des Pro und Kontra in jedermann durch Cassavetes birgt schon eine beachtliche Konzentration an Verständnis, komplettiert wird der Film dabei jedoch von der Sehnsucht nach Glück, Erfüllung und Verbundenheit, eben Liebe, die nie ganz ihr Ende finden kann. So erklärt sich natürlich auch das Erlebnis mit den Charakteren, wenn diese mit Einsatz in die Auflockerung stürmen und letztendlich doch ihren Schutzschild herunterfahren, mit wie viel Ungewissheit das Dasein angereichert ist. So wie sich angesichts dessen Humor, Wut, Zuneigung und Verzweiflung beinahe permanent kreuzen, wird man von der Turbulenz restlos mitgerissen, aber auch nicht in eine irreale Hysterie, sprich überfordernde Verkettung von Extremen hinein gerissen. Cassavetes begibt sich für wahr in destruktive wie auch intime Nächte, die Erdung in humaner Begegnung kommt ihm nimmer abhanden; der Drang zu bedingungsloser Empathie könnte ihn als naiv entlarven, wenn er denn nicht gleichsam den Schmerz im Zwiespalt jener Hoffnung verinnerlichen würde; eventuelle Aufdringlichkeiten in der Vermittlung der Kunst werden mit rohem Schnitttempo, schludriger Tonaufnahme und natürlich ungebremster Spielfreude unterlaufen.


Wie man's auch dreht: Solch eine Wahrhaftigkeit wird scheinbar nur selten im Medium erzeugt - dass sich da zum Schluss der über 130 Minuten an verweigerter Kategorisierung hin keinerlei Redundanz und Trivialität ergeben, ist umso verwunderlicher. Im Gegenteil: Da packt es einen erst recht, wenn sich urplötzlich ein Gesicht ohne Leben zeigt, ganz gleich mit welchen ausgesprochenen wie unausgesprochenen Wirrungen es zu hadern hatte. Die krasse Nähe des Ganzen schwellt auch dann nicht ab, wenn das Selbstverständnis der Liebe wütend und herzlich zur Wiederbelebung ansetzt, mit der Kippe im Mund einen Galgenhumor der gegenseitigen Empfindsamkeit zusichert. „Never felt like this before“ tönt es sodann im Abspann und man möchte es nur allzu getroffen glauben, obwohl das Ganze schlicht ein Wiedersehen ist, mit einem selbst und dem Menschen an sich.




PHENOMENA - Vorhang auf für die phantasmagorischen Märchen des Horrorfilms, an dieser Stelle kuratiert von Dario Argento, welcher die Unschuld erneut mit virtuosem Effekt gegen das allgegenwärtige Übel antreten lässt. Dabei repräsentieren sich beiderlei Parteien innerhalb derselben Gestalten: Mensch, Natur, Architektur, Metall, Jugend und Reife. Urängste haben ihren Ursprung eben auch im Vertrauten und dem, was dahinter schlummern könnte. Die Differenzierung erfolgt sodann initiativ binnen Schweizer Täler, so nüchtern wie atemberaubend eingefangen, dass die Stilisierung relativ zügig Gefahr und Faszination vermengt. Argentos Schauerstücke vom Reiz der Verletzbarkeit stellen dafür gerne junge Frauen in den Fokus, auch hier wird zu Anfang eine dänische Studentin alleine in ihr unbekannten Regionen zurück gelassen und muss nach Hilfe suchen, zwischen Neugier und Überwindung über sich hinauswachsen. Sie findet ein jähes Ende in dem Ambiente, das der Film mit ätherischer Aura zeichnet, durch einen brutalen Einschnitt mit zerschellendem Glas und blitzender Klinge, welche aber bewusst noch von einem unsichtbaren Täter, vielleicht der Natur selbst, herausgeschossen zu kommen scheint. Mit ein bisschen Sex in jener Bildsprache kurbelt vor allem der Soundtrack dabei allmählich die Perspektive der Jugend an.


Argentos Filme sind zum Teil eben auch Rockkonzerte, in diesem Fall folglich Identifikationsflächen für eine Leinwandgeneration, die sich als Teens in den Achtzigern verstärkt selbst reflektiert sehen wollte. „Phenomena“ wird im Verlauf auch ein Bindeglied zwischen Verweisstücken des Übernatürlichen, des bodenständigeren Slashers/Giallos sowie den tiefen Wurzeln von Geschichte und Geschichtenerzählung - ein Abenteuer also, das aus dem weltlichen Ursprung heraus durch mehrere Adern zugleich fließt. Der zentrale Auftritt dafür gebührt Protagonistin Jennifer (Jennifer Connelly), die im Züricher Mädcheninternat geißelndes Personal, Lästermäuler und mörderische Visionen im Schlafwandeln vorfindet; gleichsam Freundschaft schließt mit Zimmergenossin Sophie, dem zurückgezogen lebenden Professor McGregor (Donald Pleasence) sowie der kleinsten aller Tierwelten, den Insekten. Die starke Kombo dieser Außenseiter lässt sodann bezeichnenderweise auch die profunde Symbiose von Leben und Tod natürlich, liebevoll und hilfreich erscheinen. Doch der Kontrast des Schreckens anhand gleicher Komponenten macht sich ebenso bemerkbar. Der Film entwickelt daher auch ein sehr eigenes Tempo, das zudem von irren Eindrücken mitten drin und abseits vom Zeitgeist überfallen wird.


T-Shirts mit Barry-Gibb-Portraits und Sprüchen wie „86 % sind gegen die Atomkraft“ lassen sich also mit einer umtriebigen Schimpansendame namens Inga messen, die sich inmitten der telepathischen Verständigung von Mensch und Tier einfindet, während Jennifer im Traumzustand durch Lichter, Flure und Wälder flüchtet, um über den Dingen zu stehen, die sie festsetzen wollen. Der Frust der Bevormundung lauert ihr dabei geradezu omnipräsent auf in diesem „Schweizer Transsylvanien“, doch dessen mystifizierter Föhn bringt in vielerlei Sequenzen auch den Rausch der Schönheit mit sich. Den fühlt man sogar zeitgleich, wenn der Ekel am Rücken hoch schleicht - symbolhaft ergänzt im mikroskopischen Blick auf Käfer, Maden und die parallele Zärtlichkeit Jennifers, jener Königin der Fliegen, wie die Internatsleiterin sie als Beelzebub zu entlarven glaubt. Die Selbstverständlichkeit dessen lässt innerhalb der knapp zwei Stunden Laufzeit sodann auch Luft für ein eher konventionelleres Whodunit, welches aber bei weitem keine konventionellen Auflösungen einhält. Die Steadicam schwebt als Fliege Hinweisen nach; Hard Rock von Iron Maiden und Motörhead trifft auf Leichentransport und Eingeschlossenheit; Inga findet die Mordwaffe im Müll; Jennifer will der Offenbarung des Täters und der fiesen Erwachsenenwelt entfliehen, doch die halten sie als Mächte des Wahnsinns in ihrem Bann.


Letzterer Punkt beweist im Umkehrschluss übrigens die Angst des Bösen vor der Kraft des Guten, wie sie sich im Rahmen des Horrors doch so gerne gegenseitig zerstören. Fernab eines kathartischen Triumphs jedoch, findet die destruktive Poesie darin dementsprechend auch ein Finale, welches Feuer auf dem Wasser ausbreitet, Mutationen des Fleisches verschlingt und Güte brachial per Metall köpft, ehe die Empathie von Mensch und Tier in Verzweiflung, Wut sowie Liebe mündet. In diesem wunderbar anorganischen Organismus passiert einfach alles und da wird es umso beachtlicher, dass Argentos Regie dies grundsätzlich über schlichte Reize vermitteln kann, einen Publikums-tauglichen Reißer italienisch à la carte entwirft und mit Naivität ins Herz eines jungen Individuums blickt. Von erwachsener Qualität mag dabei vielleicht nicht alles an Darstellerleistungen und Dramaturgie betroffen sein, doch die Angst sowie die Bewältigung derer kennt nun mal kein Alter. Wohl deshalb hält Argentos Horrormärchen auch unabhängig vom Spaß an dessen Fantasie noch immer an.


Bonus-Zeugs:




LONDON HAS FALLEN - "[...] Die Fortsetzung vom „Stirb Langsam“-im-weißen-Haus-Kandidaten „Olympus Has Fallen“ versteht ihren Protagonisten noch weniger als zuvor als Charakter, so ist dieser nun schlicht zu einem Ventil geworden, das angesichts einer Welt voller Terror und dessen komplexen Hintergründen für mehr Überwachung, Drohneneingriffe und genüssliches Verstümmeln der Feinde bar jeder Diplomatie spekuliert. Gerard Butler gibt sich mit extra dicken Eiern die Ehre, die Donald Trumps und AfD-Wähler dieser Welt anzusprechen, wenn er als Übermensch der westlichen Welt mit jedem Schuss einen blutigen Treffer landet und seinen Angreifern zuschreit, sich zurück nach „Thefuckistan or wherever you came from“ zu begeben, während er ihnen zigmal die Klinge in den Rumpf rammt. [...] Er nimmt sich und seine Katharsis aber zu ernst, als dass er als Publikums entlarvende Parodie durchgehen könnte; gleichsam greift er zu gelassen auf aktuelle Ereignisse zurück, als dass er provokativ auffallen könnte. Dass er jenen Umstand letztendlich für eine einseitige Gewaltfantasie bar jeder Konsequenz nutzt, macht ihn wiederum äußerst bedenklich und setzt zu einem Rückschritt an, den das Kino (wie auch das Publikum) lieber nicht als Norm empfangen sollte [...]"



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)


Und nun wie versprochen, drei geheime Hits, allesamt aus der Zeit der NDW stammend und so obskur, dass ihre irre Schönheit, teilweise in Lo-Fi, umso stärker scheint.