Sonntag, 24. April 2016

Tipps vom 18.04. - 24.04.2016



DIE NACKTE INSEL - Auf diesem Planeten hat man es so oder so schwer, zu bestehen - den Sinn des Lebens gilt es sodann auch nicht pauschal zu definieren, solange globales und individuelles Verständnis im Zyklus mehrerer Ereignisse, ob nun binnen der Natur oder der Zwischenmenschlichkeit, stehen. Kaneto Shindô mag mit seiner Sicht auf „Die nackte Insel“ dementsprechend auch keine Katharsis einer bereits entschiedenen Siegernatur liefern, stattdessen dient sein Film der Beobachtung, dem Reflektieren und Nachfühlen von Verhältnissen, die allein per Sprachlosigkeit übergreifend ankommen. Der stilistische Formalismus daran ist gewiss auch streng in seiner Vermittlung oder eben schlicht konsequent, wenn er sich dabei in die karge Natur begibt, vor derer Majestät noch nicht mal kleinlaut werden will und ihre Schönheit einfängt, wobei die aus ihr entspringenden Umstände voller Unbarmherzigkeit scheinen. Zentral entscheidend dafür werden seine Protagonisten, das Bauernpaar Toyo (Nobuko Otowa) und Senta (Taiji Tonoyama) mit ihren zwei Söhnen, welche sich für ein Leben auf einer einsamen Insel entschieden haben, tagaus tagein Wasser vom Festland fürs Überleben, auch für die Ernte, per Boot in schweren Eimern transportieren.


Die alltäglichen Mühen haben Archaisches inne, lassen sich allgemein auf den menschlichen Zustand umsetzen, obgleich der Drang zur Selbstversorgung hier trotz aller Behutsamkeit im Handeln durchaus in die Extreme geht. Shindôs konzentrierte Inszenierung strahlt daher zeitweise auch Hochspannung aus, wenn die Wege vom Wasser zum Ziel um Heim und Saat lang und beschwerlich, zudem unter glühender Sonne sowie im Aufgang steiler Täler, als Balanceakt des Willens herausstechen. Der Schmerz einer eigenständig auferlegten Pflicht wird allerdings untereinander auch von Mann und Frau geteilt - die Entspannung leistet man sich auf den sanften Wellen des Meeres, im Antlitz des Flusses unserer lebenden Erde, während das Rudern an sich aber natürlich ebenso Arbeit bleibt und die pointierte Kohärenz Shindôs keine allzu kurzen Strecken suggeriert. Jenem Pro und Kontra entkommt auch der Status der Natur nicht, wenn diese als Heimatort Demut und Wasser verlangt, sogar imminent einsaugt, ohne jene menschlich daher gebrachte Faktoren aber von Vornherein erst gar nicht erblühen würde. Das Wechselverhältnis findet dabei unter anderem in Hikaru Hayashis Musikthemen Harmonie, die Figuren äußern darin ebenso ihr Selbstverständnis von Bescheidenheit, welche sich aber auch nicht dem Ego wegen von der Zivilisation ausschließt.


Man nimmt gewiss auch mehr Lasten auf sich, um die Kinder zur Schule zu bringen, missen will man es aber ebenso nicht wie die gegenseitig abgeklärte Unterstützung, Hilfe, eben dem Austausch am Miteinander. Die friedfertigen Wesen dieses Films werden zudem keine Fantasieideale, dafür bleibt Shindô auch recht elementar am Ball, keinerlei Sachverhalt zu überstrapazieren, in Details oder Spekulationen zu verlieren. Die daraus resultierende Wiedererkennbarkeit von Prozessen gibt schon reichlich Auskunft über das Wesen seiner Charaktere, über deren Glück und deren Leiden, was beiderseits gefasst aufgenommen wird, aber genauso wenig Impulse vermissen lässt, wie es eben auch den selbstsichersten Mitmenschen widerfährt. Eine Dramaturgie der Jahreszeiten spart er gewiss auch nicht aus; Regen, Hitze und Wind, an die sich das einfache Leben anpassen müssen oder Umwege finden, mal voller Stolz und Gemeinsamkeit durch die Generationen hinweg einen Vorteil aus der Natur schlagen, mal vom Unglück der gesellschaftlichen Abkopplung ins Ungewisse sowie zur Wut getrieben werden. Über allem schafft es Shindô, die bedingungslose Liebe zur Verfügung zu stellen, die sich im Rahmen seiner Gesellschaftsdarstellung noch nicht mal als romantisierter Pathos herausstellt.


Im Kontrast dazu bleibt das Aufbegehren aus der Erkenntnis des Ichs sowie dem Zweifel gegenüber jener Position hinsichtlich der Zukunft nämlich ebenso nicht ungesehen. Die Tragik in der Erhaltung des Status Quo lässt sich erkennen, allerdings besitzt es darin ebenso eine Kraft, sich innerhalb dessen in der Existenz nicht brechen zu lassen, den Weg weiterzugehen und an den Widerständen hochzuklettern, ganz gleich, ob ein Ziel in Aussicht ist. Das Fortbestehen allen Lebens ist ein kontinuierlicher Prozess, auch in der Begegnung mit dem Tode, von daher wird Shindôs Film auch keine bloße Reinforcierung vom Leistungsdruck, wie dieser Japans Gesellschaft bis zum heutigen Tage immer stärker verfolgt, sondern ein Beispiel des objektiven Gelingens im Zwiespalt aus Mensch, Natur und deren jeweiligen Bedürfnissen: Es schmerzt in seiner Funktion, aber es sind auch Verhältnisse, über die man herauswachsen kann, wenn sich die Akzeptanz daran beweist. „Die nackte Insel“ ist eben ein differenzierter Durchhaltefilm für alle Zeiten, aber fern von heuchlerischer Propaganda im Herzen der Empathie angesetzt, auf dass die Menschheit sich sowie ihre Erde unter- wie miteinander nicht aufgibt, die Schwierigkeiten dessen dennoch eben als solche beachtet. Letztendlich weiß nämlich niemand, wohin es alles führt, aber Shindô schließt Realismus und Hoffnung gewiss nicht aus.




DER AUSREISSER - Die Handhabung mit Eskapismus ist stets ein delikates Betätigungsfeld, möchte man mehr als die oberflächliche Genre-Platte bedienen oder über diese komplexe Charaktere bilden. Jene potenzielle Transzendenz pendelt auch zwischen Anpassung an den Zuschauer sowie dessen Involvierung hin und her, weshalb es besonders erfrischt, wenn ein Regisseur wie Alain Guiraudie seinen „König der Flucht“ (frei nach dem Originaltitel) mit Leichtigkeit zu einem Balanceakt verleitet, der bereits in der Erscheinung mehrdeutige Werte einnimmt. Armand (Ludovic Berthillot) verkörpert als knapp 40-jähriger Landwirtschaftsverkäufer Imposanz und Zerbrechlichkeit zugleich, könnte mit seiner Statur alles niederschmettern und ist doch zart, ehrfürchtig, keineswegs immer Herr der Lage und, „um dem Ganzen die Krone aufzusetzen“, dem männlichen Geschlecht zugetan. Regisseur Guiraudie baut dabei (auch ganz seinem „Der Fremde am See“ entsprechend) weder auf Sensationalismus noch auf externer Emotionalisierung auf, wenn er Sexualität und andere charakterliche Umstände im Wirken ihrer selbst zeichnet.


Stattdessen verinnerlicht er die Schlichtheit, schaut entgegen dem Gefälligkeitsdrang eines konventionellen Narrativs auf die Zwischenstationen binnen Reflexion oder Alltagsbelanglosigkeit, um durch elliptische Montagen und Eigenwilligkeiten menschlichen Umgangs zum Verständnis sowie durchaus absurde Pointen zu gelangen. Jene Kontradiktionen spielen eben auch mit dem Realitätsverständnis, sobald sich Armand in eine Situation verliert, in welcher er als Retter und Liebhaber der 16-jährigen Curly (Hafsia Herzi) zunächst in eine überspitzte Traumlogik einsteigt, welche einmal aufgelöst wird, sich im Verlauf aber immer wieder ankündigt und kleine Portionen der Abwegigkeit liefert, wie es dem Charakter eben auch entspricht. Selbstzweifel gegenüber dem gesellschaftlichen Rahmen sind bei Armand von Vornherein gegeben, Guiraudies Inszenierung schnitzt sich daraus aber gewiss kein kathartisches oder sadistisches Sozialdrama, zieht stattdessen das Harmonische binnen dem Konsens konträren Situationen auf. Obwohl Curly (nicht ihre Darstellerin) beinahe noch ein Kind ist, besitzen ihre Sexszenen mit dem älteren Alain also keinerlei Schockfaktor, genauso wenig, wenn er sich mit einem 70-jährigen vergnügt.


Der Film sieht darin eben ausschließlich Menschen, gleichsam wird Pathos durch Handlungselemente verhindert, welche dem Antagonismus von Polizei und dem Vater Curlys beinahe übernatürliche Kräfte verleihen, die sie nie adäquat nutzen, ehe dann noch die Saat der „Bumswurzel“ ins Spiel kommt, mit welcher die Potenz stets auf den Siedepunkt steigt und brenzlige Situationen zum richtigen Zeitpunkt aushebeln lässt. Die Norm der Rettungsfantasie zwischen Armand und Curly bleibt dabei bestehen, wirkt durch Guiraudie und Darsteller natürlich authentisch, die Konsequenz dessen sagt aber nicht nur etwas über die eigentlich tieftraurige Verlorenheit Armands aus, sondern auch über den Bezug zu Medien, Geschichten allgemein, eben Zwischenmenschlichem in jeder noch so etablierten Form. Es steht zur Debatte, wie das Universelle der menschlichen Erfahrung im Allgemeinen aufgenommen wird und prägt, dass sich Individuen nach vorbestimmten Idealen oder gleichsam vorgeformten Alternativen sehnen, bis Entscheidungen von ihnen gefordert werden, ob nun von außen oder von innen, bewusst oder unbewusst.


Armand und Curly theoretisieren beidesamt um ihre Zukunft, können selbst mit Generationen übergreifender Erfahrung keine festen Wege festmachen, sich in der Abwägung der Aussichten - zudem gegen Gesetz und Patriarchat - dennoch einer schlussendlichen Unvereinbarkeit ausgesetzt sehen (wohlgemerkt nicht im beiderseitigen Einverständnis). So tief die Betrachtung zu Wegen, Umwegen wie Sackgassen der Sozialität hier gehen, so leicht kann Guiraudie sie aber einfangen, abseits der Erwartungen in sommerliche Irrwege führen und aus dem Stand heraus auf Empathie wie wonniges Chaos hinweisen. Ungewissheit darf hier ruhig gewöhnlich, Gewissheit auch ungewöhnlich sein, beide können Varianz erlernen und genießen, ohne ein endgültiges Urteil aussprechen zu müssen. Guiraudie lässt sich ebenso wenig auf eine Auflösung ein, viel mehr will er das Wesen seines Armands in dieser Charakterstudie über die Ambivalenzen, Differenzierungen und Überraschungen des Selbstbewusstseins erfassen. Es gelingt und zudem bewusst auch inklusive Imperfektionen in der Balance an Deutungen, Selbstverständlichkeiten sowie Surrealem, eben Wahrheit und Wunsch.




DAS TÖDLICHE DUELL DER SHAOLIN - Ständig hört man ja von der potenziellen Funktion des Mediums Film, dass es den Zuschauer in eine fremde Welt entführen kann. Wie oft schafft es jenes aber, einen zum Kindergeburtstag zu entführen? Bühne frei für „Das tödliche Duell der Shaolin“, einem von zahlreichen Martial-Arts-Schnellschüssen aus dem Taiwan der siebziger Jahre und damit von Natur aus weit verspielter als der Großteil traditioneller Shaw-Brothers-Produktionen. Nicht, dass der Genuss des einen den beim anderen ausschließen muss, doch der Appeal von Hou Chengs Film basiert eindeutig auf seiner kontinuierlichen Eskalation an Wunderlichkeiten im Rahmen eines austauschbaren Handlungsgemenges, wie es zuhauf anzutreffen ist und dennoch einige schöne Charakteristika bereithält. Letzteres muss man allerdings irgendwie mit vorgehaltener Hand angeben, verläuft der Großteil des Plots doch als Ansammlung von Kampfsequenzen, die schlicht durch permanente Exposition zusammengehalten wird. Ich habe bisher nie so recht begriffen, warum solch energisch stumpfes Filmverständnis über die Jahre hinweg einzigartig geblieben ist und mich stets zu sich zurückgeführt hat, aber jene naive Umsetzung der Dringlichkeit ist derartig omnipräsent, dass ich deren Mittel rückblickend sogar unbewusst zu meiner frühen Amateurfilmzeit („Tong Tong und die Rache der Faustgiganten“) anwendete.


Das sagt bestimmt eine Menge darüber aus, wie der Ottonormalverbraucher solches Filmgut empfinden dürfte, ganz ab davon ist es dennoch vollkommen legitim, für eine Genrearbeit dieser Größenordnung auf blitzschnelle Funktionalität zu setzen. Dafür werden hingegen Perspektiven frei, die im taiwanesischen Schlägerfilm ein festes Zuhause gefunden haben, angefangen beim toll verschlissenen Zelluloidlook, der schon von Geburt an Zerbrechlichkeit wie Alter vermittelt und sich einem wie eine von weit her gereiste Schatztruhe offenbart. Gleichsam ist die inhärente Darstellung des Erbes einer Kultur jenseits des Westens ein Reiz, in den man sich dank naturgebundener Panoramaeinstellungen gerne hinein verliert. Praktisch gedacht, geht es für die Filmemacher hier durch Paläste, von Tälern umgebene Dörfer und urige Nadelwälder, Gebüsche und Baugruben, eben alles, was in nächster Nähe als Abenteuer vergangener Jahrhunderte herhalten kann - selbst der botanische Garten mit Zaun und Ansichtskarten, im Schatten vom Pavillon ruhend. Amateurfilmer denken auch nicht anders, wenn sie die Liebe zu ihrer vertrauten Umwelt einfangen wollen und gerade wenn die narrativen Qualitäten zu wünschen übrig lassen, wird einem die Atmosphäre geradezu mühelos als willkommener Begleiter beigebracht, muss man Hou Cheng anrechnen - erst recht im Vergleich zu einem Hsiao-hsien Hou, der sich in „The Assassin“ dieselbe Wirkung anhand flüsternder sowie verästelter Prätention erhoffte.


Vor allem aber auch, weil Hou Cheng Stationen des Wahnwitz versucht, die innerhalb des kulturellen Spektrums ihren Ursprung haben, in der Umsetzung freilich abenteuerliche Züge des Trivialvergnügens unternehmen. Magie ist das Schlüsselwort im Kanon einer Rache, die von Rebellen aus gegen das Kaisertum arbeitet. Jenes leitet der Steuern wegen Massaker ein und so kommen die Cousinen Yu Liang (Doris Lung Chun-Erh) und Lu Szu Liang (Chia Ling) Jahrzehnte später zurück, um den Mord an ihrer Sippschaft mit angelernten Kung-Fu-Kräften zu sühnen. Die gehen gewiss aber weiter als es irdische Physik erlaubt - aus dem Stand heraus auf Dächer zu springen, ist da noch die geringste Attraktion. Die Entschlossenheit, die sie dazu gepachtet haben, bringt ihnen im Gegenzug eine gnadenlose Jagd entgegen, bei welcher Carter Wong kräftig als Unterstützer mitmischen darf. Bunter wird es aber fast noch beim Kaiser selbst, dessen Sicherheitsmänner Zorn mit Regenbogenuniformen verknüpfen, während er die kämpfenden Gorillas zweier Geister mit ellenlangen Zungen für sich gewinnt. Das Kräftemessen dazu, im Verlauf eigentlich die irrelevantesten Szenen ergebend, tut sich dann auch keinen Zwang an, unter Tannen die Puppen tanzen zu lassen, auf dass die filmische Verstrahlung sodann noch auf leichtem Fuße und eben mit kleiner Summe verzückt.


Yu und Lu Szu definieren sich ebenso anpackend binnen Stadtmauern, sobald sie in den Palast eindringen wollen, müssen aber erst mal Pläne per Infiltration geschmiedet werden. Also bietet man sich undercover als Hofdamen an, um Fallen kennenzulernen, den Monarchen gar im Bett zu erdolchen, doch da wäre der Film dreißig Minuten zu früh zu Ende. Wäre ja gelacht, wenn ein Werk jener Gattung ohne Längen auskommen könnte, zumindest gesellen sich im Kampfgetümmel einige sehr merkwürdige Eindrücke (Glubschaugen inklusive) dazu, während Support sowie Aufopferung unter Cousinen die empathischen Spitzen des Films finden und die Intrigen des Kaisers verspielte Theatralik (und farbige Rauchwolken) an den Tag legen, als sei er der Regisseur selbst. Am schönsten kreuzen sich jene Wege im Kampf zwischen Yu und den Gorillas, wenn die kleine Kampfgöttin flink gegen die absurden Gegner zu bestehen versucht und die Kamera dies so selbstverständlich binnen klobig goldener Kulissen einfängt, dass man sich zur Aufregung als Kind zurückgeführt fühlt. Will man denn je erwachsen werden, wenn das Blut schließlich in Fontänen aus Gorillaschädeln spritzt und unsere Damen dabei unmöglich in der Luft hängen bleiben? Zumindest für die knapp 80 Minuten Laufzeit kann man gerne drauf verzichten und stattdessen den Wohlfühlfaktor im Eastern-Märchen aufsuchen.




DÄMONEN (DÉMONI 2) - Es ist schon bemerkenswert, wie Démoni 1 & 2 hierzulande von ihren im jeweiligen Narrativ behandelten Medien quasi entkoppelt wurden. Der erste über die Horrormär im Kinosaal kam als Nachzügler in die Videothek, der zweite hingegen durfte initiativ die Leinwand einnehmen. Dabei kommt das höllische Grauen dieses Mal aus dem Fernsehen, eben die nächste Generation an audiovisueller Vermittlung und auch auf narrativer Ebene eine genuine Fortführung. Doch genug der hiesigen Umstände, schließlich ist Lamberto Bava für diese höhere Stufe an Erreichbarkeit auch weiter in den Norden, nämlich nach Hamburg gezogen. Die Bedrängung und gesellschaftliche Teilung durch Mauern hat hier gewiss weniger Gewicht, dennoch stellt sich vor Ort The Tower als Ersatz vor, ein Kristallschloss der Gemütlichkeit, das Wohnkomplex, Fitness-Center, Party-Butze und Familienherberge des Mittelstands in sich vereint. Aus freiwilligen Stücken hat man sich sogar doppelt beschichtetem Panzerglas beholfen, wenn man denn schon den schier unsicheren Zeitgeist der Achtziger geradezu omnipräsent in den Knochen spürt - wahrscheinlich auch als böse Welle aus Berlin (wohlgemerkt nach Tschernobyl) vernimmt, wie es das Intro beschwört -, also ist auch hier die Konzentration des Horror-Genres nicht weit. Schließlich ergibt man sich dem Blutregen nicht mehr im kollektiven Rahmen der Kinoerfahrung, sondern in privaten Zellen, welche ihre Dosis Schrecken über Satelliten empfangen, sich in heimeliger Gesellschaft umso losgelöster an die Passion zur fiktionalen Brutalität machen.


Dabei scheint der Film-im-Film jedoch ein echtes Sequel zu vorangegangen Ereignissen zu sein, jene Postapokalypse wird aber mit vergnügter Selbstverständlichkeit sogar noch dichter ans reale Geschehen montiert. Sicherlich nicht von ungefähr dem Produzenten und Koautor Dario Argento geschuldet, schwingt sich da bis zum Ende hin das Pendel der extremisierten Satire ein, so wie die Grenzen zwischen Welt und Medien hier verschwimmen, um das Böse auf der Erde herauf zu schwemmen. Die Zeiger weisen ohnehin abwechselnd auf „Parasiten-Mörder“ und J.G. Ballards „High-Rise“ hin (Bavas Inszenierung übertrifft sogar die von Ben Wheatley), finden in den Zwischenräumen aber noch weitere Verweise auf kontemporäre Genre-Ausbrüche, von „Evil Dead“ über „Nightmare - Mörderische Träume“, „Videodrome“ bis hin zu „Gremlins“. Eigentlich nimmt Bavas Film auch „Stirb Langsam“ vorweg, wenn man so will, die Anleihen am Desasterkino sind ebenso nicht von der Hand zu weisen, doch jene Orientierung am straffen Hochhausreißer als Eskalation der Gesamtgesellschaft lässt Argentos Faszination mit dem 1978 von ihm betreuten „Zombie“ George A. Romeros noch stärker als beim Vorgänger durchscheinen. Es wird gleichsam finsterer, wenn das Überleben schon vom Eigenheim aus einschlägt, Familien und Jugend vom Teuflischen bedroht werden, welches die kalten monochromen Korridore als Hölle ohne Ausweg zusammenrücken lässt.


Da werden selbst die Punks im Vergleich zum Erstling zur uninvolvierten wie zahmen Nebensache, wenn es hier vom Dach bis in die Tiefgarage brutzelt. Ohnehin gehen viele Personalstränge aus reinem Impuls im Fegefeuer ein, ausgerechnet „Panic“ von The Smiths gibt in vielerlei Hinsicht schon ein frühes Vorzeichen für derartig grausiges Chaos auf der Tonspur ab. Vorerst aber erhalten die Beispiele an Kids und Teens jener Ära ihre flotten Sprüche und bunten Freizeitbeschäftigungen, wobei das verwöhnte (?) Geburstagsmädel Sally (Coralina Cataldi-Tassoni) eher giftig an den eigenen Idealen abprallt, sodann als Erste dem Reiz der Hölle erliegt. Die anderen Zweige im Ensemble kommen sodann durch Löcher an ätzendem Dämonenblut zusammen, wie sie ohnehin allesamt den surreal wirksamen Grusel im Fernsehen verfolgt haben - stärkere Charakterwerte jenseits der Oberfläche bleiben stets wie schon wie bei Teil Eins aus. Zumindest das sympathische Physikstudentenpärchen Georg (David Edwin Knight) und Hannah (Nancy Brilli) erwartet ein Baby im Dickicht von Neon-Reklameschildern, hat jedoch Bock auf Kuchen. Auf dem Weg dorthin verschlägt es Georg in einen festsitzenden Fahrstuhl vom bewährten Formate „Abwärts“, durch weitere urige Umstände bekommt Hannah auch Besuch von einem Mini-Dämon, dessen Geburt in der Abtreibung ihren Meister an Verrücktheit findet. Die italienische Crew spekuliert sich mal wieder eine Menge zusammen, u.a. Säure in der Wohnung, warum auch nicht?


Genauso merkwürdig geht es dann im Fitnessstudio im Keller zu, wenn Bobby Rhodes als Gym-Coach alle Hilfssuchenden (unter ihnen: eine junge Asia Argento und Antonio „Supersonic Man“ Cantafora) zur Verteidigung der Tiefgarage gegen die Mutierten aufruft. Die krasse Zerstörungswut in jenem Szenario lässt jede mögliche Katharsis aber flach fallen, ohnehin besitzt Lamberto Bavas Film eine recht unstete Dynamik, die sich dem Vorgängerfilm gegenüber weniger am erheiternden Rockcharakter in Bewegung setzt, stattdessen die Anti-Euphorie eines Albtraums umsetzt, in welcher Freundeskreis, Kinder und Eltern binnen der Miete in Stücke gerissen werden. Das schleimige Action-Abenteuer daran geht gewiss nicht verloren und zum Ende hin macht der „Dawn of the Dead“ sogar noch den Weg für die Liebe frei, doch gerade dann begibt man sich nochmals in einen bizarren Schlagabtausch an Einschaltquoten zwischen Hoffnung und Terror, leuchtenden und blinden Augen. Die Ungewissheit wird am Phantastischen jedenfalls nur bedingt exerziert, solange die Monolithen der gesellschaftlichen Einmauerung ähnlich der „Night of the Hunted“ Jean Rollins noch um unsere obskur etablierten Protagonisten stehen bleiben.




THE FIRST AVENGER: CIVIL WAR - "[...] Die Belanglosigkeit rührt aber nicht von einer unausgegorenen Charakterzeichnung, sondern einem lückenlos altbackenen Erzählkino, das Zwischentöne und Ambivalenzen der Anbiederung halber eliminiert und die Inszenierung auf Autopilot fahren lässt. Womöglich fühlt es sich auch deshalb an, als würde der Film ein und dieselbe Szene hundert Mal durchkauen, um ein Narrativ zu ergeben. In dieser einen Szene steckt aber genügend Potenzial, um die Fantasie des Superhelden, seine Verantwortung, Reuegefühle und Pflichten zu erforschen [...] Die besten Momente entstehen allerdings gerade dann, wenn die Russos direkt Schmerzen daraus ziehen, den intimen Kampf konzentrieren, sprich die Muskeln spielen lassen. [...] Was seit jeher überzeugend wie unterhaltsam über allen Zweifeln thront, ist Downey Jrs Verkörperung des Tony Stark, der die moralischen Fragen des Vigilantismus mit energiegeladenem Feingefühl vereint und sie am meisten abkriegt; weit mehr als Captain America und dessen Freunde. Diese haben lediglich ihre unverbesserliche Ideologie singulärer Entscheidungsgewalt der Verbrüderung halber anzubieten [...]"



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen