VOR DER MORGENRÖTE - Manchmal darf man das ja ruhig
festhalten, wenn die filmische Umsetzung einer historischen Biografie
weder auf Klischees setzt noch binnen einer Verkünstelung der
Steifheit anheim fällt. Maria Schrader gelingt sodann eine
Beobachtung zum Autoren Stefan Zweig (Josef Hader), welche sich nicht am
rein Äußerlichen abarbeitet, Pathos und Bestätigung bedienen
möchte, im Gegenzug auch keinerlei Behauptungen aufstellt, das
Innere jenes Mannes entschlüsseln zu können und die Tragweite seiner
Werke auf das Intime herunter brechen zu wollen. Vieles an „Vor
der Morgenröte“ erscheint stattdessen beiläufig,
dramaturgisch kaum auf von Vornherein bestimmte Nenner gebracht und
doch in jeder technischen wie empathischen Hinsicht bezeichnend für
einen Zustand, dem Zweigs Persönlichkeit im Exil nicht zu entkommen in der Lage ist. Vor
dem Nazi-Terror auf der Flucht bleibt der zurückgelegte Weg nie
hinter ihm, genauso wenig Mitmenschen wie auch die unvermeidliche
Ungewissheit vor der Zukunft. Der Empfang in Brasilien zum
internationalen Literaturkreis lädt zum Neuanfang ein, zum
Treffpunkt vielerlei Kulturen für eine Sache, so selbstverständlich
friedlich untereinander vereint, wie Zweig und Kollegen ebenso damit
hadern, das Grauen selbst aus der Entfernung als Politik beurteilen
zu können, so nah es Flüchtigen wie ihm noch in den Knochen steckt,
obwohl das Freisein Sicherheit verspricht.
Schon früh zeichnet Schrader eine
offene Wechselwirkung von äußerem Frieden und innerer Verzweiflung,
die sodann keiner externen Emotionalisierung bedürfen, höchstens in
stilistisch konkreten Sequenzen Universalität und Gesichter vorführen. Mehrere
Sprachen, Höflichkeit, Vernunft, Menschlichkeit und Hoffnung
untereinander: So umtriebig die ersten Minuten selbst in einer
starren Perspektive schon mit schlichter Güte zur Tat schreiten,
scheint man gewiss weit entfernt von geißelnden Bildern der
Einsamkeit, wie sie ein Haneke oder Seidl binnen jener Kadrierung
anwenden würden. Der Status der Angst kommt jedoch nimmer abhanden,
so wie Zweig seine Rolle als Mitgefangener des Unrechts auf diesen
Wegen auch stets verinnerlicht, wie ein jeder zwar mit den Umständen
umzugehen versucht, sie jedoch gewiss nicht ausblenden kann.
Regisseurin Schrader braucht dann auch keine Eskalationen und
Entscheidungsmomente in ihren (übrigens enorm kurzweiligen) Kapiteln
vom Weg des Herrn Zweig zwischen 1936 und 1942, um dessen verlorene
Seele verständlich zu machen oder gar eventuell relevante Bezüge
zum tagesaktuellen Geschehen zu schaffen. Die kommen allesamt aus der
Reflexion menschlicher Erfahrung in geduldiger Charakterisierung ohne
Ankündigung zusammen (ein Vorteil gegenüber den mit ähnlichem
Ansatz ausgestatteten „Steve
Jobs“), weshalb sich Schrader auch nicht auf ein exklusives
Gemüt einschwört, vielerlei Faktoren der Freiheit anbietet, die
jedoch von einer unausgesprochenen Vergänglichkeit gezeichnet sind.
Die Gewissheit bleibt Zweig, seinen
Verwandten und Leidensgenossen erhalten, wenn noch soviel
Zurückgelassenes existiert, nach Rettung strebt und im Kreise der
Generationen vor allem nicht vergessen kann. In ausgewählten
Momenten (u.a. mit Barbara Sukowa) bricht jener Schmerz daran
prägnanter aus, als es die sonstige Subtilität des Stoffes eher
vermeidet, doch Schrader mag die Wahrheit genauso wenig ausblenden
wie sie gleichsam eine Entlastung im Zusammensein aufspüren kann,
die in sich dennoch die Entkopplung der eigentlichen Sicherheit in
sich trägt, Umgewöhnungen begegnen lässt sowie die Vorzeichen des
Üblen auf einer familiären Vorsicht der Bescheidenheit zum Alltag
trägt. Mitten drin dabei: Hunde, bedingungslos zutrauliche Freunde
des Menschen, die keine Ideologie kennen und nicht dauernd das
Weltverständnis vor Augen haben müssen, dem sich Zweig sowohl als
Erdenbürger als auch Künstler nicht verweigern kann, so sehr der
Wunsch ihn auch zur Natur führt. Dieses Verhältnis eines
Zwischenlebens zu durchlaufen, ist für Regisseurin wie Ko-Autorin
Schrader angesichts des bitteren Selbstverständnisses kein Anlass
zur Dramatisierung, mehr für eine Nähe untereinander, wie klein die
Welt doch sein kann, wie sich Gefühle in jenen Perspektiven schüren,
der Unterschied zwischen geographischer und emotionaler Distanz
herauskristallisiert, eben unbemerkt wie eine Bombe einschlagen und
im Nachhinein erst herausgelesen werden kann. Stille und Leben können
nicht ohne einander, das lässt sich hier auch ohne Hinweise
sentimentaler Eindeutigkeiten feststellen, sogar ohne Kenntnis von
Werk und Wirken des Herrn Zweig, das hier weniger ausmacht als eben
die menschliche Erfahrung innerhalb/zwischen dieser Rollen.
THE NEON DEMON - "[...] (Ein) Film, der seine Dynamik stets zur Zeitlupe streckt, ehe der Weg des unschuldigen Opfers zur Schlachtbank nach zwei Stunden vollendet wird. [...] Der Wahn zur Perfektion: Refn fängt an, sein eigenes Wesen als audiovisueller Fünf-Sterne-Koch anzuerkennen und in diesem Rahmen zu reflektieren. Für dessen Sprung ins Wasser braucht es aber auch eben solches, ohne bricht es sich die Knochen. Dementsprechend kurz gedacht scheint Refns schleichende Paranoia des Glamours, wenn sie in der taumelnd bunten Neonröhre aus Marmor, Kleid und Teint das geläufigste Ideal auswählt: Je jünger, desto besser, desto reizvoller, desto zerstörenswerter. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
WIENER-DOG - "[...] Im Land unbegrenzter Möglichkeiten sind eben auch Konformität und ein gebrochener Wille erforderlich, sofern man nicht doch im Stillen nach der Güte schaut, die sich des kollektiven Drangs wegen nicht weiter als vor die Haustür trauen mag. Die Gesellschaftsmodelle, Symbole, Hunde und Menschen verlaufen hier nahtlos und doch still im Nirgendwo, dass eben das eintritt, was die erste Episode prophezeite: Die Gnade in der Emotion gegenüber der Sterblichkeit [...] Und obwohl Solondz an jener Stelle nur bedingt mit der „Happiness“ kokettiert, bleibt er human und in entscheidenden Momenten zärtlich, den Außenseitern verpflichtet und doch nicht so voller Ernst geladen, wie es ein Robert Bresson gezeichnet hätte. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
SCHAU MICH NICHT SO AN - "[...] Sex ist Sex, scheiß auf die Scham; auch davor, vielleicht nicht jede Nuance mit absolutem Realismus zu treffen. Dem Spaß kann es nicht schaden, Borchu lässt das Spannungsfeld der Verhältnisse jedoch nicht aus den Augen. Kontraste und Erwartungen von Beziehungsmodellen lassen sich auf eine Begegnung ein, die nur allzu konsequent den Mächten von Zweisamkeit und Willkürlichkeit erliegt und einen Konflikt erschafft, bei dem sich kein Mittelweg finden lässt. Wo die Liebe hinfällt, kann ebenso die Enttäuschung, ein Wandel ohne Wiederkehr, Vertrauensbruch und Gift entstehen. [...] Da sie weder auf Ziellandungen noch auf Belanglosigkeiten setzt, besitzt ihr stringentes Chaos Format, so wie die Erdenbürger der Postmoderne gegenwärtig doch verstärkt ungewiss der eigenen Rolle gegenüberstehen, diese infrage stellen, Umstrukturierungen beinahe tagtäglich erleben und erwirken. Dem Zwiespalt noch mit Pietät begegnen zu müssen, wäre da nur widersinnig [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
MONSTER DOG - Nun, wie soll man an genau dem Film
vorbei kommen, wenn er nicht bloß die audiovisuelle Handschrift
eines Claudio Fragasso trägt, sondern auch noch Alice Cooper als
Hauptdarsteller beherbergt, dessen Rollenname ausgerechnet Vincent
Raven (!) lautet und sowieso einige Eckdaten aus Werk & Wirken
der Hard-Rock-Legende übernimmt? Der gotische Appeal in dessen
Aufmachung schlägt dementsprechend auch in Fragassos
Horror-Abenteuer ein, so energisch dieser seinen Aufhänger nutzt und
nicht bloß als Nebenrolle mit Star-Status abkanzelt. Ehe man nämlich
herausfindet, inwiefern die titelgebende Bestie mit dem Mann hinter
„School's Out“ zusammenhängt, überlässt Fragasso seinem
Vincent die Bühne für ein Musikvideo voll gespaltener Identitäten.
Die Hinweise zur inneren Fassung unseres Helden lassen sich hier
schon erahnen, womöglich auch die Impulsivität des Films an
sich, der mal dies, mal das versucht und im Kampf um das eigene Image
ein recht bissfestes Gesamtbild ergibt. Vom bunten Kostümspiel
verschlägt es ihn nämlich alsbald in den Nebel der Nacht, hinein zu
Fragassos herzlich naiven Genre-Vorstellungen, die Herrn Raven sodann
in Begleitung der Liebsten, Sandra (Victoria Vera), sowie einiger
weiterer Freunde im Van heimsuchen, obgleich die Herrschaften nur
dort einen neuen Videoclip drehen wollen, wo Vincents Familie einst
berüchtigterweise residierte.
Viele Vorboten tragen aber schon die
Missgunst mit sich, als im Radio von mordenden Killerhunden die Rede
ist und selbst die Autoritätspersonen wenig Vertrauenserweckendes
mit sich bringen. Fragasso's Rednecks sind dabei eine besondere
Gattung - irgendwo zwischen Western-Machismo, Heugabel schwingenden
Vertretern des Aberglaubens und sleazigen Home-Invasion-Räuden
verordnet, sind sie jedoch anfangs kaum involviert, später umso
überraschender ein entscheidendes Handlungsmittel. Viel mehr bahnt
sich der Schrecken aber noch in zerfetzten Wandlern an, von Flüchen
erzählend, während ringsum die bösen Kläffer zuschlagen, optisch
natürlich wie die niedlichste Ballung von Schäferhunden,
Rottweilern, Riesenschnauzern und Co. erscheinen. Der undurchsichtige
Terror daran inspiriert Fragasso zu Jumpscares, die auch in heutiger Relation eine passable Figur machen, während der Schnitt
sich manch hastige Entscheidung erlaubt (was offenbar aber zeitweise
dem Verleiher geschuldet ist) und dennoch verstärkt traumwandlerisch
Eindrücke der Verlorenheit aufnimmt. So kommt unser Raven-Trupp
trotz reichlich unheimlicher Geschehnisse wie selbstverständlich
beim Anwesen an und blendet alle Verdächtigungen aus, obwohl Vincent
das Areal mit der Schrotflinte erkundet, nicht von ungefähr an
„Resident Evil“ erinnert und auch dann nicht Ruhe lässt,
sobald sich seine Erinnerungen um den Mythos des Werwolfs kreisen
(und Fragasso dafür sogar ein Lon-Chaney-Porträt zur Beweisführung
ausgräbt).
Die verborgene wie ungefähre und
unfaire Schuld, der Zweifel am Innern - das vermittelt ein Cooper so
klein und effektiv, wie er auch zur zweiten Hälfte hin ganz er
selbst wird, wenn der mörderische Trip um ihn herum seinerseits ohne
Fragen in Make-Up und Leder-Outfit ausgeführt wird. Jene Linie
allein wäre schon obskur genug für jeden Film, doch Claudio
Fragasso rast durch mehrere lebhafte Adern des Unwirklichen, wie die
albtraumhaften Visionen Angelas (Pepita James), die im zeitweise kaum
trennbaren Rahmen mit der Filmrealität Gewalt vorherrschen lassen
und dort mit Metaphysik verstrahlen, wo eine Sandra mit dem Beharren
auf technische Zugänglichkeiten der Moderne für Rationalität
einsteht. Letztere Ambitionen nimmt man dem Spiel von Frau Vera kaum
ab, erst recht innerhalb der Umstände von Fragassos Spukschloss, das
Monsterköter auf Gemälden verewigt und den Schauer bestätigt, wo
sodann ein makabres Musikvideo Platz finden soll. Mit Musikalität
kann sich der Film übrigens ganz hervorragend brüsten, sobald er
eine visuelle Sequenz des Schaffens im Rhythmus unheilvoller Synths
in voller Länge ausspielen lässt und unbedarft der Zwischenwelt
frönt, wie sie Vincent sodann auch von der Schminke zu Blut und Blei
führt, die menschlichen Monster einlädt und gnadenlos zerschießt,
wie auf einmal auch die Hunde ihre Fresssucht binnen dynamisch
abgelichteter Mauern beweisen.
Das Reißerische am Creature-Effekt
kommt dann auch noch zu Besuch und liefert sogar im Gegenschnitt zum
normalen Hunde eine so natürliche Pointe, wie sich im Folgenden auch
die Legende in Vincent fortsetzt, der diese nie inne haben wollte und
weit mehr Verstoßung suggeriert, als der Film auszusprechen vermag.
Umso reizvoller wird seine unsichere Miene, sodann erst recht sein
Standbein voll greller Unerklärlichkeiten im Türrahmen unter
Tieren. Da kommt selbst Sandra nicht mehr mit, die im Verlauf auch
öfter fast ihren inneren Reißzahn herausfetzt und sich doch
letztenendes so erledigt im Niemandsland vortastet, dass man selbst
Fragasso Erschöpfung attestieren könnte. In dem Sinne hat er von
Vornherein aber Energien abgesondert, welche in dieser Konstellation
wie gehabt bei ihm eine ganz eigene Variante von Leben und Kino
denkt, Taktlosigkeit per Wahnwitz kaschiert und jede Ebene des Genres
aufwendet, um sie gewiss etwas planlos, aber nicht ohne Herzblut
gegen die Leinwand zu fahren. Ein faszinierendes Unikat!
CENTRAL INTELLIGENCE - "[...] Der Vergleich zwischen Mini-Neurotiker Hart und Pain-&-Gain-Sympathikus Johnson kommt natürlich auf eine Dynamik à la „Twins – Zwillinge“ – vielerlei Pointen brauchen lediglich Referenzen an vergangene Filme, um die Lachquote aufrechtzuerhalten. Da wird’s entsprechend plump; doch manch Charakterzug übertrumpft solch fades Namedropping. So ist es reizvoll, wie bedingt schlau man daraus wird, warum Bob seinen Golden-Jet-Schwarm mit grinsendem Sadismus zu tödlich gefährlichen Abenteuern verleitet und in eine Angelegenheit internationaler Größenordnung hineinzieht [...] Nicht, dass Regisseur Thurber die volle Route Political Correctness beschreitet, doch auf halbem Wege fängt er durchaus Empathie ein, wo der Schritt zum Zynismus ein ach so leichter wäre – und manch leichten Weg lässt der Film trotzdem über sich ergehen, damit Klischees eben nicht Mangelware bleiben. Damit geht ein gedrosseltes Tempo einher, das vor allem im letzten Drittel geradezu wie in Portionen den Agenten- und den Komödienanteil separat zu erfüllen scheint. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
Diese Woche sieht es einigermaßen mager aus mit der Ausbeute an Tipps, Grund hierfür sind nun mal einerseits die Arbeiten, mit denen der Lebensunterhalt gedeckt wird (sieht nächste Woche ebenso gut ausgefüllt aus), andererseits tut sich so manch Liebevolles im Leben, das ausnahmsweise wichtiger scheint als dieser oder jene Film, aber die Balance muss sich auch einpegeln lassen. Dieses Mal hat es noch nicht so ganz geklappt, was den Schreibfluss angeht (genug andere gute Filme habe ich ja trotzdem gesehen, nur nicht die Zeit zum Durchdenken), daher gibt es noch einige Bonus-Sachen im Anhang, während zumindest noch ein auf den letzten Drücker geschriebener Text das Hauptaugenmerk dieser Ausgabe ergibt:
DIE QUAL VOR DEM ENDE - Was für ein Titel und was für
potenzielle Mengen an forcierter Stilistik in einem Film dazu
vorherrschen könnten. Regisseur und Autor Maurice Pialat greift zwar
durchaus auf einige erzbitter autobiographische Erfahrungen zurück,
um eine zentrale Situation des Leidens binnen familiärer
Verhältnisse zu erschaffen, doch von Pathos oder audiovisuellem
Sadismus ist weit und breit keine Spur. Der zwischen Stadt und Land
verteilte Haushalt à la Bastide ist mit seinen zwei in den Fokus
gerückten Männerbildern, Vater Roger (Hubert Deschamps) und Sohn
Philippe (Philippe Léotard), nun mal Personen auf der Spur, die
beidesamt keine Beziehungstypen per se darstellen, eher uneins
der Bindung zu einem sie liebenden Wesen gegenüber stehen. Umso
zerrissener beutelt sie das langsame Krebssterben von Ex-Gattin bzw.
Mutter Monique (Monique Mélinand) - ein Umstand, dem sie innerhalb
ihres sprunghaften Wesens ungern mit der eigenen Verletzbarkeit
begegnen wollen; der zwar zeitweise das Taktgefühl anpackt, bei dem
sie jedoch scheinbar mehr dem eigenen Leben verpflichtet bleiben
wollen, als sich vollends auf das Unausweichliche zu konzentrieren.
Pialats Film zeichnet sich bei der Aneignung des Sachverhalts dann
ebenso nicht durch eine Romantisierung aus, wie man sie selbst in
ähnlich thematisierten Beispielen wie „Die
Reise nach Tokio“ oder Michael Hanekes „Liebe“ vorfindet,
vielmehr differenziert er in seinem Realismus die Wege der
Individuen, wie sie sich dem Tode eines Anderen nähern oder eben
ihren Selbstverständlichkeiten nachgehen.
Gleichsam löst sich Pialat von
vorhersehbaren filmischen Zwängen, wenn er seine anfänglichen
Longtakes mit immer kurzweiliger geschnittenen Szenarien
vermengt, zwar stets auf externe Emotionalisierungen verzichtet, aber
eher freiläufige Grundlagen der Dramaturgie nutzt und bodenständig
bleibt. Die beste Art der Dramaturgie ist nämlich auch irgendwie
diejenige, die sich nicht als solche erkennen lässt, von daher ist
„Die Qual vor dem Ende“ auch ein Hort provinzieller
Belanglosigkeiten, lockerer Damenbekanntschaften und redseliger
Impro-Sektionen der Zwischenmenschlichkeit. Jene verlaufen sich aber
nie ins Leere, sondern schielen effektiv auf die Angst vor dem
Zerfall, dem gleichzeitigen Wiederaufbau der Liebe, dem Roger und
Philippe sowohl die Stirn zu bieten scheinen, als auch Angst vor ihm
haben - wie der Vater, so der Sohn. Verdrängen ist jedoch vergebens,
das signalisieren schon die ersten Sequenzen, die uns anhand von
Kleinigkeiten und vertrauten Tönen an das Wesen der Mutter führen
und dabei ziemlich direkt wie gegenwärtig Nachvollziehbarkeit
evozieren, wo ein anderer verkünstelt auf den Zauber des Menschseins
hinweisen würde. Doch bei Pialat ist dessen Sterben erst recht
hässlich und blass am Keuchen zwischen den Mauern der
Gewöhnlichkeit, wie soll man da abseits der Fassungslosigkeit
funktionieren? Auch wenn die innere Empathie dabei von außen hin
kühl wirkt, sind eben das Ziellose an der Männlichkeit und das
mangelnde Bekenntnis zum Gefühl (man bemerke Philippes rastloses
Durchblättern alter Fotos) die schwierigsten sowie lohnenswertesten
Beobachtungen des Films, der sich in seinen knapp 80 Minuten Laufzeit
jedoch nicht bloß auf diese Haltung der verleugneten Verzweiflung
einpegelt.
Die Leichtigkeit und die Atmosphäre
der Ländereien zurück zum Ursprung der inneren Gemeinsamkeiten und
psychologischen Konflikte (wohlgemerkt ohne forcierte Streits der
Konfrontation), der unbekümmerte Sex zwischen Weinstöcken und
mehreren Partnern, die liebenswerte Undurchsichtigkeit Rogers mit
permanenter Fluppe im Mund und Schnapsglas in der Hand: Alles
überraschende Faktoren, die das Prozedere so lebhaft am Laufen
halten, wie sie sich irgendwann eben auch von der Macht des Todes
überwältigt sehen müssen. Da ist es dann hin mit der Abgeklärtheit
und mit dem Unmut, nach dem die Angelegenheit doch endlich zu Ende
sein möge, allerdings wird da an Menschlichkeit gewonnen, wo sich im
Folgenden die Schlinge der Einsamkeit anzieht. Die Lösungen liegen
nicht immanent auf der Hand, während der Schmerz eben die Parteien
ausbluten lässt, doch Schritt für Schritt verläuft das Leben wie
das Sterben. Dafür hält Pialat authentische wie minimalistische
Gesten ohne Reißertum sowie ohne Pardon bereit, auf jeden Fall
blickt er innig und erwachsen auf den Verlust des Gegebenen, ohne die
Aufgabe des Eigenen an vorderster Stelle einzubinden, sowohl auf
Figurenebene als auch in inszenatorischer Hinsicht. Demnächst sollte
an dieser Stelle also mehr über das Werk jenes Regisseurs stehen,
der erste Eindruck ist auf jeden Fall eine stille Wucht, mitten aus
dem Zentrum der Siebziger Jahre - immer für neue Aspekte gut!
Bonus-Zeugs:
Weil ich meinen Lesern gerne mal was Gutes außerhalb der Textform tun will, komme ich mal auf eine Show zurück, die mir in letzter Zeit reichlich Lachtränen beschert hat, bei der aber vielleicht der richtige Einstieg vonnöten ist: "Downtown no Gaki no Tsukai ya Arahende!!" aus japanischen Gefilden, eine bereits seit Jahrzehnten andauernde Varietätensendung, bei der Game-Show-Charakter, Sadismus, Sketche, Challenges, teils schier Abartiges sowie Lockeres ein abwechslungsreiches Bündel an Humor und Energie ergibt, das hauptsächlich von seinen fünf Stammmitgliedern getragen wird. Zum einen wären da eben Downtown, aus Masatoshi Hamada und Hitoshi Matsumoto bestehend, wobei man letzteren hierzulande eher als Regisseur von Klassestreifen wie "Der große Japaner", "Symbol", "Saya Zamurai" und "R100" kennt. Hosei Tsukitei sowie das Comedy-Duo Cocorico (Naoki Tanaka und Shozo Endo) ergeben sodann die regulären Mitspieler voll uriger Talente und liebenswerter Schlagabtauschqualitäten, doch das Zusammenspiel lässt sich weniger erklären als erleben, so wie man beim Einblick in die Unterhaltungskultur Nippons mit westlichem Blick immer eine gewisse Schnupperphase in Kauf nehmen muss. Wie weit die Wonne aber reicht, je tiefer man die Eindrücke über sich ausbreitet und Verbindungen ansetzt, die über den Lachfaktor hinausgehen, darf mMn nicht bloß eine mir sowie bereits Eingeweihten vorbehaltene Erfahrung bleiben, daher mal eine kleine Reihe an Videos, mit denen der Weg zu "Gaki no Tsukai" herzhaft gelingen dürfte:
Zunächst mal ein (subjektiv gesehener) Klassiker, mit dem ich relativ früh angefixt wurde und schon einiges an geballten Irrsinn mit wunderbarer Konzeption vereint - Hamadas Sleep Endurance, eine Gratwanderung im Selbstbewusstsein zur Inszenierung und dem Stellenwert menschlicher Reaktionen:
Der Sadist in Hamada scheint hier schon sehr bezeichnend durch, wie es sich auch kollektiv an folgendem Meisterwerk situationsbedingter Emotionsentsagung abzeichnet, an dem für Matsumoto der typische japanische Alltag zum fiesen Kuchenfest, eben der Pie Hell mutiert. Schon wird man dann auch vertraut mit dem Konzept des Batsu Games, eine von langer Hand geplante Bestrafung für die Niederlage nach einer Wette oder anderen Herausforderungen, bei denen auch mehrere vom Stab teilweise mitmachen müssen. In diesem Sinne favorisiere ich zufälligerweise Matsumotos Martyrien, wie sein Aufenthalt in der Spukpension, der wie die meisten Batsu-Brutalitäten auch an die 24 Stunden andauert. Er bleibt gewiss nicht der einzige, der den Horror abkriegt, dazu lässt sich auch Hoseis unfreiwilliges Piano-Konzert als Beispiel hinzuziehen. Reaktionen und Emotionen behalten jedenfalls stets Überhand im Gewinn an ausgelassenster Komödie, die sich im wilden Topf ausgefallenster Prüfungen und Sadomasochismen selbst per Schweigen zur Krönung des jungshaften Spaßes auflehnen kann - siehe dazu auch die Reihe Silent Library, die sich gleichsam profund um die Gewichtung des emotionalen Ausbruchs zwischen Kichern und Schmerzen dreht, wie eben jene Batsus, bei denen das Lachen verboten ist und meist mit Schlägen bzw. Thai Kicks auf den Hintern bestraft wird. Aber es geht auch anders:
Letzteres ist seiner Form witzig, auch in anderen Gelegenheiten voller Handgreiflichkeiten, insbesondere im Rahmen einer Landeskultur des Zens, der Demut und Ehre. Man lernt ohnehin vieles anhand der Begegnung mit dem Gaki-Team, so auch die empathischen Brennpunkte, wenn ein Wettbewerb um die Crying Performance angefechtet oder Hamadas fünfzigster Geburtstag als Anlass für enorm persönliche Briefe genutzt wird (Part 1 und 2). Das sind aber nur mal einige übergreifende Einblicke in das Werk dieser tollen Typen binnen ihres bunten Formats, da gibt es noch reichlich mehr zu entdecken - sobald man sich da auf Youtube wund gesucht hat, müssen sodann auch weitere Quellen her, so unergiebig die Sendung für Nicht-Einheimische verfügbar ist, was man ja auch an den Verzweigungen meiner Links zu etwaigen Videos erkennt (zudem muss man auch Glück haben, Untertiteltes vorzufinden). Aber das Internet kennt kein Erbarmen und so gibt es auch kein Ende darin, Neues zu entdecken, erst recht, wenn "Gaki no Tsukai" noch immer am Laufen ist. Kampai, Kawaii, whatever - ein jeder möchte seinen Horizont doch irgendwo erweitern, warum nicht also hier hineinschauen?
RAUS AUS ÅMÅL - Nicht nur das
Debüt von Lukas Moodysson, jenem Mastermind hinter „We
are the best!“ und „Lilja 4-Ever“, sondern auch so
eine ganz knuffige und ungekünstelte Beobachtung in die belastenden
Tücken des schwedischen Dorftrotts hinein. Dort hat es die frisch
16-gewordene Agnes (Rebecca Liljeberg) enorm schwer, ihre Liebe zum
umgarnten Schulmädel Elin (Alexandra Dahlström) einzugestehen oder
überhaupt Freundschaften zu knüpfen. Mitten in den Trends der 90er
eingelagert, ist das Provinznest drum herum nämlich auch auf ein
Spießertum angelegt, das sich ebenso in den Idealvorstellungen der
Kids niederschlägt und Außenseiter genauso kategorisch an die
frische Luft setzt, verarscht und piesackt, wie die bornierte Moral
und Nettigkeit der Elternschaft nur noch halbgar vom Konzept
Verständnis eine Ahnung hat und es eher per Hausarrest
umsetzt. Moodyssons Film ist daher von Vornherein klein und wütend
im Intimen unterwegs, Handkamera-bewusst, aber demnach auch nicht von
außen hin affektiert, sondern authentisch im Frust der Teen-Angst
rumorend. So wie er seine Gefühle aus dem Geheimen heraus zeigt,
werden Geheimnisse auch enorm wertvoll in jenem Ambiente und umso
hastiger von der eigenen Verletzlichkeit sowie Verletzfähigkeit
eingeholt.
Das gilt sodann nicht nur für unsere
zentralen Protagonistinnen und es schmerzt sowieso recht
nachvollziehbar, wenn das Zwischenmenschliche hier Zweifeln, Notlügen
und sozialen Stigmata ausgeliefert ist, wie es sich in der Langeweile
kalter Nächte von der Kindheit bis zum erwachsenen Furz spüren
lässt. Und da will letzterer noch behaupten, dass mit der Zeit alles
Vergangene anders aussehen, hinter einem liegen wird und Glück eben
Geduld erfordert - doch Moodysson, bewusst über die Haltbarkeit
seines Mediums und der Universalität seiner Geschichte, weiß, dass
jeder JETZT glücklich sein, vom Moment ergriffen sein will. Also
scheiß auf Barrieren und Hemmungen! Ehe jener Punkt ausgeführt
werden kann, bleibt Herr M. dennoch im Kurzweil unterwegs,
stilistisch nicht so streng wie das Martyrium an verhaltener
Zuneigung und Cliquen-Terror einwirkt sowie beinahe schon im ersten
Akt Richtung Freiheit unterwegs. Ein Road-Movie unbedarfter Fantasien
kündigt sich fast an, wie es der Jugend so einfach passen könnte,
doch die Spießer holen nun mal jeden ein, selbst wenn diese nicht
wissen, warum. Daraufhin soll man eben wieder in beengtem Kreise
lumpige Geburtstage feiern, bei Muttern zuhause gleich neben dem
IKEA-Wandschrank stumpf am Sekt nuckeln und mit halbstarken
Pseudo-Machos das Knutschen üben, weil einem nichts anderes übrig
bleibt. Um Gottes Willen, Fucking Åmål!
Die
ganze Mentalität vor Ort ist der Feind, nicht unbedingt ein
einzelner Mensch im Ensemble, genauso bittersüß verschieben sich
auch die Sympathien im Wechselbad geduldeter Gewöhnlichkeit und
erfüllten/unerfüllten Erwartungen der Geschlechter, an denen man
sich so oder so klammern muss, um die Furcht vor dem Alleinsein schon
im Kindesalter vermeiden zu können - die Rasierklingen und
Shoegazer-CD's sind da
nicht weit, genauso wenig das Klopfen am Fenster anhand von
hochgeworfenen Mini-Steinen. Das kommt romantisch und warm, aber
nicht romantisiert, wenn man sich die Katharsis um Agnes und Elin
wünscht - eben eine Empathie, die nicht bloß den Blick auf
Frau-zu-Frau oder Mann-zu-Mann, sondern eben von Mensch zu Mensch
anwendet. Für einen Tabubruch darin interessiert sich Moodysson
sodann auch nicht, so natürlich er die Verhältnisse empfindet und
unter Ausschluss von Reißerischem zeigt, eben auch das erste Mal
fern vorgehaltener Hand thematisiert, aber keine Darstellerleistung à
la Offenbarungseid hinzuziehen muss, eher verbal austeilen lässt.
Und wie manch gefallener Satz eben Personen wie Gift auseinander
reißt, auch schlicht Aufgeschriebenes gleichsam aus der Seele heraus
(auch gut gemeint) als Angriffsfläche missbraucht wird: Harter Tobak
- leichtfüßiger (wohlgemerkt nicht heuchlerisch) verpackt, als man
annehmen würde und zudem nur binnen ausgewählter Sequenzen extern
in der Gefühlsregung unterstützt. Und doch will man am Ende nur
fragen: Sich verlieben und against
all odds gemeinsam vom
verklemmten Schulhof schlendern, was könnte cooler sein?
JE M'APPELLE HMMM... - Dieser
Film von Agnès B. alias Agnès Troublé ist schon durchaus ein
Schatz. Er ist einer dieser Überraschungen, die man zufällig aus
dem Regal der Bücherhallen fischt und allein an seiner
Handlungsstrippe erkennbar stark daher kommt, so auf eine „Alice
in den Städten“-Art mit einem jungen Mädchen auf dem Roadtrip
der Sorgen und Freiheiten. Sowas kann natürlich Richtung Pathos
gehörig in die Hose gehen, erst recht, wenn sich daran zudem Themen
wie Kindesmissbrauch, Kidnapping, Vernachlässigung und die ewige
Mauer des Schweigens abzeichnen, doch Frau B. hebt sich in vielerlei
Form von jenen Vorstellungen ab, wie man mit jenen Zutaten umzugehen
hat. Ihre einsteigende Charakterzeichnung bietet zwar den spärlich
sprechenden Alltag des gedämpften sozialen Miteinanders, wie es
gerne auch per Statik als Aura des Zwangs dargelegt wird, doch ihre
Pointen der Beobachtung (aufschlussreich via less is more)
verbindet sie mit einem lebhaften Ensemble, das weniger einen
Rollentypus festlegen mag, als eine bereits lebendige Person. Gerade
daraus schnürt sich Regisseurin B. (eigentlich eine Modedesignerin!)
einen emotionalen Würgegriff erster Güte, wenn man den allzu
lichten Schattenseiten vom Haushalt der elfjährigen Céline
(Lou-Lélia Demerliac) begegnet, die ihrer stets arbeitenden Mutter
(Sylvie Testud) sowie anderen Mitmenschen jenseits der primären
Sorge verborgen bleiben - mit einmaligem Nachfragen und der
Verneinung von eventuell tieferem geben sich die meisten hier
geschlagen.
Diese Umstände begründen sich allen
voran an den Handlungen des Vaters (Jacques Bonnaffé), doch anders
als ein Monster voll vorbestimmtem Antagonismus ist seine
Persönlichkeit eher voll belasteter Schuld, Angst, Druck von außen
sowie Einsamkeit als zerrende Spannung schlechthin, wie sich dieser
Mensch aufgrund seiner Taten eben nicht verständlich machen kann,
ohne die schlimmsten Urteile erwarten zu dürfen, wie auch Céline
als Kind nur geringe Mengen an Glaubwürdigkeit entgegenkommen und
alles mitunter schlimmer machen könnten. Jenes Gewissenskonstrukt
soll man jedoch nicht als Entschuldigung empfinden, eher als Kompass
zum Verständnis innerhalb einer nur bedingt emotionalisierten
Stilistik, die sich selbst zudem noch weniger diktieren wird, als im
Umgang mit den Konflikten im Figurenkreis. Etwas auf Dilettantismus,
Dadaismus oder gar Oliver Stone anspielend, schlagen im Verlauf
stetig Impulse des Stilbruchs ein, die teils wahllos wirken, manchmal
aber auch mit solch rohem Blick ins Intime, Zwischenmenschliche
schauen oder schon wieder extradick prätentiös auftragen. Das
ergibt ein umwerfendes Wechselspiel mit einer zärtlichen
Menschlichkeit im Fokus, welche anhand ihrer Sprachlosigkeit einfach
alles sagt, so wie sie mit dem Truck von Peter (Douglas Gordon)
mehrere Runden im Kreisverkehr dreht und die Entscheidung abwägt, ob
man jenes binnen der Dunkelheit aus dem Herzen verlorene auf Umwegen
einer urigen und garantiert brüchigen Selbstverständlichkeit
rekreiert.
Es
geht sodann auch darum, die Sprache wiederzufinden, aus Gegensätzen
ein Ganzes zu machen und Gefühl fürs Leben jenseits der Barrieren
zu erlangen, abgekoppelt von der Vergangenheit und den Pflichten der
Einsamkeit die Freeze
Frames im Angesicht von
Strand wie Fahrerkabine zur Poesie zu knipsen. Vieles daran ist
kackfrech, auch drollig und eskapistisch in die Winde verstreut, für
manche Parteien auch bitter, auf dass sie nach Angst riechen,
zumindest ist die Grundstimmung der Flucht immer als
Spannungsbrennpunkt vorhanden, nur eben nicht in Eskalationen
ausartend wie der ähnlich durchs französische Landkolorit fahrende
„Our Day Will Come“.
Stattdessen geht es unbedarft zum kurzweiligen Naturalismus über,
zur unbedingten Liebe und schlussendlich auch zu einer Einigung über
die Wahrheit hinweg - letzteres fast schon melodramatisch in seiner
Drastik, aber eben auch still am Rande der Verzweiflung. Da sind sie
dann wieder: Der Würgegriff, die Wut und die Furcht, die anderen
eigenen Welten und Perspektiven eines jeden Individuums. Doch der
Traum Célines, so vergänglich er auch erfüllt wurde, bleibt - und
das nicht etwa als große Geste der Leinwand: Eher wird genau diese
nochmal in beengterem Format sogar übersättigt/entfärbt und
abgefilmt. Nur die Stimmen bleiben mit Nachdruck per Tonspur direkt
und eindeutig präsent - selbst wenn sie ins Nichts flüstern: Wir
sind noch da und kriegen die Empathie volle Breitseite ab, wie
einfach und stark man eben noch ans Kind glauben könnte.
INTERCEPTOR – PHANTOM DER EWIGKEIT
- Jeder kennt das Covermotiv,
doch manch einer wie unser Witte schiebt so einen Film gerne vor sich
her, selbst die Kritik dazu, obwohl sie schon seit zwei Wochen auf sich
warten lässt. Doch alles sollte sich ändern, genauso wie anders
jenes Werk an sich schon ist. Als Erfahrung lässt sich die mehrdeutige Genrekiste
eben schwer beschreiben, wie es dem obskuren Märchen um eine Stadt
ohne Gesicht nur schwer gerecht werden dürfte, das einen scheinbar
aus dem Totenreich wiedergekehrten Rächer mit Auto und Motorrad
gegen eine Räudenbande antreten lässt, welche laut Screentime
eigentlich die Protagonisten sein müssten. Nick Cassavetes gibt da
als verrückter Straßenking Packard den Ton an, wetzt Klingen an
Hälse und tritt mit Leder in Mägen, wenn es um die Vorherrschaft
über Freundin Keri (Sherilyn Fenn) oder allgemein den Frieden aller
geht, sofern sich die gesamte Jugend am Burgerschuppen Big Kay's
versammelt, der einem Maya-Tempel nachempfunden zu sein scheint sowie
Fratzen wie Skank und Gutterboy mit ihrem dementsprechend krassen
Mundwerk anzieht. Anzumerken sei dabei auch, dass Charlie Sheen
ebenso als geheimer Retter auftaucht, doch sein Auftritt ist so
minimal gestaltet, wie es das Hauptaugenmerk eben hauptsächlich auf
Packards Gang abgesehen hat und sich in deren Alltagsmechanismen
einnistet. Letztere werden sodann von einem Todesrennen nach dem
anderen gezeichnet, deren Ablauf in verlängerter Action-Bereitschaft
zwar keine allzu vielen stilistischen Spielereien hervorruft, aber
weit mehr explosives Feuer, als man es der eher kleineren
Größenordnung des Films zutrauen würde.
Er
mausert sich ohnehin glücklicherweise oftmals zu einem
Dialog-Spektakel voller Gefahren sowie deftiger Rückblicke, in
welche sich die Teens wie benommen verirren oder - dem bösen Wolf
Packard entkommen wollend - ihr Versteck in den Mauern von Eigenheim
und Burgerbude aufsuchen, deren Inneres oder gar Familiäres strikt
ausgeklammert bleibt. Konterkariert wird diese dringliche Furcht
sodann vom Geist des Interceptors, der im Neon-Licht unbarmherzig
zuschlägt, einen nach den anderen dahin rafft und surreale
Zerstörungsarien per Schrotflinte und Cyber-Anzug einflattern lässt,
wie sich Mike Marvins Film ohnehin einer Fantasie verschreibt, die
fern von gewöhnlicher Erzählung auf die irrationalsten Wünsche
Wert legt sowie diese erfüllt. Wohlgemerkt ist der Weg dorthin
trotzdem keiner voller hoffnungsvoller Happy-Teen-Momente, sondern
stets ungewiss einer Zukunft zwischen Nebel, Grabstein, Wüste und
brennendem Asphalt unterwegs, unter denen man zwar Liebe am
Wasserfall üben kann (diese ganze rituellen Treffpunkte der Kids!),
doch stets am Tod vorbeizuschrammen droht - das Gesetz von Randy
Quaid tönt da zwar laut nach Gerechtigkeit, doch die Macht des
Übernatürlichen übertrifft jene passive Strenge. Dass sich die
Leichen dabei auf der Seite der Bösen stapeln, ist auch gar nicht
mal so befreiend gestaltet, eben voll dröhnender
Michael-Hoenig-Synths und angesichts der extensiven Charakterisierung
mit leichtem Hang zur Ambivalenz sogar enorm abwegig, gar mit
perplexen Brüchen in genuine Verzweiflung ausgestattet. Und dennoch
strahlt die Schönheit des Sternenhimmels seine Liebenden an, erst
recht mit dem ganzen kalifornischen Flair im Rücken und dem
geballten Flammenmeer im Rückspiegel, der ansonsten reichlich
blendende Strahlen der Rache reflektieren lässt.
WANG YU – STÄRKER ALS 1000
KAMIKAZE/DUELL DER 7 TIGER-
Soviel sei gesagt: Nicht bloß vom Titel her spricht ersterer Film
erneut den Hass des titelgebenden Hauptdarstellers auf Japaner an.
Sobald er nämlich Fäuste und Füße vom Kämpfen ablegt, lässt
sein Charakter auch schon von Anfang an kein gutes Haar an den
Bürgern von Nippon, von denen manche sein gesamtes Dorf vernichtet
und somit als „räudige
Hunde“ den Tod
verdient haben, gar auch die ganze „Rasse“
an sich. Gottseidank lenkt schon bald ein weiser Mann ein, der den
Hitzkopf von der Bösartigkeit des Menschen jenseits des Stellenwerts
seiner Herkunft lehrt und angesichts der Handlungsentwicklung lernt
Wang Yu (so auch der Rollenname) auch Freunde unter jener Nation
kennen, doch dieser Film ist gewiss nicht Sydney Pollacks „Yakuza“,
wurde stattdessen in Taiwan gedreht und lässt trotz aller
kultureller Emulation nichts unversucht, seine japanischen Charaktere einerseits möglichst unvorteilhaft zu präsentieren (inklusive Hitler-Bärtchen) sowie andererseits
davon zu überzeugen, dass sie von einem Chinesen wie Wang Yu noch
eine Menge lernen können. So schlägt er nicht nur mit Leichtigkeit
Tonnen an Sumo-Wrestlern, sondern hilft auch noch mit Akupunktur sowie Arm-Einrenkungen aus
und lässt dort wieder Hoffnung schöpfen, wo im nächsten Moment
beinahe Seppuku begangen worden wäre. Er bringt den Kampfgeist, wo
Japaner vor Demut schwächeln würden - auweia. Mal davon ab ergibt
die Regie von Lung Chien ein souveränes Scharmützel unter schwüler
Sonne voll malerischer Inseln und pappiger Kulissen, bei dem die
Kampffreude sogar mit einigen fantastischen Elementen aufschlägt,
die Geschichte darum in ihrer Uneinigkeit jedoch gestreckter
wirkt als man von den 96 Minuten Laufzeit ausgehen würde. Wang Yu's
Freundschaft zur dieberischen Waise Yen Tza (angesichts ihrer charakterlichen Ausarbeitung eine starke Frauenfigur) scheint anfangs noch
einen Fokus zu ergeben, der sich einer Art Rache für die Armen
hingeben würde. Eine Portion Kindermord will da auf die Tränendrüse
drücken, am nächsten Ramen-Karren ist die Last aber wie vergessen
und der Weg so undurchschaubar, wie sich die Handlung auch immer mehr
von Wang Yu abzukoppeln scheint (siehe „Interceptor“)
und stattdessen das Ensemble um ihn durch mehrere Zweige schickt und
dramaturgisiert, wobei die Blutmengen konstant hoch bleiben und es
dem Melodramatischen durch geklaute „Todesmelodie“
sowie „Spiel mir das
Lied vom Tod“-Soundtracks
auch gar nicht mal an symbolischer Kraft mangelt. Den Höhepunkt
liefert jedoch ein Showdown auf und um einen fahrenden Zug, der
mehrere Ebenen Dynamik auf einmal vereint und von den Stunts her
sogar ein bisschen auf den Spuren von Buster Keaton fährt, ehe der
Kampf zum Wasser hin mündet.
Erwähnt
werden sollte dabei auch die Fantasie, mit welcher manch
Martial-Arts-Manöver hier ins Absurde abdriftet, doch das ist gewiss
kein Vergleich zu Chuan Yangs „Duell
der 7 Tiger“, der
diese Woche vor allem in der Hinsicht für eine ganze Menge mehr
unbedarften Spaß jenseits politischer Zwiespältigkeiten sorgte, stringender und
ganz nach dem Konzept der „Sieben
Samurai“ mehrere
Meister der Kampfkunst für die Gerechtigkeit zusammentrommelte (dies
sah ich diese Woche zufälligerweise auch Bruno Mattei und Claudio
Fragasso mit einigen Spitzen und toller Videokindheitsmentalität in „Die sieben
glorreichen Gladiatoren“
versuchen). Narrativ gesehen bot er nur minimalistische
Anknüpfpunkte, dafür ein unbedarftes Verharren in seinen Sequenzen,
die er derartig verspielt ausbaute, wie er auch völlig ungeniert
seine Kulissen genoss. Dasselbe Argument machte ich jüngst beim
„Tödlichen
Duell der Shaolin“ und es wirkt auch hier, dass exzessive
Exposition kein Widerspruch zu reizvoller Atmosphäre ergeben muss,
wenn zudem noch obskure Kameratricks und andere Spielereien für eine
gar kindliche Aufregung des Abenteuers genutzt wird - umso vergnügter
empfindet man dies, wenn man bedenkt, wie langwierig der Vorspann
darauf aufmerksam macht, in welchen realen Disziplinen seine
Hauptdarsteller Meisterleistungen errungen haben. Das macht ihre
Zaubertricks in Fights zum goldigen Ereignis - ganz zu schweigen von
den Slapstick-Einlagen, die sie als in den Fluss geschmissene Heroen
zu bewältigen haben. Richtig beeindruckend geben sie sich jedenfalls
erst nach der 50. Minute, doch dann verläuft der Kampf gegen einen
tyrannischen Karate-Meister eben auch zu einer Machtprobe von
Kurzfilmlänge, ehe alle sieben, folgerichtig durch ihn gebrochenen
Kräfte, in einem Individuum zum Sieg angeübt werden sollen. Alles
sieht dabei aus, als ob es am selben Tag gedreht wurde, aber
zumindest stets an der frischen Luft und nicht in der theatralischen
Studiomatte der Shaw
Brothers. So
interessiert man das Training verfolgt, so beiläufig leitet sich
sodann der Endkampf ein - immerhin wie bei den obigen Kamikaze direkt am sowie ins Wasser. Was für ein nettes Kleinod!
Bonus-Zeugs:
AGNES - "[...] Nun kann es durchaus reizen, wenn ein Film seinen inneren Diskurs offen an die Oberfläche dringen lässt und über passionierte Figuren zum Expressionismus ansetzt. „Agnes“ vermittelt jedoch den Eindruck, dass der Subtext als aufgedunsene Leiche angeschwemmt kommt. Jede Faszination, ob nun zum Tode, zum Metaphysischen oder zur Zukunft, wird wie auf Stichwort aufgesagt und kommt eher behauptet an, als dass sich eine wahre Leidenschaft im Ensemble abzeichnen würde [...] Aber soll ja so, könnte man meinen, dass Schmid sein Paar als Extremfall des Introvertierten präsentieren möchte. Ein legitimer Ansatz, der Feingefühl erfordert, hier jedoch als externe Emotionalisierung auf Hochtouren betrieben wird. [...] Das Reelle birgt aber auch bei ihnen harte Konsequenzen – und so weiß der Film trotz aller Traumtänzerei nur zu gut, dass er nur skizzenhafte Beweggründe, Inhalte und Gefühle vorweisen kann."
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)