Sonntag, 26. Juni 2016

Tipps vom 20.06. - 26.06.2016



VOR DER MORGENRÖTE - Manchmal darf man das ja ruhig festhalten, wenn die filmische Umsetzung einer historischen Biografie weder auf Klischees setzt noch binnen einer Verkünstelung der Steifheit anheim fällt. Maria Schrader gelingt sodann eine Beobachtung zum Autoren Stefan Zweig (Josef Hader), welche sich nicht am rein Äußerlichen abarbeitet, Pathos und Bestätigung bedienen möchte, im Gegenzug auch keinerlei Behauptungen aufstellt, das Innere jenes Mannes entschlüsseln zu können und die Tragweite seiner Werke auf das Intime herunter brechen zu wollen. Vieles an „Vor der Morgenröte“ erscheint stattdessen beiläufig, dramaturgisch kaum auf von Vornherein bestimmte Nenner gebracht und doch in jeder technischen wie empathischen Hinsicht bezeichnend für einen Zustand, dem Zweigs Persönlichkeit im Exil nicht zu entkommen in der Lage ist. Vor dem Nazi-Terror auf der Flucht bleibt der zurückgelegte Weg nie hinter ihm, genauso wenig Mitmenschen wie auch die unvermeidliche Ungewissheit vor der Zukunft. Der Empfang in Brasilien zum internationalen Literaturkreis lädt zum Neuanfang ein, zum Treffpunkt vielerlei Kulturen für eine Sache, so selbstverständlich friedlich untereinander vereint, wie Zweig und Kollegen ebenso damit hadern, das Grauen selbst aus der Entfernung als Politik beurteilen zu können, so nah es Flüchtigen wie ihm noch in den Knochen steckt, obwohl das Freisein Sicherheit verspricht.


Schon früh zeichnet Schrader eine offene Wechselwirkung von äußerem Frieden und innerer Verzweiflung, die sodann keiner externen Emotionalisierung bedürfen, höchstens in stilistisch konkreten Sequenzen Universalität und Gesichter vorführen. Mehrere Sprachen, Höflichkeit, Vernunft, Menschlichkeit und Hoffnung untereinander: So umtriebig die ersten Minuten selbst in einer starren Perspektive schon mit schlichter Güte zur Tat schreiten, scheint man gewiss weit entfernt von geißelnden Bildern der Einsamkeit, wie sie ein Haneke oder Seidl binnen jener Kadrierung anwenden würden. Der Status der Angst kommt jedoch nimmer abhanden, so wie Zweig seine Rolle als Mitgefangener des Unrechts auf diesen Wegen auch stets verinnerlicht, wie ein jeder zwar mit den Umständen umzugehen versucht, sie jedoch gewiss nicht ausblenden kann. Regisseurin Schrader braucht dann auch keine Eskalationen und Entscheidungsmomente in ihren (übrigens enorm kurzweiligen) Kapiteln vom Weg des Herrn Zweig zwischen 1936 und 1942, um dessen verlorene Seele verständlich zu machen oder gar eventuell relevante Bezüge zum tagesaktuellen Geschehen zu schaffen. Die kommen allesamt aus der Reflexion menschlicher Erfahrung in geduldiger Charakterisierung ohne Ankündigung zusammen (ein Vorteil gegenüber den mit ähnlichem Ansatz ausgestatteten „Steve Jobs“), weshalb sich Schrader auch nicht auf ein exklusives Gemüt einschwört, vielerlei Faktoren der Freiheit anbietet, die jedoch von einer unausgesprochenen Vergänglichkeit gezeichnet sind.


Die Gewissheit bleibt Zweig, seinen Verwandten und Leidensgenossen erhalten, wenn noch soviel Zurückgelassenes existiert, nach Rettung strebt und im Kreise der Generationen vor allem nicht vergessen kann. In ausgewählten Momenten (u.a. mit Barbara Sukowa) bricht jener Schmerz daran prägnanter aus, als es die sonstige Subtilität des Stoffes eher vermeidet, doch Schrader mag die Wahrheit genauso wenig ausblenden wie sie gleichsam eine Entlastung im Zusammensein aufspüren kann, die in sich dennoch die Entkopplung der eigentlichen Sicherheit in sich trägt, Umgewöhnungen begegnen lässt sowie die Vorzeichen des Üblen auf einer familiären Vorsicht der Bescheidenheit zum Alltag trägt. Mitten drin dabei: Hunde, bedingungslos zutrauliche Freunde des Menschen, die keine Ideologie kennen und nicht dauernd das Weltverständnis vor Augen haben müssen, dem sich Zweig sowohl als Erdenbürger als auch Künstler nicht verweigern kann, so sehr der Wunsch ihn auch zur Natur führt. Dieses Verhältnis eines Zwischenlebens zu durchlaufen, ist für Regisseurin wie Ko-Autorin Schrader angesichts des bitteren Selbstverständnisses kein Anlass zur Dramatisierung, mehr für eine Nähe untereinander, wie klein die Welt doch sein kann, wie sich Gefühle in jenen Perspektiven schüren, der Unterschied zwischen geographischer und emotionaler Distanz herauskristallisiert, eben unbemerkt wie eine Bombe einschlagen und im Nachhinein erst herausgelesen werden kann. Stille und Leben können nicht ohne einander, das lässt sich hier auch ohne Hinweise sentimentaler Eindeutigkeiten feststellen, sogar ohne Kenntnis von Werk und Wirken des Herrn Zweig, das hier weniger ausmacht als eben die menschliche Erfahrung innerhalb/zwischen dieser Rollen.




THE NEON DEMON - "[...] (Ein) Film, der seine Dynamik stets zur Zeitlupe streckt, ehe der Weg des unschuldigen Opfers zur Schlachtbank nach zwei Stunden vollendet wird. [...] Der Wahn zur Perfektion: Refn fängt an, sein eigenes Wesen als audiovisueller Fünf-Sterne-Koch anzuerkennen und in diesem Rahmen zu reflektieren. Für dessen Sprung ins Wasser braucht es aber auch eben solches, ohne bricht es sich die Knochen. Dementsprechend kurz gedacht scheint Refns schleichende Paranoia des Glamours, wenn sie in der taumelnd bunten Neonröhre aus Marmor, Kleid und Teint das geläufigste Ideal auswählt: Je jünger, desto besser, desto reizvoller, desto zerstörenswerter. [...]"



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)

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