Sonntag, 12. Juni 2016

Tipps vom 06.06. - 12.06.2016

Diese Woche sieht es einigermaßen mager aus mit der Ausbeute an Tipps, Grund hierfür sind nun mal einerseits die Arbeiten, mit denen der Lebensunterhalt gedeckt wird (sieht nächste Woche ebenso gut ausgefüllt aus), andererseits tut sich so manch Liebevolles im Leben, das ausnahmsweise wichtiger scheint als dieser oder jene Film, aber die Balance muss sich auch einpegeln lassen. Dieses Mal hat es noch nicht so ganz geklappt, was den Schreibfluss angeht (genug andere gute Filme habe ich ja trotzdem gesehen, nur nicht die Zeit zum Durchdenken), daher gibt es noch einige Bonus-Sachen im Anhang, während zumindest noch ein auf den letzten Drücker geschriebener Text das Hauptaugenmerk dieser Ausgabe ergibt:




DIE QUAL VOR DEM ENDE - Was für ein Titel und was für potenzielle Mengen an forcierter Stilistik in einem Film dazu vorherrschen könnten. Regisseur und Autor Maurice Pialat greift zwar durchaus auf einige erzbitter autobiographische Erfahrungen zurück, um eine zentrale Situation des Leidens binnen familiärer Verhältnisse zu erschaffen, doch von Pathos oder audiovisuellem Sadismus ist weit und breit keine Spur. Der zwischen Stadt und Land verteilte Haushalt à la Bastide ist mit seinen zwei in den Fokus gerückten Männerbildern, Vater Roger (Hubert Deschamps) und Sohn Philippe (Philippe Léotard), nun mal Personen auf der Spur, die beidesamt keine Beziehungstypen per se darstellen, eher uneins der Bindung zu einem sie liebenden Wesen gegenüber stehen. Umso zerrissener beutelt sie das langsame Krebssterben von Ex-Gattin bzw. Mutter Monique (Monique Mélinand) - ein Umstand, dem sie innerhalb ihres sprunghaften Wesens ungern mit der eigenen Verletzbarkeit begegnen wollen; der zwar zeitweise das Taktgefühl anpackt, bei dem sie jedoch scheinbar mehr dem eigenen Leben verpflichtet bleiben wollen, als sich vollends auf das Unausweichliche zu konzentrieren. Pialats Film zeichnet sich bei der Aneignung des Sachverhalts dann ebenso nicht durch eine Romantisierung aus, wie man sie selbst in ähnlich thematisierten Beispielen wie „Die Reise nach Tokio“ oder Michael Hanekes „Liebe“ vorfindet, vielmehr differenziert er in seinem Realismus die Wege der Individuen, wie sie sich dem Tode eines Anderen nähern oder eben ihren Selbstverständlichkeiten nachgehen.


Gleichsam löst sich Pialat von vorhersehbaren filmischen Zwängen, wenn er seine anfänglichen Longtakes mit immer kurzweiliger geschnittenen Szenarien vermengt, zwar stets auf externe Emotionalisierungen verzichtet, aber eher freiläufige Grundlagen der Dramaturgie nutzt und bodenständig bleibt. Die beste Art der Dramaturgie ist nämlich auch irgendwie diejenige, die sich nicht als solche erkennen lässt, von daher ist „Die Qual vor dem Ende“ auch ein Hort provinzieller Belanglosigkeiten, lockerer Damenbekanntschaften und redseliger Impro-Sektionen der Zwischenmenschlichkeit. Jene verlaufen sich aber nie ins Leere, sondern schielen effektiv auf die Angst vor dem Zerfall, dem gleichzeitigen Wiederaufbau der Liebe, dem Roger und Philippe sowohl die Stirn zu bieten scheinen, als auch Angst vor ihm haben - wie der Vater, so der Sohn. Verdrängen ist jedoch vergebens, das signalisieren schon die ersten Sequenzen, die uns anhand von Kleinigkeiten und vertrauten Tönen an das Wesen der Mutter führen und dabei ziemlich direkt wie gegenwärtig Nachvollziehbarkeit evozieren, wo ein anderer verkünstelt auf den Zauber des Menschseins hinweisen würde. Doch bei Pialat ist dessen Sterben erst recht hässlich und blass am Keuchen zwischen den Mauern der Gewöhnlichkeit, wie soll man da abseits der Fassungslosigkeit funktionieren? Auch wenn die innere Empathie dabei von außen hin kühl wirkt, sind eben das Ziellose an der Männlichkeit und das mangelnde Bekenntnis zum Gefühl (man bemerke Philippes rastloses Durchblättern alter Fotos) die schwierigsten sowie lohnenswertesten Beobachtungen des Films, der sich in seinen knapp 80 Minuten Laufzeit jedoch nicht bloß auf diese Haltung der verleugneten Verzweiflung einpegelt.


Die Leichtigkeit und die Atmosphäre der Ländereien zurück zum Ursprung der inneren Gemeinsamkeiten und psychologischen Konflikte (wohlgemerkt ohne forcierte Streits der Konfrontation), der unbekümmerte Sex zwischen Weinstöcken und mehreren Partnern, die liebenswerte Undurchsichtigkeit Rogers mit permanenter Fluppe im Mund und Schnapsglas in der Hand: Alles überraschende Faktoren, die das Prozedere so lebhaft am Laufen halten, wie sie sich irgendwann eben auch von der Macht des Todes überwältigt sehen müssen. Da ist es dann hin mit der Abgeklärtheit und mit dem Unmut, nach dem die Angelegenheit doch endlich zu Ende sein möge, allerdings wird da an Menschlichkeit gewonnen, wo sich im Folgenden die Schlinge der Einsamkeit anzieht. Die Lösungen liegen nicht immanent auf der Hand, während der Schmerz eben die Parteien ausbluten lässt, doch Schritt für Schritt verläuft das Leben wie das Sterben. Dafür hält Pialat authentische wie minimalistische Gesten ohne Reißertum sowie ohne Pardon bereit, auf jeden Fall blickt er innig und erwachsen auf den Verlust des Gegebenen, ohne die Aufgabe des Eigenen an vorderster Stelle einzubinden, sowohl auf Figurenebene als auch in inszenatorischer Hinsicht. Demnächst sollte an dieser Stelle also mehr über das Werk jenes Regisseurs stehen, der erste Eindruck ist auf jeden Fall eine stille Wucht, mitten aus dem Zentrum der Siebziger Jahre - immer für neue Aspekte gut!


Bonus-Zeugs:




Weil ich meinen Lesern gerne mal was Gutes außerhalb der Textform tun will, komme ich mal auf eine Show zurück, die mir in letzter Zeit reichlich Lachtränen beschert hat, bei der aber vielleicht der richtige Einstieg vonnöten ist: "Downtown no Gaki no Tsukai ya Arahende!!" aus japanischen Gefilden, eine bereits seit Jahrzehnten andauernde Varietätensendung, bei der Game-Show-Charakter, Sadismus, Sketche, Challenges, teils schier Abartiges sowie Lockeres ein abwechslungsreiches Bündel an Humor und Energie ergibt, das hauptsächlich von seinen fünf Stammmitgliedern getragen wird. Zum einen wären da eben Downtown, aus Masatoshi Hamada und Hitoshi Matsumoto bestehend, wobei man letzteren hierzulande eher als Regisseur von Klassestreifen wie "Der große Japaner", "Symbol", "Saya Zamurai" und "R100" kennt. Hosei Tsukitei sowie das Comedy-Duo Cocorico (Naoki Tanaka und Shozo Endo) ergeben sodann die regulären Mitspieler voll uriger Talente und liebenswerter Schlagabtauschqualitäten, doch das Zusammenspiel lässt sich weniger erklären als erleben, so wie man beim Einblick in die Unterhaltungskultur Nippons mit westlichem Blick immer eine gewisse Schnupperphase in Kauf nehmen muss. Wie weit die Wonne aber reicht, je tiefer man die Eindrücke über sich ausbreitet und Verbindungen ansetzt, die über den Lachfaktor hinausgehen, darf mMn nicht bloß eine mir sowie bereits Eingeweihten vorbehaltene Erfahrung bleiben, daher mal eine kleine Reihe an Videos, mit denen der Weg zu "Gaki no Tsukai" herzhaft gelingen dürfte:

Zunächst mal ein (subjektiv gesehener) Klassiker, mit dem ich relativ früh angefixt wurde und schon einiges an geballten Irrsinn mit wunderbarer Konzeption vereint - Hamadas Sleep Endurance, eine Gratwanderung im Selbstbewusstsein zur Inszenierung und dem Stellenwert menschlicher Reaktionen:



Der Sadist in Hamada scheint hier schon sehr bezeichnend durch, wie es sich auch kollektiv an folgendem Meisterwerk situationsbedingter Emotionsentsagung abzeichnet, an dem für Matsumoto der typische japanische Alltag zum fiesen Kuchenfest, eben der Pie Hell mutiert. Schon wird man dann auch vertraut mit dem Konzept des Batsu Games, eine von langer Hand geplante Bestrafung für die Niederlage nach einer Wette oder anderen Herausforderungen, bei denen auch mehrere vom Stab teilweise mitmachen müssen. In diesem Sinne favorisiere ich zufälligerweise Matsumotos Martyrien, wie sein Aufenthalt in der Spukpension, der wie die meisten Batsu-Brutalitäten auch an die 24 Stunden andauert. Er bleibt gewiss nicht der einzige, der den Horror abkriegt, dazu lässt sich auch Hoseis unfreiwilliges Piano-Konzert als Beispiel hinzuziehen. Reaktionen und Emotionen behalten jedenfalls stets Überhand im Gewinn an ausgelassenster Komödie, die sich im wilden Topf ausgefallenster Prüfungen und Sadomasochismen selbst per Schweigen zur Krönung des jungshaften Spaßes auflehnen kann - siehe dazu auch die Reihe Silent Library, die sich gleichsam profund um die Gewichtung des emotionalen Ausbruchs zwischen Kichern und Schmerzen dreht, wie eben jene Batsus, bei denen das Lachen verboten ist und meist mit Schlägen bzw. Thai Kicks auf den Hintern bestraft wird. Aber es geht auch anders:



Letzteres ist seiner Form witzig, auch in anderen Gelegenheiten voller Handgreiflichkeiten, insbesondere im Rahmen einer Landeskultur des Zens, der Demut und Ehre. Man lernt ohnehin vieles anhand der Begegnung mit dem Gaki-Team, so auch die empathischen Brennpunkte, wenn ein Wettbewerb um die Crying Performance angefechtet oder Hamadas fünfzigster Geburtstag als Anlass für enorm persönliche Briefe genutzt wird (Part 1 und 2). Das sind aber nur mal einige übergreifende Einblicke in das Werk dieser tollen Typen binnen ihres bunten Formats, da gibt es noch reichlich mehr zu entdecken - sobald man sich da auf Youtube wund gesucht hat, müssen sodann auch weitere Quellen her, so unergiebig die Sendung für Nicht-Einheimische verfügbar ist, was man ja auch an den Verzweigungen meiner Links zu etwaigen Videos erkennt (zudem muss man auch Glück haben, Untertiteltes vorzufinden). Aber das Internet kennt kein Erbarmen und so gibt es auch kein Ende darin, Neues zu entdecken, erst recht, wenn "Gaki no Tsukai" noch immer am Laufen ist. Kampai, Kawaii, whatever - ein jeder möchte seinen Horizont doch irgendwo erweitern, warum nicht also hier hineinschauen?

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