Sonntag, 3. Juli 2016

Tipps vom 27.06. - 03.07.2016



SPETTERS - KNALLHART UND ROMANTISCH - Sich die Zukunft in der Gewöhnlichkeit verbauen oder für die Zukunft brutal Vollgas geben: In Paul Verhoevens schonungslosem Portrait der 80er-Jahre-Jugend Hollands ist das Leben via Provinz nicht unbedingt eins mit besten Aussichten, der Weg hinaus sodann die Grundspannung schlechthin. Dennoch bringt die Startphase noch die Art Milieubetrachtung auf, an welcher der Spaß in der Nacht, mit Moped sowie netten Mädels zur Disco und wieder zurück, gegeben ist. Ganz unproblematisch wird es aber da schon nicht, wenn die jugendlichen Protagonisten Rien (Hans van Tongeren), Eef (Toon Agterberg) und Hans (Maarten Spanjer) zum Weiberaufreißen große Töne spucken und dennoch als Schlappschwänze agieren, manch Schwulen auf der Straße aufmischen und sich auch so im Alltagsumgang deftige Sprüche wie Kinnhaken setzen. Zum Profilieren braucht es offenbar ein bisschen verstärkt HP und Testosteron im Kleinstadtmief, denn was hat man sonst zu bieten? Die Halbstarken suchen sich also ihre Ziele dort aus, wo sie ihr Mindestmaß an Erfahrung einbringen könnten: In der Werkstatt Muttern drehen, Kneipen aufbauen statt aufmischen, Motocross! Gerade hinsichtlich letzterem könnte man ja eines Tages so ein Champ sein wie Gerrit Witkamp (Rutger Hauer), doch solange gibt’s noch Rangeleien unter Machos in audiovisuell entsprechend brutaler Manier, erst recht, wenn waschechte Rockerbanden Schädel mit Backsteinen einschlagen wollen. Löhnen für Fleischkroketten wäre für die auch nicht drin, wäre da nicht die handfeste Fientje (Renée Soutendijk) als „Frittentorte“ vom Wohnmobil-Imbissstand am Start, mindestens genauso knallhart wie die New-Kids-Vorläufer drauf zu sein.


Sie wird schnurstracks der Schwarm für jene krassen Bengel, doch so locker wie die dafür ihre ohnehin schon wackeligen Beziehungen flöten lassen würden, macht auch sie klare Ansagen: Geld und Erfolg müssen im Gegenüber drin sein, sonst braucht sie sich mit dem Typen gar nicht zu beschäftigen. Das ergibt für den Film auch Chancen, nicht nur an einem Charakter dran zu bleiben, somit Ängste sowie Hoffnungen jenseits der Hau-drauf-Boys-&-Girls-Oberfläche zu erforschen, wie sie sich grundsätzlich binnen der Erfahrungen an Ungewissheit einen und gleichsam nach Liebe eifern. Ganz bitter wird es da u.a. für Rien, inwiefern sich seine Träume in Luft auflösen und die Gemeinschaft ihn nur vom Äußeren her helfen oder Heilung versprechen kann, während sein Inneres nicht mehr für sich selbst einsteht, nicht mal die Grundbedürfnisse des Beischlafs zu erfüllen vermag. Das könnte trivial klingen, aber das Selbstverständliche hat eben nicht in nur in jenen Gefilden Gewichtung, wenn die Überholspur zum Zenit wird. So viel wird dort aber auch sicher: Heilig ist erst recht nichts daran, so wie man dazu auch Eef's Familienverhältnisse beobachten darf, in welchen Herr Jesu eingeprügelt wird, wenn dem Vater mal wieder etwas nicht passt. Am Leiden der Welt war die Jugend eben stets beteiligt und so kommen auch untereinander Machtverhältnisse zustande - da reicht schon ein Blick auf den hiesigen Umgang mit dem Wesen Frau, immer irgendwie am unteren Ende der Fahnenstange bugsiert, via Jugend und Körper erst zum Vorsprung zugelassen. Verhoeven schaut sie allerdings durchweg auf Augenhöhe an, empathisiert das Opfer im erbarmungslosen Spiel an Liebe und Chancen, teilt Entblößungen dann auch zwischen Brüsten und Schwänzen auf, gefolgt von noch stärkeren Einbrüchen im Konflikt der Geschlechter.


Er kokettiert darin durchaus mit Tabus und der Provokation des Konsens, so wie er sodann auch sein Spiel mit der Kirche treibt, dem späteren „Vierten Mann“ nicht unähnlich Symbole extremisiert ausstellt, im Untergrund der Seele erst ihre Wurzel entdeckt. Was dadurch sodann aber auch deutlich wird, sind die Scheren zwischen Schuld und Unschuld, Ausbeutung und Anbiederung, Liebe und Hass, die allesamt zum Wandel ansetzen und die Persönlichkeit des Individuums offenbaren, was jenes zum Schutze des Status beengter Möglichkeiten bekämpfte - „Spetters“ halt. Das bedeutet, die innere Einsicht geschieht hier im Raunen der Maschinen, bei flapsigen Flirts sowie Schlägereien zwischen Flachland und Supermarkt, Graffiti und Leder; frisch, bunt und gern verdorben, wie auch der Frust einwirkt, zwar den Harten heraushängen lässt, den Schmerz oder gar die Faszination zum Unerreichbaren/Vorbild/gleichen Geschlecht der Kamera gegenüber aber nicht verheimlichen kann. Das Netz an Beziehungen nimmt da diverse Verzweigungen und Verlängerungen für auf, bleibt dennoch authentisch auf Zack, locker beim (meist auf Vorteil hinarbeitenden) Sex und doch deftig beim Verbrechen, sofern sich zwischendurch noch am Ehrgeiz versucht werden darf und meistens doch im Tal der Enttäuschungen landet. Das fängt meistens schon beim Grundgerüst der jeweiligen Karren sowie derer Sponsoren an, so wie das Erreichen eines Status Quo der Zufriedenheit ein Krampf an Bedingungen bleibt. Zufriedenheit wäre unter diesen Bedingungen ebenso kaum die Grundlage für guten Filmstoff und so ist auch diese raue Bestandsaufnahme Paul Verhoevens auf einem reizvollen Grad zwischen Magengrubenperforierung und Herzenssache, um die wesentliche Straße der Güte zu finden.




DEAD OF NIGHT - NACHT DES TERRORS - Posttraumatische Belastungsstörungen im Rahmen eines Horrorfilms zu thematisieren - das würde durchaus in unsere Ära passen, doch ein Bob Clark war schon vor über vier Jahrzehnten dabei, das Schicksal der Heimkehrer aus Vietnam im Leben danach via Genre-Pfad anzupacken. Das Monster, das dabei aus dem einst so netten und jungen Menschen Andy (Richard Backus) geschaffen wird, hat das Töten gelernt und doch mag niemand wirklich glauben, dass er sich verändert hat - es wird sogar verklärt, bis der eigene Vater in ihm einen Feind sieht. Die Einsicht kommt vom bornierten Patriarchen Charles (John Marley aus „Gesichter“) her sogar durchaus früh, doch das Eingeständnis des elterlichen Versagens gegenüber Autoritäten und Öffentlichkeit bleibt - wie eben binnen der damaligen Regierung - gehemmt als Schatten der Schuld hängen, ehe der Frust zur Waffe greift. In solch einer brüchigen Behütung der Unkenntnis, wie solch eine, welche die Provinz mitten in Lousiana für dieses Narrativ darstellt, ist diese Form der Verarbeitung scheinbar nicht zu vermeiden, jedenfalls so wie Clark jene Vergangenheit in Wirken und Atmosphäre seiner Charaktere suggeriert. Die familiäre Struktur kommt daher im Verlauf auch verstärkt zum Konflikt mit den mütterlichen Impulsen seitens Mama Christine (Lynn Carlin, sodann auch John Marleys Partnerin aus „Gesichter“), je sorgsamer und gleichsam blinder das Gute im ehemaligen Kinde erhalten bleiben soll, die inneren Probleme stattdessen eher der Wiedergewöhnung angerechnet werden.


Der Kampf um die ideologische Vorherrschaft verliert sich jedenfalls genauso wie Andy im Dunkel des Dickichts, das aus Sumpf und Kleinstadtgrün ein Äquivalent des Kriegsdschungels aus Fernost erschafft, wenn die Nacht anbricht. Der kollektive Schock sitzt tief bis in die Schatten des Eigenheims hinein, selbst zu später Stunde mit solch Knalleffekt illuminiert, dass sich nicht einfach über die Umstände hinweg schlafen lässt. Das Wachkoma bricht hinein, wie man es schon dem eigentlich als tot gemeldeten Andy ansehen möchte, doch Jack McGowans Kamera schaut - bestimmt nicht gerade zufällig - mehr als oft gerade unscharf genug auf alle Charaktere, so einvernehmlich die Freude über Andys Rückkehr einer Lethargie aufgrund seiner Distanziertheit weicht. Der Alternativtitel „Deathdream“ wird da symptomatisch und die Ambivalenz der Gefühle pendelt sodann auch vom reellen Spektrum ins Surreale, bezeichnenderweise je greifbarer sich die Gewalt im Soldaten offenbart und daraufhin beteuert wird, dass Sohnemann doch keiner Fliege was zuleide tun könnte und dass Herr Vater sich als Veteran zu seiner Zeit ganz anders nach Kriegsende verhalten hätte. Die Dimensionen des Leidens lassen sich aber nicht pauschalisieren, umso finsterer setzen sie sich hier ins Grauen um, das dem Blut nach handelt und kaum noch Freunde sowie Familie unterscheiden kann, fürs Töten fremd geworden ist, so wie es bereits die Unmenschlichkeit mit Blei verteilen musste.


Die Furcht findet ihre geradlinige Genre-Entsprechung in jenem eingeladenen Unwesen, doch die bittere Metamorphose vom Gegebenen ins Verstörte lässt sich auch so in ganzer Heimeligkeit nachspüren, wenn Andy stumm im Schaukelstuhl die Wände anstarrt, binnen seines Traumas keine Liebe erwidern kann sowie den Schmerz hinter Sonnenbrille und Lederhandschuh versteckt. Insofern ist Andy auch nicht bloß ein übernatürliches Instrument des Todes, sondern ist sich bewusst, dass er wie schon einmal zuvor von ihm eingeholt wird - die Folge ist der Drang zum Überleben, übrig geblieben als Instinkt ohne Moral und Ideologie, der sich schon bemühen muss, selbst nur rudimentär an die Vergangenheit anknüpfen zu können. Doch Wandlungen und Schmerzen können sich nicht auf die Dauer unterdrücken lassen, zerfressen Individuum und Familie, so wie Krieg nie bloß eine Seite trifft. Bob Clark zeigt, dass das Menschliche verloren, vom Todestraum ummantelt wurde und zum Wiederaufbau Verständnis benötigt, nicht noch mehr Gewalt oder gar Urteile, die manche Morde billigen und andere gleichsam bis zum Entsetzen kriminalisieren. Clark's Horror entzieht sich gewiss keiner Ironie, doch die Widersprüche werden eins im universellen Schicksal des Sterbens, ob nun jenes der Vergangenheit, Familie, Unschuld oder Liebe. Die Last des Umgangs damit lässt er mit Blick auf seine Eltern ebenfalls nicht aus den Augen, die leidende Trennung der Generationen und Erfahrungen erkennt er gleichsam intensiv an, womit er die Spannung bis ins Grab hinein zieht, auf dass alle an ihr teil haben. Es tut weh, aber es muss sein.




ENTSCHEIDUNG IN CARTAGENA - Ein Springteufel in Filmform erwartet einen, wenn man wieder mal unter italienischer Flagge in den Dschungel blickt und deren Variante eines Action-Abenteuers anno 1987 serviert bekommt. Der leider sonst kaum als solcher aktive Regisseur Tommaso Dazzi wandert offensichtlich entschieden auf den Spuren von Indy Jones, Romancing the Stone und Co., doch in seiner Low-Key-Variante sorgt das mit menschlichen Mitteln schon ungewohnt in Bewegung gesetzte Tropenpulverfass für genügend Verwunderung, ehe einen der große Faktor Fantasie wie ein Blitz trifft. Letzteres Detail sollte man vielleicht nicht an dieser Stelle ausplaudern, so unverhofft und voller Selbstverständnis es die Hirnschmelze auslöst sowie umso herzlicher zu empfangen ist, so leichtfüßig der Film sein gesamtes Prozedere aufnimmt. Man möchte es ja gerne bei jedem Werk des Zelluloids sagen: So etwas hat man noch nie gesehen - und Dazzis Film bedient jenes schöne Kriterium schon, sobald er von seinem Easy-Listening-Pop karibischer Coleur aus in die Sklavenwelt der Diamantenbuchten von Kolumbien einsteigt, plakative Räudentypen aufspülen lässt, aber auch klar macht, dass der üble Sanchez (mit Ansteckblume im Jackett und Hass gegenüber Zigarrenqualm) jene Vormacht anhand einer abbezahlten Konzession bald verlieren dürfte.


Wer dafür zu sorgen hat, weiß es in diesem Fall noch nicht, doch der Film schneidet schnurstracks nach New York, wo auf den Bühnen dieser Welt natürlich Shakespeares Romeo & Julia geprobt wird, wobei Hauptdarstellerin Vanessa (Barbara De Rossi) von den blöden Anmachtouren der Männerwelt die Schnauze voll hat, weshalb es ihr gerade recht kommt, als Erbin in Kolumbien einen Anspruch auf oben genannte Diamanten zu haben, sollte sie die Konzession löhnen können. Dort jedoch stellt ihr lange vermisstes Halbbrüderchen Paco klar, dass sie eine Summe von 10000 Dollar anleiern müssten - schon im nächsten Augenblick kriegt Matrose Francis (Franco Nero) genau solche Mengen an Moneten überreicht, mit welcher er sich eigentlich eine Bar in Tahiti aufbauen will. Doch alles kommt erstens anders und zweitens als man denkt! Ein Stein fällt in diesem Drehbuch direkt auf den anderen, so fern alles auch voneinander liegt, weiß manch einer über die langfristigen Vorteile Bescheid, obgleich der Zufall stets so irre zuschlägt, wie Dazzis Erzählung davon unnachgiebig in Bewegung bleibt. Seine Charaktere lassen sich da gerne vom Inneren her schon dementsprechend zum Impulsiven verleiten, ohne von Vornherein große Erklärungen von sich dazu abzugeben, solange Reichtum und individuelles Recht an der Spitze des Verlangens stehen.


Doch auch Dazzis Steadicam liefert Verknüpfungen im ständigen Strom jener Kameratechnik, die hier gefühlt 70 % der Optik ausmacht, zusammen mit den teils wahllos eingeworfenen Synth- und Ethno-Beats beinahe auf einen frühen „Birdman“ schließen lässt. Ohnehin kommt der Film nach seinen beginnenden Abschnitten aus verschiedensten Richtungen beinahe per Echtzeit in Fahrt, wenn man sodann sieht, welches Tagespensum zurückgelegt wird, um Diamanten und Knete einzusacken, wofür eine Jagd per Bus, Moped, zu Fuß, etc. nach der anderen aufgewendet wird. Die Geradlinigkeit daran baut das Grundgerüst der „Fury Road“ Jahrzehnte vor ihrer Fertigstellung auf, so wie Francis auch stets der Griesgrämige bleibt, der sein Hab und Gut nicht nur vor Sanchez' Gang, sondern auch vor Vanessa und Paco zu schützen versucht, obgleich er letzteren im Verlauf zwar unfreiwillig, aber eher zur Hilfe kommt, sofern etwas dabei für ihn raus springt. Eigentlich kann er auch nicht von der hübschen Dame an sich lassen, doch Nero kann in dieser Rolle so oder so - für ihn ungewohnt - nimmer locker bleiben, gleichsam on the road lässt eben auch Dazzi von der Bremse.


Obwohl jener zwar durchaus Konventionen des Genres abarbeitet, familienfreundlich Kabbeleien, Streitereien und Schuftereien unter glühender Sonne im Grün abfetzt, wie es kurzweiliger nicht durch den Nachmittag führen könnte, ist die inszenatorische Auflösung einzelner Aspekte doch so abwegig, im Drive verloren und locker flockig zwischen sexy Tänzen, schwitzig durchgeranntem Lokalkolorit und scheinbar spekuliertem menschlichen Verhalten ausgefallen, dass man es einem Außenstehenden nur schwer erklären kann - nicht mal „Topline“ mit Franco Nero reicht da als Referenzwert. Kindliche Logik sowie eine noch weit naivere Dramaturgie, nicht allzu viel Macho, aber dafür einiges an starken Running Gags sind da mit inbegriffen, die sich alle nicht verstärkt was aufeinander einbilden, umso drolliger das Glück suchen und es sogar wortwörtlich im Spiegelbild finden - nur nicht so, wie es sich schwarz-auf-weiß liest, das stellt ein Dazzi sicher, wie er ohnehin einige nett gemeinte Eindrücke zu verstrahlt in die Sonne stellt. Da explodiert manch Fass an Explosives, manch Romanze im Fest der Anakonda sowie manch Regelwerk im Voranpeitschen der Plot-Elemente und die Synchro-Zwischenrufe sind da ohnehin immer in Hörweite. Wie leicht das einen auf Touren nimmt und doch stets mit ungelenker Dynamik vor die Kokosnuss haut: Könnte es sonst wie schöner sein?




JEANIES CLIQUE - Adrian Lyne, nicht das erste Mal an dieser Stelle vertreten (siehe „Flashdance“), hatte wie jeder von uns sein Debüt, nur sind wenige davon derartig bezeichnend für Ästhetik und Dynamik des Gesamtwerks eines Künstlers, wie es „Foxes“ (so der Originaltitel) repräsentiert. Die blanke schweißtreibende Erotik binnen des Musikclip-Chics ist ihm hier noch nicht vergönnt, wie sie schon im Nachfolgewerk ihren Einschlag fand, unabhängig davon ist Sex nicht ohne Grund bereits ein Thema in diesem seinem Teenie-Trüppchen der Spät-70er-Generation von Los Angeles. Als Coming-of-Age-Querschnitt baut sich allerdings auch ein ganzer Haufen an Problemen, Alltagsstress und gelegentlichen Fetzigkeiten auf, so wie die vier Mädels Jeanie (Jodie Foster), Annie (Cherie Currie von den Runaways und dem Bandnamen alle Ehre machend), Madge (Marilyn Kagan) und Deirdre (Kandice Stroh) in eine ungewisse Zukunft jenseits der High School blicken. Jener Schulapparat an sich kommt komischerweise ziemlich kurz, stattdessen sind andere Störfaktoren beständig an der Gefühlsreibung beteiligt, wobei diese auch dramaturgisch nicht bloß eine Dame aus vier belasten. Ein bisschen zerfahren (also nicht ganz so fließend wie „Spetters“) kann es aber schon wirken, wenn beinahe kapitelweise die Belange einzelner Girls von der gesamten Gruppe und insbesondere Jeanie betreut werden, was sich ungefähr so aufteilt, dass Annie als Sorgenkind auf der Flucht vor Bullenvater und Co. mit Drogenproblemen sowie unangenehmen Gulli-Boyfriends und Pimps (wieder mit Ansteckblumen!) vielerlei Sorgsamkeiten empfängt, während das Stille-Wasser-sind-tief-Schicksal um die schüchtern-suburbane Brillenträgerin Madge an zweiter Stelle steht - Deirdre hat da fast gar nichts zu melden. 


Nicht, dass die Balance darin an Kurzweiligkeit mangeln würde, doch Lyne schafft hier noch nicht ganz den Dreh zur Dringlichkeit, wenn er auch eine Dreieinigkeit via Jeanies persönlicher Umständlichkeiten ergänzt. Die pendelt nämlich mit Truck-Karre und Buddies den Hollywood Boulevard hoch und runter, um bei einem der geschiedenen Elternteile unterzukommen, träumt derweil von der eigenen Bude inklusive Unabhängigkeit für ihre ganze Gang. Schlicht alles nach Lust und Laune tun zu können, ist das Ziel schlechthin und gleichsam wechselhaft versucht sich ein jeder hier schon durchzuschlagen, ob nun im Minijob oder in der Liebe, vor dem nächsten Konzert die Partner tauschend, je nach Mood eben eine neue Platte auflegend und ansonsten ohnehin stets die nächstgelegene Fete im Blick. Die jungen Leute von heute lassen wie eh und je nichts anbrennen, doch Lyne zeichnet sie stets in einem Rahmen der Unschuld, allen voran anhand von Skateboard-Kid Brad (Scott Baio) ums Knutschen bettelnd, aber dem Alter entsprechend doch öfter in der Friend Zone spielend. Drum herum schäumt das Zeitkolorit durch die Quasi-David-Hamilton-Blende, aber so schnittig im Tempo wie eine Vorankündigung zum kommenden Jahrzehnt, bunt und auf die Mucke genau montiert, mit Zwischeneindrücken irrer Hunde auf den Straßen und auch dann audiovisuell pulsierend, wenn freches Flirten im Supermarkt angesagt ist. Ist das beruhigend, wenn Lyne da nur einmal den Po-Backen der Jeanshosen zublinzelt? Ansonsten legt er den Fokus nämlich eher auf Fun & Frust des weiblichen Daseins in den Entscheidungsphasen zwischen Jugend und Reife an und geizt sodann auch nicht mit knallharten Aussprachen und Schlägen, selbst unter Mutter und Tochter, wie locker oder fest Beziehungen geführt werden, wie viel Verantwortung zugetraut werden kann oder belastet, wie man trotz alledem unter Freunden wie Familie zueinander hält. 


Dafür lässt Lyne gleich auch mehrere Gruppierungen dieser Gedanken kennenlernen, zwar hauptsächlich unter typisch weißen Mädels, aber gleichsam universell in einer nur scheinbar gesicherten Mittelschicht eingelagert. Zankereien mit Geschwistern sind da an der Tagesordnung wie auch geheime Liebschaften, peinliche Müttersprüche, übertriebene Lehrerfratzen und das Nachtleben per Anhalter (siehe auch „Raus aus Åmål“). Drehbuchautor Gerald Ayres geht neben diesen geläufigen Beobachtungen bis zum Schluss zudem durchaus etwas gestresst aufs Ganze, vielerlei Zeitgeist-Menschenmodelle einzubauen, die eher Spießerängste ballen als dass sie eine Funktion der Varianz erfüllen. Andererseits packt er auch den Chill-Faktor aus, wenn die Lupe neben der Spur zur Chemie unter Menschen angesetzt wird ohne durchweg Absehbarkeiten wie Happy Ends und andere Naivitäten zur Entlastung anzubieten. In einem auf „Jacob's Ladder“ vorausschauenden, befremdlichen Schnitt zum Schluss hin wirft Lyne sogar Emotionen durcheinander, wenn aufs blutkeuchende Sterben die Hochzeit folgt. Vergänglichkeiten treten hier zum Vorschein, wie sich unter den Beinahe-Frauen das Bewusstsein ums eigene Ich ebenso verstärkt bemerkbar macht. Das klingt nach Standard, das Ensemble jedoch redet sich voller Natürlichkeit ständig ins Wort, während Lyne regelrecht Action draus macht, ehe die Karren der Unschuld wirklich noch ein Todesrennen wagen und dabei ohne Bullerei auskommen müssen. Wie denn auch jenem Alltagsfeind anvertrauen, wenn die Teens (allen voran Annie) im Zwist mit der Autorität stehen oder diese für sich selbst suchen? Es bleibt spannend im Jugenddrama und Adrian Lynes Einstand voll spruchreifer Slice-of-Life-Episoden ergibt da keine Ausnahme.




ONNA GOKUMON-CHÔ: HIKISAKARETA NISÔ - Kann ein Film seine Würde bewahren, wenn er die Leiden des weiblichen Geschlechts im Verlauf der Jahrhunderte thematisiert, aber eine schamlose Exploitation voller Sex und Gewalt drin aufbaut? Die Frage darf man sich oft und gerne in der Betrachtung japanischer Pinku-Eiga stellen, so direkt Sadismus und Vergewaltigung in den Vordergrund rücken, die Hölle auf Erden im Rausch der Sinne und mit barer Haut vorführen. Die kulturellen Hintergründe dazu haben ihre Berechtigung wie jede Ableitung des Grand Guignol im Ausdruck menschlicher Erfahrung und der Zeitgeist anno 1977 tut da sein Übriges, doch es wäre im Falle von Yûji Makiguchis Film, der international wohl auch unter dem Titel „Nuns that bite“ firmieren soll, etwas naiv gedacht, die voyeuristische Absicht an mancher Frevelei zu verklären. Die freche Ausbeutung nimmt in der Kürze von knapp 69 Minuten Laufzeit ohnehin einen guten hohen Prozentsatz ein, vieles daran stellt sich aber auch als kecke Provokation heraus, die im Verlauf nicht bloß der Stimulierung dient, sondern gleichsam dramaturgische wie filmisch reizvolle Eskalationen ballt. So begegnet man also (nicht zum einzigen Mal) bei Schneefall der flüchtenden Omino auf dem Weg in ein Kloster, das sie vom Stigma der Prostitution lösen soll - manch Untertauchen mit dem Kopf ins Flusswasser soll da schon vorbereiten.


Im Strom aus Gegenwart und Vergangenheit binnen dieses Mittelalterszenarios ist die Mühsamkeit ihres Seins von sie drangsalierenden Kerlen gezeichnet, darunter nicht nur selbstgerechte Kerle, die schlagen, aber keinen hoch kriegen können, sondern ebenso solche Meister im Spucken großer Töne, die ihrer eigenen Haut willen ehrliche Abmachungen verraten. Das Vertrauen in die Männerwelt, ihren keifenden Sprüchen und Blicken, hat dann auch unter ehrlicheren Seelen zu leiden, so wie auf diese alsbald die nächsten Schwerenöter wie direkt aus Ingmar Bergmans „Jungfrauenquelle“ folgen. Das Kloster verspricht die Rettung, doch bei aller Freundschaft präsentieren sich im souveränen Panorama-Format schon früh unheilvolle Eindrücke von der Hölle, ganz die „Jigoku“ fürs Selbstverständnis der Qualen geöffnet und sodann nicht weit von den ersten unheilvollen Stimmungen unter Nonnen. Da mag es durchaus an den recht lockeren Bass-Tönen des Soundtracks liegen - welche sich fortan noch mit Drums und Wah-Wah-Pedalen vereinigen werden -, dass Makiguchi weniger auf einen aufgeregten Nervenhorror aufmerksam macht, sondern mit selbstverständlicher Energie in die Untiefen des zwischengeschlechtlichen Konflikts schaut. Stellvertretend dafür scheut die kleinste unter den versammelten Frauen, Osayo, sodann auch keinen Blick auf vielerlei eintretende Gräueltaten - dem Schweigen dazu ist sie ebenso nicht abgeneigt wie sie auch jenseits von Intrigen den Weg zur nächsten aberwitzigen Hysterie weist.


Der Grund dafür liegt in einem Inferno der Erinnerungen, dessen Funken erst zum Schluss entflammt und die davor geschehenden Extreme nicht etwa relativiert, sondern motiviert, wohl kaum aber ihren Schrecken entlastet, erst recht nicht das Vergnügen an lauten Schauwerten daran raubt. Nichts ist nämlich heilig an jenem Ort der kollektiven Einsamkeit, so frei man Moral und Gerechtigkeit für eine Enthemmung der Sexualität liest und jedwedes männliche Pendant zum Abschuss freigibt, um diese von der Welt zu tilgen. Für wahr wirkt hier ebenso das Rape-&-Revenge-Prinzip in seiner ultrafeministischen Form, wenn sich Omino nach einem Anlauf der Skepsis zur ausgleichenden Folter hinreißen lässt. Jene Wechselwirkung wird aber weder ein Freifahrtschein für exzessive Gewaltverherrlichung noch im narrativen Sinne für eine Aug'-um-Aug'-Rache Ominos, obgleich sie vorher schon von der weit finstereren Seite der Medaille mitkriegt, die vom Überraschungsmoment her allein sehenswert ist. Dazu gesellen sich noch weitere Eindrücke vom psychedelischen Wahn der Körpergeißelung hin zum Schulterschluss von Mütterlichkeit und tödlicher Hypnose, direkt aus der Zitze angenuckelt und mit Rosenkranz Richtung Würgegriff. Im Fluss nebenan tummeln sich dann auch schon Leichen und wer glaubt schon, dass das Fleisch von einer Sau kommt?


So bleibt ebenso noch zu raten, wer welches Haustier umbringt, wer mit wem schläft, wie viele Manöver der Missgunst aus dem himmlischen Hedonismus gezogen werden und wie lange die scheinheilige Brutalität mitten in der Schönheit des Tales verheimlicht werden kann, sofern die hormongesteuerten Räuberbanden drum herum nicht schon die Unschuld versalzen haben? Bleibt dann noch ein Unterschied zwischen den Selbstgerechten, der Ausbeutung; wird die Heldin nicht auch Mörderin und hinterhältig dem eigenen Überleben wegen? Selbst in diesem funkigen Rahmen ansprechend fotografierter wie montierter Bösartigkeiten wird die Geschichte der Menschheit und ihrer Wechselwirkung an Grausamkeiten greifbar („Dead of Night“ lässt grüßen), ehe die Flammen an Leidenschaft wiederum jene verbrannte Erde hinterlassen, auf der Frau wie Mann ihr Blut opfern müssen - nicht nur durch die Gewalt eines Gegenüber, sondern schon in der Regelblutung. Makiguchi-san nimmt in seinen ideologischen Gesten wirklich kein Blatt vor Mund und Objektiv, doch taktlos arbeitet er sich genauso wenig durch seinen flotten Reißer voll unmoralischer Moral. So diffus darin die Grenzen verschwimmen und sich zum Spektakel aus Libido und Enthauptung verhärten, in beiden Fällen das Fleisch zucken lassen und die Schönheit des Schmerzes ansengen, lässt diese Exploitation mit fieser Note keine Fragwürdigkeit und Freude aus. Doch diese Nonnen beißen auch nicht ohne Grund hart, aber herzlich zu.




THE ASSASSIN - "[...] Die forcierte Sedierung des Wuxia-Plots gängigster Form erschlägt zudem mit Massen an innenpolitischen Details, die genauso wie Anekdoten aus der Vergangenheit unseres Ensembles in aller Fülle nacherzählt werden müssen, anstatt sie (gerne auf kreativem Wege) zu zeigen. Die resultierende emotionale Distanz geht sodann einher mit einem Mangel an Stimmung, der größtenteils als Natürlichkeit von der strikt nüchternen Sorte vorherrscht. [...] Zur Verinnerlichung eines moralischen Konflikts oder kontemplativer Ambivalenzen reicht die Inszenierung jedenfalls nur bedingt, hält sich vage und teilnahmslos, bis einige Impressionen doch die Poesie von Stille, Ehre und Gnade vervollständigen und nicht bloß das blutleere Prozedere altertümlicher Politik in den Fokus rücken. [...]"



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)

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