Sonntag, 27. April 2014

Tipps vom 21.04. - 27.04.2014

Ein gewisser Osterfluch blieb mir diese Woche noch erhalten, da ich kaum dazu kam, wirklich viele gute Filme zu sichten. Da ich dennoch einigermaßen tüchtig am Schreiben war (und manch andere, wichtige Sachen bewerkstelligte), hoffe ich den Mangel an sehenswerten Filmen mit Besprechungen zu weniger tollen Streifen auszugleichen. Zunächst aber erstmal die subjektiv-gelungeneren Exemplare der cineastischen Kunst:




DAS STUNDENHOTEL VON ST. PAULI - Rolf Olsen und St. Pauli stellen seit jeher eine fantastische Verbindung dar und auch in dieser ihrer Zurschaustellung des berüchtigten Stundenhotels Ostend enttäuschen sie keineswegs: Milieu-affine, relativ-spekulative und genüsslich-rotzige Sleaze- und Crime-Action steht mal wieder in kurzweiliger Abmischung auf dem gewitzten, ruppigen Tagesplan und repräsentiert gleichzeitig ein jugendfreundliches Ventil für Kritik zum zeitgeschichtliche Geschehen.

So erleben wir wie so oft in den Hamburger Meisterwerken Olsens Curd Jürgens als Hauptprotagonisten, dem Kommissar Canisius, der schon einige Jahre Dienst auf dem Buckel hat und sich selbst zuhause in der Mittelstands-Wohnung mit einem erwachsenen Sohn rumstreiten muss, der als Vertreter der Jugendbewegung von '68 für moderne Freiheit und Gerechtigkeit eintritt. Dass er da im Clinch mit dem Vater gerät, ist daher wohl oder übel gegeben, doch auch das Familienoberhaupt sieht die Fehler der Vergangenheit und die Zeichen der Zeit ein, worin er sich auch in der nun folgenden Nacht des Narrativs bewähren muss.


Es finden sich nämlich reichlich zwielichtige Gestalten, gescheiterte Existenzen, vor allem aber Durchschnitts-Menschen als Mikrokosmos des kontemporären Deutschlands in jenem titelgebenden Stundenhotel ein und frönen leicht verschämt hinter verschlossenen Türen ihren sexuellen Vorlieben, dem bewussten Bruch von Tabus, im Grunde jedoch ausschließlich sehnsuchtsvollen, individuellen Wunschträumen auf der Suche nach der wahren Liebe. Portier Lucas Freund (Walter Buschhoff) ist da ein Kenner seiner Kundschaft, pflegt zwar dem Schauplatz entsprechend einen abgeklärten und nach-Kohle-strebenden Umgang, lässt aber jeden rein und waltet trotz harter Schale mit offener Empathie - sie alle gehören nun mal als Menschen mit Geheimnissen zueinander.


Manch ein Pärchen im kleinen Kämmerlein will endlich heiraten und sucht auf unanständigen Wegen nach Geld, während die liebevolle Mundharmonika erklingt, ein anderes versucht die schüchterne und allmählich fröhliche Entjungferung, ein älterer Spießer wiederum springt durch ein Teufelskostüm und zwei Herren können ihrer Homosexualität nachgehen - viele suchen die persönliche Erfüllung anhand von Prostituierten oder intensiven Seitensprüngen, Hauptsache man muss sich nicht von den gesellschaftlichen Konventionen einschüchtern lassen. Hier kann jeder seine äußere Haut ablegen und für ein paar Stunden wahrhaftig sein - abschalten, zurückziehen, lieben.


Olsen ergibt sich jedoch trotz aller innewohnender (und teils tragischer) Sehnsucht keinem tristen Sozial-Mief, vergisst stattdessen zu keiner Zeit den Spaß bei der feuchtfröhlichen Unterwelt-Erforschung, überlässt Sex & Swing die Bühne, bringt in episodenhafter Rasanz die jeweiligen, mehr oder weniger romantischen Schicksale an seinem bunten Sammelplatz des Stundenhotels zusammen, lässt durchweg den schnoddrigen Dialekt inkl. zynisch-frivoler Situationskomiken raushängen und verleiht seinen Figuren zudem einen leichtherzigen Sarkasmus, der sich selber nicht allzu ernst nehmen möchte und dennoch deren persönliche Probleme durchweg nachvollziehbar erscheinen lässt - egal, ob sie nun plakativen Groschenroman-Charakter besitzen oder nicht.


Und so wird es dann auch brisant, als ein blutiger Mord aus Leidenschaft im Hotel passiert, während Canisius' Sohn auf der Intensivstation landet, da er bei einer Demonstration offenbar von einem Polizisten schwer verletzt wurde und nun am Herzen operiert werden muss (wobei Olsen, ganz der schamlose Exploiter, Original-Aufnahmen einer derartigen Operation gebraucht). In der anschließenden Verhörung aller Hotelgäste zeigt sich sodann die folgenreiche Konfrontation der gesellschaftlichen Regeln mit der Wahrhaftigkeit des Lebens in ambivalenter Konsequenz, bei der jedoch Canisius endgültig, erst recht im Angesicht seines rücksichts- und taktlos-herrischen Vorgesetzten, seine Stärke des Verständnis beweist.


Es muss sich etwas ändern in Deutschland, sieht er ein, wo er doch mit anschaut, wie heftig peinlich-berührt jene Bürger aus Zwang ihre innersten Geheimnisse preisgeben müssen und sich schlicht davor fürchten, sie selbst zu sein. Wo ist das noch Gerechtigkeit oder Freiheit? Olsen macht dieses Dilemma schnörkellos greifbar, geht jenes offenlegende Kammerspiel mit schlichter, doch ehrlicher Handkamera durch und macht seinen Kommissar zum human-liberalen und ehrlichen Vermittler, der nicht davor zurückschreckt, die Wahrheit anzuerkennen (siehe dazu auch seinen ganz ungenierten Blick in ein Porno-Magazin - was Olsen ihm schön frech gleich tut) und dennoch stets Gnade walten zu lassen, selbst wenn die Nöte und Wünsche der Befragten laut Gesetzbuch illegal sind.


Sicherlich haben Methodik und Aufdeckung des Mordfalls etwas Altbacken-Phantastisches an sich, das beim frühen deutschen Exploitation-Kino nach Jahren des Edgar-Wallace-Wahns nicht zu fehlen vermochte - doch dies wird hier so genüsslich auf die Spitze getrieben, mit Kindesentführung, Dynamit, Revolvern, Stromkästen und Zooms, dass es eine wahre, Genrespaß-entfesselnde Freude ist und nochmals betont, was für ein grandioser Unterhaltungskünstler und gleichzeitig auch Modern-denkender Enthusiast Olsen in seinem Fach war. Wenn bei diesem seinen Film dann am Ende wieder alles gut ist und Erwin Halletz' versöhnlich-zelebrierende Trompeten über die verschneite Skyline von Hamburg tönen, dann weiß man ohnehin wieder, wie schön eskapistisches Kino sein kann. Klare Empfehlung für Freunde teutonischer Kracher!




DIE ZEHN GEBOTE - Cecil B. DeMille bewegt sich bei seiner letzten (kompletten) Regiearbeit inszenatorisch zwar noch immer auf bieder-archaischen Pfaden des platt-kommerziellen Stummfilms jenseits des Expressionismus (dem er 1923 schon eine Verfilmung der zehn Gebote bescherte) und treibt daher seine Charaktere hauptsächlich anhand von theatralischen Totalen und Gesten an - der wohlweislich epischen Geschichte vom Erlöser-König Moses verleiht er dennoch trotz knapp 4 Stunden Laufzeit eine erbauende, simplifizierte Kohärenz, die zudem von monumentalen Größenordnungen in Ausstattung, Menschenmassen und Effekten eindrucksvoll untermauert wird.


DeMilles virtuosem Auge mag es an eindringlicher Inspiration fehlen und oftmals ist sein Einsatz von Massenszenen, göttlichen Wundern und Blue-Screen-Kompositionen unschwer als sensationalistisch zu enttarnen - als präziser Vermittler einfacher Worte und menschlicher Werte (Stichwort: 'Lass mein Volk ziehen!'), basierend auf der Erzählung aus dem alten Testament, sorgt er aber ohne Sperrigkeit dafür, dass sein Werk bis zum heutigen Tage massentauglich und einfach-kraftvoll wirkt. Das fängt schon bei der Ausgangslage an: die Hebräer werden von den Ägyptern als Sklaven unterdrückt und geschunden - aus ihrer Mitte entspringt der adoptierte Pharaonen-Sohn Moses (Charlton Heston), der seine wahre, hebräische Herkunft trotz später Offenbarung ohne Schande anerkennt, so empathisch er doch gegen Ungerechtigkeit einsteht.


Eine Befreier-Figur der Güte und Barmherzigkeit: das kommt an, selbst heutzutage noch in der variierten Form eines Superman. Dass Moses zudem gegen Sklaverei vorgeht und sich freiwillig seinem Volk im Leiden anschließt, festigt noch stärker den Gerechtigkeitssinn und die Sympathie des Zuschauers - gefolgt von seinem Exil in die Wüste, wo er nach einem unendlich langen Opfergang seiner zukünftigen Frau Sephora begegnet, sowie Gott persönlich auf dem Berg Sinai in Form des ewig brennenden Busches. Mit seiner Hilfe will er nun die Befreiung seines Volkes aus ägyptischer Sklaverei herbeifördern, doch der Pharao Ramses (Yul Brynner) bleibt stur. Wie so oft im alten Testament spüren die Menschen fortan den Zorn des rachsüchtigen Gottes, der Plagen, Mirakel und die Pest über sie erlegt, damit - quasi mithilfe von übernatürlicher Erpressung - Gerechtigkeit herrschen kann.


Wie die Geschichte zuende geht, ist ja allseits bekannt, forciert aber nochmals trotz seliger Freiheit die Notwendigkeit von Gesetzen und Gottesehrfurcht bei denen, die sie erhalten haben. Dahinter steht natürlich, wie bei jeder Religion, ein unterwürfig-braves Zeichen der Furcht und Abhängigkeit - im Grunde ist es aber vorerst nur eine Erziehungsmaßnahme, um zu verhindern, dass man sich gegenseitig das antut, was die Sklaventreiber Jahrhunderte-lang mit einem angestellt haben. Der Drang nach menschlicher Tugend und Bescheidenheit stellt im Rahmen dieser Geschichte den richtigen Weg dar und DeMille verlässt sich bei seinem Film ebenso auf die Vorteile dieser Einigung, in gleichsam oberflächlicher wie auch opulenter Präsenz.


Sodann scheut er auch nicht vor der Darstellung von Tod und Verderben zurück, um dem Zorn Gottes ein Gesicht zu verleihen, verdient sich diese visuelle Drastik aber auch durch das empathische Leidenszeugnis seiner jüdischen Unterdrückten. Dieser Zusammenhang bildet eine durchaus einfache Einheit und bedarf keiner gestalterischen oder gar dramaturgischen Finesse - da die aufgezeigten Bilder und Handlungen in ihrer glossiert-inoffensiven Direktheit ohnehin glänzend verständlich bleiben, besitzen sie eine effektive Funktionalität, welche gerade in den offenen, distanzierten und unaufgeregten Kameraeinstellungen perfekt zur Geltung kommen. Das gilt dann auch, wenn Massen an Schauwerten die biblische Leinwand erfüllen: der Überblick bringt einem vielleicht nicht unbedingt den Kontakt zum Geschehen, aber immerhin ein beeindruckendes Gefühl für die Ausmaße.

So erschafft DeMille einen durchgehenden Unterhaltungs-Faktor, der die 4 Stunden Laufzeit durchhält: mit einfachen, aber verständlichen Mitteln schreitet er voran, behilft sich funktionaler Charaktere und Motivationen und schöpft aus den Umständen der Vorlage heraus ein launiges Spektakel, das sich vordergründig dem Gerechtigkeitssinn verpflichtet fühlt, aber auch auf eskapistische Action setzt. Er stellt damit einen publikumswirksamen Vorreiter des Blockbuster-Kinos dar, der mit handwerklicher Effizienz und Effekt-Spielspaßigkeit die Gunst des Publikums auf sich zieht. Das beschwört sodann nur bedingt die thematischen Kräfte und Implikationen des Stoffes herauf und besitzt mitunter keine besonders distinktive, künstlerische Autorenschaft (siehe zum Vergleich Aronofskys Noah), macht als Film aber dennoch eine spannend-reizvolle Figur - was aber wohl auch für die Geschichte an sich spricht, weshalb man darauf gespannt sein darf, wer sich da wohl als nächstes herantraut (meinen Lieblingskandidaten verrate ich an dieser Stelle nicht, gibt aber den ein oder anderen Hinweis im Text ;D).

(Diese Kritik gibt es ebenfalls hier bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)




WEISSE FRACHT FÜR HONGKONG - Allerfeinste Exoten-Kolportage von einem der Großmeister des teutonischen Bahnhofskino-Sleaze, Helmut Ashley. Da jagt er sein flott-unbedarftes Haudegen-Duo Dietmar Schönherr und Brad Harris durch die malerischen Kulissen Hongkongs und lässt sie gegen den perfiden Drogenbaron und Playboy Horst Frank antreten, welcher, wie oft betont, großen Einfluss auf die Stadt hat.


Die einzelnen Handlungsgeflechte könnten kaum banaler und gleichzeitig verkomplizierter aufgebaut sein, zudem noch im Angesicht eines allzu lockeren Inszenierungstils, welcher hauptsächlich-routiniert zweckmäßige Auszeit zur Betrachtung der bunten Interieurs anbietet und darin ohnehin lieber eskapistische Schauwerte vorzeigen möchte, als eine packende Dramaturgie. Kommt ganz angenehm, verbreitet einigermaßen Urlaubsstimmung fürs asiatische Milieu und macht unterhaltsam Platz für handfeste Kneipen-Schlägereien, Jazz-Rhythmen, backpfeifende Sekretärinnen mit Oma-Perücke und verkalkte Knast-Ausbrüche.


Da schwimmt man unweigerlich gechillt mit, so trivial die Handlung voran fließt und mit einigen feschen Sprüchen, Baller-Morden, spekulativen Heroin-Praktiken und klischeehaften Abziehbildern angereichert wird - was allerdings auch zur Folge haben kann, dass man innerlich vollkommen abschweift. Mir geschah es sodann, dass mich eine chinesische Nachtclub-Tänzerin vom Gesicht her an eine junge Elisabeth Wiedemann erinnerte und ich mir fortan darüber Gedanken machte, wie es wohl wäre, jenen Film hier mit ihr zu sichten. Klingt trivial? Tja, wie der Film, so der Witte.


Wer jedenfalls mal wieder eine herrlich-naive und schamlose Ladung altbackenen Macho-Zynismus und reißerischer Groschenroman-Abenteuer aus den Swinging Sixties in die gemütliche Genre-Pupille injiziert haben möchte, dem sei diese Weiße Fracht bedingungslos empfohlen.


Und jetzt ein paar Filme, die nicht so gelungen waren:




20 FEET FROM STARDOM - [...] Fakt ist jedenfalls, dass Regisseur Neville und seine beschwingten Befragten nur ihre künstlerischen Ambitionen freilegen wollen und daher darauf verzichten, irgendetwas Bedeutendes zu erzählen, außer der Glaube an einen selbst und die Magie musikalischer Kunst. Das ist nobel, das ist aufrichtig und erbauend – als Film leider nur schon allzu oft da gewesen und trotz aller inszenatorischer Kurzweiligkeit und Erzählfreude über vergangene Zeiten eine größtenteils belanglose Angelegenheit mit einem dramaturgisch flach gehaltenen Spannungsbogen. Damit arbeitet er aber im Grunde genauso wie seine ins cineastische Rampenlicht gerückte Schützlinge: In seiner funktionellen Wirkung macht er einen passablen und harmonischen Eindruck, die wahren Größen des Dokumentarfilms haben aber weit spannendere, menschliche Geschichten zu erzählen. [...]

(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)




TRANSCENDENCE - Wally Pfister, Kamera-affiner Protegé des millionenschweren Christopher Nolan-Haushalts versucht sich erstmals als Regisseur und propagiert im Subtext, wie schon zusammen mit seinem Lehrmeister in der Doku SIDE BY SIDE, die Vorzüge des Analogen gegenüber dem Digitalen, 35mm vs. 4K-Abtastung - hier verpackt als unaufgeregter, kalter Sci-Fi-Thriller in einem Konflikt zwischen menschlicher Emotion und binär-künstlicher Kopierung in der Nano-Technologie. [...]

Trotz aller Ambitionen und theoretisch tiefsinniger Thematiken erreicht er selten eine eindringliche filmische Kraft, folgt bei deren Umsetzung zu sehr einem akademischen Ansatz und verlässt sich auf bloße Funktionalität aller maßgeblichen Faktoren, von den Motivationen der Figuren bis hin zur Genre-Auflockerung mit halbgaren Action-Futter, damit der Film jeder möglichen Zielgruppe zumindest im Ansatz gefallen kann. [...]

Da hat Pfister einfach noch nicht begriffen, dass ein Film mehr braucht als Ideen und Optiken - ob nun komplex oder simplifiziert: lediglich die Markenzeichen des Mediums auf analogem Wege zu kopieren, ist leider kaum wahrhaftiger als es aus dem Computer zu erschaffen. [...]

(Die komplette Kritik gibt es hier bei den DREI MUSCHELN zu lesen)

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