Sonntag, 11. Dezember 2016

Tipps vom 05.12. - 11.12.2016

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ich brauche wirklich mal einen Tag mehr am Wochenende. Das wünscht sich wahrscheinlich jeder von euch, in meinem Fall hat sich nur wieder mal gezeigt, dass vieles, was man die Woche über erlebt hat und zum Schluss hin vermitteln will, nicht früh genug niedergeschrieben werden sollte. Und damit meine ich jetzt nicht nur die Veröffentlichung der Trailer für jetzt schon ungelogen extrem essenzielle 2017-Filme wie „Bibi und Tina - Tohuwabohu Total“ (Reflexionen und ungestimmte Töne über Willkommenskultur wie Rechtspopulismus in der kuriosesten Kinderfilmreihe überhaupt? Sign me up!) und „Tranformers: The Last Knight“ (aka „Und jährlich grüßt das Fest der digitalen Gewalt zwischen Dehumanisierung, Jingoismus und zelebrierter Hoffnung“).

Auf den letzten Drücker (wie oft habe ich den dieses Jahr schon erwähnt?) muss man also erneut raffen, was das Zeugs hält, obgleich man den Lesern etwas bieten will und trotzdem im Hinterkopf bedenkt, dass von den letzten zwei Filmabenden unter BFFs noch knapp ein Dutzend nennenswerter Unglaublichkeiten übrig bleibt – die ich an dieser Stelle nicht nenne, weil sie in der Zukunft nochmal auftauchen könnten, die Chance muss ich ihnen gönnen. Addiert man dazu den Gang in Pressevorführungen für Filme, deren Sperrfristen bis in die Unendlichkeit reichen, muss so oder so noch eine Doppelschicht an Schreibarbeit eingelegt werden, ob man nun für diese vorarbeitet oder schauen muss, dass in der Zwischenzeit genug Lesestoff zum Weekend aufbereitet werden kann. Ich weiß, das alles ist ein Druck, den man sich selber auferlegt und hauptsächlich von der eigenen mentalen Sprengkraft abhängt, auf welche nur die Wenigsten wirklich angewiesen sind. Aber warum sollte ich denn nicht um diese Ambitionen und Inspiration kämpfen, wenn ich für so eine Ausgabe wie die von letzter Woche echten Stolz empfinde? Nicht, dass ich dieses Mal keinen inne hätte, schließlich habe ich mich bei den heutigen fünf Besprechungen auch mal an einen etwas optimierten Schreibstil versucht, der sich ein Stück weit „In der Kürze liegt die Würze“ auf den Rücken tätowiert und doch denselben Gehalt an Empfehlungsmotivation aussendet, den ich meinem eigenen Anspruch nach verfolge. Der gehört einfach dazu, auch wenn ich durchaus ständig zwischen den Stühlen stehe, ob das Projekt Bloggen nun Fluch oder Segen ist.

Wie dem auch sei, ist jedenfalls erneut ein spannendes Spektrum an kurios verbundenen Werken zusammengekommen, das mit unkonventionellen Methoden abseits ihrer jeweiligen Genres in den Idealen herumstochert, oftmals auch per (notwendiger?) Gewalt Veränderungen in Psyche, Körper und Umwelt bewilligt und gewiss nicht an Offenbarungen spart, wie sich die Depressionen zur Vergangenheit/Nostalgie erkennen sowie jenen entkommen lassen. Jeder Film hat da seine eigene Art, wie er mit den jeweils zentralen Kräften seiner Protagonisten auf die Bewältigung trifft, mit ihr kommuniziert, sich vor ihr fürchtet oder eine gemeinsame Heilung bis hin zur Unbesiegbarkeit anwendet, also sollten sich zumindest da einige Werte ergeben, mit denen auch dieser Blogeintrag great again wird, gelle? Darf ich euch überzeugen? Dann mal ab die Post, tut auch höchstens nur ein bisschen weh:




Queen of Earth“ ist so ein Fall, bei dem ich das Gefühl habe, man würde ihn mir schon seit knapp einem halben Jahrzehnt als Empfehlung ans Herz legen, weshalb es dann doch endlich mal mit der Sichtung klappen musste. Wie sich herausstellt, geht Autorenfilmer Alex Ross Perry hier einen recht angenehmen Weg Richtung psychologischen Horrors, innerhalb dessen die kommunikative Nähe des Mumblecore schon einen Umgang abseits geläufiger Drehbuchsprache mit sich bringt und diesen mit den brüchigsten Zuständen des Zwischenmenschlichen verknüpft, ohne auch nur eine Genre-Impulshandlung einzuarbeiten. Das größte Spannungsfeld lässt sich da in der Verschiebung an Sympathien feststellen, die permanent zwischen Catherine (Elisabeth Moss) und Virginia (Katherine Waterston) pendelt, wie die Lebensstile abgeblockter Gefühlsmäßigkeiten nur im Haus am See einen Austausch erreichen, der seine Berührungspunkte teils passiv mit Häme lädt, teils unter ironischem Vorwand Ängste und Beziehungsunfähigkeiten als gegenseitige Sorge herauskitzelt, teils verdutzt auf die Selbstzerstörung heult oder auch von allem davon rennt. Wohin, ist insbesondere für Virginia (unter dem Spitznamen Ginny bekannt, den sie hasst) eine kosmopolitische Angriffsfläche, so wie sie die Lust lebt und abseits der Wurzeln tänzelnd alle/alles einnimmt, doch immer wieder zu diesen zurückkommt, wenn das Ego eben im Hellen bleiben sowie eine Liaison mit dem Frust schieben will. Die vielen Jogging-Ausflüge mit Zopf und engem Jumpsuit bringen das gut auf den Punkt, umgeben von den betörenden Perspektiven der Umwelt, welche die Kamera auf lebhaftem 16mm bannt, die Aura eben so innig verdichtet, dass sich die Psychose Catherines umso stärker konzentriert. „It's a small world – Increasingly.“. Sie hadert zudem mit dem Verlust der letzten Beziehung sowie dem Tod des Vaters, einem erstrebenswerten Künstler, dessen Erbe ihr immer im Hinterkopf bleibt und mit Blick auf ihre Skills nicht nur von einem penetranten Provokateur wie Virginias Premium-Boyfriend Rich (Patrick Fugit) per Mansplaining-Schiene wiederholt hinterfragt wird. 


Natürlich wird dabei reichlich Gift in die Luft entlassen, doch eine Katharsis in Camp-Melodram-Tradition tritt nicht ein, so wie es eben um Gegenwart und Zukunft schleicht, audiovisuell auch in makabrer Schönheit die Unruhe im Innern vorantreibt. Im Blick zur Vergangenheit schafft der Film auch diese mentale Unmittelbarkeit, wie man in einer Beziehung jede Situation auf Anhieb mit einer glücklicheren, schlimmeren oder gar unabhängigen Erinnerung assoziieren kann, wie jener allumfassende Vergleich ebenso Hass, Verzweiflung und Zuneigung ballt, dass man sich sehnsüchtig um alle Gefühlslasten am Individuum reißt. Die Hassliebe zur Dysfunktion spielt sich ihre Bälle zu, binnen der Strickjacken-Bohème von Entlastung zu sprechen, während die Abwechslung im Ausschließen des jeweils Anderen geübt, beinahe jede Annäherung in kritischer Skepsis hochgeschaukelt wird und die Wiederentdeckung der Freundschaft unvermeidlich die Offenbarung des verwirrten Geistes gleichsetzt. Die Hysterie entfaltet sich da wohlgemerkt eher in subtiler Kontinuität - obwohl manch Ton an extremen Symptomen teilnimmt und daraus Pointen mit verstörender Symbolik vorbereitet, entdeckt man das meiste zwischen den Zeilen vom Treffen des Hilfebedürftigen und Selbstgefälligen, die sich in verletzender Dialogbedrängung nichts schenken. Das gelebte Mysterium der Dissonanz, diese Abhängigkeit der Kontraste – darin vertieft sich der Film wie auch ergänzend in die Gesichter seiner Protagonisten, dass man trotz krankhafter Zustände binnen der Naturschönheiten ins Schwelgen kommt, obgleich der inszenierte Zerfall auf Polanskis „Ekel“ verweist sowie gefühlt alle Farben des Sonnenuntergangs zur Stilisierung von Innen/Außen anwendet. Kein Wunder, dass da sinnbildlich der beste Salat vergammelt, wenn er auf die Dauer als gegeben empfunden und vernachlässigt, unliebsam wie ein Klotz an Pflichten seiner selbst überlassen wird und nur hoffen kann, geliebt/gefressen zu werden. Eine unstete Tragik, die sich da in schmeichelnder Schwerelosigkeit aufbaut, kurzweilig montiert als auch mit aufreibender Statik in die Seelen brennt, auf dass die Gedanken im Kreise der Evaluierung von allen Seiten aufeinander einstechen, bis das daraus entstandene Portrait eine ungebändigte Liebe ausstrahlt.




Bei einem deutschen Verleihtitel wie „Pfui Teufel! - Daddy ist ein Kannibale“ möchte man glauben, dass gleich Blödeln im Quadrat angesagt wäre. Obwohl man Bob Balabans insofern bereits unterschätztes Low-Budget-Kleinod durchaus als schwarze Komödie verstehen könnte, ist es weit mehr an der Urfurcht im Kindsein interessiert, wie sich die Rätsel der Unschuld mit den thronenden Eindrücken gegenüber frisch hineingeborenen, schier ungewissen Existenzperspektiven koppeln. Daran vermittelt sich im Verlauf ein Horror voller Verdächtigungen und Bestätigungen, der sich im Schafspelz der Provinz-Spießigkeit umso angepasster versteckt, bis sich die Spannungen zwischen Eltern und Brut im Coming-of-Age moralischer Werte so verschärfen, dass Albträume wie Kopfkino schließlich wahr werden. Ausschlaggebend dafür sind die zwiespältigen Bezüge zum Eigenheim, eben zum Unterschlupf einer Familienintimität, die noch in der Lernphase ist, hier zudem von einem (wohl nicht ersten) Umzug herrührt, der den kleinen Michael (Bryan Madorsky) in mehrere neue Ebenen des Vertrauens einzuschwören versucht, obgleich das Amerika der 60er Jahre hier gewiss keinen Frieden versprechen kann, ihn aber in mittelständischer Art déco vorlebt. Vater Nick (Randy Quaid, ungewohnt subtil) hat für jene Methodik einige passiv aggressive Floskeln à la „Hop in, sport!“ parat, wenn er zusammen mit Mutter Lily (Mary Beth Hurt) das Bilderbuchambiente schlechthin vorzeichnet, dem Sohnemann jedoch eine Aufforderung zum Fleischverzehr indoktriniert. Die morbide Suggestion darin, die der Titel und vielerlei Entdeckungen vom brüchigen Kinderauge aus vermitteln, ist nur stellvertretend für jedes Extrem an privaten Regeln innerhalb solcher Verwandtschaften, die ein Kind kaum verstehen kann, darin konstantem Leistungsdruck ausgesetzt ist. Das macht den Film im Grunde zu einem universellen Konglomerat an Wiedererkennungswerten und narrativen Basics, doch er zieht gleichsam viele Stärken aus seiner Verzerrung der Nostalgie, die sich auf die verbindenden Bewährungen jeder Kindheit stürzt und sie prozedural in der Auffassung gen Grauen verstärkt. 


Ganze Sequenzen leben deshalb in der zerschlissenen Fantasie Michaels, der im Blutbett zu ersaufen droht, dem sich Würste im Küchenschrank wie Schlangen um den Hals winden und dem der Flur zum Kinderzimmer mit dem Effekt einer Blendgranate begegnet. Selbst im Wachzustand dröhnen Angelo Badalamentis Musikeinsätze eine Spannung voran, welche die Hitze unter der Oberfläche der Ideale abzusondern scheint, zischend auf Pointen des kontemporären Spleens trifft und doch an der Perplexität Michaels heften bleibt, der unter Gleichaltrigen wenig sozial aufgehen kann. Lediglich der Kontakt zu Nachbarin Sheila (London Juno) macht sich im Fantasieren abseits der unbekannten Wesen Vater und Mutter kindlich locker, aber die Zweifel der Lehrer sowie Schulpsychologin Millie Dew (Sandy Dennis) sind damit noch lange nicht aufgehoben. Ohnehin verdichten sich die Fronten im kollektiven Weltbild der Erziehungsberechtigten, die ihre Kinder mehr dem Status des Kapitalismus als alles andere zuzuordnen scheinen und mit ihnen die Obrigkeit des Westens abfeiern, was Michael auch bei Vorgesetzten des Vaters erfährt, wenn das Abtöten anhand ihrer chemischen Produkte als Fortschritt verinnerlicht wird. Solche Szenarien kommen mit dem Umgangston des Alltags durchaus auf drollige Situationskomiken, die ihre Implikationen klein und folglich kraftvoll verpacken. Der wiederholte Ansatz macht sich da latent als Durststrecke bemerkbar, so wie Michaels Beweisführung finsterer Befürchtungen ebenso stets kleinere Früchte trägt, dadurch aber an Gehalt gewinnt, wie die versteckte Brutalität der Eltern auf ihn abfärbt. Stille Wasser sind tief und auch an dieser Stelle mit Heftigkeiten verbunden, je mehr man seinen Blick hinein wendet, womit Michaels Funktion als Protagonist auch nicht immer sympathisch im Abseits festzustellen ist, die Omnipräsenz der patriarchalischen Zynismen aber nimmer abschwellt. Die mütterliche Entspannung als Gegengewicht legt trotzdem noch einen Swing fürs reißerische Abenteuer im Horror-Haushalt bereit, so wie die Schlussphase auch psychische Eskalation aufs Genre-Schlitzen reimt, Tim-Burton-Weitwinkel ins Menschenfleisch drückt, Leichen im Keller versteckt und Klingen in Abstellkammern schießt, wenn Daddy als Psycho auspackt. Das nenne ich mal amüsantes Terrorkino!




Wozu sind die bekannten Namen der Filmwelt eigentlich gut, wenn solch ein seltener Zeitgenosse wie Theodore Gershuny anno 1972 unverhoffte, heute noch nachwirkende Überraschungen im (streitbar) verlebten Horror-Genre zaubern konnte? „Blutnacht – Das Haus des Todes“ hat da von Anfang an jedes Mal ein Ass im Ärmel, wenn man glaubt, sich mit bestimmten Erwartungen orientieren zu können, ohne diesen Charme à la Drive-In verlieren zu müssen, wenn er dich mit seinem schäbigen Würgegriff in den Untergang des amerikanischen Herzens zieht - Vietnam, Sklaverei, etc.; Pick your poison. Zunächst einmal spielt das Ganze über mehrere Jahrzehnte verteilt zu Weihnachten und macht aufs Mörderische darin aufmerksam, wenn das Feuer aus den düsteren Villen herausschreiend im Schnee landet, „Stille Nacht, heilige Nacht“ sodann via Moll-Variante auf die Ewigkeit einer Vergangenheit vorbereitet, die sich das Todesdatum vom Grabstein kratzt, ehe die subjektive Kamera nach „Peeping Tom“ den Prototyp für Slasher-Killer gibt, der in seiner Identität jedoch noch entkoppelter als Michael Myers und Konsorten keucht. Mit wem man sich anfreunden soll, wird für Gershuny ohnehin ein Spielball mit der Zuschauerlaune binnen kalter Lüfte und flacher Wälder, wenn die Narration von Diane Adams (Mary Woronov) in den Winkeladvokaten-Hedonismus John Carters (Patrick O'Neal) übergeht, der das Anwesen der Familie Butler für den alleinigen Nachfahren Jeffrey (James Patterson) gefügig machen will, während er die Geliebte Ingrid (Astrid Heeren) unter dem Vorwand der Geschäftsreise vor der Gattin zuhause verheimlicht und sich frivole Stunden zu zweit erhofft. Wie wenig sich das Unterfangen mit der Stimmung der Gegenwart verträgt, zeigt schon das Treffen mit den Verwaltern vor Ort, die als Herausgeber der Patrioten-Zeitschrift durchweg kuriose Gestalten ergeben, was die Kamera mit Montagen des Schweigens und Aneinander-Vorbeiredens stumpfer Visagen (u.a. ein stummer John Carradine) untermauert. Zuvor finden aber schon Bild- und Tonscheren mit Blick auf Spatzen statt, die jedem Anflug zur Realität ein Bündel an unscheinbaren Disharmonien zustecken. Zudem stellt sich in der wild intervenierenden Inszenierung des Schreckens die Frage, ob Jeffrey aus der Klapse ausgebrochen ist und die kommenden Stunden des Todes verantwortet, was der Film immer wieder mit destruktiven Signalen anfeuert und natürlich dann offen lässt, wenn die direkte Begegnung eintrifft.


Vorerst sind die Ecken und Schatten des Gemäuers aber schon Brutstätten unberechenbarer Ruhe, in die sich Carter und Ingrid trotzdem geilmurmeln können, auch wenn das Böse schon mit geschliffener Axt seine Runden macht. Die Atmosphäre dazu weiß die Vermengung von Schnee und Nacht gleichsam in wohlige Stimmungserpressungen umzusetzen, die von einem stets greifbaren Verhängnis zeugen, von dem man jedoch selber kaum mehr weiß, als dass es effektiv im Verborgenen lauert, blutigst auf Fragen einschlägt, die sich da nur verstärken anstatt im Aderlass wankelmütiger Empathien zu versiegen - dazu immer wieder dieser Name: Mary Ann, Mary Ann... Dafür behält sich der Film auch Ruhephasen vor, die mit schwachen PKW-Scheinwerfern auf endlose Straßen starren, die Dunkelheit als Sicherheit vermuten müssen, obwohl da etwas ist, wenn es schon mit Ankündigung vom Anwesen aus anruft. Die Patrioten horchen auf und hoffen in jenen späten Stunden ungesehen eine Entlarvung der Vergangenheit zu verhindern, doch der Nachwuchs schläft bestimmt noch nicht, so wie sich Jeffrey über mehrere kuriose Ecken zu Diane durchschlägt und darauf drängt, das alte Butler-Haus anzufahren, was ihn gewiss nicht vollends vertrauenswürdiger macht. Besuche auf dem Friedhof und unverhoffte Begegnungen aus dem Straßengraben heraus legen sodann einen bodenständigen Schauer übers bedingte Vertrauen, das sich nicht mal seine Recherchen zur Familiengeschichte der Butlers mitteilt, stattdessen nach dem Motto der stillen Nacht jeweils für sich behält. Man kommt eh zu spät, so wird dann auch das Vergangene in einer Art vergegenwärtigt, die sich um keine Spannungskurve schert, sondern um das bis ins Hier und Jetzt nachhallende Gewicht der Schuld, das die Generationen zu diesem Punkt geführt hat. Im überstrahlt-ausgeblichenem Sepia, irgendwo zwischen „Stalker“ und „Begotten“ im Tiefstand der Menschlichkeit körnend, ergibt sich die Gnade dann als anarchischer Racheakt des Leidens - in seinen Köpfen so unwirklich pechschwarz durchs stechende Weiß schleppend, dass die Molltöne ebenfalls bitteres Blut in adagio ausstoßen. Was danach als Konsequenz noch übrig bleibt, ist dann auch ein schnell geklärter Abschluss/Doppelschuss mit der Tristesse. Die Bulldozer sind schon zur Stelle, doch eine Frage bleibt: Wie kann so ein starker Film im Lauf der Jahrzehnte solange versteckt bleiben?




Nachdem ich letzte Woche schon bei den Yôkai über einige Grundpfeiler japanischer Folklore geschrieben hatte, kam mir mal wieder ein Anime der Firma Toei entgegen, der sich die Verknüpfung aus Natur, Mensch, Irdischem und Übernatürlichen zu eigen machte: „Taro, der kleine Drachenjunge“ (gibt noch weitere Varianten des Titels) von Kirirô Urayama, ein in vielerlei Punkten kindgerechtes Abenteuer über just genannten Hitzkopf mit großem Herzen, der sich für alle Ebenen des Lebens binnen der altertümlichen Täler Nippons einsetzt und dabei den Ursprung seines Drachenboy-Status nachzuforschen versucht. Was dabei sofort auffällt, sind die packenden Pastell-Hintergründe im Breitwandformat, in deren Äste, Berge, Nebel, Hütten (immer schön im Profil mit Rand nach draußen) und Wolken man sich so lebhaft hineindenken kann, dass Taros tolle Fähigkeiten nicht minder flott reizen: Er kann mit Tieren sprechen, über Gebirge kullern, die Winde aus allen Richtungen besingen und einen Handstand mit nacktem Arsch ausführen! Dauert auch nicht allzu lange und er erhält von einem alten Mann die Kraft von bestimmt 100 Bären, die ihn für einen Schlagabtausch mit dem bösen Roten Dämon und dem noch böseren Schwarzen Dämon prädestiniert. Das aber auch nur, wenn er damit anderen helfen will, was er auch stets beherzigt, denn Ehrlichkeit besitzt hier enormen Wert. Das ist im ersten Drittel eine knuffige Angelegenheit ohne großes Spannungsgefälle, so wie Taro eben den unbedarften Helden mit Hang zum Stolz gibt, dessen Wortschatz und Draufgängertum, wie schon an der malerischen Synchro gemessen, von kecker Liebenswürdigkeit gekennzeichnet sind. Da kommen auch überraschend viele Farben im eigentlich kargen Gebiet seiner Umwelt zustande, deren Bauern sowie Taros Oma sich auf unfruchtbarem Boden durchschlagen müssen, während das junge Mädchen Aya schon mal aus mancher Not gerettet gehört. Bei der Kleinen repräsentiert sich durchaus die sanfte Anmut des gesamtes Films, der seine Abenteuer bar jeder überholten Aufregung eher in der Fürsorge der Elemente ansiedelt, doch mit Aya an sich versucht das Narrativ vergleichsweise wenig, wenn man bedenkt, welch immense Rolle die Frauen in Taros Leben übernehmen. Soweit ich das notiert habe, sind die Dämonen auch die einzigen Machos im Prozedere, ein paar weitere Herren sind eher still in ihrer Bescheidenheit unterwegs.


Ansonsten konzentriert sich der Film nämlich auf die Bestimmung, die Taro von seiner Mutter einverleibt wurde, dazu die Suche nach ihr inklusive Hoffnung, ob sie überhaupt noch lebt, verbunden mit anderen Frauenmodellen, die ihn auf die Probe stellen und mindestens auf einer Stufe mit der Relevanz mythischer Kreaturen in diesem Märchen stehen – da hat mal einer den Begriff Motherland definiert! Die Konstellation erlaubt sogar einige kleinere Bezüge zu sexuellen Berührungspunkten/Ängsten, hauptsächlich geht aber Taros Sinn nach Gerechtigkeit vor, endlich mal genügend Reis für allesamt anbauen zu können, wofür man die Täler fluten muss – eine brutale Intervention, die sich da gemeinnützig/patriotisch bewährt, da wundert es einen nicht, dass der Film auch in der DDR lief. Wie sich aber vermuten lässt, ist die Geschichte weniger auf Rücksichtslosigkeit gegründet, stattdessen ist sie eben matriarchalisch nah am Wasser gebaut und geduldsam, was enorm begrüßenswert ist, so wie der Film mit Essenzen des Erzählens, auch schlichten Einzelbildern, eine Nähe zum Schicksal Taros erzeugen kann, die im Selbstverständnis magischer Zutaten vieles an Verlust- und Trennungsschmerzen durchsickern lässt, insbesondere Aufopferung und Hunger empathisiert, wo man eh schon weich genug wird, wenn man gezeichnete Kinder und Tiere weinen sieht. Das Prinzip ist so alt wie man es auch emotionales Kalkül nennen könnte, aber davon ist der Film noch einigermaßen entfernt, ehe sein letztes Drittel mit noch krasseren, ungeschönten Mitteln zum taffen Tearjerking ausholt. Ehe dem hat man es bei Taro durchweg mit einem tapferen Helfer zu tun, der auch gemeinen Reisfeld-Damen zur Seite steht, weil er stets vom Guten im Menschen ausgeht, sicherlich auch einiges an Enttäuschungen und Grenzen innerhalb seiner Kräfte mitnimmt, aber immer mit gesteigertem Selbstbewusstsein in die nächste Stufe seines Heranwachsens schreitet. Als Filmerfahrung im klassischen 70er-Jahre-Flair involviert das ungemein, rührt und lädt zur Reflexion binnen einer Transparenz im Animationszauber ein, die noch Schneegeister, Hexen, fliegende Pferde und blinde Drachen dazugibt, um das Maß an Persönlichkeit derart zu stärken, dass sich manch geläufige Konventionen und Typen hieran wiederum verzeihen lassen – was mir z.B. bei der „Legende der Prinzessin Kaguya“ weniger gelang, heute aber nicht mehr unbedingt gelten muss, mal sehen.




Man ist ja nicht erst gestern geboren und man hat schon einige italienische Superhelden- oder Eurospy-Streifen abgenommen, die von Vornherein mit den meisten Vorstellungen vom Genre phantastischer Abenteuer gebrochen haben. Ob man „Das rote Phantom schlägt zu“ unter dem Gesichtspunkt normal nennen will, überlegt man sich trotzdem zweimal, da er größtenteils eher in den Zwischenräumen eskapistischer Topoi ansetzt. Nicola Nostros Film ergibt beinahe den meditativen Gegenentwurf zu einem pausenlosen Prügelfest à la „Drei Supermänner“, so geringfügig auf konkrete Action gesetzt wird, welche daran allerdings auch zu Effekt-Eskalationen gelangt, die weit mörderischer gegen das Böse ballern. In solchen Portionen zwar deftiger als das gewohnte Jungskino operierend, ist dennoch weiterhin von Atomraketen und fiesen Wissenschaftlern die Rede, wenn deren bunte Schaltkreise und Aluminium-Uniformen als Feindbild herhalten, kecke Sprüche die Bekämpfung dessen markieren. Das wahre Übel ist in diesem Fall jedoch die Depression - damit hat das rote Phantom (Giovanni Cianfriglia) zu hadern, nachdem es bei seiner Tätigkeit als Catcher zu hart zuschlägt und Kollege/Bester Freund El Tigre aus Versehen tötet. Der Titelvorspann nach psychedelischer Bond-Manier bringt dementsprechend gepeinigte Visagen des Helden zum Vorschein, die auch dann nicht abklingen, wenn Freundin Lidia (Mónica Randall) ihn im Edel-Apartement besucht, wo er seine Trophäen zerschmettert, Whiskey eingießt und selbstverständlich durchweg Verkleidung und Maske trägt, was den ganzen Film über so beibehalten wird (er kriegt einmal auch eine tolle neue Uniform zugeschoben, die beim Anziehen aber genauso wie die alte aussieht – größter Frustfaktor in der gesamten Laufzeit!). Lidias Ratschlag, sich mal wieder mit seinem alten Freund, dem Oberst (Francisco Castillo Escalona), kurzzuschließen, gelingt dann doch schneller als gedacht, da dieser das rote Phantom im Dienste seines Geheimdienstes für den bislang „schwierigsten Auftrag“ überhaupt anheuern will. Der Teufel hat nämlich über beachtlich unsichere Apparaturen Kisten an Uran und Quecksilber geklaut sowie die Schiffscrew dazu ebenso gnadenlos grob im Off abgeknallt, weshalb die Kräfte unseres Helden nun von äußerster Wichtigkeit für den Weltfrieden agieren sollen. Ehe der Einsatz starten kann, werden diese jedoch erstmal zur Überzeugung der Kollegen im Labor ausgetestet, was einige Übungen im künstlichen Ertrinken, Einfrieren und Abstechen beansprucht, bis klar ist, dass das rote Phantom alles aushalten kann. 


Nur Strom mag er nicht, was ebenfalls redundant demonstriert wird. Daraufhin zeigt man ihm noch seinen speziellen Dienstwagen, sein Dienstboot und dazugehörige Gadgets wie die 1000-Dollar-Olive, welche als Peilsender Positionen des Urans ausfindig machen kann. Knapp die Hälfte der Laufzeit ist zu dem Zeitpunkt schon verstrichen, doch so ausgiebig die ganzen Erläuterungen des Comichaften ablaufen, so plötzlich ist das rote Phantom dann on the road und schnurstracks in einen Überfall (der Inszenierung) verwickelt, der einige Faustschläge erfordert, bis er sich gleichsam hastig von der Brücke stürzt, Scheintot-Pillen schluckt und nach Abzug der Bösen weiter zur Karibikinsel des Teufels cruist. Zuhause hält man jedoch sofort an der Todesnachricht des übermenschlichen Agenten fest und gibt sich für kurze Zeit geschlagen, weshalb der Druck auch insgesamt irgendwie nachlässt und somit bei der Infiltration der teuflischen Insel mehrere Minuten an Tauch-Footage abfährt, deren William-Basinski-artiger Musikloop wiederum das Zwischendurch am Superhero-Dasein reinforciert. In den unheilvoll schrägen Minen des Bösen wird das rote Phantom dann auch vorzeitig geschnappt und auf eine Feuer-Folterbank gelegt, während der Obermotz (Gérard Tichy) wie gehabt alle Pläne ausplaudert. Bald darauf trickst unser Held jedoch so gewieft und brutal, dass mehrere Wachen mit dem Maschinengewehr niedergemäht werden, wenn er sie nicht zuvor mit Loren überfährt oder in Kältekammern verdammt - Der Teufel hat da jeden Toten mit seinen Kameras im Blick, offensichtlich ein Kommentar auf die blutgeilen Medien! Ab dem Zeitpunkt entfaltet sich der Wandel zum explosiven Genre-Exzess erst vollends, wird um Verrat und Fatalismus zur spekulativen Puppenkiste globaler Verbrechensbekämpfung ergänzt, während das rote Phantom seine gesamte Seelenkiste in der Katharsis des Tötens ausschüttet, Handlanger in chemische Ströme schubst, Luftschläuche zerschneidet und zu guter Letzt auch die Klappentür zum Raketenstart mit Muskelkraft blockiert, dass die gesamte Insel untergeht. Die logische Konsequenz zu dieser absurden Entwicklung kulminiert dann im Abspann, welcher mit einer Anspielung auf den schlechtgelaunten Vorspann einen Gewaltgag schlechthin vermittelt und sich dennoch eine Unschuld vorbehält, die im quietschbunten Spektakel zum Glück findet – so abseitig dieses auch vonstatten ging. Ein schön seltsames Genre-Spiel, das dem heutigen Konsens wahrlich den Hahn zudreht.

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