Sonntag, 18. Dezember 2016

Tipps vom 12.12. - 18.12.2016

Lebe Lieser,
es dauert nicht mehr lange und Weihnachten steht vor der Tür wie eine unbekannte Dame mit Hund, die mitten in der Nacht anklingelt und mit in die Wohnung reinkommen will, weil ihr Mann eine einstweilige Verfügung gegen sie erwirkt hat. Ja, 2016 hat uns für wahr an Erfahrungen bereichert, die unsere Alltagswahrnehmung für immer veränderten, auf dass es nur allzu gut passt, schnurstracks in ein Fest der Liebe und Familie katapultiert zu werden, während Ungewissheiten, Tod, Krieg und politische Kernschmelzen ringsum irgendwie keine sichere Grundlage fürs kommende Jahr garantieren wollen – haltet mich auf, falls ich meinen postfaktischen Pessimismus übertreibe. Es kommt so oder so die Zeit, alles eben Genannte für eine Weile zu vergessen und da wird die Anpassung eine mentale Probe sondergleichen, die meiner Erfahrung nach im Geschenkekaufrausch und bierseligem Zusammensein unter Freunden und Kollegen noch am besten hinhaut. Das Haus nicht verlassen zu wollen, ist aber ebenso legitim, versteht sich, aber um in die richtige Feiertagslaune zu kommen, bedarf es ausgewählter Schätze der Filmwelt, die herzlichst um die Werte gegenseitiger Barmherzigkeit und Güte kämpfen, im Glück der Einigkeit aufgehen und Frohsinn verbreiten. In dieser Ausgabe des Blogs werden wir keinerlei solcher Werke kennenlernen, schließlich war schon „Ist das Leben nicht schön?“ ein Auslöser für Depressionen meinerseits und ein nachgeholter Klassiker wie Bob Clarks „Fröhliche Weihnachten“ fast schon langweilig in seinem Baby-Boomer-Retro-Kitsch, weshalb wir ausgerechnet in diesem Rahmen doch mal eher die Art von Weihnachtsstoff zurate ziehen, die nur vage oder gar konträr auf die Feiertage anspringt. Bevor ich versuche, mich da hineinzusteigern, sei noch darauf hingewiesen, dass die etwas größeren Kritiken wie „Rogue One“ oder „Hacksaw Ridge“ weiter unten auf euch warten, weil ich spaßeshalber nie mit dem Clickbait anfange und die Leser daran binden will, vorher noch kürzere Einschätzungen mitaufzunehmen, ob sie es nun wollen oder nicht. In diesem Sinne:




Etwas auf Sparflamme aufbereitet, allerdings gewissermaßen von Vornherein auf den Brexit kommentierend, erhebt sich das britische Genre-Unding „Der Weihnachtsstern“ von Richard Elson aus dem DVD-Grabbeltisch und versucht, die Probleme der Menschen anhand der heiligen Telekinese eines kleinen Mädchens namens Noelle zu lösen, welches nach einem stark offensichtlichen Jesus-Gleichnis ins nordirische Fischerdorf Pottersglen hineingeboren wird und seit jeher streng harmlos sowie mit unterster Synchro die Gegend aufmischt. Im Laufe der Zeit schafft das Mädel mit seinem CGI-Tunnelblick den Frieden unter streitenden Parteien, als wäre sie eine vorteilhafte Neufassung vom „Dorf der Verdammten“, doch niemand glaubt an ihr zauberhaftes Talent, wie man ihr auch nicht die Skepsis über die sinestren Machenschaften von Pat McKerrod (Rob James-Collier, extra gemein am Chargieren) abnimmt, der als letzte Option noch die Schneekugel-Fabrik der Gegend zu retten imstande sein könnte. Ihr Vater Joe (Richard Clements) hat keine andere Wahl, ohnehin reichlich Beef mit dem „Selbstgebräunten“ (der so weiß wie alle anderen ausschaut), weil der ihm einst fast seine Frau ausspannte, doch was will man machen? Schließlich kurvt jener Pat, der Star der Show, im Auftrag von Mogul Mr. Shepherd (Pierce Brosnan, vom ersten Auftritt an in teils zweideutigem Körperrhythmus unterwegs) mit dem Nummernschild „The Boss“ durch die Gegend, schleppt ohne jeden Grund seinen angeberischen (sowie auf die Fußball spielenden Dorfkinder neidischen) Sohn Junior mit und verspricht mit fetten Schecks, die ortsansässige Industrie wieder groß zu machen, während der Verkauf an China im Hintergrund schon seine Blaupause erhält.


Noelle trägt auch nur bedingt zum Eindämmen dieses Plans ein, so wie sie bei einer hitzigen Stadtversammlung zum Thema jeden bürgerlichen Groll ausschaltet und Pat den Weg ebnet, ohne dass irgendjemand mal den von ihr verursachten psychischen Schaden spontaner Meinungswillkür hinterfragt. Aber fürs Feingefühl zwischenmenschlichen Umgangs hat der Film ohnehin nicht alle Sachen beisammen, wenn er Noelles kauziger Hebamme, welche die Familie beizeiten besucht, eine „Liebe ist“-Phrase nach der anderen in den Mund legt und das Vertrauen der Kid-Freunde Noelles (u.a. ein Kleinwüchsiger namens Spud-Bob) zudem wankelmütig wie dramatisch von Nichtigkeiten abhängig macht, während der örtliche Radiomoderator (Liam Neeson) als stimmungsmachender Voiceover durchweg nach Selbstmord klingt. Weil das Elternhaus da ebenso passiv auf bessere Zeiten hofft und Aktionen voller Kinderlogik nicht das erhoffte Aufwecken der Bevölkerung erwirken, bleibt dann nur noch der Mut zum Stehlen und zur aufgedeckten Wahrheit binnen des britischen Parlaments! Die Fantasie wirkt nicht unerheblich von Capra inspiriert, die Produktion ist dennoch kaum mit der Dynamik ausgestattet, die derart ans Herz gehen könnte, viel mehr kann man sich an der spontanen Natur ungeschickter Filmerzählung erfreuen, die Motorradüberfälle erst nach der Hälfte der Laufzeit wirklich aufklärt, die Motive der Bösen untereinander moralisch abkoppelt, damit (nicht nur) Brosnan seinen einen Drehtag im Büro geschmeidig erledigen kann, jede Einsicht vage hält und vom Wunder wahlloser Hilfsbereitschaft ausgeht, wenn die Engpässe der Abgehängten via Live-Schaltung zur Debatte stehen – „Money Monster“ lässt grüßen, nur dass sich dieser Film als Schnellschuss-Märchen entschuldigen und wenigstens eine herausragende Dialogzeile vorweisen kann: „Es gibt zwei Sorten von Menschen in dieser Welt, Junior. Und ich verabscheue beide.“ Was für ein Spruch, was für ein Arschloch, was für ein kurioser Kinderfilm!




Für wen auch immer gedacht, schaut Nora Ephron mit komödiantischem Zynismus hingegen auf die Empathie gegenüber Feiertagsdepressionen, sobald sich „Lifesavers – Die Lebensretter“ einschalten, den X-Mas-Suizid unter kalifornischer Sonne zu verhindern, während diese selbst mit Zahlungsunfähigkeiten, hohen Mieten und anderen Frustrationen zu kämpfen haben. Ob man nun im Aufzug feststeckt, bei der Rettung aus diesem von ignoranten (und folglich kurzzeitig gehörlosen) Frustschiebern zerquetscht zu werden droht, der Kunde im Transvestiten-Aufzug zum Tanz auffordert (die Beinahe-Gay-Panic-Szene schlechthin), Schwangerschaften, verkorkste Liebschaften und den Running Gag im gegenseitigen Schädelbumsen mit Türen durchstehen muss: Es soll irgendwo witzig sein, wenn auch die Pointen in ihrer schwachen Fallhöhe wie verdichteten Aneinanderreihung allenfalls auf die überspitzte Verzweiflung des jeweiligen Ensemble-Mitglieds hinweisen. Selbst unter dem Argument schwarze Komödie bleibt die Angelegenheit relativ flach und harmlos, eher wie vom Boulevardtheater ausgeliehen, was die Konzentration aufs Mietbüro und dessen Nachbarschaft innerhalb eines Tages betrifft, an dem ein Star-Aufgebot von Steve Martin über Rita Wilson bis hin zu Madeline Kahn, Juliette Lewis, Adam Sandler und Anthony LaPaglia auftritt sowie sich die Krätze an den Hals wünscht, wenn mal nicht die Versöhnung aus externer Enttäuschung probiert wird. Das Misslingen jeder Leichtigkeit im Grundton der Misanthropie ist da vorprogrammiert und zudem mit Längen der Gleichförmigkeit ausgestattet, aber beachtlich energisch in der Misere unterwegs, als könne man dem Alltag anhand dessen kollektiv eine Klatsche geben, im Publikum zur kathartischen Wiedererkennung aufrufen, nach dem Prinzip: „Soziale Verlierer halten in der Klassenkeile zusammen.“.


Dass Sex und Liebe hier ebenso Höchstziele ergeben, wird nur selbstverständlich, weil umso süßer im Absteigerdasein des weißen Mittelstandes, doch zuvor muss man mit Nachrichten vom Strandwürger vorlieb nehmen, dessen Methoden als Futter für Beleidigungen herumgereicht werden, teils grundlos an Personen gerichtet, die man vor knapp zwei Sekunden kennengelernt hat, so wie auch Rollerskater im Duo auf dem Beach-Bürgersteig Passanten mit ihrem Weihnachtsbaum umschmeißen, wenn sie nicht auf drei zur Seite springen. So hasserfüllt wie die Umwelt hier agiert, sind die weibliche Hysterie und männliche Überdosierung mit Tierarzneimitteln nicht weit, auch nicht das leichtfertige Spiel mit Revolvern, Drohungen und waschechten Impulsmorden, die per Anarcho-Naivität aufmuntern sollen, aber mindestens so unangenehm verlaufen wie manche Filme, die Kameramann Sven Nykvist zuvor belichtete. Von diesen leiht er sich zumindest einiges an fiebrigen Farbenspielen (mehr Schreie denn Flüstern) aus, die er in die vermeintliche Proll-Idylle binnen des L.A. zu Weihnachten mischt, doch viel mehr bleibt ihm via Ephrons Kalkül zu konstruierten Situationskomiken an Arschlöchern und Zerbrochenen nicht übrig, wenn ein Happy End in der Rechtfertigung eines Mordes aus Versehen evoziert wird und so heuchlerisch wie hoffnungslos zu Baby Jesus zurückfindet. Die innewohnende Härte der thematischen Grundlage beweist durchaus Mumm und eine im Ansatz effektive Gegenhaltung zum idealisierten Gift an ausblendenden Nettigkeiten zur Jahreszeit voller Licht und Schatten, doch im Endeffekt fehlt die Konsequenz zum klaren Biss, das Geschick einer wahren Satire, die Inspiration zum Angriff über urige Fummeleien, Appartementschrecks und lautmalerische Neurosen hinaus. Zumindest das Überangebot an Hunden macht einiges wieder wett.




Nicht minder unkonventionell und ebenso leicht im Tempo vergriffen, aber insgesamt weit gelungener in seiner Varianz überwältigenden Humors aufgehend (von der zeitgenössischen Kritik zudem übermäßig begraben), steigt „Surviving Christmas“ von Mike Mitchell ins Rennen, die Sentimentalität zum Heiligabend binnen einer Prämisse zu persiflieren, welche den Gedanken der Familie binnen der Bush-Administration von der eigenen Politik der Willkür kosten lässt – sozusagen eine coalition of the willing für die Empathie des Geldes wegen, mitten im Herzen Chicagos zwischen Penthouse und Suburbia. Mit der Vergänglichkeit der Werte spielt bereits das Intro Sequenzen an umgekehrten Leitbildern aus, welche die Plätzchen aus dem Ofen schieben und den Kopf daraufhin hineinstecken, um das Gas aufzudrehen. Im Folgenden versucht Multimillionär und vermeintlicher Vollwaise Drew Lathem (Ben Affleck, als grinsende Variante Bruce Waynes) dann auch eher, seine Verlobungsflamme aus gutem Hause, Missy (Jennifer Morrison), zur Reise auf die Fidschi-Inseln zu überreden, obgleich ihr die Familie wichtiger ist und er somit trotz einsamen Superloft (mit „Fenster zum Hof“-Überblick für Glücks-vergleichenden Kuleschow-Effekt) auf psychisches Nimmerland stößt - so geradewegs schlicht eingeschossen, dass die Lachglocken allein schon Afflecks Reaktionen wegen erklingen. Das Leiden übertüncht er im Eifer eines manisch-depressiven Stehaufmännchens, weshalb er seinen Psychiater stalkt und dieser ihm empfiehlt, das alte Familienhaus seiner Eltern zu besuchen, um dem Vergangenen eine befreiende Geste entgegenzubringen. Das meldet sich dann aber mit dem schroffen Wesen Tom Valcos (James Gandolfini) zurück, der dem ungewünschten Gast als gegenwärtiger Besitzer mit Familie die Rübe einzuschlagen droht, im Zuge der Nostalgie jedoch Drew dazu beflügelt, einen aberwitzigen Deal einzugehen.


Gegen Bares sollen die Valcos seine Ersatzfamilie spielen und mit ihm alle Stationen des amerikanischen Ideals durchnehmen, als wäre das Retro-Glück für die Wirklichkeit angepasst. Obwohl der Wahnsinn 5 vor 12 anschlägt, gehen die Valcos auf den heißen Preis ein, woran sich die Anpassungsschwierigkeiten von Oberhaupt Tom am Goldigsten zeigen, so subtil-angeschissen er jede überambitionierte Wunschweisung Drews über die Bühne bringt, dem Springteufel an Moneten am liebsten an die Gurgel will. Bitte die Mütze beim Einkaufen aufsetzen, bitte beim falschen Santa Claus ein hysterisches Gruppenbild schießen lassen, bitte so reden, bitte nicht an Scheidung denken, so war's damals nicht, etc., etc. Die disfunktionale Realität (der Valcos oder jeder Familie) wird unterbuttert wie es die Märchenerzähler des Konservativen haben wollen und bekommen dafür noch einen falschen Opa/Doo-Dah auf den Leim geschenkt, mit dem Bilderbuchtexte eingeübt werden. Doch so wie Regisseur Mitchell sein Ensemble durch den Ist-Zustand nach 9/11 jagt, so denkt er sich auch kontinuierlich in ein konstruktiv-tristes Treffen der Weltbilder hinein. Die Spannung zwischen Tom und Noch-Gattin Christine (Catherine O'Hara) ist unübersehbar; die sozialen Stärken von Sohnemann Brian (Josh Zuckerman) sind abseits des Computers kaum festzustellen; Drews Präsenz allein garantiert ein Aneinanderreiben der Americana, wie sie im Christmas-Zuckerguss nur noch ihre Hülle stemmen können. Erneut nach Formate Capras versucht Drew dann doch mehr und mehr in Geberlaune die Versöhnung und Einigung des Phantoms Familie, das er sich hier als Replikation ausgewählt hat, doch solch ein Unternehmen ist zum Scheitern verurteilt, selbst wenn seine motivierenden Ansätze Früchte des temporären Wandels tragen – siehe dazu auch die Annäherung zu Valco-Tochter/Scheinschwester Alicia (Christina Applegate) inklusive Widerwillen, ambivalenter Romantik und Überdruss, wenn er auch an ihr die Vergangenheit zu empathisieren versucht.


Die Eskalation folgt dann im Besuch seiner Missy und deren Eltern, dass die Checks für die Valcos durch die Decke gehen und ein fingierter Inzest Drews überambitionierte Seifenblase platzen lässt. Die Mischung aus Honk-Humor und leichtem Drama ist sich da letztendlich gewiss nicht für drollig-vergebende Plattitüden zu schade und dem Licht am prallen Weihnachtsbaum verpflichtet (Typisch Drew dazu: „Habe ich beinahe vergessen: Bitte nicht direkt ins Licht schauen!“), Nächstenliebe und Hoffnung zu finden. Die absurde Konstellation an grellen Visagen und Aufforderungen zur puren USA jedoch sind vordergründig der Hit jener nationalen Selbstentlarvung anno 2004, die den Kalten Krieg der Klassen unter dem Mistelzweig so greifbar macht, indem sie den Fanatismus der Erwartungen angreifbar macht und entgegen seiner Unschuld via Checkausstellung auf einen labilen Boden zurückbeordert, der keine stille Nacht hinnimmt, aber der Affäre untereinander nicht abgeneigt sein kann, solange er sich zeigen darf. Veränderung geschieht hier wohlgemerkt auch nur per Einigkeit, selbst über die Differenzen der Ausgangslage hinweg, wenn die Begegnung mit dem kleinen Mann per (Selbst-)Achtung vonstattengeht, die Traumata der jeweiligen Seiten die Aussprache erreichen und sich gegenseitig adaptieren, auch wenn der Prozess zwangsläufig ein perverser ist, somit urkomisch bleibt sowie auf Toleranz entgegen steinalter Ideale (siehe Mindys Vater) setzen kann. Und das von einem Film, dessen Entstehungsprozess wohl von permanenter Improvisation ohne fertiges Drehbuch gekennzeichnet war – beachtlich, auch wie leichtfüßíg das Ganze dann zu Überraschungen voll Kontext, Kontra und Liebe über die Parteilichkeit hinaus führt. Dass die spießigen Wurzeln des christlichen Abendlandes hierin trotzdem wie die Verfassung der USA verankert bleiben, ist natürlich unausweichlich. Gibt es ein konkretes Beispiel im Weihnachtsgenre, das die einende Urtümlichkeit des Festes mit Anlauf verstört? Und ich mein jetzt nicht die obligatorischen Horrorvarianten à la „Teuflische Weihnachten“ (1980).




Ab hier verlassen wir wieder kurzzeitig die Zwiespälte der Besinnlichkeit, denn Gerüchten zufolge lässt sich beinahe so etwas wie ein antiamerikanisches Manifest in Lars von Triers „Dogville“ antreffen, jenem experimentellen Melodram, das mit einer Überlänge und Dramatik wie geschaffen fürs epische Technicolor scheint, jedoch eventuell korrumpierende Anschlussflächen (oder Sentimentalitäten des nationalen Stolz) via Landschaft und Kulissen vom Schlage eines „Vom Winde verweht“ (steht noch auf meiner Watchlist) ausklammert und somit dem typischen Charakter eines US-Epos entsagt, um aus den Essenzen der Charakteranalyse zu schöpfen. Die Transparenz, mit welcher die physischen Mauern als psychische Mauern moralischer Abgrenzung umfunktioniert werden, bringt da schon eine so leichte wie geniale Wahrhaftigkeit mit sich, die in vorausbeschreibender Kapitelform am Kopfkino des Literarischen heranzutreten versucht und dieses mit der Adaption von Ansätzen modernen Theaters (Bezüge zu Brecht sind wohl ebenso gegeben) zum Fokus charakterliche Zweige verknüpft. Kurzweil wird innerhalb der knapp drei Stunden an Beobachtung nicht bloß eine Begleiterscheinung - meist aus der Hand digitalisiert oder in konkreter Vogelperspektive auf direkten Zugriff konzipiert, ist das Netz an einladenden Charakteristiken recht umtriebig aufs Amerika der Großen Depression zugeschnitten wie auch als Provinzmilieu binnen der Rocky Mountains von Außenseiterperspektiven (abgesehen von der unseren) abgeschnürt. Ob diese Position des isolierten Mikrokosmos den Gesamtkomplex fair repräsentiert, sei mal fürs Erste hingestellt, jedenfalls macht man sich mit einer Gesellschaft bekannt, die sich untereinander versteht, auf geregeltem Alltag baut, seine Menschenkenner, Philosophen, Farbigen, Arbeiter, Behinderten, Idealisten und Träumer mit lockerer Hand führt und behält – da muss der (historische, nationale) Kontext noch nicht mal entscheidend sein, solange das menschliche Wesen in seinen Formen und Wegen auf einen Nenner kommt, der jene minimalistische Expansion der (Um-)Wege etablierter, demokratischer Ethik festzustellen vermag.


Der erste zentrale Charakter im Sinne dieser Bewertung, Tom Edison (Paul Bettany), ist da auch nicht ganz fern von seinem Regisseur, wenn er als Schriftsteller die Veranschaulichung des Areals und seiner Mitmenschen zu fassen wie auch zu vermitteln versucht, doch anhand des objektiven Off-Erzählers bleibt dieser Ehrgeiz nicht von Dauer in Sachen moralischer Festigkeit. Die Probe ergibt sich nämlich im Auftauchen der von Gangstern gejagten Grace (Nicole Kidman), die Tom zu beschützen und mit der Volksgemeinschaft anzufreunden versucht, dass sie im Dorf als wertvolles Mitglied von außerhalb akzeptiert wird, unter deren Schutz friedvoll leben darf und Toms allmählich entpuppendem Wunschtraum einer großen Liebe entsprechen kann. So wie sich der Rausch im Reiz des Neuen anfangs noch ergiebig, sprich von seiner besten Seite zeigt sowie die Hilfsbereitschaft von Grace zu schätzen lernt, so sät die Zeit aber schon bald Abhängigkeiten - wie das Unterrichten von Veras (Patricia Clarkson) Kindern oder das Seitenumblättern für die Kirchenorgelbedienerin Martha (Siobhan Fallon) -, die bisher ungebrauchte Aufgaben des Alltags durch Grace als Gegebenheit erscheinen lassen, deren Ansprüche nie zu verwirken scheinen und sogar Hass erschaffen. Der Weg zur Ausbeutung und Willkür ist da absehbar, zu dem Zeitpunkt aber noch weniger extern, als durch die Persönlichkeiten ringsum definiert. Die Gewichtung an Regeln ist stets eingeschworen bis unbarmherzig abgestimmt, die persönliche Einmischung von Grace wird hingegen als Berechtigung aufgefasst, ihr näher zu kommen, auch mit dem Vordruck der Machtverhältnisse ein Recht zu motivieren, das sich bei der Schönheit der jungen Dame vor allem sexueller Aneignung erfreut, wenn die vom Leben enttäuschten sowie von Anfang an misstrauischen Zeitgenossen wie Chuck (Stellan Skarsgård) ihren Frust entladen. Deren Druckmittel, sie könnten sie beim Aufmucken an die Behörden verpetzen, hängt stets im Gewissen der unausweichlichen Seelenschlucht, doch Grace bleibt, ihrem äußerst platt wie filigran an Symbolik einlösenden Namen entsprechend, ohnehin von einer Vergebung gezeichnet, die ihre Schmerzen unter Protest entgegennimmt und doch nicht zu verurteilen gedenkt; höchstens die Flucht sucht, nachdem Tom sie ohnehin erst ihrer Bescheidenheit entgegen vom Bleiben überzeugen musste.


Guter bzw. gutgemeinter Rat ist eine harte, wankelmütige Währung in der Anpassung an Realitäten und Idealen, das wissen wir schon von „Surviving Christmas“, hier zudem in der Begegnung mit dem blinden Jack McKay (Ben Gazzara) und seinen energischen Erinnerungen ans Gesehene, doch wie sich die Verhältnisse fortan entwickeln, zeugt dann von der oft unterstellten Kritik ans Œuvre Von Triers, manipulative Gefühlsspektakel aufzuziehen. Nun ist der Herr nicht immer ein Paradebeispiel für Subtilität gewesen, doch seine Autorenschaft greift ab dem gewissen Punkt zerschmetterter Porzellanfiguren (eben solche mit persönlicher Relevanz) auf eine Argumentationsart zurück, die aus der Vorbereitung im Figurenspektrum eine Ansammlung an Strawmen erwirkt, welche nicht bloß in platter Offensichtlichkeit auf die von sich selbst aus natürlich kaum erkannten Widersprüche ihrer Worte, Werte und Taten hinweisen - als seien grundlos böse Stereotypen aus dem Stephen-King-Universum vor Ort -, sondern zudem ideologische Konsequenzen vorbereiten, die höchstens theoretisches Futter für eine Exploitation im intellektuellem Rahmen ergeben. So wie Von Trier seine Frauen liebt, so quält er sie auch, doch selten in solch einer hermetischen Gefühlskälte, die erklärt mehr vom Prozess als von der Emotion preiszugeben glaubt, sich aber dann um die wirklich schwierigen Passagen scheut, wenn Grace z.B. ihrer Versammlung an Peinigern die Wahrheit sagt und dabei vom Voiceover überfrachtet wird, an dem die Konfrontation von einer Entsprechung ersetzt wird, die als Veranschaulichung einige potenziell wirklich interessante Gedankengänge Richtung Schluss verdrängt. Gleiches gilt für den Wandel Toms, der so versimpelt wird wie er auch die Unfehlbarkeit des Intellektuellen deklassiert, zwar zum Teil eine Selbstkritik vonseiten Von Triers zeigt, den Rest des Films damit aber letztlich auch zu rein vagen Erkenntnissen verdammt, die mit der Drastik einer göttlichen Katharsis liebäugeln, sie als ambivalent empfunden sehen wollen, den Hang zur bemühten Provokation und zynischen Abhandlung bei allem vorgelebten Leiden aber nur bedingt verhehlen.


Die leider in Anteilen ungenutzte Fläche der Transparenz wird dann auch zum Schauplatz von Schauwerten, wenn sie ihre kognitiven Distanzen zudem dauernd überflüssig als Stilübung ausweist (siehe das Öffnen und Schließen von Türen; Hintergründe), sich in der geographischen Identifizierung via Abspann dann eben noch mehr vom universellen Blick zur human condition abbringt und ihn verstärkt an Amerika koppelt, was im Grunde eine spekulative Naivität der großen Botschaft ausdrückt. Ob gerade das als Schwäche gewertet werden soll, ist für mich als Außenstehender ein schwieriger Fall, weil es eigentlich absolut nicht hinhaut, für eine nationale Identität zu sprechen, der man noch nicht 1:1 begegnet ist. Das stellt natürlich unvermeidlich zur Frage, wie wir überhaupt Perspektiven von außerhalb bewerten können, egal zu welchen Medien, Nachrichten und Historischem; ob dieses Eindringen ins pauschalisierte Dogville nicht ohnehin bewusst reflektiert, wie man sich, als Einzelner auf das Image der USA projiziert, wie wahrhaftig oder unglaubwürdig es daran empfunden wird und welchen persönlichen Wert man daraus ableitet/wiedererkennt. Macht das die vorangegangenen Kritikpunkte obsolet? Wird man den Erwartungen wegen oder deren Erfüllung enttäuscht? Ist ein allumfassendes Epos zur Menschheit möglich oder nur eine Keimzelle des Unvermeidbaren? Hat Gott/der Hund Moses mit Absicht darauf gewartet, dass der Apfel/Knochen im Garten Eden gepflückt wird; sprich wann fangen sodann auch Schuld und Unschuld bei Grace, bei den Einwohnern, bei Tom oder bei Von Trier an? Wird eine Verschachtelung durch Ein-/Mehrdeutigkeiten im emotionalen Gelingen bereichert oder im Ausbreiten unreifer Theorien, wenn es ums Erleben eines Narrativs geht? Spreche ich Punkte an, die sowieso nicht schon seit 13 Jahren erläutert werden? Bei „Dogville“ versteckt sich eben unter aller Transparenz und Kapiteleinteilung eine Möbiusschleife des Daseins, die sich durchaus ihre Extreme reicht und mit Trivialitäten ärgert, aber gemäß des Prinzip Films auch back-to-back von vorne aufgezogen, als Abbild in den Raum geworfen, angenommen und abgestoßen werden kann, im Licht auf- und abtaucht, Schönheit empfängt und hasst, verzeiht und zerstört, an allen Enden voneinander abzuhängen scheint und dann wieder nicht – eben das Denkmal einer uralten, allzu menschlichen und tollen Illusion, man könne die Welt und das Leben bannen. Ich glaube trotzdem, dass der Film zu diesem Konzept noch besser sein könnte, so typisch töricht bestätigt sich „Dogville“ eben auch an mir, wohl bekomms! Nun aber auf zu anderen Galaxien:




ROGUE ONE: A STAR WARS STORY - "[...] Setzt die Gefälle des Wesens Krieg [...] um, dass man für knapp 130 Minuten eine Liaison mit dem allzu gegenwärtigen Spektrum an Widerständen und Vertrauensfragen eingeht. [...] Der Fatalismus nimmt überhand [...] Edwards kommt zwar auch nicht vom Grundriss der Heldensage weg, doch selbst wenn der Wille zur Wiederwehr hochgeschaukelt wird, verkneift er sich naiven Pathos, lässt anstelle dessen die Verzweiflung aufschwellen, welche ihren Idealen nur schwer in die Augen sehen kann, während diese unbarmherzig getilgt werden. [...] Sich in der Waage um Aufgabe und Fortschritt zum Optimismus einzufinden, wird da sowohl der stärkste Antrieb als auch die konzeptionelle Schwäche des Films, wenn er seine Gewichte aufs Bewusstmachen brutaler Größenverhältnisse verlagert, die Erlösung aus deren Willkür im Verstecken bzw. als trojanische Pferde erwirkt und zu guter Letzt für die gute Sache sterben muss. [...] Bei Edwards wird der Furcht wegen nicht chargiert, beim Glauben an die Macht aber erst recht nicht via Nerd-Zynismus ironisiert, sondern (selbst in vermeintlich gedämpften Phasen) auf die Kadrierungen, rauen Flächen und Natürlichkeiten eines Krieges vor langer, langer Zeit in einer weit entfernen Galaxis konzentriert. [...]"


(Die komplette Kritik gibt es bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)


Bonus-Zeugs:





WITTE AM LABERN #9: SUNDAY HORSE AUDIOKOMMENTAR - Mein Geschenk zu meinem Geburtstag (war am 13.12.) an Euch: Obwohl ich es selber schon für enorm ausgelutscht halte, Filme zu riffen, ist es natürlich was anderes, wenn ich es selber mache - allen voran bei einem nicht gerade hochwertigen, christlichen Pferde-Propaganda-Biopic wie diesem von Vic Armstrong („Left Behind“). Ich versuche auch, den typischen Nerd-Wortschatz zu vermeiden, garantiere aber für nix, mache sowieso immer ein paar Pausen. Ach ja, wäre natürlich vorteilhaft, wenn ihr die deutsche Blu-Ray des Films zum Abspielen bereithaltet, ich gebe auch Anweisungen zum Syncen meines Kommentars im Video. Noch ne Anmerkung: Den Ton des Films gerne im Hintergrund laufen lassen, sonst fragt ihr euch, warum ich mich über manche Dialoge totlache. Ich wünsche jedenfalls viel Spaß mit meiner Beigabe an Sprüchen und Reaktionen, nüchtern würde ich den Film nicht empfehlen. Man hört sich!




HACKSAW RIDGE - "[...] Seit jeher geblieben sind bei (Gibson) nämlich vor allem der unverbesserliche Hang zum Pathos und zur katholischen Allegorie im Blutvergießen, gebettet in ein Weltbild vom Dasein im Schlachten, stets energisch zwischen Gut und Böse aufgeteilt, bei denen die vagen Grauzonen nur noch für extrem verzweifelte Apologeten Gewicht haben können, während mindestens eine Gesellschaftsgruppe wieder verprellt wird. [...] Er schwärmt vom Pazifismus und dem Gebot „Du sollst nicht töten“, scheint diese ethischen Grundpfeiler aber nur als Vorwand aufzuspannen, ehe er seine wahre Dynamik im aufgegeilten Gemetzel der Militärmaschinerie ausspielt. [...] Direkt auf den Grabstein des Heldenfriedhofs, wo Blut und Boden zum Veteranenschmerz gemoddet wird. [...] Besetzt mit einer Gegnerfront an Japanern, die im Kamikaze wie aus einem modernen Horrorfilm scheinen - einmal sind sie sogar regelrechtes Jumpscare-Futter. [...] Streitbarkeit an sich ist gewiss kein Widerspruch zu Qualität, zudem ist Gibsons Film beileibe auch kein Paradebeispiel für lückenlosen Jingoismus, doch eine sichere Bank ergibt sich daraus noch lange nicht. Außer offenbar in Venedig und im Herzen Amerikas."


(Die komplette Kritik gibt es bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)

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