es dauert nicht mehr lange und
Weihnachten steht vor der Tür wie eine unbekannte Dame mit Hund, die
mitten in der Nacht anklingelt und mit in die Wohnung reinkommen
will, weil ihr Mann eine einstweilige Verfügung gegen sie erwirkt
hat. Ja, 2016 hat uns für wahr an Erfahrungen bereichert, die unsere
Alltagswahrnehmung für immer veränderten, auf dass es nur allzu gut
passt, schnurstracks in ein Fest der Liebe und Familie katapultiert
zu werden, während Ungewissheiten, Tod, Krieg und politische
Kernschmelzen ringsum irgendwie keine sichere Grundlage fürs
kommende Jahr garantieren wollen – haltet mich auf, falls ich
meinen postfaktischen Pessimismus übertreibe. Es kommt so oder so
die Zeit, alles eben Genannte für eine Weile zu vergessen und da
wird die Anpassung eine mentale Probe sondergleichen, die meiner
Erfahrung nach im Geschenkekaufrausch und bierseligem Zusammensein
unter Freunden und Kollegen noch am besten hinhaut. Das Haus nicht
verlassen zu wollen, ist aber ebenso legitim, versteht sich, aber um
in die richtige Feiertagslaune zu kommen, bedarf es ausgewählter
Schätze der Filmwelt, die herzlichst um die Werte gegenseitiger
Barmherzigkeit und Güte kämpfen, im Glück der Einigkeit aufgehen
und Frohsinn verbreiten. In dieser Ausgabe des Blogs werden wir
keinerlei solcher Werke kennenlernen, schließlich war schon „Ist
das Leben nicht schön?“ ein Auslöser für Depressionen
meinerseits und ein nachgeholter Klassiker wie Bob Clarks „Fröhliche
Weihnachten“ fast schon langweilig in seinem
Baby-Boomer-Retro-Kitsch, weshalb wir ausgerechnet in diesem Rahmen
doch mal eher die Art von Weihnachtsstoff zurate ziehen, die nur vage
oder gar konträr auf die Feiertage anspringt. Bevor ich versuche,
mich da hineinzusteigern, sei noch darauf hingewiesen, dass die etwas
größeren Kritiken wie „Rogue One“ oder „Hacksaw
Ridge“ weiter unten auf euch warten, weil ich spaßeshalber nie
mit dem Clickbait anfange und die Leser daran binden will,
vorher noch kürzere Einschätzungen mitaufzunehmen, ob sie es nun
wollen oder nicht. In diesem Sinne:
Etwas auf Sparflamme aufbereitet,
allerdings gewissermaßen von Vornherein auf den Brexit
kommentierend, erhebt sich das britische Genre-Unding „Der
Weihnachtsstern“ von Richard Elson aus dem DVD-Grabbeltisch und
versucht, die Probleme der Menschen anhand der heiligen Telekinese
eines kleinen Mädchens namens Noelle zu lösen, welches nach einem
stark offensichtlichen Jesus-Gleichnis ins nordirische Fischerdorf
Pottersglen hineingeboren wird und seit jeher streng harmlos sowie
mit unterster Synchro die Gegend aufmischt. Im Laufe der Zeit schafft
das Mädel mit seinem CGI-Tunnelblick den Frieden unter streitenden
Parteien, als wäre sie eine vorteilhafte Neufassung vom „Dorf
der Verdammten“, doch niemand glaubt an ihr zauberhaftes
Talent, wie man ihr auch nicht die Skepsis über die sinestren
Machenschaften von Pat McKerrod (Rob James-Collier, extra gemein am
Chargieren) abnimmt, der als letzte Option noch die
Schneekugel-Fabrik der Gegend zu retten imstande sein könnte. Ihr
Vater Joe (Richard Clements) hat keine andere Wahl, ohnehin reichlich
Beef mit dem „Selbstgebräunten“ (der so weiß wie alle
anderen ausschaut), weil der ihm einst fast seine Frau ausspannte,
doch was will man machen? Schließlich kurvt jener Pat, der Star der
Show, im Auftrag von Mogul Mr. Shepherd (Pierce Brosnan, vom ersten
Auftritt an in teils zweideutigem Körperrhythmus unterwegs) mit dem
Nummernschild „The Boss“ durch die Gegend, schleppt ohne
jeden Grund seinen angeberischen (sowie auf die Fußball spielenden
Dorfkinder neidischen) Sohn Junior mit und verspricht mit fetten
Schecks, die ortsansässige Industrie wieder groß zu machen, während
der Verkauf an China im Hintergrund schon seine Blaupause erhält.
Noelle trägt auch nur bedingt zum
Eindämmen dieses Plans ein, so wie sie bei einer hitzigen
Stadtversammlung zum Thema jeden bürgerlichen Groll ausschaltet und
Pat den Weg ebnet, ohne dass irgendjemand mal den von ihr
verursachten psychischen Schaden spontaner Meinungswillkür
hinterfragt. Aber fürs Feingefühl zwischenmenschlichen Umgangs hat
der Film ohnehin nicht alle Sachen beisammen, wenn er Noelles
kauziger Hebamme, welche die Familie beizeiten besucht, eine „Liebe
ist“-Phrase nach der anderen in den Mund legt und das Vertrauen
der Kid-Freunde Noelles (u.a. ein Kleinwüchsiger namens Spud-Bob)
zudem wankelmütig wie dramatisch von Nichtigkeiten abhängig macht,
während der örtliche Radiomoderator (Liam Neeson) als
stimmungsmachender Voiceover durchweg nach Selbstmord klingt. Weil
das Elternhaus da ebenso passiv auf bessere Zeiten hofft und Aktionen
voller Kinderlogik nicht das erhoffte Aufwecken der Bevölkerung
erwirken, bleibt dann nur noch der Mut zum Stehlen und zur
aufgedeckten Wahrheit binnen des britischen Parlaments! Die Fantasie
wirkt nicht unerheblich von Capra inspiriert, die Produktion ist
dennoch kaum mit der Dynamik ausgestattet, die derart ans Herz gehen
könnte, viel mehr kann man sich an der spontanen Natur ungeschickter
Filmerzählung erfreuen, die Motorradüberfälle erst nach der Hälfte
der Laufzeit wirklich aufklärt, die Motive der Bösen untereinander
moralisch abkoppelt, damit (nicht nur) Brosnan seinen einen Drehtag
im Büro geschmeidig erledigen kann, jede Einsicht vage hält und vom
Wunder wahlloser Hilfsbereitschaft ausgeht, wenn die Engpässe der
Abgehängten via Live-Schaltung zur Debatte stehen – „Money
Monster“ lässt grüßen, nur dass sich dieser Film als
Schnellschuss-Märchen entschuldigen und wenigstens eine
herausragende Dialogzeile vorweisen kann: „Es gibt zwei Sorten
von Menschen in dieser Welt, Junior. Und ich verabscheue beide.“
Was für ein Spruch, was für ein Arschloch, was für ein kurioser
Kinderfilm!
Für wen auch immer gedacht, schaut
Nora Ephron mit komödiantischem Zynismus hingegen auf die Empathie
gegenüber Feiertagsdepressionen, sobald sich „Lifesavers –
Die Lebensretter“ einschalten, den X-Mas-Suizid unter
kalifornischer Sonne zu verhindern, während diese selbst mit
Zahlungsunfähigkeiten, hohen Mieten und anderen Frustrationen zu
kämpfen haben. Ob man nun im Aufzug feststeckt, bei der Rettung aus
diesem von ignoranten (und folglich kurzzeitig gehörlosen)
Frustschiebern zerquetscht zu werden droht, der Kunde im
Transvestiten-Aufzug zum Tanz auffordert (die Beinahe-Gay-Panic-Szene
schlechthin), Schwangerschaften, verkorkste Liebschaften und den
Running Gag im gegenseitigen Schädelbumsen mit Türen
durchstehen muss: Es soll irgendwo witzig sein, wenn auch die Pointen
in ihrer schwachen Fallhöhe wie verdichteten Aneinanderreihung
allenfalls auf die überspitzte Verzweiflung des jeweiligen
Ensemble-Mitglieds hinweisen. Selbst unter dem Argument schwarze
Komödie bleibt die Angelegenheit relativ flach und harmlos, eher
wie vom Boulevardtheater ausgeliehen, was die Konzentration aufs
Mietbüro und dessen Nachbarschaft innerhalb eines Tages betrifft, an
dem ein Star-Aufgebot von Steve Martin über Rita Wilson bis hin zu
Madeline Kahn, Juliette Lewis, Adam Sandler und Anthony LaPaglia
auftritt sowie sich die Krätze an den Hals wünscht, wenn mal nicht
die Versöhnung aus externer Enttäuschung probiert wird. Das
Misslingen jeder Leichtigkeit im Grundton der Misanthropie ist da
vorprogrammiert und zudem mit Längen der Gleichförmigkeit
ausgestattet, aber beachtlich energisch in der Misere unterwegs, als
könne man dem Alltag anhand dessen kollektiv eine Klatsche geben, im
Publikum zur kathartischen Wiedererkennung aufrufen, nach dem
Prinzip: „Soziale Verlierer halten in der Klassenkeile
zusammen.“.
Dass Sex und Liebe hier ebenso
Höchstziele ergeben, wird nur selbstverständlich, weil umso süßer
im Absteigerdasein des weißen Mittelstandes, doch zuvor muss man mit
Nachrichten vom Strandwürger vorlieb nehmen, dessen Methoden
als Futter für Beleidigungen herumgereicht werden, teils grundlos an
Personen gerichtet, die man vor knapp zwei Sekunden kennengelernt
hat, so wie auch Rollerskater im Duo auf dem Beach-Bürgersteig
Passanten mit ihrem Weihnachtsbaum umschmeißen, wenn sie nicht auf
drei zur Seite springen. So hasserfüllt wie die Umwelt hier agiert,
sind die weibliche Hysterie und männliche Überdosierung mit
Tierarzneimitteln nicht weit, auch nicht das leichtfertige Spiel mit
Revolvern, Drohungen und waschechten Impulsmorden, die per
Anarcho-Naivität aufmuntern sollen, aber mindestens so unangenehm
verlaufen wie manche
Filme, die Kameramann Sven Nykvist zuvor belichtete. Von diesen
leiht er sich zumindest einiges an fiebrigen Farbenspielen (mehr
Schreie denn Flüstern) aus, die er in die vermeintliche Proll-Idylle
binnen des L.A. zu Weihnachten mischt, doch viel mehr bleibt ihm via
Ephrons Kalkül zu konstruierten Situationskomiken an Arschlöchern
und Zerbrochenen nicht übrig, wenn ein Happy End in der
Rechtfertigung eines Mordes aus Versehen evoziert wird und so
heuchlerisch wie hoffnungslos zu Baby Jesus zurückfindet. Die
innewohnende Härte der thematischen Grundlage beweist durchaus Mumm
und eine im Ansatz effektive Gegenhaltung zum idealisierten Gift an
ausblendenden Nettigkeiten zur Jahreszeit voller Licht und Schatten,
doch im Endeffekt fehlt die Konsequenz zum klaren Biss, das Geschick
einer wahren Satire, die Inspiration zum Angriff über urige
Fummeleien, Appartementschrecks und lautmalerische Neurosen hinaus.
Zumindest das Überangebot an Hunden macht einiges wieder wett.
Nicht minder unkonventionell und ebenso
leicht im Tempo vergriffen, aber insgesamt weit gelungener in seiner
Varianz überwältigenden Humors aufgehend (von der zeitgenössischen
Kritik zudem übermäßig begraben), steigt „Surviving
Christmas“ von Mike Mitchell ins Rennen, die Sentimentalität
zum Heiligabend binnen einer Prämisse zu persiflieren, welche den
Gedanken der Familie binnen der Bush-Administration von der eigenen
Politik der Willkür kosten lässt – sozusagen eine coalition of
the willing für die Empathie des Geldes wegen, mitten im Herzen Chicagos zwischen Penthouse und Suburbia. Mit der
Vergänglichkeit der Werte spielt bereits das Intro Sequenzen an
umgekehrten Leitbildern aus, welche die Plätzchen aus dem Ofen
schieben und den Kopf daraufhin hineinstecken, um das Gas
aufzudrehen. Im Folgenden versucht Multimillionär und vermeintlicher
Vollwaise Drew Lathem (Ben Affleck, als grinsende Variante Bruce
Waynes) dann auch eher, seine Verlobungsflamme aus gutem Hause, Missy
(Jennifer Morrison), zur Reise auf die Fidschi-Inseln zu überreden,
obgleich ihr die Familie wichtiger ist und er somit trotz einsamen
Superloft (mit „Fenster zum Hof“-Überblick für
Glücks-vergleichenden Kuleschow-Effekt) auf psychisches Nimmerland
stößt - so geradewegs schlicht eingeschossen, dass die Lachglocken
allein schon Afflecks Reaktionen wegen erklingen. Das Leiden
übertüncht er im Eifer eines manisch-depressiven Stehaufmännchens,
weshalb er seinen Psychiater stalkt und dieser ihm empfiehlt, das
alte Familienhaus seiner Eltern zu besuchen, um dem Vergangenen eine
befreiende Geste entgegenzubringen. Das meldet sich dann aber mit dem
schroffen Wesen Tom Valcos (James Gandolfini) zurück, der dem
ungewünschten Gast als gegenwärtiger Besitzer mit Familie die Rübe
einzuschlagen droht, im Zuge der Nostalgie jedoch Drew dazu
beflügelt, einen aberwitzigen Deal einzugehen.
Gegen Bares sollen die Valcos seine
Ersatzfamilie spielen und mit ihm alle Stationen des amerikanischen
Ideals durchnehmen, als wäre das Retro-Glück für die Wirklichkeit
angepasst. Obwohl der Wahnsinn 5 vor 12 anschlägt, gehen die Valcos
auf den heißen Preis ein, woran sich die Anpassungsschwierigkeiten
von Oberhaupt Tom am Goldigsten zeigen, so subtil-angeschissen er
jede überambitionierte Wunschweisung Drews über die Bühne bringt,
dem Springteufel an Moneten am liebsten an die Gurgel will. Bitte die
Mütze beim Einkaufen aufsetzen, bitte beim falschen Santa Claus ein
hysterisches Gruppenbild schießen lassen, bitte so reden, bitte
nicht an Scheidung denken, so war's damals nicht, etc., etc. Die
disfunktionale Realität (der Valcos oder jeder Familie) wird
unterbuttert wie es die Märchenerzähler des Konservativen haben
wollen und bekommen dafür noch einen falschen Opa/Doo-Dah auf den
Leim geschenkt, mit dem Bilderbuchtexte eingeübt werden. Doch so wie
Regisseur Mitchell sein Ensemble durch den Ist-Zustand nach 9/11
jagt, so denkt er sich auch kontinuierlich in ein konstruktiv-tristes
Treffen der Weltbilder hinein. Die Spannung zwischen Tom und
Noch-Gattin Christine (Catherine O'Hara) ist unübersehbar; die
sozialen Stärken von Sohnemann Brian (Josh Zuckerman) sind abseits
des Computers kaum festzustellen; Drews Präsenz allein garantiert
ein Aneinanderreiben der Americana, wie sie im
Christmas-Zuckerguss nur noch ihre Hülle stemmen können. Erneut
nach Formate Capras versucht Drew dann doch mehr und mehr in
Geberlaune die Versöhnung und Einigung des Phantoms Familie, das er
sich hier als Replikation ausgewählt hat, doch solch ein Unternehmen
ist zum Scheitern verurteilt, selbst wenn seine motivierenden Ansätze
Früchte des temporären Wandels tragen – siehe dazu auch die
Annäherung zu Valco-Tochter/Scheinschwester Alicia (Christina
Applegate) inklusive Widerwillen, ambivalenter Romantik und
Überdruss, wenn er auch an ihr die Vergangenheit zu empathisieren
versucht.
Die Eskalation folgt dann im Besuch
seiner Missy und deren Eltern, dass die Checks für die Valcos durch
die Decke gehen und ein fingierter Inzest Drews überambitionierte
Seifenblase platzen lässt. Die Mischung aus Honk-Humor und leichtem
Drama ist sich da letztendlich gewiss nicht für drollig-vergebende
Plattitüden zu schade und dem Licht am prallen Weihnachtsbaum
verpflichtet (Typisch Drew dazu: „Habe ich beinahe vergessen:
Bitte nicht direkt ins Licht schauen!“), Nächstenliebe und
Hoffnung zu finden. Die absurde Konstellation an grellen Visagen und
Aufforderungen zur puren USA jedoch sind vordergründig der Hit jener
nationalen Selbstentlarvung anno 2004, die den Kalten Krieg der
Klassen unter dem Mistelzweig so greifbar macht, indem sie den
Fanatismus der Erwartungen angreifbar macht und entgegen seiner
Unschuld via Checkausstellung auf einen labilen Boden zurückbeordert,
der keine stille Nacht hinnimmt, aber der Affäre untereinander nicht
abgeneigt sein kann, solange er sich zeigen darf. Veränderung
geschieht hier wohlgemerkt auch nur per Einigkeit, selbst über die
Differenzen der Ausgangslage hinweg, wenn die Begegnung mit dem
kleinen Mann per (Selbst-)Achtung vonstattengeht, die Traumata der
jeweiligen Seiten die Aussprache erreichen und sich gegenseitig
adaptieren, auch wenn der Prozess zwangsläufig ein perverser ist,
somit urkomisch bleibt sowie auf Toleranz entgegen steinalter Ideale
(siehe Mindys Vater) setzen kann. Und das von einem Film, dessen
Entstehungsprozess wohl von permanenter Improvisation ohne fertiges
Drehbuch gekennzeichnet war – beachtlich, auch wie leichtfüßíg
das Ganze dann zu Überraschungen voll Kontext, Kontra und Liebe über
die Parteilichkeit hinaus führt. Dass die spießigen Wurzeln des
christlichen Abendlandes hierin trotzdem wie die Verfassung der USA
verankert bleiben, ist natürlich unausweichlich. Gibt es ein
konkretes Beispiel im Weihnachtsgenre, das die einende Urtümlichkeit
des Festes mit Anlauf verstört? Und ich mein jetzt nicht die
obligatorischen Horrorvarianten à la „Teuflische Weihnachten“
(1980).
Ab hier verlassen wir wieder kurzzeitig
die Zwiespälte der Besinnlichkeit, denn Gerüchten zufolge lässt
sich beinahe so etwas wie ein antiamerikanisches Manifest in Lars von
Triers „Dogville“ antreffen, jenem experimentellen
Melodram, das mit einer Überlänge und Dramatik wie geschaffen fürs
epische Technicolor scheint, jedoch eventuell korrumpierende
Anschlussflächen (oder Sentimentalitäten des nationalen Stolz) via
Landschaft und Kulissen vom Schlage eines „Vom Winde verweht“
(steht noch auf meiner Watchlist) ausklammert und somit dem typischen
Charakter eines US-Epos entsagt, um aus den Essenzen der
Charakteranalyse zu schöpfen. Die Transparenz, mit welcher die
physischen Mauern als psychische Mauern moralischer Abgrenzung
umfunktioniert werden, bringt da schon eine so leichte wie geniale
Wahrhaftigkeit mit sich, die in vorausbeschreibender Kapitelform am
Kopfkino des Literarischen heranzutreten versucht und dieses mit der
Adaption von Ansätzen modernen Theaters (Bezüge zu Brecht sind wohl
ebenso gegeben) zum Fokus charakterliche Zweige verknüpft. Kurzweil
wird innerhalb der knapp drei Stunden an Beobachtung nicht bloß eine
Begleiterscheinung - meist aus der Hand digitalisiert oder in
konkreter Vogelperspektive auf direkten Zugriff konzipiert, ist das
Netz an einladenden Charakteristiken recht umtriebig aufs Amerika der
Großen Depression zugeschnitten wie auch als Provinzmilieu binnen
der Rocky Mountains von Außenseiterperspektiven (abgesehen von der
unseren) abgeschnürt. Ob diese Position des isolierten Mikrokosmos
den Gesamtkomplex fair repräsentiert, sei mal fürs Erste
hingestellt, jedenfalls macht man sich mit einer Gesellschaft
bekannt, die sich untereinander versteht, auf geregeltem Alltag baut,
seine Menschenkenner, Philosophen, Farbigen, Arbeiter, Behinderten,
Idealisten und Träumer mit lockerer Hand führt und behält – da
muss der (historische, nationale) Kontext noch nicht mal entscheidend
sein, solange das menschliche Wesen in seinen Formen und Wegen auf
einen Nenner kommt, der jene minimalistische Expansion der (Um-)Wege
etablierter, demokratischer Ethik festzustellen vermag.
Der erste zentrale Charakter im Sinne
dieser Bewertung, Tom Edison (Paul Bettany), ist da auch nicht ganz
fern von seinem Regisseur, wenn er als Schriftsteller die
Veranschaulichung des Areals und seiner Mitmenschen zu fassen
wie auch zu vermitteln versucht, doch anhand des objektiven
Off-Erzählers bleibt dieser Ehrgeiz nicht von Dauer in Sachen
moralischer Festigkeit. Die Probe ergibt sich nämlich im Auftauchen
der von Gangstern gejagten Grace (Nicole Kidman), die Tom zu
beschützen und mit der Volksgemeinschaft anzufreunden versucht, dass
sie im Dorf als wertvolles Mitglied von außerhalb akzeptiert wird,
unter deren Schutz friedvoll leben darf und Toms allmählich
entpuppendem Wunschtraum einer großen Liebe entsprechen kann. So wie
sich der Rausch im Reiz des Neuen anfangs noch ergiebig, sprich von
seiner besten Seite zeigt sowie die Hilfsbereitschaft von Grace zu
schätzen lernt, so sät die Zeit aber schon bald Abhängigkeiten - wie das Unterrichten von Veras (Patricia Clarkson) Kindern oder das Seitenumblättern für die Kirchenorgelbedienerin Martha (Siobhan Fallon) -,
die bisher ungebrauchte Aufgaben des Alltags durch Grace als
Gegebenheit erscheinen lassen, deren Ansprüche nie zu verwirken
scheinen und sogar Hass erschaffen. Der Weg zur Ausbeutung und Willkür ist da absehbar, zu dem
Zeitpunkt aber noch weniger extern, als durch die Persönlichkeiten
ringsum definiert. Die Gewichtung an Regeln ist stets eingeschworen
bis unbarmherzig abgestimmt, die persönliche Einmischung von Grace
wird hingegen als Berechtigung aufgefasst, ihr näher zu kommen, auch
mit dem Vordruck der Machtverhältnisse ein Recht zu motivieren, das
sich bei der Schönheit der jungen Dame vor allem sexueller Aneignung
erfreut, wenn die vom Leben enttäuschten sowie von Anfang an
misstrauischen Zeitgenossen wie Chuck (Stellan Skarsgård) ihren
Frust entladen. Deren Druckmittel, sie könnten sie beim Aufmucken an
die Behörden verpetzen, hängt stets im Gewissen der
unausweichlichen Seelenschlucht, doch Grace bleibt, ihrem äußerst
platt wie filigran an Symbolik einlösenden Namen entsprechend,
ohnehin von einer Vergebung gezeichnet, die ihre Schmerzen unter
Protest entgegennimmt und doch nicht zu verurteilen gedenkt;
höchstens die Flucht sucht, nachdem Tom sie ohnehin erst ihrer
Bescheidenheit entgegen vom Bleiben überzeugen musste.
Guter bzw. gutgemeinter Rat ist eine
harte, wankelmütige Währung in der Anpassung an Realitäten und
Idealen, das wissen wir schon von „Surviving Christmas“,
hier zudem in der Begegnung mit dem blinden Jack McKay (Ben Gazzara)
und seinen energischen Erinnerungen ans Gesehene, doch wie sich die
Verhältnisse fortan entwickeln, zeugt dann von der oft unterstellten
Kritik ans Œuvre Von Triers, manipulative Gefühlsspektakel
aufzuziehen. Nun ist der Herr nicht immer ein Paradebeispiel für
Subtilität gewesen, doch seine Autorenschaft greift ab dem gewissen
Punkt zerschmetterter Porzellanfiguren (eben solche mit persönlicher
Relevanz) auf eine Argumentationsart zurück, die aus der
Vorbereitung im Figurenspektrum eine Ansammlung an Strawmen
erwirkt, welche nicht bloß in platter Offensichtlichkeit auf die von
sich selbst aus natürlich kaum erkannten Widersprüche ihrer
Worte, Werte und Taten hinweisen - als seien grundlos böse
Stereotypen aus dem Stephen-King-Universum vor Ort -, sondern zudem
ideologische Konsequenzen vorbereiten, die höchstens
theoretisches Futter für eine Exploitation im intellektuellem
Rahmen ergeben. So wie Von Trier seine Frauen liebt, so quält er sie
auch, doch selten in solch einer hermetischen Gefühlskälte, die
erklärt mehr vom Prozess als von der Emotion preiszugeben glaubt,
sich aber dann um die wirklich schwierigen Passagen scheut, wenn
Grace z.B. ihrer Versammlung an Peinigern die Wahrheit sagt
und dabei vom Voiceover überfrachtet wird, an dem die Konfrontation
von einer Entsprechung ersetzt wird, die als Veranschaulichung
einige potenziell wirklich interessante Gedankengänge Richtung
Schluss verdrängt. Gleiches gilt für den Wandel Toms, der so
versimpelt wird wie er auch die Unfehlbarkeit des Intellektuellen
deklassiert, zwar zum Teil eine Selbstkritik vonseiten Von Triers
zeigt, den Rest des Films damit aber letztlich auch zu rein vagen
Erkenntnissen verdammt, die mit der Drastik einer göttlichen
Katharsis liebäugeln, sie als ambivalent empfunden sehen wollen, den
Hang zur bemühten Provokation und zynischen Abhandlung bei allem
vorgelebten Leiden aber nur bedingt verhehlen.
Die leider in Anteilen ungenutzte
Fläche der Transparenz wird dann auch zum Schauplatz von
Schauwerten, wenn sie ihre kognitiven Distanzen zudem dauernd
überflüssig als Stilübung ausweist (siehe das Öffnen und
Schließen von Türen; Hintergründe), sich in der geographischen
Identifizierung via Abspann dann eben noch mehr vom universellen
Blick zur human condition abbringt und ihn verstärkt an
Amerika koppelt, was im Grunde eine spekulative Naivität der großen
Botschaft ausdrückt. Ob gerade das als Schwäche gewertet werden
soll, ist für mich als Außenstehender ein schwieriger Fall, weil es
eigentlich absolut nicht hinhaut, für eine nationale Identität zu
sprechen, der man noch nicht 1:1 begegnet ist. Das stellt natürlich
unvermeidlich zur Frage, wie wir überhaupt Perspektiven von
außerhalb bewerten können, egal zu welchen Medien, Nachrichten und
Historischem; ob dieses Eindringen ins pauschalisierte Dogville nicht
ohnehin bewusst reflektiert, wie man sich, als Einzelner auf das
Image der USA projiziert, wie wahrhaftig oder unglaubwürdig es daran
empfunden wird und welchen persönlichen Wert man daraus
ableitet/wiedererkennt. Macht das die vorangegangenen Kritikpunkte
obsolet? Wird man den Erwartungen wegen oder deren Erfüllung
enttäuscht? Ist ein allumfassendes Epos zur Menschheit möglich oder
nur eine Keimzelle des Unvermeidbaren? Hat Gott/der Hund Moses mit Absicht darauf
gewartet, dass der Apfel/Knochen im Garten Eden gepflückt wird; sprich wann
fangen sodann auch Schuld und Unschuld bei Grace, bei den Einwohnern,
bei Tom oder bei Von Trier an? Wird eine Verschachtelung durch
Ein-/Mehrdeutigkeiten im emotionalen Gelingen bereichert oder im
Ausbreiten unreifer Theorien, wenn es ums Erleben eines
Narrativs geht? Spreche ich Punkte an, die sowieso nicht schon seit
13 Jahren erläutert werden? Bei „Dogville“ versteckt sich
eben unter aller Transparenz und Kapiteleinteilung eine
Möbiusschleife des Daseins, die sich durchaus ihre Extreme reicht
und mit Trivialitäten ärgert, aber gemäß des Prinzip Films auch
back-to-back von vorne aufgezogen, als Abbild in den Raum
geworfen, angenommen und abgestoßen werden kann, im Licht auf- und
abtaucht, Schönheit empfängt und hasst, verzeiht und zerstört, an
allen Enden voneinander abzuhängen scheint und dann wieder nicht –
eben das Denkmal einer uralten, allzu menschlichen und tollen
Illusion, man könne die Welt und das Leben bannen. Ich glaube
trotzdem, dass der Film zu diesem Konzept noch besser sein könnte,
so typisch töricht bestätigt sich „Dogville“ eben auch
an mir, wohl bekomms! Nun aber auf zu anderen Galaxien:
ROGUE ONE: A STAR WARS STORY - "[...] Setzt die Gefälle des Wesens Krieg [...] um, dass man für knapp 130 Minuten eine Liaison mit dem allzu gegenwärtigen Spektrum an Widerständen und Vertrauensfragen eingeht. [...] Der Fatalismus nimmt überhand [...] Edwards kommt zwar auch nicht vom Grundriss der Heldensage weg, doch selbst wenn der Wille zur Wiederwehr hochgeschaukelt wird, verkneift er sich naiven Pathos, lässt anstelle dessen die Verzweiflung aufschwellen, welche ihren Idealen nur schwer in die Augen sehen kann, während diese unbarmherzig getilgt werden. [...] Sich in der Waage um Aufgabe und Fortschritt zum Optimismus einzufinden, wird da sowohl der stärkste Antrieb als auch die konzeptionelle Schwäche des Films, wenn er seine Gewichte aufs Bewusstmachen brutaler Größenverhältnisse verlagert, die Erlösung aus deren Willkür im Verstecken bzw. als trojanische Pferde erwirkt und zu guter Letzt für die gute Sache sterben muss. [...] Bei Edwards wird der Furcht wegen nicht chargiert, beim Glauben an die Macht aber erst recht nicht via Nerd-Zynismus ironisiert, sondern (selbst in vermeintlich gedämpften Phasen) auf die Kadrierungen, rauen Flächen und Natürlichkeiten eines Krieges vor langer, langer Zeit in einer weit entfernen Galaxis konzentriert. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)
Bonus-Zeugs:
WITTE AM LABERN #9: SUNDAY HORSE AUDIOKOMMENTAR - Mein Geschenk zu meinem Geburtstag (war am 13.12.) an Euch: Obwohl ich es selber schon für enorm ausgelutscht halte, Filme zu riffen, ist es natürlich was anderes, wenn ich es selber mache - allen voran bei einem nicht gerade hochwertigen, christlichen Pferde-Propaganda-Biopic wie diesem von Vic Armstrong („Left Behind“). Ich versuche auch, den typischen Nerd-Wortschatz zu vermeiden, garantiere aber für nix, mache sowieso immer ein paar Pausen. Ach ja, wäre natürlich vorteilhaft, wenn ihr die deutsche Blu-Ray des Films zum Abspielen bereithaltet, ich gebe auch Anweisungen zum Syncen meines Kommentars im Video. Noch ne Anmerkung: Den Ton des Films gerne im Hintergrund laufen lassen, sonst fragt ihr euch, warum ich mich über manche Dialoge totlache. Ich wünsche jedenfalls viel Spaß mit meiner Beigabe an Sprüchen und Reaktionen, nüchtern würde ich den Film nicht empfehlen. Man hört sich!
HACKSAW RIDGE - "[...] Seit jeher geblieben sind bei (Gibson) nämlich vor allem der unverbesserliche Hang zum Pathos und zur katholischen Allegorie im Blutvergießen, gebettet in ein Weltbild vom Dasein im Schlachten, stets energisch zwischen Gut und Böse aufgeteilt, bei denen die vagen Grauzonen nur noch für extrem verzweifelte Apologeten Gewicht haben können, während mindestens eine Gesellschaftsgruppe wieder verprellt wird. [...] Er schwärmt vom Pazifismus und dem Gebot „Du sollst nicht töten“, scheint diese ethischen Grundpfeiler aber nur als Vorwand aufzuspannen, ehe er seine wahre Dynamik im aufgegeilten Gemetzel der Militärmaschinerie ausspielt. [...] Direkt auf den Grabstein des Heldenfriedhofs, wo Blut und Boden zum Veteranenschmerz gemoddet wird. [...] Besetzt mit einer Gegnerfront an Japanern, die im Kamikaze wie aus einem modernen Horrorfilm scheinen - einmal sind sie sogar regelrechtes Jumpscare-Futter. [...] Streitbarkeit an sich ist gewiss kein Widerspruch zu Qualität, zudem ist Gibsons Film beileibe auch kein Paradebeispiel für lückenlosen Jingoismus, doch eine sichere Bank ergibt sich daraus noch lange nicht. Außer offenbar in Venedig und im Herzen Amerikas."
(Die komplette Kritik gibt es bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)
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