SCHREIE UND FLÜSTERN - Ingmar Bergmans Ensemble wandert zwar im Zwang emotionaler Kälte umher, im Innern sengt ein Fieber es jedoch an. „Schreie und Flüstern“ kommen dem Titel entsprechend der zentralen Frauengruppe entgegen, von der eine, Agnes (Harriet Andersson), im argen Krebsleiden die Ekstasen des Sterbens erlebt, während ihre Schwestern, Maria (Liv Ullmann) und Karin (Ingrid Thulin), eine nur leidlich passive Verzweiflung eingehen. Ehe wir jedoch die genauen Figurenverhältnisse nachgesagt bekommen, gibt Bergmann acht auf unser Bewusstsein zu Umgebung und zwischenmenschlicher Interaktion. Allen voran das altertümliche Dekors in seinem gleißenden Rot gibt Auskunft über ein drakonisch eingemauertes Leben, das abseits vom Licht alsbald in der Finsternis verschwimmt und wohl nur deshalb so farbig leuchten kann, da die Menschen hier fortwährend ihr Blut, ihren Lebenssaft vergießen. Mit der Farbdramaturgie hat es hier so einiges auf sich, die Wurzel der Verklärung kommt in dem Ambiente somit besonders transparent zum Vorschein. Wie schon in „Die Jungfrauenquelle“ werden Qualen nämlich der Gewöhnlichkeit sowie des Glaubens halber erduldet, obgleich die Position im Irdischen jedermann von Innen zu verkrüppeln scheint, so wie sich Maria und Karin wider des individuellen Glücks in der Ehe befinden oder wie die Bedienstete von Agnes, Anna (Kari Sylwan), den frühen Tod ihrer Tochter hinnimmt.
Letztere setzt ihre Demut zumindest in eine bedingungslose Mütterlichkeit für Agnes um, für die ihre Schwestern nicht bereit sind, obwohl allesamt mehr oder weniger an Einsamkeit, Entsagung und Manierlichkeiten aufgewachsen sind. Umso intensiver zeichnet Bergmann deshalb die Begegnung mit Empathie und unausgesprochener Sehnsucht, wenn der Drang zu und die Angst vor Berührungen innerhalb des Figurenkreises versucht werden. Das Treffen von Haut zu Haut innerhalb der starren Gemäuer birgt durchaus Erotik, insbesondere Maria will damit reizen, allerdings geht der Film weit mehr vom menschlichen Grundbedürfnis aus, die Nähe eines anderen, sprich Verständnis spüren zu wollen - der Mangel dessen hat sodann symbolisch zum Leiden von Agnes geführt, obwohl sie die Einsamkeit der Mutter als erste derer Kinder erkannte. Ihre Schwestern sind gegenüber jener Erkenntnis allerdings gehemmt: Maria versucht sich im Geheimen an eine Affäre, wobei ihre in Eigennutz getunkte Naivität sie entlarvt und statt Glück nur Unglück erschafft. Einer eventuellen Hilfe für die Geschädigten entzieht sie sich. Karin hingegen übt sich im Schweigen (die Verknüpfungen zum gleichnamigen Film von Bergman sind ohnehin prägnant), gibt zwischen den Stationen freiwilliger Selbstgeißelung lediglich Einzelmomente nackter Wahrheit von sich preis, bis ihre Abscheu vor dem Gesamtbild der Lügen in blutiger Selbstverstümmelung mündet. Der Rückzug in die Entmenschlichung kann eben nicht auf ewig halten.
Das Rot jener Destruktion verbindet sie jedoch alle, so wie die vielen Überblendungen zu jener Farbe Figuren und Geschichten im wechselnden Zeit- und Realitätskontext verknüpft, wie ein Herzschlag pocht und ein ideologisches Urteil zugunsten gemeinsamer Ungewissheit vermeidet. Dementsprechend wird die Gefangenschaft aller, ob nun im Leben oder im Tod, nicht aufgehoben - das Innehalten der Hoffnung jedoch, selbst in Mikrozellen an Momenten, bildet bezeichnenderweise das Schlussbild des Films vor der letzten Rotblende ins Herz. Die Verkapselung dessen im Zelluloidformat erzählt schon reichlich von der einzigartigen Funktion des Mediums an sich, abseits davon wirkt Bergmans Film aber alles andere als zeitabhängig in der Darstellung einer grundsätzlichen Versöhnung der Menschheit mit ihrer Krankheit sowie der fehlenden Abgeklärtheit dazu. Das liegt nicht nur am Aussparen historischer Details seinerseits oder an den teilweise auftretenden surrealen Qualitäten seiner Dramaturgie, sondern an der Erkennung scheinbar unvermeidlicher Systematiken im Umgang mit humanen Werten. Da steht es ambivalent um Selbstgefälligkeit und Status im Angesicht zu Kontakt und Liebe, wenn eine (z.B. gesellschaftliche) Richtung das Leben und dessen Ende bestimmen kann, eine Farbe hier die Perspektiven zwischen den Schicksalen umschließt, Jesus für die Sünden aller gestorben sein soll und der Schmerz auf Erden dennoch bestehen bleibt. Wir bluten eben alle - da ist Bergmann Humanist, Optimist, Pessimist und Realist zugleich, wenn er Höhen und Tiefen der Norm sowie die Zärtlichkeiten dazwischen in „Schreie und Flüstern“ definiert.
SHOCKER - Die Verletzbarkeit von/in Träumen im Film kann beinahe synonym mit Altmeister Wes Craven genannt werden. Selbst vor seiner Ikone des Freddy Kruegers war das Auseinanderhalten von Realität und Gedankenspiel eine beliebte Eigenschaft in Werken wie „Mondo Brutale“ und „Tödlicher Segen“, welche die Vermengung individueller Perspektiven im Angesicht metaphysischer Furcht verstärkte wie auch die Sicherheit durch Autoritätsfiguren und Vormund stetig abgesetzt wurde. Versteifte Gesellschaftsverhältnisse sind dabei gerne Auslöser einer Spirale ins Extreme hinein, frei nach dem Motto „Familiarity breeds contempt“. Und so findet sich das Böse in „Shocker“ auch mitten im Alltag, geradewegs aus der Fernsehröhre wieder. Nun ist es kein Geheimnis, dass dieser Film im Auftrag der Universal Pictures als eine Art „Elm-Street“-Konkurrenz gedacht war, welche die Übernahme von mentalen Privatsphären junger Protagonisten als Reißer des Übernatürlichen nochmals überbieten sollte. Doch obwohl Craven äußerst vertraut mit den Zutaten der suburban invasion umgeht, verläuft die Hatz durch Visionen und elektrische Ströme (die hier wie so gerne im Horrorgenre ebenso als Lebenssaft einstehen und dafür Blut verschütten) alles andere als vorhersehbar.
Das unstete Prozedere basiert dabei hauptsächlich auf High-School-Sportskanone und Findelkind Jonathan (Peter Berg), dessen Familienverhältnisse sich (ganz der Craven) so spezialisiert am Rande der Disfunktionalität offenbaren, wie sie zudem im Blutrausch auf eine intensive Zelle des Überlebens destilliert werden. Das Vertrauen des Adoptivvaters Lt. Don Parker (Michael Murphy) wird immer weniger zur Garantie, je näher die Taten eines gewissen Horace Pinker (Mitch Pileggi) das Umfeld seines Sohnes treffen, welcher in der Bewältigung des Bösen unfreiwillig, doch reinen Gewissens mit involviert wird, bis Nutzung und Zerstörung des sorgsam aufgebauten Alltags die einzigen Optionen bleiben. Fairerweise sei gesagt, dass er vorher selber Opfer jener destruktiven Kraft wird, die ihm in vertrauter Atmosphäre merkwürdigerweise ebenso vertraut begegnet und ihn dennoch so verhöhnt, bis sie seine Realität zerreißt. Pinker scheint dabei als übermenschliches Übel zunächst ungreifbar und doch so massiv in Vulgarität und Brutalität, dass es Jonathans Wahrnehmung und jene des Zuschauers verwirrt, bis die Familiarität des Traumes allzu verzweifelte Gewissheit wird - soweit also ganz genre-gerecht und voll mit Verweisen auf die Bewährungsstufen der Nancy Thompson gefüttert.
Die Austreibung des Bösen bringt jedoch ein Arsenal an Tücken mit sich, das über das irdische Verständnis hinausgeht und selbst unsere Helden zu unwirklicher Methodik und Motivation verleitet. Fortan befindet sich der Film also in einer Aura der Traumlogik, die sich allein dadurch schon ankündigt, welch abschreckende Eindrücke auf jenen versammelten Flimmerkisten geballt werden, mit denen sich Pinker im Privaten umgibt. Das spricht durchaus für eine Kritik auf Macht und Verantwortung der Medien, viel mehr jedoch zeigt es eine Reflexion der Wahrheit in natura (wie der Film ebenso Gewalt über sein Medium verarbeitet), die jedoch erst im Kreislauf der Gewöhnlichkeit/Gewöhnung sowie jenseits von Nuancen zu Extremen heranwächst. Nutzung und Zerstörung jener Verhältnisse werden dem Film im Angesicht dessen entsprechend auch geläufig, wenn er narrative Muster und Erwartungen Stück für Stück aushebelt, Heavy Metal auf spröde Gefängnistrakte treffen lässt, jedes Szenario abseits von Konklusion oder Katharsis weiterentwickelt, Charaktere aus dem Nichts hinein holt und wieder entlässt, bis der Überblick einer omnipräsenten Bedrängung weicht. Es gibt kein Entkommen.
Gewiss ist Pinker das unberechenbarste Element in der Handlungsführung zwischen dem Mut und der Angst Jonathans. Es kann blitzende Effekte beschwören sowie irre Verstümmelungen und Sprüche herbeiführen. Gleichzeitig ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich das sonstige Ensemble um sich selbst dreht und bar jeder Einweihung des Zuschauers Lösungen vorbereitet, ebenso surreal veranlagt; teilweise von einer Mythologie umgeben, die (der Zielgruppe entsprechend) durchaus von jugendlicher Grundnaivität ausgeht, aber so oder so aus der Zeit fällt. Man bedenke allein Jonathans Verhältnis zu jenem Herz-Talisman, den er seiner Freundin Alison (Camille Cooper) vermacht, im Verlauf ein entscheidendes Werkzeug wird, das über die einfache Kausalität von Liebe vs. Böses hinausgeht und sodann eine Kette an abwegigen Entscheidungen verursacht. Selbst wenn die Empathie zu Jonathan als zentrales Ventil der Bezwingung ungebrochen bleibt: Alles trägt zur Umkehr der Gewissheit, im inhaltlichen wie filmischen Rahmen bei, so wie sich auch die Modi der Sterblichkeit gegen ein Regelwerk wenden, Pinkers Geist in mehrere Körper springen lassen, die Verantwortung für das anbahnende Chaos ambivalent verteilen, sogar auf die ursprüngliche Unschuld zurückführen (eine Vorschau auf Cravens „My Soul To Take“) und letztendlich auch auf einen Trip durch die Zwischenwelten im TV-Wunderland hinauslaufen, wo unabhängig von Leben und Tod alles existiert, solange der Strom eingesteckt bleibt.
An der Filmerfahrung lässt sich also trotz der Erfüllung von Genre-Thrills und temporeichen Horror-Shots nicht allzu viel pauschalisieren, so wie sie die Belange des Hauptcharakters durch einen Albtraum unter Vertrauten peitscht und mit aberwitzigem Terror im transformativen Sender-Empfänger-Verhältnis auf die Spitze treibt. Die Bewältigung dessen kann da nur zu den Sternen (= Möglichkeiten, auch jene der Medien) schauen und sich wundern, ob das Böse für immer verbannt wurde, wenn dieses doch stets weiß, dass es bei Gelegenheit einfach nur wieder eingeschaltet werden muss, um sich zu verbreiten. Horror never dies - gleich daneben darf auch ein anderes unschuldiger erscheinendes Credo stehen: Plug and Play. So sind eben auch die Impulse des Lebens und des Mediums programmiert, woran Cravens Charaktere fiebrig zu knabbern haben, der Zuschauer aber umso verzückter einen „Shocker“ umtriebiger Filmgestaltung in Gang setzen kann.
13 HOURS: THE SECRET SOLDIERS OF BENGHAZI - "[...] Somit verlagert er waschechte Actionheroes in ein reales Krisengebiet, die ihren Verbündeten in der Bevölkerung zeigen, was sie drauf haben. Anstatt die latente Überheblichkeit jedoch in eine einseitige Schuss-und-Treffer-Euphorie münden zu lassen, beweist sich Bay erneut als Meister des Chaos. Nirgendwo passen Orientierungslosigkeit zwischen Funken, Kugeln und Explosionen, Verzweiflung und Adrenalinschub besser hinein, als in die urplötzliche Belagerung. [...] Die Faktoren der Anbiederung und manipulativen Emotionalisierung sind keine, die man nicht nur der politischen Korrektheit wegen einfach ausblenden kann. Ohnehin wird der Zuschauer erneut auf die Probe gestellt, wie die Schere zwischen Distanz und Involviertheit gemäß des filmisch umgesetzten Sujets anzusetzen ist. „13 Hours“ hat im Verlauf auch reichlich brutale Eindrücke parat, die der amerikanischen Mentalität einen Denkzettel verpassen und die Schuld nicht auf die Schultern eines Landes legen, sondern auf das forcierte Abwarten, sprich das Einhalten von Regularien. Ebenso entsteht ein Großteil der Eskalationen im Durchbrechen dieser Regularien [...] Entlastet verlässt man den Kinosaal hier nicht – erhellt vielleicht noch weniger. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
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