Sonntag, 1. April 2018

Bloggen zu Ostern ist kein Aprilscherz (Tipps vom 19.03. - 01.04.2018)

Puppa Armbrüster, Wolfgang Fierek, Stellan Skarsgård, Deborah Harry, Christina Lindberg, Robert Knepper

Liebe Leser,

ich bin zurück, auferstanden aus der Höhle! Nein, Gastautor Jesu ist nicht am Start, aber ihr guten Leute: Ich weiß, dass ihr zwei Wochen warten musstet (falls ihr gewartet habt), neues von der Wittigen Filmrundschau zu lesen. Dies ist übrigens nicht der neue Name des Blogs! Und das, obwohl den Begriff der wöchentlichen Tipps etwas frei auslege in letzter Zeit. Ich habe schon überlegt, Namen und Banner zu ändern, aber das war mir zu anstrengend – überlegt mal, wo überall bei Funk und Fernsehen und Presse und so ich die Änderungen ankündigen müsste, scheiße! Also lasst mal, der Name ist Tradition und ich steh mit meinem Namen für den Namen des Blogs! Wir haben ganz klar große Probleme in dieser unserer Zeit zu bewältigen, ich weiß das am besten. Und vor allem, das größte Übel zu diesem Osterfest ist hierzulande tatsächlich krasser denn je im Tagesthema: Das Wetter! Ja, haben wir’s denn Weihnachten?! Ich bin so wütend, da hab ich nur über sechs Filme geschrieben. Aber bevor wir zu diesen kommen, lasst mich euch eins sagen: 

GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 2 (James Gunn, 2017)

Ich habe dank Siegfried Bendix „Guardians of the Galaxy Vol. 2“ nachholen können und es war wieder mal kein guter Marvel-Film – die gegenwärtigen Probleme dieser Reihe an Einheitswaren sind hier nur etwas weniger nervtötend als beim letzten Spider-Man zugegen, da nicht alles in die Belanglosigkeit rein veralbert wurde. James Gunn hat sich dennoch total verlabert und kugelt sich vor allem gen Mittelteil in so viele Redundanzen rein, die er sodann mit der mehrfachen Wiederholung der beliebtesten Zutaten aus Vol. 1 zu kaschieren versucht. Der Mangel an Einfällen korrespondiert mit voll bemühtem Humor der Pointenbandbreite „Echt jetzt?!“ bis „Wie bitte?!“, in der Hoffnung, dass ungeduldige Lücken zwischen jenen Sprüchen noch mehr Witz versprühen. Das größte verschenkte Potenzial klafft da umso heftiger auf: Yondu und die Ravagers. Die erste Wiederbegegnung in jene Richtung sowie die Schlusssequenz (vor 1000 Post-Credit-Scenes) hatten beinahe einen Sog echter Charaktereinsicht über Vaterfiguren/Ersatzväter inne, doch der Honk-Humor musste sich dazwischen mischen, wie später auch das popkulturelle Kalkül um Erwähnungen von Knight Rider, Cheers, Pac-Man und sinnloserweise sogar „Mary Poppins“. Dazu kommt ein Maximum an CGI-Action, das jedes bunte Szenario geradezu aneinanderklatscht und von der eigenen Atemlosigkeit nichts zu wissen scheint – warum sonst würde Gunn dauernd versuchen, darin noch überdramatisch emotionale Entscheidungs-abschnitte zu reihen? Auch die Methodik erfüllt sich nur stückweise und gleichsam überstrapazierend, dass einem umso banger wird, irgendwann die Crossover-Hölle „Avengers: Infinity War“ sehen zu müssen. Bei Siggi liefen danach zumindest noch „Stürmische Liebe – Swept Away“ und „Den Himmel gibt’s echt, also war eine Steigerung des Abends in Sichtweite. Die unfassbaren Sexismus-Stimmungsschwankungen der Guy-Ritchie/Madonna-Melange und genauso die christlichen Wunder-Diskurse der Familie Burpo werden uns auf ewig in Erinnerung bleiben! Die ganzen Insider aus der Sichtung kläre ich hier entsprechend null auf, denn wen geht’s was an, häh?


Kommen wir aber nochmal zum anderen Großereignis der letzten Wochen: Mein Filmabend im März, kuratiert unter dem Titel „Acht Filme sind kein halber Tag“! Der Name war wie zu erwarten Programm und ja, der Zeitrahmen stimmte auch. Was lief unter dem gemeinsam angestauten Einfluss von 8 Flaschen Astra Kiezmische, 2 Dosen Rockstar Energy, 8 Dosen Coca-Cola sowie einer Flasche Cabernet-Sauvignon? Zunächst „Turtles II – Das Geheimnis des Ooze“, der uns allen bekannt ist – nur Siggi noch nicht und dieser mochte ihn dann doch! Wow, krasser hot take, ne? Wartet mal ab, die zentralen Filme jener Samstagsrunde habe ich dann doch intensiver in heutiger Empfehlungsspalte niedergeschrieben – außer „Lion Man“ und einen komischen Kurzfilm aus der Familiengeschichte anno 1992. Vor der Enthüllung der anderen Titel aber noch vier Mini-Empfehlungen, zu denen mir textlich absolut nichts eingefallen ist: Die höchstsympathische und bundesweit zockende Mint-Experten-Dokumentation „Monarch – Der Automatenschreck“ von Manfred Stelzer und Johannes Flütsch, die kernigen Sozialstudien „Der Hammermörder“ und „Verlierer“ von Bernd Schadewald (schade, dass ich bei ihm nen Block habe, aber mindestens ein Film wird’s hier nochmal schaffen) und der etwas zu lang geratene „God of Gamblers“ von Wong Jung, der seinerzeit immerhin den Großteil aller Hongkong-Film-Topoi höchst aufrichtig vereinen, aber nichts daran ändern konnte, dass ich von Kartenspielen weiterhin keinen Schimmer habe. So, ich hab euch lang genug ans Kreuz genagelt (höhöhö), jetzt dürft ihr die Eier suchen gehen und raten, welches von denen NICHT beim Filmabend vorkam und welches gemeinsame Thema die folgende Auswahl verbindet (ich weiß es nicht). Ich wünsche viel Spaß mit den Empfehlungen Eures duften Hasen:


Cleo Kretschmer, Wolfgang Fierek, Puppa Armbrüster


IDOLE (Klaus Lemke, 1976) – Ein ziemlich historisches Puzzlestück aus dem Werk des hier schon oft vertretenen Herr Lemke, da sein in den folgenden Jahren mehrmals hofiertes Leinwandpärchen Cleo Kretschmer und Wolfgang Fierek hier erstmals zusammen und bereits voller herzlicher Kleinigkeiten im Miteinander zum Einsatz kam. Deren Reibungskräfte erinnern daher nicht von ungefähr z.B. an jene der späteren „Amore“ – d.h., dass sich Cleo mächtig ins Zeug legt, als Dorfmadl Annerl nahe München dort Eifersucht zu züchten, wo sie das Herz ihres Lieblingsfußballboys Sepp (Fierek) einfangen will. Mit den Reizen der modernen wie feschen Dame von Welt kann sie allerdings nur binnen der Amateurliga glänzen (sie traut sich anfangs nicht mal, Schminke im Kiosk vor Ort zu kaufen) und wird dementsprechend ausgelacht – hundsgemeine Brüdersprüche und Mutti-Meckereien inklusive. Die Sache spitzt sich zu, als die Schwärmerei Richtung Tanzdame Puppa (Judith Armbrüster) im Örtlein vorbeischaut und in Begleitung der Coverband Pete und die Bavarians Gastronomie sowie ausgerechnet Sepp um den Verstand bringt. Die Puppa ist eben stets geradeaus, auch in ihrem Clinch mit den kaum verwöhnenden Verhältnissen – die Überforderung der Dorfdeppen sowie die negative Resonanz seitens Annerl sind vorprogrammiert. Sobald sich diese aber deswegen zusäuft, beginnt eine Odyssee, die zusammenschweißt und in Folge dessen aus dem urbanen Showbiz um Schnulzensänger Jack Meid (Lothar Meid, einige toll schreckliche Nummern wie „Bibi Bonbon“ aus seiner Feder darbietend) eine wiederum wortgewandte Komödie der Frechheiten entfesselt. 

IDOLE (Klaus Lemke, 1976)
IDOLE (Klaus Lemke, 1976)
IDOLE (Klaus Lemke, 1976)

Zanken, Schwärmen, sich gegenseitig unter die Fittiche nehmen, Beschwerden und Liebeserklärungen: Bewährte Kommunikationspole aus dem Œuvre Lemkes, die sich frisch nach „Teenagerliebe“ anhören, reisen wollen und gleichsam handheld inszeniert sind; in der Improvisation der hormonellen Naivität dennoch mehr auf die Pointe zugeschnitten scheinen – keineswegs zum Nachteil! Insbesondere Cleo strahlt da literweise Charme aus, wo ihre Prinzipien und Sehnsüchte liegen und wohin sie trotz aller Planlosigkeit ihrerseits der Puppa folgt. Ein toller Kontrast übrigens, wie jene neue Busenfreundin stets um ihr Ego und der Vorstellung von waschechter Anbaggerei ("Schmollen!") mit ihr streitet; trotzdem (wenn auch hinter vorgehaltener Wuschigkeit) gerne gemeinsam Fame-Phänomene schmiedet. Rom-Coms heutige Coleur müssen sich hier enormst verballhornt, auf jeden Fall hilflos übertroffen fühlen. Die Konstellation der Beiden ist jedenfalls so stimmig simpel wie erfrischend, einfach innig von Vertrauen und freiem Wankelmut geprägt, dass die Herren der Schöpfung im Vergleich allesamt nur schweren Atems hinterherkommen. Selbst Jack ist mit seiner Ausstrahlungskraft mehr so Romantiker vom Fach, bei Sepp scheint der Beliebtheitsstatus des Mannschaftskapitäns fast noch mehr Druck zu hinterlassen als die tollpatschige Unkenntnis gen Liebe – Peter Berling als Manager hingegen gibt sich so cholerisch (und angreifbar) wie Puppa; kein Wunder, dass sie später in sein Fach wechselt. Alles Menschen, die in ihrer Kleinkariertheit umso komischer wirken und im Zusammenspiel allmählich drüber hinauswachsen: Das macht im ursprünglichen Fernsehformat schon eine erhebliche Stärke der Annäherung aus - soweit auch, dass jene Lebhaftigkeit einige weitere Male erfolgreich wiederholt wurde, auch im Rückblick noch den besten Screwball von konsequenter Bodenständigkeit abgibt.


Nikolas Vogel


DIE ERBEN (Walter Bannert, 1983) – Irgendwelche Grauzonen beim Neonazi vorzufinden, damit will man sich eigentlich nur ungern auseinandersetzen – auch wenn aus einer Humanisierung nicht zwangsläufig die Normalisierung folgen muss, da die Verhältnisse von mindestens einer Partei aus erfahrungsgemäß eher gleich bleiben werden. Das Medium Film kann im Konflikt mit der Distanz verständlicherweise meist auch nicht anders, als die Muster des Gruppenverhaltens der alten wie neuen Rechte unter kritischer Beobachtung zu stellen (jüngst geschehen in Robert Schwentkes überreiztem „Der Hauptmann“), so wie sie sich im real life ohnehin dauernd bestätigen. Solche Mechanismen als Sozialstudie festzuhalten, zeigt sich da noch als Maximum der Sensibilität bei einem Sujet, das von sich aus eben auf keinerlei positive Aspekte zurückgreifen kann oder will (siehe dazu auch Uwe Frießners „Hass im Kopf“, die sehr direkte Haltestelle im braunen Sumpf). Nicht minder im Abstieg verankert, aber voll naturalistisch wie hyperfilmisch auf Strukturen, Effekte und Reaktionen des Rechtsrucks schneidend, zeichnet der Österreicher Walter Bannert eine Keimzelle des Hasses in stetiger Ausweitung gen Entmenschlichung. Mit Nostalgiekitsch, Überlegenheitsgedanken und unbedingter Kameradschaft wird dort eingangs eine gesellschaftliche Besserung vorgeschoben; irgendwann ist die Reflexion im Angesicht infamster (Selbst-)Lügen - die gleichzeitige Leugnung und Zelebrierung des Holocausts - dann auch so hinfällig sowie in jener Fassung gelobt, dass ihre Urheber erst recht die Lust an der Gewalt schöpfen. Stellvertretend dafür gerät Thomas Feigl (Nikolas Vogel) in solche Kreise, nachdem sich familiäre wie schulische Verhältnisse als Horte der seelischen Enthaltung vorstellen – inklusive Alkohol und Arbeitslosigkeit als Unterbau.


Jeder für sich und Gott gegen alle, auf Messers Schneide in immer brutalerer Antipathie (selbst gegenüber dem unbescholtenen Bruder Thomas'). Jugend mag sich nix sagen und einschlagen lassen, zudem nicht langweilen und so geht es ebenso frustbeladen-gleichgültig dorthin, wo die Fete noch den Schulterschluss verspricht. Jener mit der Vergangenheit unter Hitler und Co. kann sich vor laufenden Kameras sodann genauso pseudo-akademisch (ein Prototyp von Wolfgang M. Schmitt Jr. ist zufälligerweise auch anwesend) in die Provokation steuern/ins Parlament mogeln wie es 2018 noch gelingt. Bannerts Wahrhaftigkeit ist erschreckend frisch, zur Untermauerung derer gestaltet er Szenarien am Rande der Eskalationsreportage: U.a. Parteitage der totalen Verklärung; eskalierende Demonstrationen, die ihre Gegner für spätere Racheakte abfotografieren; Attentate auf wehrlose Menschen und Denkmäler zugleich, bis die militante Abkopplung im Untergrund an der Rassentilgung übt, Erinnerungen des Mordens als Machtbeweis auf dem Stammtisch ausbreitet. Terrorismus binnen selbstgefälliger Ermattung – mit jener Verwüstung im Innern füttert Bannert seine Ballung subkulturellen Bangens auch eher auf die konkrete Darstellung hin, ohne dafür (mit Ausnahme von vielleicht 1,2 Dialogen) noch allzu bemühte, emotionalisierte Hinweise mitzuliefern. Nicht, dass man als Zuschauer so oder so überhaupt irgendeinen Reiz Richtung Rechts verspüren könnte – schließlich spricht so oder so die Fassungslosigkeit aus seinen keineswegs Immersion scheuenden Bildern und bloßen Grinsebacken gelebten Horrors. „Die Erben“ zeigen sich schon ihrer selbst normalisiert und Bannert komprimiert im Gegenzug nix an deren Eigendynamik und Widersprüchen. Das ist schon heftig genug.


Meat Loaf, Kaki Hunter, Alice Cooper, Blondie


ROADIE (Alan Rudolph, 1980)Ach ja, so dachte ich mir, den kannste am Filmabend etwas gen Anfang platzieren, das wird eine sichere Nummer, ganz normaler Rockstar-Streifen, was auch immer. Dem war aber nicht so. Mit Größen wie Marvin Meat Loaf Aday, Deborah Blondie Harry, Roy Orbison und Alice Cooper im Ensemble lässt sich doch tatsächlich eine kuriose Übermacht des Abwegigen kredenzen: Den höchst kruden und mental durchweg labilen Roadmovie, der stets dem minderjährigen Groupie hinterher zu steigen versucht. Flirten nach Texas-Art, eben via Protagonist Travis W. Redfish (Meat Loaf), der binnen trinkfester Bärenkraft spontan seinen Messie-Hillbilly-Heimatschoß zurücklässt, um das 16 Jahre junge Küken Lola Bouilliabase (Kaki Hunter) zu vernaschen. Die tourt mit zwei Eventflaschen durch die Gegend und wünscht sich nichts sehnlicher, als bei Alice Cooper („Monster Dog“) im Bett zu landen – Redfish ist ihr jedoch so flott verfallen, dass er bei der Truppe als Roadie anheuert und jede noch so abenteuerliche Situation ins gelingende Chaos manövriert. Man orientiert sich da gerne am Konzept der Blues Brothers – soweit sogar, dass Doppelgänger derer auftauchen und ohnehin reichlich schrottreif gefahren wird, mit Zwinker-Smiley. Die Musikauswahl tendiert dabei eher zum Country – zumindest anhand von Coverversionen, die bis zum Punk verballhornt werden. Alles, was man da an Klischees vermutet, wird grundsätzlich nochmals übertönt, ehe die bierselige Hysterie aus dem Mikrokosmos der Backstagegrabenkämpfe („Kein Koks, kein Auftritt!“, „Kein Saft, also Strom aus Kuhscheiße, etc.“) vom Schlaghammer des Redfish so aufgemöbelt wird, dass er selber mehrere Gehirntraumata davon nimmt.

ROADIE (Alan Rudolph, 1980)
ROADIE (Alan Rudolph, 1980)
ROADIE (Alan Rudolph, 1980)

Solche Delirien halten fast so lange durch wie in Neil Youngs „Human Highway“, genauso intensiv wie die Hingabe zum fanatischen Flummi Lola. Die Kamera kann erst recht kaum von ihren Hot Pants lassen, schneidet aber sodann in die keifenden Mäuler der Texas-Räudensippe zurück, wobei sich vor allem Papi Corpus (Art Carney) mit Gemütlichkeitsapparaten wie einer mobilen Telefonzelle bemerkbar urig macht – das Geschrei ist eh überall im Gange, wir sind in den Vereinigten Staaten! Manch einer erzählt von seiner Spucksucht, Blondie trinkt einen unterm Tisch, Schneewittchens sieben Zwerge zetteln eine Schlägerei im Bingo-Salon an, Pansen vom Drogendezernat mit Revolver werden konstant ignoriert und es liegt zudem ein besonderes Augenmerk darauf, wie Alice Cooper (und sein Suspensorium) eine Quietschepuppe seiner selbst zerdrückt. Jenes Panoptikum der Unberechenbarkeit weitet sich im Verlauf in die Stratosphäre aus und zieht natürlich ständig schusselige Schlüsse bar jeder Sinne, ultra besoffen in der Misogynie und Scooby-Doo-Verfolgungsjagden. Schon beachtlich, wie man als Zuschauer da sowohl durch Klamauk als auch garstigster Y-Chromosonen durchgejagt wird und an allen moralischen Eckpfeilern abprallen muss, während sich der Party-Faktor im Fronten-Mash-Up selbst bekotzt, auf demselben Weg Ehe schließt und große Luftballons per Körpermasse platzen lässt. Der schlechte Geschmack geht auf Tournee und hat keine Skrupel, den Salat auf die Mattscheibe zu schmeißen – sehenswert!


Anita - ur en tonårsflickas dagbok, Christina Lindberg, Stellan Skarsgård


DAS SCHWEDENMÄDCHEN ANITA (Torgny Wickman, 1973) - Stellan Skarsgård machte sich schon in jungen Jahren über die Nymphomanen her. Dies belegt jenes hiesige Erotikdrama um die gerade mal 17-jährige und zum ständigen Geschlechtsverkehr hin gestörte Anita (Christina Lindberg), welche ihre Jugend der Hingabe zu 1001 Männern im Rückblick darlegt – froh darüber, dass der verständnisvolle Erik (Skarsgård) als einziger noch sorgsam ihre Narben bepflastert, (vorerst) die Finger von ihr lässt und sowieso ein offenes Ohr (plus Milchkarton) hat. Bilanz bzw. blank gezogen wird indes, wie unreflektiert ihr körperliches Angebot jeweils angenommen wurde, wie viel Kummer sie im Gegenzug ob der nimmer gelösten oder gar erfüllten Triebe hatte, während jede soziale Schicht und Sitte auf sie herunterzuschauen schien – angefangen in der (hier besonders widerlichen) Disziplin der Schule, aber insbesondere vom Kreise der Familie aus. Vater und Mutter regen sich bei Alltagstrivialitäten und mangelnder Bildung ('Wer war Rommel?!') auf, ebben hingegen in der Gleichgültigkeit ab, sobald Anita ihr frustriertes Verhältnis zur Sexualität sogar bei versammelter Gesellschaft vor ihnen nach außen trägt. Die gehörige Ladung Leistungsdruck ohne Entgelt äußert sich im charakterlichen Spektrum so zielsicher, dass sich das dramaturgische Konstrukt dazu nicht immer die Mühe zu machen scheint, bei den Szenarien der Schlussfolgerung genauso ökonomisch zu verfahren.

DAS SCHWEDENMÄDCHEN ANITA (Torgny Wickman, 1973)
DAS SCHWEDENMÄDCHEN ANITA (Torgny Wickman, 1973)
DAS SCHWEDENMÄDCHEN ANITA (Torgny Wickman, 1973)

Man könnte daran Redundanz, Didaktik und Körperschau monieren, das Gegenargument zieht allerdings einen fesch-ranzigen Schirm anhand von Optik und Kulissen drüber. Stockholm und Umgebung mausern sich zur Tristesse im groben Korn, wo sich die Trophäen der Heimeligkeit (Gewehrtapeten und Pudel in Adidas-Taschen) gleichsam finster mit Drogenkultur und intellektueller Ausgrenzung verkuppeln, Kommerz und Technik merklich an Kommunikation mangeln. Missgunst und üble Nachrede ergeben von der Perspektive Anitas ausgehend noch das höchste der Gefühle, während Regisseur Wickman vieles im Schweigen erzählen lässt, verschämte Blicke als Mittel des Vorwurfs herauskristallisiert. Seine Stationen zum sozialen Abstieg hin sind von Klischees gezeichnet, wie es unter den Voraussetzungen wohl unvermeidbar ist – umso überraschender findet man frische Luft in der Präsenz Anitas vor, mit der Frau Lindberg voll Natürlich- und Verletzbarkeit stets über dem Ausdruck bloßen Elends steht, selbst wenn die tiefsten Bodensätze der Gesellschaft erreicht sind. Da wirkt das nicht gerade moralinresistente Happy-End schon wieder etwas aus der Luft gegriffen, höchst naiv und erst recht von keiner dringlichen Fallhöhe hervorgebracht – höchstens von einem hormonellen Ventil, das die Einseitigkeit der Nymphomanie allmählich wie nicht wirklich überzeugend ausgleicht. Ulk und Melancholie eben liegen nicht nur in jenen Gefilden oft umschlungen.


Scott Adknis, Rhona Mitra, Robert Knepper


HARD TARGET 2 (Roel Reiné, 2016) – Scott Adkins verschlägt es zum wiederholten Male in der Geschichte dieses Blogs aufgrund einer verschämten Vergangenheit des Tötens in asiatische Dschungel, genauer Richtung Myanmar – nun aber als Gejagter der digitalen Neuzeit Wes Baylor, der den Vorbildern John Woo und Jean-Claude Van Damme, zusammen mit DTV-Journeyman Roel Reiné, die Ehre der The-Most-Dangerous-Game-Überwältigung erweisen will. Sein Graf Zaroff heißt in diesem Fall Aldrich (Robert Knepper, „Twin Peaks – The Return“) und arbeitet mit Militärs und Freizeiträuden zusammen, per gehässiger Coolness auf flüchtende Menschen einzuballern. Falls jemandem die Flucht vor ihnen gen Grenze gelingen sollte, wäre ein Sack voller Rubine auf dem Konto gesichert – der spätere Quasi-Love-Interest Baylors, Tha (Ann Truong), will damit hingegen die Freiheit ihres Dorfes erkaufen. Eine sehr direkte und Genre-naive Motivation, welche umso harmonischer jene Baylors konterkariert, der im mentalen Strom der Wiedergutmachung seinerseits das Strandhaus zu erwirtschaften gedenkt, welches sich sein von ihm im MMA-Ring getöteter BFF Jonny (Troy Honeysett) so sehr wünschte. Letzterer hinterließ Frau, Kind und massive Schuldgefühle seitens Wes, der sich seinen selbstgewählt mickrigen Exil-Lebensunterhalt mit Untergrund- wie Wolkenkratzerkämpfen verdient, ehe das Aldrich-Angebot als roher Fisch auf dem Tisch landet. Der frisst sich das Filet allerdings so „geilstens“ rein, dass man flugs das Hauptunterhaltungsargument in Robert Knepper feststellt. Der liefert durchweg ab, Reiné will da auch gern hinterherkommen, nicht nur die Enthüllung dessen Plans in markiger Steadicam-Rundfahrt ballen, sondern natürlich auch orgiastische Action im Stile des Vorgängers aufbieten.



Im Grunde gelingt ihm dies auch – Zeitlupen, Tauben, Napalm, Motorräder, Flinten und Fights machen einiges an Aufwand sowie BOAH!-Spitzen geltend; können trotzdem irgendwie nur in Portionen zuschlagen. Liegt mitunter daran, dass deren verbindende Fäden eher mit Beliebigkeit und Klischee-Dialogen ziehen, während Super-Adkins‘ Herausforderer selten ernsthaft und fix in ihre Schranken verwiesen werden. Reiné schafft dementsprechend eher ab und an (vor allem zu Beginn) die Klimax-Euphorie Woos, genauso gedrosselt dessen Extravaganz und exzessives Chaos – dafür drückt das Budget zu sehr, selbst wenn noch immer reichlich um die Ohren fliegt. Die Szenarien zwischen stillgelegten Bahnschienen und brüchigen Brücken geben in der Richtung genug an Feuer her, ihr Charakter bleibt dennoch unausgegoren. Der Cast leistet dem in der Hinsicht Folge, dass einzelne Momente (wie Baylors Elefanten-Slapstick oder seine Blutspucker in perfekter Rillenform) unter der Oberfläche der Schnörkellosigkeit kratzen und trotzdem irgendwie auf Durchzug geschaltet sind. Zu blöd, wenn sie damit sogar an die knapp 103 Minuten durchhalten müssen. Von Enttäuschung mag ich trotzdem nicht sprechen – die bloße Ahnung vom Level an Passion, die in der Rückkehr zum Woo-Feeling steckt, feuert allesamt bis zum Ende an und klinkt sich zudem stimmig ins altbekannte high drama aus Vergebung und heroic bloodshed ein. Die Schlussmomente können da zwar nicht mit denen der „Lady Bloodfight“ mithalten, aber das können und wollen eh nur noch die wenigsten im Genre.




DEATH CURSE OF TARTU (William Grefé, 1966) – In den Sümpfen der Everglades binnen Florida ist weiß Gott nicht viel zu holen. Unter der Prämisse eines flotten Horrors für die Drive-In-Saison lässt sich B-Movie-Autorenfilmer Grefé allerdings dann doch einige mythische Schwergewichte einfallen. So lasten einem die sterblichen Überreste des Indianermedizinmanns Tartu gar garstig tierische Flüche an, sollte man zwecks niederer Beweggründe in sein Hoheitsgebiet eindringen. Archäologen und Schatzsucher gehören da ebenso zum Beuteschema wie einige unbedarfte Teenie-Pärchen voll hipper Tanzmoves und Hormonüberschüssen. Keiner jener Beteiligten versucht den jeweils spekulativen Stereotyp seinerseits zu brechen, da man ringsum schon mit allzu kleingehaltenen Ressourcen in Sachen Filmform und -inhalt Vorlieb nehmen muss: Grefé und Crew kommen mit ihrem Equipment stets nur an ein und denselben Ufern und Totenköpfen an, weshalb jeder einzelne Spaziergang im Angesicht der Schrecklichkeiten so lange währt wie das Drehbuch dünne ist. Solche Bedingungen fallen ja wie gehabt anhand kurioser Spitzen nicht unsympathisch aus, zumal sich die Entschleunigung auch hier fortwährend als Drama-Queen behauptet.



Das bedeutet vor allem, dass sich der Soundtrack im Loop selbst bedrängt, ebenso Native-Gesänge in kurzatmigster Wiederholung ausbreitet und daraus Furcht schöpft, während die Parallelmontage ebenbürtig Jäger und Gejagte annähern lässt. Ausgerechnet Anakonda, Alligator und Haifischflosse werden da die unausweichlichen Reißer für zig Frauenschreie und Bastelkurs-Effekte, so wie sich männliche Begleiter im Gegenzug mit Rationalitäten belabern, was man als nächstes tun müsse. Selten dämliche Fragen füllen die Laufzeit wie zuvor noch Freizeitspaßversuche im Ödland, dass dem Zuschauer das Herz aufgeht, wenn solch ein Augenmerk auf die höchsten Stufen altbackener Belanglosigkeit gelenkt wird. Es folgen daher: Bikini-Partys mit Knutschfalten, Panik in der Styropor-Gruft voll Spinnweben, panisches Abhängen an Ästen, Sprengstoff per Schießpulver (aus zwei Kugeln), Leichen-Make-Up vom Formate Geisterbahn, schon nach 200 Metern Flussweg überforderte Motorboote, vielerlei Totalen schwüler Naturschutzgebiete. Anstrengend, angestrengt und trotzdem recht dufte!

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