Sonntag, 15. April 2018

Unsere Lage in fünf Angriffsflächen (Tipps vom 02.04. - 15.04.2018)

Dick Randall, Bruce Le, Sonny Chiba

Liebe Leser,

zwei herausfordernde Wochen liegen hinter mir. Und zwar hatte ich es in der ersteren nicht hingekriegt, auch nur einen Film zu sehen! Ein Entzug, wie er mir seit Jahren nicht mehr widerfahren ist – aber lasst die Bange nur im Klange: Dafür gab es in der zweiten Woche wieder ein sattes Programm plus Filmabend à la Siggi Bendix am Samstag! Den werde ich im heutigen Rahmen noch nicht näher erläutern können, dennoch hab ich fünf Beispiele aus einer Filmwelt parat, die sich weiß Gott wenig um den Netflix-vs.-Cannes-Kindergarten und Disneys Camorra-Taktiken scheren. Etwas außerhalb aller dieser Fronten hatte ich mich übrigens insofern betätigt, dass ich neben verlängerten Wanderschaften in der Sonne auch meinen Balkon gefegt hatte. Es strahlt vom Himmel, die Menschen kommen raus! Und die sind natürlich auch die eine oder andere Beobachtung wert, quasi filmreif, wa. Ich hatte dafür sogar Stöpsel im Ohr, Vaporwave im Blick auf die City oder auch M83, sobald ein Kid den Balanceakt auf einem Fahrradgeländer am Straßenrand versuchte. Ein weiterer toller Moment geschah just als ich aus dem Fenster sah, wie für mich gemacht: Eine Frau hatte beim Bistro gegenüber so eingeparkt, dass sie die Frontstange des Karrens hinter ihr deutlich anbumste. Daraufhin geschah erstmal nichts, ehe sie sich in aller Seelenruhe was aus dem Kofferraum holte und davon ging. Knapp 5 Minuten später ging bei ihrem Auto dann der Alarm los, warum auch immer. Die Menschen sind schon ne komische Sorte, aber genug von jenem externen Datensammeln meinerseits. Abschließend vor der Verkündung aller Empfehlungen gibt es dennoch ein weiteres Kuriosum, diesmal aus den Träumen, zu verzeichnen: Im Rahmen eines Hofbauer-Kongress-Äquivalents sollte „Hanna Amon“ erneut im Kino gezeigt werden, bei der Projektion fiel dann schnell auf, dass da eine herbe Alternativfassung auf der Rolle schlummerte: Hardcore-Inserts en masse sowie längere Episoden voll mit Adrien Hoven, der dem Fall wissbegierigst auf den Grund geht. Das Publikum war geschockt, aber auf der anderen Seite des Saals projizierte sich noch ein Nebenprogramm für solche, die es aufgrund ihrer verringerten Abenteuerlust in Anspruch nehmen wollten. Das wollte ich vorher nochmal loswerden, jetzt aber die Tipps, viel Spaß beim Lesen!


Thomas Davis


ASPHALTNACHT (Peter Fratzscher, 1980) - Letztes Mal hatten wir Lothar Meid schon bei den „Idolen“ ausgemacht, nun gerät er für „Panische Zeiten“- Regisseur Peter Fratzscher erneut als Komponist eines Zeitgeists auf den Plan, wenn auch mehr als Ghostsongwriter eines urbanen Taumelns, das die Identität aus der Kuppelei mit der Musikgeschichte hinterfragt und derer dann dort noch ständig sowie mehrmals verpuppt begegnet. Diese Ironie fliegt gewiss nicht über die Köpfe ihrer Akteure hinweg: Rock(balladen)produzent und angehendes Solotalent Angel (Gerd Udo Heinemann) aus der verdampften 68er-Aufbruchszeit sowie No-Future-Punk-Pendant Johnny (Thomas Davis) kennen die Phrasen, Symbole, Symbolträger und Philosophien ihres Mediums in- und auswendig. Das ergibt allerdings keine Gesprächsrunde abklopfender Nettigkeiten - es ist höchstens für den Zuschauer sehr unterhaltsam, quasi doof und dufte im Einklang, wie die Zwei damit im Dialog gegenwärtiger Bestandsaufnahme posieren gehen und in den Wald des Kulturpessimismus schreien, ihre Slogans auch im Selbstgespräch bringen. Mit dem Zufall macht die Inszenierung halt gerne Kontakt – er lässt seine Teilnehmer zwischen Sonne, Schauer, Einstürzenden Neubauten und Unfallkarren zueinander finden, entzweien und im Chaos der Berliner Stadtlandschaft wieder entdecken.

Peter Fratzscher, Gerd Udo Heinemann, Thomas Davis, Debbie Neon

Die Lässigkeit darin bringt sich als Symbiose umso besoffener auf den Trip aus zig grellen Nachtkulissen, gleichzeitig stichhaltiger auf die Kritik an Szenemanieren, an berufsbedingten Abhängigkeitsverhältnissen und Narzissmen. Wieder eine Ironie wider der Ironie, wohl auch deshalb gilt der Film unter Kennern als Kult, ferner als Zeugnis einer eingemauerten Filterblase, in der ausschließlich das Neon lebt (sogar Debbie Neon!), die Ikonen gemacht werden/gemacht an den Wänden hängen. Die dokumentierte Dekoration ist anno 2018 sogar schon sowas wie Nostalgie, im Rahmen des Films wird der Drang zum neuen Stil dann auch erst recht zum Hauptthema der Verdrossenheit (im Angesicht von 1984) – selbst sobald er gefunden wird, scheint er eher eine Lücke im Wert kurzlebiger 200 D-Mark zu schließen. Die pragmatische Coolness/Langeweile schärft ihre Sieger zum perpetuum mobile an. Das zeigt sich schon am Tag danach: Die Bullen wie gehabt im Rücken, gerade noch aus der Jägerkluft der Biker entkommen und angeschlitzt; beim Tunnelrennen mitten drin das Girl gewonnen, dieses im nächsten Parkhaus wiederum in die Freiheit entlassen – wäre schlimm, wenn man danach nicht gleich wieder gen Lieblingstrack jumpen könnte, selbst wenn der unverhoffte Partner auf dessen falsche Sentimentalitäten scheißt. Rock’n’Roll is bigger than all of us, indes geht eine packend rotzende Bromance auf Tour, die in ihren Hoffnungen sterben wie aufgehen will.


Etsuko Shihomi, Sonny Chiba, Yasuaki Kurata


HISSATSU ONNA KENSHI aka DRAGON PRINCESS (Yu Kohira, 1976) - Etsuko Shihomi, uns nicht nur im Rahmen dieses Blogs hinreichend als Sister Street Fighter bekannt, erfüllt diese Woche die Frauenquote binnen hiesiger Zeilen. Schade, dass der Film dazu etwas konventioneller ausfällt als manche ihrer Karate-Exploitation-Ausflüge unter Kazuhiko Yamaguchi. Dabei ist Yu Kohira, der Macher hinter der Dragon Princess, kein unbeschriebenes Blatt im Actionkino deftigerer Sorte. Seine „Easy Riders von Tokio“ glänzten mit Verbalausfällen und rauen Effekten, in dieser wie abermals von Toei verlebten Produktion gestaltet er das Rache-Motiv jedoch zum vergleichsweise spröden Melodram der Stile, Gut gegen Böse der Familie wegen. Das heißt für Yumi Higaki (Shihomi) genauer, die Ehre des Vaters Kazuma (Sonny Chiba) zu rehabilitieren, so wie die Darstellerin an sich oftmals im Schatten jenes Wildesten von Allen Chiba agierte. Das gibt dem Film wiederum einen satten Unterbau, der genauso gut als Verweis vonseiten „Kill Bill“ fungieren könnte: Im New-York-Prolog zeigt sich die Rivalität Kazumas zum korrupten Hironobu Nikaido (Bin Amatsu), der beim eigentlichen Duell seine Schergen auf ihn ansetzt und verstümmelt. Der qualitative Standard japanischen Kinos, mit seinen wüsten Panoramen und Blutballetten, erfüllt sich da so flugs wie die Schicksalsschwere Yumis, welche widerwillig auf den Dächern der L.A. Slums vom Leben entfernt im ständigen Training bleibt und da auch noch ihren einzigen Kontakt seiner alten Verletzungen wegen verliert.

Etsuko Shihomi, Sonny Chiba, Yasuaki Kurata

Danach kann es nur noch nach Japan gehen und man weiß, woher die Katharsis rühren wird: Sie zeigt den Azubis und Lakaien Nikaidos, wo die Faust drückt und macht ihn nervös. Das mündet vorerst in keiner direkten Konfrontation, eher verfolgt der Film, wie brachial dessen Vollstrecker (dieselben, die Kazuma überfielen) in einer Montage-à-la-„Pate“ weitere Konkurrenten ausschalten, während Yumi die nähere Nachbarschaft vor Yakuza-Pansen verteidigt. Die Pflicht nimmt sie exemplarisch auf sich, während auch der Rest des Ensembles im nationalen Wertesystem darauf anspricht, Verantwortung vor allem für die Familie (und auch irgendwo sich selbst) zu übernehmen. Der verdeckt ermittelnde Schüler Nikaidos, Masahiko Okizaki (Yasuaki Kurata, ebenfalls oft mit Frau Shihomi zu sehen), handelt aus ähnlich emotionaler Schlagkraft - gerne von heftigem Regenfall akzentuiert. Die größten stilistischen Stärken treten allerdings erst im Showdown aller auf: Wie da mit Farbfiltern, Zooms und dem Gewicht an Sounds gearbeitet wird, macht da noch mehr an Ekstase/Poesie aus als die letztendlichen Finishing Moves der Gerechtigkeit. Trotzdem: Auge um Auge, wortwörtlich. Wenn es bloß nicht noch wildere Partien desselben Prinzips gäbe…




BRUCE KEHRT ZURÜCK (Bruce Le und Joseph Kong, 1982) - Kennt wer spontan noch das „Spezialkommando Feuervogel“? Also jenen eurasischen Geheimagenten-Abenteuer-Sleaze, der via Regie/Autoren/Hauptdarsteller-Kombo Bruce Le und Richard Harrison gegen üble Machenschaften und echte Tiger antrat? Wenn ja, dann hoffe ich doch, dass es demjenigen auch gefiel, denn mit dieser Rückkehr erwartet einem more of the same. Nicht, dass eine narrative Bindung zwischen den Filmen bestünde, aber der titelgebende Bruceploitation-Taiwanese macht als Eastern-Übermensch wie abermals die Sehenswürdigkeiten Europas unsicher, umgibt sich im Cast zudem mit Industriegesellen wie Dick Randall, Ultraräude Jean-Marie Pallardy (dessen Paris-Episode aus Moulin-Rouge-Pornos und Kindesentführung an den Assi-Level seiner eigenen Werke mahnt), Bolo Yeung und Harold Sakata (der seines Zeichens sogar das James-Bond-Theme aufgetönt bekommt), welche stets überflotte Vermöbelungen seinerseits auf den Weg mitkriegen. Im Grunde ein einziger riesiger Freundschaftsdienst, der sich der Nettigkeit halber in eine Honkparade maskulinen Eskapismus verwandeln konnte.


Binnen dieser ist der Plot so beiläufig wie spontan am Laufen/gerade wie es passt ausgedacht und dementsprechend bruchstückhaft auf Aktsuche, weshalb sich die Konzentration dementsprechend oft auf Drohsprüche, Straßenkämpfe, Attentate und eingecremte Brustwarzen versteift. Die infantil schellenden Labertaschen des Ensembles sonnen sich vor allem bei letzteren omnipräsent ins Zelluloid, bevor der nächste Schlägertrupp oder Scharfschütze ihr aufgegeiltes Idyll zu stören wagen. So gelangt die Entführung der (sich ebenfalls oft entblätternden) Konsulstochter anhand von schlagkräftigen Nachforschungen des Ex-Knackis Bruce über die römische Mafia hin zur French Connection gen Paris, gefolgt von Rache-Eskapaden in Hongkong gegen Ninjas mit Stop-Effekten, der Befreiung derer Sexsklavinnen sowie zum Endschlag gegen Superboss Sakata – ehe die abschließenden 20 Minuten noch die Konfrontation mit Hwang Jang Lee im Kolosseum herbeisehnen. Komischerweise erlaubt sich Bruce Le in jenen historischen Gängen so manch lachhaft vorsichtigen Spaziergang im Schnitt, wo zuvor aufgrund dauernd wechselnder und durchgeboxter Szenerie kein rechtes Zeitgefühl entsteht - die gemalten Knochenbrüche und Herzschläge zum Schluss bleiben trotzdem nicht aus. Angeberei, Hormonüberschüsse und Kintoppkompost können so bunt sein, es grüßt der Macho-Kindergarten!


Choehu-ui Jeongmumun


BRUCE LEI - KÖNIG DER TODESKRALLE (Kim Shi-hyeon, 1977) - Südkorea probierte sich auch mal an der Bruceploitation aus und konnte dabei auf Dragon Lee (bürgerlich Moon Kyoung-seok) zurückgreifen, der als Leinwandvolksheld mit Bruce-Lee-ähnelndem Konterfei (und bereits vorher angebauten Kampfsportskills) unter anderem eben auch den ‚König der Todeskralle‘ mimen durfte. Wie so vieles in der Welt der Martial-Arts-Massenware benutzt der Film dafür die Invasion Chinas durch die Japaner im Zweiten Weltkrieg als Aufhänger einer klischeebeladenen Gerechtigkeits-Dramaturgie – und wie in ebenso vielen Fällen des Genres besticht auch diese als Einfaltspinsel, der sich gleichsam mühsam in den Action-Plot-Minimalismus hineinlabert und anhand jener Struktur absurde Kampfspektakel reiht. Genau die richtigen Parameter für einen gelangweilten Nachmittag, der sich gerne schon von explodierenden Steinen begeistern lässt, wenn ein Bruce Lei (Dragon Lee) dies mit bloßem Kick hingebogen bekommt. Schnell entfalten sich daran auch die beliebt-bekannten Begleitumstände für solch markiges Handeln:

Dragon Lee

Der alte weise Meister, die unantastbar-naive (und extrastumpf gespielte) Liebelei zum Gürtel-Girl, Rückblenden zum jüngst von Hitler-Bärtchen-Japanern gemordeten Bruder, triste Wiesen und grelle Sets zum Fighten sowie ein Schnippelsoundtrack extrafrecher Bastelklaue. Das flutscht geschmeidig an einem vorbei, wie es auch die gern erlebte Freude an Unvermögen ergibt – zur Zuspitzung derer trägt jedoch bei, welche Superkräfte und somit surreale Effekte man der Todeskralle im Kampf um die Ehre des Kung-Fu/der Nation verliehen hat. Noch abstruser verläuft hingegen die Xenophobie der Protagonisten, die ihre Feinde per Hose-Runter demütigen, in Netzen zum prügelnden Lynchmob führen und trotzdem letztendlich darum buhlen, miteinander binnen Frieden und Respekt leben zu wollen. Kuriose externe Perspektive seitens der Südkoreaner, die sich dann auch etwas aus der schon zur Mitte hin augelösten Reibung verlaufen und einen Deutschjapaner namens Yoko (?) ins Leben rufen, der neue Morde und Entführungen anleiert, ehe er den Brucelmann in einer präparierten Gadget-Villa zur Game-Of-Death-Akrobatik herausfordert. Man darf dreimal raten, wer da alles stirbt. Sehr konsequent und billig das Ganze – wie meine Empfehlung dafür!


Jeannot Szwarc, William Castle


FEUERKÄFER (Jeannot Szwarc, 1975) - „Der weiße Hai 2“ feiert dieses Jahr sein vierzigstes Jubiläum, umso sinniger, dass ich mich kurz zum vorangegangen Tierhorror desselben Regisseurs äußern sollte. Ein Stück weit den Erfüllungsgehilfen darf Szwarc hier schon geben, da eigentlich Ko-Autor und Produzent William Castles Handschrift über dem Film liegen sollte, zumindest was das High-Concept (und einige unerfüllte Kino-Gimmick-Pläne) angeht. Die ersten Phasen des Films bestätigen auch dessen Lust am Publikumsschock, starten mit dem Erdbeben in der Kirche, halten die damit einhergehende Quelle der Bugs aber nicht unbedingt im Dorf. Die Furcht vorm brennenden Käferviech sucht alsbald nämlich nach einer Erklärung anhand des Uni-Professors James Parmiter (Bradford Dillman). Seine Versuche gleiten jedoch kontinuierlich in die Sucht ab, je krasser sich die Tiere von seiner distanzierten Experimentierphase zu was Persönlichem bilden. Zunächst nicht unfern von „Phase IV“ abgeleitet, brennt sich der Terror sodann in die Familie ein, zumal Parmiter der Sache soweit auf den Grund/in den tiefsten Erdspalt geht, dass ihn der Wahn umschlingt, obgleich oder weil jene Tiere mit ihrem kollektiven Schrecken sogar auf Suizid aus sind.

Bug (Jeannot Szwarc, 1975)

Diese Form der Steigerung in der Individualisierung entspricht durchaus einer Kehrtwende von Genre-Zeitgenossen, die stets einer konzentrierten Gemeinschaft den Kampf gegen jegliches geballtes Ungeziefer überlassen – zumal der Film auf einen Horror der Überhitzung setzt, der seinerzeit am ehesten in „Blutgericht in Texas“ seinen Ursprung fand (großes Kompliment!). Dazu gesellen sich bizarre Szenarien des Grauens, groteske Bilder vom Qualm per Schabenkleister, der sich in die Köpfe von Mensch wie Tier einnistet. Parmiter selbst setzt dem Ekel eine Folter via Lufthochdruck entgegen, wie steil will der Zuschauer da jeweils den Grad des Bösen messen? Problematisch dafür wird leider das ziemlich lasch geballte Narrativ, bei welchem die Geisteswissenschaften gegenüber sparsam ausgeteilten Reißereffekten kaum zur Geltung kommen. Die analytische Atmosphäre kuscht etwas vor der Belanglosigkeit, der Aufriss in Parmiters Untiefen allerdings kann den abschließenden Höllenschlund unendlicher Todeskräfte nochmal im Fieber auffangen. Unausgegoren mit effektiven Stichpunkten!

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