Sonntag, 6. November 2016

Tipps vom 31.10. - 06.11.2016

Libelleser,
diese Woche hatte sich mir solch ein schickes Angebot an zur Besprechung tauglichen Filmen eröffnet (einige wie letztes Mal empfohlen aus dem Bestand des Heimatfilme-Kanals), dass ich kurzzeitig schon das gute alte Mikrofon aus meinem Dschungel an Tisch gefischt hatte, um mein Hirn im Monolog ausleeren lassen zu können. Sodann war im Zeichen aufgenommener Laberei bald schon eine Stunde vergangen und nicht mal die Hälfte der Birne ausgesabbelt, weil ich selbst bei weniger berauschenden Beispielen typisch extensiv ausholen wollte. Kein Limit = kein Ende in Sicht, wie anstrengend muss da erst das Rausschneiden jedes „Äh“ sein? Wenn ich das jedenfalls so bis zum Ende durchgezogen hätte, wären wir hier nach drei Stunden noch immer nicht fertig miteinander und sowieso hätte es mich selber angeödet, wieder auf solch ein verlebtes Format zurückgreifen zu müssen – was man eben immer erst weiß, nachdem es bereits angefangen wurde. Klar habe ich wie jeder andere introvertierte Schüchterling erheblichen Mitteilungsbedarf, aber fest steht: Würde ich jemals wieder die Audioschiene einschlagen, wäre mir ein Dialog weit lieber, zumindest etwas Unterhaltsameres oder Raffenderes als diesen Wendekreis mit der eigenen Stimme, wo es doch ohnehin schon soviel spannender ist, als Zuschauer mit einem Film im inneren wie äußeren Gespräch zu kommunizieren, ganz wie mit den liebsten Mitmenschen. Die haben mir diese Woche ohnehin einige glänzend schöne Stunden beschert, sei es nun das zuhause gefeierte Halloween voller Süßigkeiten, Wodkamischen, Rasierschaum an den Türklinken sowie einer Handvoll schauriger Streifen, der in längere Gespräche vertiefte Besuch unter Freunden oder eben die bis in die frühen Morgenstunden fetzende Geburtstagsparty mit Orions Buch der „1000 Sexwitze“ in der Runde. Wie sich gerade dann noch das Rückenmark der Filmbesprechung auf wöchentlicher Basis in Blogform umsetzen lässt, ist für mich jedes Mal ein neues Rätsel, aber zu dieser Ausgabe habe ich erneut ein glänzendes Mantra gefunden: Ich werfe Euch einfach ins kalte Wasser und wir schauen gemeinsam, was uns verrückten Klöpsen alles noch passieren wird, dieses Mal wirklich etwas kürzer und bündiger auf den Punkt gebracht! Nach dem 8. November wird es uns alle eh nicht mehr geben, also auf in die Schlacht: 




In Chris Columbus' Märchen „Heartbreak Hotel“ besucht ein gar nicht mal so fetter Elvis (David Keith) um 1972 herum jenes Etablissement, um aller Leben via magischer Selbstverständlichkeit zu verbessern. Die Sache hat nur mehrere Haken: Er wurde vom semi-rebellischen Johnny (Charlie Schlatter) gekidnappt, welcher mit seinen Konflikten wiederum eher in den Jugendfilm-Konsens der 80er passt. Dieser schwärmt dem Teen-Dasein wegen für eine kaum charakterisierte Dana Barron, trägt rauchige Stimme und Lethal-Weapon-Frise auf, kommt wegen seiner Garagenband à la „Zurück in die Zukunft“ nicht bei der Jury des Talentwettbewerbs an, identifiziert sich mit Alice Cooper, klingt aber nach Rick Springfield, wenn dieser wiederum Springsteen emulieren würde (diese Lyrics...aiaiai, „Die Nacht der Abenteuer“ lässt grüßen). Der Bezug zum King passiert jedoch über die ihn (plus Schwester Pam) alleinerziehende Mutter Marie (Tuesday Weld, menschlicher inszeniert als der Rest), der er einer Freude machen will, nachdem der neue Beau (Chris Mulkey) blaue Veilchen inklusive Karrentotalschaden ausgeteilt hat und dafür später auch mehrmals auf die Nase kriegt. Johnnys Plan sucht daher im Strudel rahmenbildender Klischees ebenso die Verbindung zu Elvis' Mutter, die er anhand einer ortsbekannten Frittenoma rekreiert und somit an den Aberglauben des Rockurgesteins appelliert, ehe er mit seinen Kumpels das Chloroform auspackt. Nach einigen authentischen Konzerteinlagen hat der Film allerdings durchaus Probleme, nicht nur deren Esprit nachzukommen, sondern auch noch einen Spannungsbogen aus jener Entführung der Sentimentalität wegen zu schaffen, schließlich ist Elvis so idealisiert, dass er es kaum erwarten zu können scheint, seinen Widerwillen abzulegen und alles tun zu wollen, um das Leben im Heartbreak Hotel aufzupimpen. Dramaturgisch geht das dann auch nur so weit, dass Johnny zwei Minuten lang wütend ist, weil sein Zimmer wie alles am Haus in ein Neon-Leopardenfell-Graceland verwandelt wird, ehe er sich wieder mit dem King versöhnt, weil Wunscherfüllung vor Charakterbildung an erster Stelle steht – sogar das Ende von „E.T.“ wird 1:1 übernommen, nachdem sich die Muttersöhnchen croonend einig werden, aus welchem gleichen Holz sie geschnitzt sind. Durchaus kurios und ulkig, dieses Tohuwabohu mit der Mythologie der rockenden Americana. Das ergibt durchaus noch ein Bündel niedlichen Eskapismus, in dem der empathische Zuckerguss gratis sowie aus reiner Nächstenliebe ausgeteilt wird und behauptet, wieder cool zu sein, doch den menschlichen Kern hinter der Magie der Nostalgie sucht man lieber bei „Peggy Sue“.




Larry Cohen ist dann immer am besten, wenn er die unscheinbare Satire ins High-Concept einfließen lässt, selbst wenn dieses als B-Movie-Attraktion an sich den puren Horror fürs Drive-In verspricht - vom durch und durch offensichtlichen „The Stuff“ ist jetzt ausnahmsweise trotzdem nicht die Rede, sondern von „Die Wiege des Bösen“. Ein gutes Stück subversiver nämlich lässt er in diesem Elternschaftsschocker anno 1974 Gefühle von Vietnam in die Heimat einkehren, speziell eben die zu Heimkehrern, sprich den eigenen Söhnen, die wie später auch „Rambo“ ihrer nationalen Taten wegen verstoßen wurden. Explizit spritzt jeder direkten Nennung dessen entgehend mehr Blut und (Mutter-)Milch zugleich heraus, doch die Entsprechung jenes Traumas schwebt durchweg über dem charakterlichen Pfad der Familie Davies (John P. Ryan und Sharon Farrell), nachdem das Neugeborene ab Entbindung als wahllos reißendes Monstrum tötet und gejagt wird. Der Medienrummel drum herum zerfleischt allerdings erst recht den psychischen Körper der Eheleute, die in der Belastung auferlegter Schuld und Gerüchte dem Kind abschwören, es zum Abschuss sowie zu weiterführenden Forschungen abgeben wollen, die innere Nabelschnur eigentlich aber nimmer abtrennen können. Ein Kommentar zum Diskurs der Abtreibung steckt da durchaus ebenso mit drin, ohnehin wie stigmatisch das zeitgenössische (= ewige) Gesellschaftsbild mit Betroffenen umgeht, diese ausschließt und erst in der Ausrottung des menschlichen Versagens wieder involviert, während die humanistischen Züge von Liebe und Zusammenhalt immer abstrakter an ihren sicher geglaubten Daseinsmodellen vorbeileben. Die Wahrheit vor dem älteren Sohnemann wird da genauso energisch verklärt wie Vater Frank auch völlig apathisch auf die Verzweiflung seiner Frau Lenore reagiert, an seinem Arbeitsplatz der Werbe-/Image(!)-Agentur ebenso befremdlich ums Thema herumgefloskelt wird. Angst, Scham und Verantwortungsgefühle zugleich reißen sich wie Bernard Herrmanns Musik um die innere Fügung der Familie nach außen, wenn sie im Intimen stets an den dunklen Korridoren ihrer Ideale vorbeikommen, während unschuldige Hälse bei Tageslicht in der Innenstadt aufgekratzt werden. Exploitation (per spartanischer Kamera mit Weitwinkel) nimmt da trotz effektiver Genre-Kohärenz letzten Endes jedoch die kleinere Gewichtung ein, wenn das Bekenntnis zum Kind als Zwiespalt zwischen dem Eigenen und der Gesellschaft fungiert, John P. Ryan selbst für die krudeste Babypuppe aufrichtiges Bewusstsein vermitteln kann und vom Film auch nicht als Ironie empfunden werden muss, höchstens als Dreh- und Angelpunkt grausamer Zwischenmenschlichkeiten.




Tim Burton versucht sich mit der Reise auf „Die Insel der besonderen Kinder“ teils allzu pflichterfüllend ans Kontemporäre des von ihm mitbegründeten Superheldengenres anzunähern, obgleich die Romanverfilmung nach Ransom Riggs als solche noch reichlich Boden für die markanten Topoi des „Beetlejuice“-Regisseurs hergibt. Beispiele gefällig? Beliebte Motive wie wild entkoppelte Augäpfel, verständnislose Väter mit Ornithologen- und Autorenambition zugleich sowie der Halt zum älteren Mentor und dessen Geschichten sind gleichsam verbindliche Faktoren für den Außenseiter-Protagonisten Jacob (Asa Butterfield), welcher fortan zwischen den Dimensionen von Leben und Tod, Zeit und Raum unterwegs sein wird, um Herzensdame sowie Seelenverwandte eben dort anzutreffen. Angenehm unaufgeregt und doch verzweigt wird sich da zu Beginn noch der Anweisung seiner Psychotherapeutin (Allison Janney) nach auf die Spur gemacht, welch Wahrheit in den Sagen des Opas (Terence Stamp) Richtung Wales lauert, welch honkige Spitznamen die Hip-Hop-Atzen der Inseljugend so tragen, genauso wann Burton endlich die entsättigten Farbfilter ablegt. Die Auflösung folgt mit Dank in Miss Peregrines (Eva Green) Heim für oben genannte Kids, welche mit ihren Fähigkeiten milde bis herrlich makaber ausgestattet in einer Zeitschleife verweilen, die ab Ende jeder Nacht den Bombeneinschlag der Nazis zurücksetzt und alle pünktlichen Pflichten, wie die Instandhaltung der Grasskulpturen aus „Edward mit den Scherenhänden“, forever young einüben lässt. Burton fühlt sich hier selbstverständlich ebenso zuhause, lässt in seinem Nimmerland sodann Stop-Motion frisch bleiben und das Kino der Träume aus dem Kindskopf heraus projizieren, an dem sich schon bewusst so manch Plot-Zukunft absehen lässt sowie diese verballhornt. Gleichsam wird eine phantastische Romantik zum (wie Aghnar der Metabarone) schwebenden Mädel Emma (Ella Purnell) erhofft, die nicht ohne Zwischentöne des Horrors ausbleibt, so wie in Jacob gleichsam unverhofft Besonderes schlummert. Das Narrativ könnte allein damit wunderbar zurechtkommen, doch der böse Barron (Samuel L. Jackson) mischt sich mit seinen brutalen Hollows und weiteren typischen YA-Begrifflichkeiten ein, die Dramaturgie des Auserwählten zu forcieren, bei dem man sich die Konsens-Werte von Teamwork und Pläne-Vereiteln nicht undynamischer vorstellen könnte. Die Ausnahme dazu bildet immerhin ein toller Showdown auf dem Londoner Rummel, der Euro-Techno auf Zuckerwatte, unsichtbare Monster und reanimierte Skelette treffen lässt. Burton bleibt seiner Jugend treu, platziert sie mit Schalk im Zeitgeist und obwohl das Finale dann doch zu holprig gen Pathos lahmt, ist der Kompass zum Gesamtwerk noch souverän genug eingepegelt, ehe der Herr in Rente gehen müsste.




Eine österreichische Lolita in Form von Marisa Mell wird Hans Söhnker in „Wegen Verführung Minderjähriger“ zum Verhängnis, dementsprechend bietet sich der um 1960 noch bewährte narrative Rahmen einer Gerichtsverhandlung an, bei der Rekonstruktion sowie dem moralischen Diskurs um gewisse Paragraphen auszuhelfen. Jener konventionelle Aufbau zu Hermann Leitners Sittendrama ist jedoch so schnell abgehakt und später noch mit eher obligatorischen Expertenmeinungen ausgestattet, dass verkappte Sexploitation zum Vorschein kommt, angeleitet von einem empathisch gezeichneten Melodram verbotener Liebe. Die Sinnlichkeit der Haut hört nicht beim Kopfkino auf, wenn sich die Dramaturgie an konservative Kreise richtet und trotz aller aufgezeigter Folgen dann erregt ist, wenn sie das Gelingen der Jugend- wie Altherrenfantasie um Dr. Stefan Rugge (Söhnker) und der frühreifen Schülerin Inge (Mell) zeichnet. Sehnsucht zieht eben an, erst recht in vermeintlich verhaltener Schwarz-Weiß-Optik. Der romantische Charme am Pauker ist dabei nicht so klar auszumachen, als dass die Umstände kontinuierlich, mehr oder weniger konstruiert zur Näherung führen, aber auch anhand individueller Charakteristika den Puls der Zeit fühlen: Ein beinahe sofortiger Unfalltod ihrer Eltern, nachdem der gute Rugge Inge adoptiert; ihr engagiertes Fachwissen gegenüber den Faulpelzen der Klasse; ihre vergangenen Liebschaften, die sie mit feschen BRAVO-Sprüchen und Halbstarken-Streichen wieder erlangen wollen; ihr erhoffter Wandel aus dem ewigen Feiern im Konga-Keller hinauf zur ehrenvollen Hausfrau (jenes Ziel soll den meisten Mädels hier übrigens zuteil werden, was bei der dargestellten Gewichtung der Bildung schlicht absurd klingt). Vor allem bei letzterem kann Rugge nicht anders, als unterstützend und vorbildlich zu agieren, was ihm eine Zuneigung beschert, die er im geregelten Familienleben kaum nötig hat (die bereits 20-jährige Ehe wird oftmals betont), sich aber gerne darauf einlässt, wenn er dafür ins Jazzkonzert mitkommen kann, welches einige famose Laufzeitfüller wie „Kokosnüsse, heiße Küsse“ vorfindet. Unvermeidlich werden da das Lästern der Schulkameraden vom Schlage Stephen Kings, erste Beischlafentsprechungen im Federballspiel sowie das Brodeln der Gerüchteküche, an der Rugge-Tochter Karin (Cordula Trantow) schlussendlich die Hysterie übt. Die Spannungen sind dementsprechend scharf im Dialog des Zwiespalts unterwegs, allerdings auch mehr kurzweilig denn rührselig verdichtet, so vergnügt sich die Schatten der Leidenschaft anfetzen, zwar nicht die Klischees einer Femme Fatale anpacken, die Unschuld jedoch eher im verschämten Rugge vorfinden, der laut Rechtsanwalt und Verständnis der Gattin schlicht von der Moderne der Jugend überrollt wurde. Ein naives Urteil, das zuvor noch eine ausgewogenere Beobachtung anbot, aber schon schön unterschwellig als Schnittstelle von Schicksalsmelodram und Report-Film agiert.




Wer sich noch an den Komiker Sinbad erinnert, verbindet damit wahrscheinlich eher weniger Glanzstunden des Humors, so wie dieser binnen der 90er familienfreundlich von der Hood aus die afroamerikanische Kultur formulierte, bis sein Name allein zu einer Pointe wurde. Einen Höhepunkt des Honk-Faktors jenes Mannes stellt allerdings „Der Hausfreund“ dar, jene Verwechslungskomödie von Randall Miller (inzwischen wegen fahrlässiger Tötung verurteilt), die das endlos nervöse Improvisations-Talent seines Protagonisten im Angesicht einer typisch nuklearen Familie beweisen will und dafür selbst binnen 100 Minuten Laufzeit einen neuen Rekord filmischer Hastigkeit aufzustellen scheint. Nachdem Kevin Franklin (Sinbad) in seinem Versagerdasein nämlich von über-stereotypischen Schuldeneintreibern der Mafia mit Namen wie PAUUULY!!! und JOEEEEY!!! gejagt wird, landet er über mehrere verrückte Zufälle im Haus der Familie Young, deren ums Bilderbuchimage bemühter Patriarch Gary (Phil Hartman, R.I.P.) ihn für seinen alten Schulfreund sowie begnadeten Zahnarzt Derek Bond hält. Eine Prämisse wie geschaffen für ungehaltene Blödeleien und Engpässe der Erklärungsnot, in der das Einmaleins aus platten Situationskomiken und reagierenden Visagen keine Gnade kennt, im Stakkato auf die Lachmuskeln einzuschlagen. Da freut es, dass jene Methode glänzend hinhaut, da die amüsierenden Ambitionen ihrem „Simpsons“-Zeitgeist geschuldet unbedarft überhöhte Klischees des Suburbanen ballen und bewusst mit der Cartoon-Ader des Ganzen kokettieren (siehe zu Beginn allein die Sounds, die von Kevins Karre herrühren), was zudem durchweg am gleichsam chargierenden Sinbad-Hartman-Kontrast festzustellen ist. Permanente Unruhe und aufgesetzte Zufriedenheit treffen dort im teils experimentellen High-Speed-Tempo von Schnitt und Spiel zusammen, während die Erwartungen der jeweiligen Klassen auf den Kopf gestellt werden, die Snobs jede (natürlich immens) absurde Erklärung des fingieren Dereks schlucken und er ohnehin als so nett wie hilfreich empfunden wird, dass er mehr oder weniger freiwillig für die Resolution aller innerfamiliärer Probleme (u.a. B-Ball-Skills und Goth-Girl-Depressionen) verantwortlich wird – ausgerechnet einem Proto-Wigga darf Sinbad dabei sogar die Meinung geigen. Egal, in welches Schlamassel er sich hinein wirft und welchen Schergen er wieder entkommen muss, ohne dass die Youngs es merken: Der Zufall wendet einen surrealen Vorteil nach dem anderen draus und lässt die Chancen zum eskapistischen Selbstbewusstsein (= dem bigotten Boss die Meinung sagen) genauso wenig ungenutzt, wie der Film auch auf keinerlei noch so beknacktes komödiantisches Kalkül verzichten will. Der Hirnriss ist vorprogrammiert und gerade in seinem Überschwang enorm sympathisch, vergnügt albern und manchmal sogar virtuos auf den Marathonlauf der Hoschis geeicht, um Freundschaft in der Wahrheit jenseits des Identitäten-Beefs, dafür eher im BBQ der Clinton-Ära zu finden.




Ab mit der Fähre auf die Färöer-Inseln heißt es für den jungen Hausarzt Paul (Helmut Griem), voller Ideale und Unbedarftheit ins Herz heimeliger Dorf- und Kaffgemeinden, nachdem der letzte Kollege dort den Tod fand. Praxis und Witwe können gleich mitübernommen werden, meint Begleiter Mikkelsen (Hans Nielsen) und gibt somit einen stimmigen Einstieg zum Gesellschaftsporträt, das sich vor brachialer Urteilslust kaum zügeln mag. „Barbara – Wild wie das Meer“ heißt Frank Wisbars („Fährmann Maria“) Melodram mit der besonderen Note Hinterfotzigkeit, wie schon die malerische Natur in karger Kälte eingedeckt, was den zwischenmenschlichen Umgang angeht, wenn alle Welt über die Unmoral der zentralen Superfrau schwadroniert und mal mehr, mal weniger ums moralische Kollektiv besorgt nach Bestätigungen ihrer Untreue giert. Paul steht noch neutral und keck zwischen den Gerüchteköchen, schließlich ergibt das Treffen mit besagter Barbara (Harriet Andersson) aber eine reißende Bekanntschaft, der er allmählich verfallen wird. Sie gibt ihm trotz des Motivs stetig wechselnder Tanzpartner den Vorzug vor Schwerenötern wie Cousin Gabriel (Herbert Fleischmann), der sich erst recht den Mund über sie zerreißt, wie der Film ohnehin im reißenden Tempo die finstersten Sprüche binnen der Horrortristesse auffährt, die im nordischen Ambiente der Hütten und tosenden Wellen untereinander vorherrscht. Da ist es auch nicht weit von versuchter Vergewaltigung, Scheinehe verkuppelnden Inselvogten sowie haltlosen Saufereien, wenn sich das Krebsgeschwür des Frusts hinter konservativen Konsens klemmt. Barbara steht über den Dingen, entpuppt sich dennoch gerissener als erwartet, bleibt aber dank Auslandsprospekten vor allem in der Sehnsucht nach draußen definiert. Ab in die große Welt und daher kaum für einen Mann allein genügsam: Das 1961 im nicht immer dreidimensionalen Frauenbild ergänzt sich noch gut mit großspurigen Räudenherren und Herzenstypen im Ensemble, die ihre Triebe gleichermaßen der Dramaturgie zur Verfügung stellen und sich nach heißen Tänzen im Beischlaf glaubend von Schafherden überraschen lassen, sobald Barbara denen die Türe öffnet. Nur Paul gebietet sie Einlass zur Sinnlichkeit, was nach langem Wandern binnen stürmischer Natur erreicht und in jeder folgenden Trennung dementsprechend beschwerlich zurückerlangt wird. Wenn er sie doch nur festhalten könnte... Manische Eifersucht und purer Hass heben sich schließlich einen Bruch an den Idealen und das Spektakel des Scheiterns aus Leidenschaft nimmt seinen Lauf. Kompromiss- und skrupellos wie ein „Sternsteinhof“ nehmen die Spannungen jetzt vielleicht nicht zu, dafür erregen sich die Wortgefechte trotzdem kongruent zum Fieber der Herzen, an dem die Brutalität der Sitten die Selbstzerstörung mit lanciert, daraufhin zärtlich zerbrochen am Kamin des China-Hauses kauert. Auch der Mikkelsen gibt sich empört, klopft dem Nachfolger aber gleichsam dieselben Empfehlungen vom Anfang auf die Schulter. Ein perverses Spiel der Strukturen mit ihren Gegensätzen.

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