Sonntag, 9. April 2017

Tipps vom 03.04. - 09.04.2017 (Junior-Ausgabe)


Liebe Laser 
(seit jeher meine Lieblingsvariante dieser Anrede),

wir leben in einer Zeit der Krisen, Kriege, Ängste, schlechten Witze und sensiblen Grauzonen. Also konzentrieren wir uns mal aufs Trivialste am Weltgeschehen: Pepsi muss sich für die Kontroverse einer verpeilten, doch eher belanglosen Protest-Kommerzialisierung verantworten und „Ghost in the Shell“ floppt natürlich deswegen an den Kassen, weil's Whitewashing das Massenpublikum abschreckt. Lol, haha. Ich für meinen Teil konnte diese Woche tatsächlich einige Glücksgefühle mehr als sonst verbuchen, bei all dem, was auch außerhalb des hier angesprochenen Themas Film geschehen ist – selbst wenn es kaum jemanden außer mich selbst und den engeren Freundeskreis interessiert hat. Ich konnte im Job einen weiteren Schnittauftrag fertig stellen und Rechnungen schreiben, ich habe mich seit langem mal wieder an die Kamera getraut und ein knackiges Video über meine Pannen bei „Super Mario 64“ draus geborgen, ich bin meinen zweiten verfaulten Weisheitszahn endlich losgeworden und habe am selben Abend beim allwöchentlichen Filmclub unter Freunden teilgenommen, hatte daraufhin einen schönen Tag mit 12 Stunden Filme am Stück verbracht, den Tag danach für mich neue Ecken Hamburgs erkundet, darin einen McChicken Classic gemampft, obskure Importdosen eingesackt, alle Ausgaben des Kinemalismus geordert und zudem ein Gratisbuch abgestaubt, das ich gleich an prominenter Stelle (U Alsterdorf) abknipsen musste:

Ich durfte auch den Eppendorfer Moor in meinem Leben willkommen heißen, wo ich zum ersten Mal seit langem keinen Menschen im Umkreis von 100 Metern um mich hatte – nur einige Enten. Natürlich soll das hier nicht als Schelte gegenüber meinen Mitmenschen stehen bleiben, ich war am Freitag schon wieder im Kino (auch wenn „Song to Song“ lief – dazu irgendwann mehr). Womit ich jetzt allerdings wieder enorm haderte, war der Umstand, wie ich mich in Blogform zu den gesichteten Empfehlungen in Sachen Film äußern sollte. Weil die Woche so prall gefüllt war mit anderweitigen Abenteuern (Samstag war ich auch gut mit den Bros am Abhängen, Schnacken und Snacken) will ich mal konsequent sein und mir ein Beispiel am Geiste meiner jüngsten Erfahrungen nehmen, in diesem Sinne: Die wöchentlichen Tipps sind dieses Mal der Umstände halber nun wirklich kurz und bündig als Express-Fassung unterwegs. Klar, Ostern steht vor der Tür und der Arbeitselan wird von Natur aus immer bleierner, aber ihr könnt euch nicht vorstellen, was ich bereits am Freitag wieder für eine Schreibblockade, schiere Angst sogar davor hatte, nicht liefern zu können. Doch ausgerechnet aus der beklopptesten Maßnahme des Tages hatte sich sodann eine Lust im Turborausch ergeben: Tatsächlich wollte ich Mini-Kritiken in mein Notizbuch reinschreiben, diese abscannen und als Bilder präsentieren, bei denen jeder sofort daran scheitern würde, meine Sauklaue zu entziffern, siehe Beispiel:

Weil ich aber auf einmal wieder das Gefühl hatte, freie Hand zu haben, sind mir in einem Zug kurios und furios vier Filme wie ein Stein vom Herzen gefallen. Ein revolutionärer Prozess, nicht wahr? Klar, wer jetzt die üblichen Dimensionen meines Schreibens erwartet, darf über meine Wenigkeit ruhig in etwa urteilen: passiert, blasiert, so eine faule Sau! Das Beschränken auf A5-Seiten hatte trotzdem etwas Belebendes an sich und ich hoffe, dies kommt im Folgenden auch so rüber. Früher oder später haue ich eh wieder die Mammutzeilen raus, bis dahin sollten diese Kettensätze schon ihren Zweck erfüllen:


DAS BADEHAUS ZU DEN 7 GLÜCKSELIGKEITEN - Gemessen am Titel spaziert man gerne herein, doch Obacht, ihr Spitzbuben: Innerhalb solcher Tokugawa-Sauereien aus dem Hause Nikkatsu ist stets mit reichlich Rape und Sadismus zu rechnen. Und für wahr: Es hausen so ziemlich keinerlei angenehme Sexszenen im '69er Historienreißer von Motamu Ida, trotzdem heißt es Glubscher auf für ein Füllhorn an Cinemascope-Voyeurismus, das sich insbesondere im bronzenen VHS-Gewand von seiner Würde der Altertümlichkeit aus Immunität verspricht. Lässt sich ja auch von Anfang an den Herren der Schöpfung ansehen, die hier ihren Safe Space politischer Meinungen und Geschlechterschrankenlosigkeit verleben, eher aber aufs nackte Fleisch anspringen. Entsprechend idealistisch dazu handelt das Drama binnen der Lusthüttchen von zwei rechtschaffenen Landsmännern im legeren Kimono, die als Repräsentanten der Ära-bedingten Unterschicht über die hohen Tiere meckern und aus der Ortschaft entführte Damen retten, selbst wenn diese nach melodramatischer Entehrung im Mädchenhandel den Freitod herbeisehnen. Für lesbische Nonnen, Schwangere und frustrierte Gatten sind es ebenso zermürbende Zeiten; die Verschwörung jener durch fiese Samurai wie Shôgunate forcierten Korruption tut da ihr Übriges zur Unterdrückung erotomaner Stielaugen, doch Ver- wie Enthüllung bedienen als kecke Audiovisualität durchaus eine Empörung voller Sinnlichkeit, teilweise im Delirium des Blumenschnupperns auf einen famos pendelnden Klimax hinsteuernd. Dem Zuschauer kommt die Farce des Körperkults entgegen, dem Ensemble eine mittelschwere Ernüchterung im Auge handlungsunfähiger Beamter - auf dass die Schwerter länger wetzen, der Geist per Ninjarauchbomben und Glasscheiben zur geheimen Buseninspektion benebelt bleibt.


KEINE GNADE FÜR VERRÄTER/DIE TODESMINEN VON CANYON CITY - Bei dem Film von Alfonso Balcázar wird mir vor allem in Erinnerung bleiben, wie er Leute in die Luft sprengt - und das nicht zu knapp. Ebenso, wie Fernando Sancho seine Revolution so anleitet, als sei der Zirkus des Abschlachtens in besagte Stadt eingezogen. Kann unter anderem an solchen Szenen liegen, in denen ein Honkbube nach dem anderen aus der Latrine springt und sofort Blei frisst. Am schönsten verweilt allerdings der Gedanke, wie dicke Sancho mit seinem Kumpel Luis Davila Räudenaktionen ausheckt und im Zuge vieler zufälliger (Wieder-)Begegnungen (à la Zwei Idioten, ein Gedanke) zusammen permanent Scheiße labert. Da hauen sie mit korrumpierter Asche um sich werfende Ausbeuter im Klassenkampf zwischen den USA und Mexiko in die Pfanne, wandeln sich aus der„Flucht in Ketten“ zu (einigermaßen unfreiwilligen) Robin Hoods proletenfeister Lässigkeit, wobei Luis Peitschenhiebe und Intrigen per „Für eine Handvoll Dollar“-Nummer in die Wüste schickt. Da passiert soviel im Rahmen der Stiefelfetzen zu Pferde, im Heu und Fäustemäulern; zu alledem ist deren Tempo bestialisch hochgeknüppelt, trotz B-Budgetierung als spanischer Ableger des Spaghettiwesterns ein Pulverfass an Kiesgruben, einfallenden Minen, staubigen Saloons und Schergen, deren Kragen, Lederriemen, Bärte und Hüte vom Kindergeburtstag abkommandiert scheinen und allesamt im Dynamit abrauschen - dem Colt sei dank, Macheten und Überfallkommandos ebenso. Viva Carrancho lautet das Motto in diesem vergnügt beknackten Ritt durch brennende Dörfer, dufte Köchinnen und andampfende Loks aus Pappe - den Frauen gebührt zudem das letzte Wort der Rache!


Erkenntnisse aus meiner Twitter-Timeline für zwischendurch:
So, jetzt geht's weiter im Text:


WER EINMAL IN DAS POSTHORN STÖSST - Häng mal im Frühling in Hamburg ab, sieht dort genauso nach Happy Weekend aus wie im Berufsalltag des hier geschilderten „Briefträger-Reports“ von Gerd Hartig, der sich galant selbst in der Rolle des Gehörnten über die Hanseaten-Metropole hinweg abranzt und dessen Werk hoffen lässt, dass es inzwischen nicht mehr so ganz nach Kasperletheater-Manier abgehen sollte, wie der Mensch zur Vielfalt der Enthemmung steht - aber wer weiß? Schließlich bringt sein Film ja weiterhin einen Charme absurder Alltagsbegegnungen mit sich, die in jedem Berufszweig und innerhalb der vielerorts schön-tristen Privatwohnungen Perversionen und andere Späße im Trimm-dich-Elan vorfinden. Die Schwelle zwischen blumiger Unschuld und deftiger Angraberei wird des Öfteren überschritten („'Ficken' ist ja heute Kindergartendeutsch“), allen voran dank des sich in jene Situationen hinein inszenierenden Regisseurs, welcher zudem das Abziehbild einer asiatischen Gattin zuhause mit Klempnern, Staubsaugervertretern, Abo-Drückerkolonnen und Gender-fluiden Schlawinern schlafen lässt. Dolle Streiche, surreale Prügel unterm Zorromantel und Seitenhiebe auf das zeitgenössische Kunstgewerbe (Heiner Tonnenhalter) kommen da im gedrosselten Barny-Bornhauser-Stil ebenfalls zur Geltung, dazu Meetups voller Niedlichkeitsfaktor, wie jene mit dem Indoor-Medley der Uwe-Borns-Singers, deren trällernden Windhunden sowie mit Helga Feddersen als Marlon-Brando-Groupie. Die Frau gibt den notgeilen Zahn wie alle Kollegen und Gastarbeiter in diesem Klamauk-Querschnitt auf ambitionierter Sparflamme, für dessen Flachköpper via ethnischer Klischees öfters die Fremdscham angedackelt kommt, der Pfiff zur Leichtigkeit trotzdem ansteckend vom Vollbildvideoband tönt.


MAXIMUM RISK - Der einzig wahre (auch hier per Subtilität allesamt an die Wand spielende) Zwillingsdarsteller Jean-Claude Van Damme begibt sich erneut auf die Spurensuche seiner selbst und schafft die Assimilation zweier getrennter Seelen, sobald er - der französische Supercop Alain - in der New Yorker Russenmafia vorstellig wird, um posthum eine Wiedervereinigung mit dem Wesen des Bruders Mikhail zu konstruieren bzw. emulieren, welchen er nur im Tode kennenlernen durfte. Ein Trauerflor an Schlagkraft und Trittfreiheit benetzt sein Spiel mit der gespiegelten Identität - so trifft sich auch die Kanonade an Action-Schauwerten nach Hongkong-Exzess-Manier des Regisseurs Ringo Lam mit der Melancholie kollektiver Vergänglichkeit, in welcher Schmerz und Sterben mit dem Auf-/Entdecken des Ich einhergeht - unter Mitmenschen sowie Konkurrenten und Liebhabern wie der zwischen den Moralitäten stehenden Alex (Natasha Henstridge). Unter jenen Umständen entsteht allerdings auch ein Handeln vereinter Belange aus zweierlei Leben, worin sich die global verknüpfte Varianz der Dramaturgie Saunakeilereien („Eastern Promises“ verneigt sich vor diesen hier), U-Bahn-Kletteraktionen, Bundespolizeiagenten mit der Lizenz zum Megadiebstahl sowie vergebungsvolle Syndikatbosse im Hierarchienclinch erlaubt, ehe das Finale schlicht alles Kinomögliche vereint. Die Ermattung konzentrierter Menschlichkeit via Van Damme führt es hier über die Vergangenheits- zur Gegenwarts-Bewältigung in Körper und Geist, woran er Geiselnahmen an seinem Freundeskreis entgegen in ein Bombast-Heldentum mit Dopplereffekt ausbricht, das sich seinen Weg aus der Enge von Glas und Feuer bahnt, mit der Physis über dem turbulenten Vehikelverschleiß steht und letztendlich der Kettensäge ausweichen muss, Schweinshaxen vom Haken weg abschießt. Der Abschluss dieser Zwitterselbsterkenntnis ist ein Energiestrom auftürmender Größe, inszenatorisch ein Furiosum und womöglich die Kulmination im Schaffen der Muscles from Brussels.


MANTA MANTA - JCVD grüßt uns auch von zwei Postern aus dem Kinderzimmer Berties - einen chargierenden Manta-Proll in Form von Til Schweiger, der hier und eigentlich heute noch jenen Action-Heroes hinterhereifert, sich und seinen Schlitten jedoch als fahrende Villa Kunterbunt verkleidet; immer aufpasst, dass seine Eltern nicht mitkriegen, wie er mit den Mädels dort nicht bloß knuddelt. Regisseur Wolfgang Büld findet wie gehabt aber auch echten Gefallen an solchen Kindsköpfen jungbleibender Zeitgeister, die mit (mehr oder weniger) Massen an PS durch die Altstadt Hagens driften (ja, die Fast and Furious-Referenz ist mächtig gewaltig angebracht), das Industriegebiet mit Classic Rock und Techno beschallen, nur für Wetten im Wert von 5000 Mark und die Herzen zahlloser schnieker Küken abbremsen, wenn sich mal nicht darum geärgert wird, dass Radio 88 vor Ort hauptsächlich Anti-Manta-Witze in den Äther programmiert. Ach ja, wer Abitur macht, ist schon vom Prinzip her so ziemlich unten durch und wenn Knete wie Ibiza durch Uwe Fellensieks Westside-Disco Berties Uschi (Tina Ruland) umschwärmen, ist auch reichlich Eifersucht im Spiel. Die hadert allerdings auch mit Friseusenbuddy Sabine (Beatrice Manowski) um den Ausgang eines Schwangerschaftstests - Erwachsenwerden ist ein schweres Los, selbst mit Fuchsschwanz als Glücksbringer an der Antenne. Umso fesselnder hängt man dann auch an der Entwicklung von Kumpel Klausi (Michael Kessler): Weg vom Vollhoschi hin zum versteckten Hauptprotagonisten, der sogar „True Romance“ vorwegnehmen darf. Liegt natürlich auch am Nitro-Boost von Neubekanntschaft Angie (Nadja Naidenow), die jeden Spaß so mitnimmt, wie er passiert - bis in den Baggersee hinein! Da qualmen die Reifen dann auch vor Charme sowie per Ernst-Reimann-Stunts hin zum Duell gegen Mercedes-Bonzen Axel (Martin Armknecht), dass sich Provinzprotze und Honk-Situationskomiken trotzdem nicht im Zynismus verirren müssen, Kid Knutschbacke binnen der inklusiven Outlaw-Clique bleiben und sich am Wind of Change zur Romanze der Wiedervereinigung enthemmen. Das bedeutet zwar: Für jeden Topf ein Deckel, für jeden Manta aber auch die Ja-Silbe hinterher.


Übrigens, weil ich ja am Mittwoch diesen ominösen Filmtag hatte und einige der dort gesichteten Werke hier besprochen habe, möchte ich es auch diesmal nicht versäumen, zum Schluss meine Strichliste aufzuführen, was es alles an gemeinsamen Themen, insbesondere in welcher Menge, gab. Unter 8 Filmen stachen also heraus:

Hunde: 6
Neckende Duos: 6 Briefe/Telegramme: 5
POV: 5
Pranks: 5
Rassismus: 5
Sauftourismus: 5
Amerikanische Korruption: 4
Brüste und das ausgesprochene Verlangen danach: 4
Tod im Intro: 4
Unheimliche alte Männer: 4
Wasser ins Gesicht spritzen: 4
Widerwillige Rollenspiele: 4
Züge Richtung Kamera fahrend: 4
Autoprobleme: 3
Fingierte Heilung: 3
In die Kamera gucken: 3
Musikperformer als sie selbst: 3
Nachrichten aus dem Totenreich: 3
Scheißkinder mit Unfallgefahr: 3
Hotelnummer 30X: 2
Romanrecherche: 2
Selbstmord: 2
Tiere des Waldes: 2
Traumabewältigung: 2
Kondombedarf: 1


Was lernen wir daraus? Deutschland ist oversexed und underfucked!

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