Sonntag, 1. Juni 2014
Tipps vom 26.05. - 01.06.2014
THE DRIVER - Walter Hill entfacht einen Mikrokosmos der Rasanz, archaisch eingeleitet als schnörkellose Weiterführung des unsterblichen Räuber-&-Gendarm-Prinzips, aber an sich vor allem ein gut geölter, duellierender Organismus. Alle Parteien, selbst in den Rollennamen auf ihre bloße Funktion reduziert, verfolgen sich zwar durchweg, scheinen dank Kamera und Schnitt aber immer nah beieinander, unabhängig von Zeit und Raum: jede Aktion erwirkt eine Reaktion. Mitten drin als auslösender Spielball der Endorphine: Ryan O'Neil, als Driver das wohl abgeklärteste und vorausschauendste Adrenalin, das die Leinwand je erleben durfte. Sein Jäger: Bruce Dern als höchst direkter und Bullshit-freier Polizist, dennoch jenseits des Gesetzes operierend - ein Regulator der Adrenalin-eindämmenden Mächte und dabei auch kaum ein Held.
Es geht ihm schlicht um den Sieg, dem Driver in seiner natürlichen Haltung eher um die Lebensaufgabe der Flucht; in einem Genre-Kreislauf, dessen Moral für selbstverständlich hingenommen wird und nun mit eiserner Methodik im neon-durchfluteten Futurismus der Metropole die prägnantesten Ziele des urtümlichen Action-Kinos erneut verfolgt, dennoch stets frisch aufblitzt in seiner erbarmungslosen Direktheit. Da gibt's auch keine Schwelgerei, stattdessen klare Richtungen, in Sprachlosigkeit gehüllt - die einzige Romanze, die sich dabei ausdrückt, ist jene der Liebe zur eigenen Rollen-Funktion und zur gegenseitigen Jagd. Neuzugänge wie Isabelle Adjani und andere jüngere Driver passen sich ebenso allmählich diesen Bestimmungen an, sind Helfer wie auch Antikörper, eben Players fürs jeweilige Team.
Am Ende gewinnt aber niemand vollkommen (möglicherweise durch Hills eigene "göttliche Hand"), das Spiel wird unter Garantie ewig weitergehen, wie das Kino selbst. Die Demonstration dieser innewohnenden Stärken und gegenseitig aufreibenden, genetischen Pole beweist aber auch, warum es nimmer aufgehalten werden kann. Film ist eine Macht, hier in unfassbar tighten 90 Minuten eingepackt und mit jeder Sekunde ein mitreißender Fesselungsakt. Kein Bullshit, wie auch seine Charaktere - ein pures Erlebnis kinetischer Mechanismen und wahrhaftig in seinem universellen Wirkungsgrad. Wie die Chemie im Zelluloid zudem ein dementsprechend wissenschaftlicher Prozess, wie hier Dynamik und Physik in Reinform eingefangen und aufgespielt wird. Das gilt zwar ohnehin allgemein für das Medium an sich, doch dieser Film, dieser DRIVER, legt den Blick zu jener geradezu historischen Essenz kongenial frei. Königsklasse!
LE MAGNIFIQUE - ICH BIN DER GRÖSSTE - Beziehungen zwischen Schöpfer und Werk, egal in welchem Medium, ergeben eine sich stets gegenseitig beeinflussende Symbiose - Ursache und Wirkung, Aktion und Reaktion, Aufarbeitung und Verarbeitung: da ergibt sich ein Zyklus im Gedankenaustausch zwischen den reellen und imaginativen Dimensionen. Für Belmondos 'MAGNIFIQUE' stellt dies das Kernargument dar, welches den gesamten Film vorantreibt und überrascht, als rasante, herzliche Komödie die Psychologie des Schaffensprozess phantastisiert und in die realen Umstände der Autorenzunft transportiert.
Am Anfang scheint man sich in einer knallbunt-überspitzten Agentensause zu befinden, in welcher der designierte Superheld Bob Saint-Clair (Jean-Paul Belmondo) nicht nur alle Gefahren mit Argusaugen, fast schon übersinnlichen Fähigkeiten, aber auch lockerem Gestus bezwingen kann, sondern auch den Schlag bei den Weibern weg hat - aktuelles Ziel: die heißblütige Tatjana (Jacqueline Bisset). In Acapulco machen sie zusammen sodann reichlich Bekanntschaft mit Mördertruppen, exotischen Kulissen und kindischen Zufällen - im höchsten Maße oberflächlich-knallchargiste Kolportage mit exzessiven Blut-&-Erotik-Gehalt, inkl. sarkastischer Verschmitztheit: so kennt man sie, die wilden Agenten-Fantasien jener Tage.
Dahinter verbirgt sich allerdings der unscheinbare und wenig glorreiche Groschenroman-Autor François Merlin (ebenfalls Belmondo), dessen Person kaum jene Durchschlagskraft besitzt, wie sein Alter Ego. Der Mann ist ein Taugenichts, ein Versager, mit Schulden bei der Bank, einem kaputten Badezimmer und mäßigen Fähigkeiten im Ein- und Ausparken, Frauengeschichten sind auch nicht gerade seine Stärke. Doch seine Werke sind immerhin Millionenseller, eben purer Eskapismus für die Sehnsüchte der zahlreichen Leser - so hält ihn jedenfalls sein Verleger Charron (Vittorio Caprioli) bei der Stange, ein geschickter und zynischer Ausbeuter von Format.
Dessen Abbild schleicht sich sodann in die Darstellung des Bösewichtes Karpof aus Merlins Büchern ein, wie auch andere Querulanten des Alltags, u.a. unfähige Elektriker und Klempner, die Merlin im wahren Leben ohne Konsequenten den letzten Nerv rauben, allerdings in seinen Romanen brutalste Strafen erhalten. Jene explosive Projektionsfläche der drastischen Abreagierung besitzt natürlich soziopathischen Charakter und dürfte auf die Dauer nicht das gesundeste Ventil persönlicher Differenzen darstellen, zielt aber vornehmlich, wie beim Leser (bzw. auch Zuschauer), auf die Erfüllung innerer Wünsche und Überwindungen ab.
Denn Marlin hat seine Tatjana schon längst in seiner Nachbarin, der Soziologin Christine (nochmals Bisset), gefunden und ist deutlich gehemmt, ihr gegenüber zu treten, bis sie schließlich doch eines Tages aufgrund seiner Werke auf ihn zukommt, um deren entspannende Wirkung bei der Leserschaft fürs Studium zu analysieren (ganz so wie ein Kritiker, der diesen Film bespricht). Mit neuem Enthusiasmus macht er sich dann auch an die Fortführung seiner neuesten Geschichte dran, widmet seinen Figuren schwelgerische Romantik und Selbstsicherheit, mit der steten Hoffnung auf das Übersuppen jener Gefühle in die Realität, doch da sind die einzelnen Parteien noch nicht so weit.
Frust über das eigene Wesen, über den Geltungsdrang und den Erwartungen ans Mann-Sein, zerschlagen Merlins seelischen Aufbau erneut, üben schließlich die Demontage der Fantasiewelt und die verballhornende Chaotisierung des Superhelden Saint-Clair. In diesem hämischen Zwiespalt wird sodann aber auch das Eindringen des Bösen, Karpof/Charron, parallelisiert, der sich an Tatjana/Christine heranmachen will und dafür mit Leichtigkeit seine geschwächten Gegner, sprich Merlin/Saint-Clair, übergeht. Die vermengten Dimensionen buhlen sodann um dasselbe Ziel, wobei die imaginative sich selbst völlig über den Haufen wirft, zur durchgeknallten Groteske persifliert wird, während die reale nun endlich die Initiative ergreift und fern aller Ideale und Kompromisse die Erfüllung der Wünsche heraufbeschwört.
Eine schöne, schlussendliche Lehrsamkeit zum wirklichen Leben, die Konsequenz des Schaffensdranges zur Verbesserung des eigenen Seelenheils. Gewiss ein vorsätzlich-unterhaltsames Leinwand-Märchen ausgezeichnet-geschriebener Güte, dennoch eine lebhafte und wichtige Liebeserklärung an die Macht der Fantasie, welche als Grundlage der Flucht aus dem Alltag die Samen für das Glück setzt und sich dabei im regen Austausch mit der Realität befindet, um miteinander verbunden zu werden.
Ein bisschen Naivität kann da nicht schaden und erdrückende Tristesse muss auch nicht sein, da versteht der Film selbst seine erquickende Funktion und ergötzt sich in virtuoser Kurzweiligkeit dem potenziell-sprießenden Ausgangsthema, durchbricht die vierte Wand und sonstige Grenzen als pointenreiches Abenteuer und vergisst dennoch nicht den lieblichen Drang zur Romantik. Eben ein wahrhaftiges Stück Eskapismus, das sein grundsätzliches Wesen aufklärt, die Realität des Zuschauers aufzuwerten versucht und sich schließlich soweit mit dieser rauft, bis sie eins sind, nur zusammen eben nun besser füreinander. Schöne Sache mit Vorbildfunktion, besonders im Rahmen eines solchen Spielfilms.
EDGE OF TOMORROW - [...] Es braucht nur einen Regisseur wie Doug Liman, um so ein Konzept stimmig zu entschlüsseln und vollends nachvollziehbar zu machen, ohne auf extensive Erklärungsversuche setzen zu müssen. Der Mann hinter der ersten „Bourne-Identität“ und dem Dimensionen-Wandler „Jumper“ treibt das intensive Sci-Fi-Abenteuer stattdessen mit fettfreier Pointierung voran, schöpft aus den Implikationen des Konzepts eine ganze Reihe eindrücklicher Set-Pieces, ständig neuer Perspektiven und humorvoller Einfälle, die jedoch nie selbstzweckhaft wirken, sondern ebenso passend zum atemlosen, luftigen Drive der überwiegenden Problemlösung beitragen. Denn mit jedem Schritt mehr lernt der Charakter von Cruise etwas dazu, erweitert seine Fähigkeiten und sein Wissen, ohne aber in vollkommener Überheblichkeit voranzuschreiten, da alles, was nach dem Bekannten kommt, neue Herausforderungen und Ängste bereitstellt und man deshalb immer gespannt bleiben muss und darf. [...]
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
NEON - Über diesen seltenen Film kann man im Vornherein nur wenig in Erfahrung bringen. So bleibt es bis zum heutigen Tage Gerhard Kleindls einzige Regiearbeit - einem Herren, dessen Lebensweg laut seiner Biographie auf imdb von einem internationalen Umschlagplatz zum anderen führte, mehrere Berufsfelder durchquerte und nur schwer erschließen lässt, wie persönlich der innewohnende Plot des Films und dessen stilistische Aufarbeitung mit ihm zu tun hat. Lediglich den Drang zur Flucht ins Ausland bei der Hauptfigur Max (Heinz Wanitschek) kann man insofern biographisch nachvollziehen - alles Andere, wie die überwiegenden Elemente der gestörten Familieneinheit und den zerplatzten Träumen des Protagonisten, kann man nur spekulativ in Verbindung mit Kleindls wahrem Wesen setzen (wo der Film doch schon im Vorspann seinen Eltern gewidmet ist). Doch irgendwie passt das zum Ergebnis 'NEON' an sich, das als sehnsüchtiges Wiener Gangster-Drama von spekulativer Naivität in Sachen Milieu-Methodik und Charaktermotivation geprägt ist.
Fein ausgearbeitete Figurenmodelle werden ohnehin nicht bedient, erzeugen ein fast schon fragwürdiges, aber auch durchweg distanziertes Weltbild, das sich hierin durch die österreichische Nacht schleicht. So begegnen wir anfangs der jungen Mutter Lola, die ihren Betrügerkerl verlassen hat und nun mit ihrem Kind auf dem Bahnhof nach Hilfe sucht. Zwei verdächtige Gestalten, Max und Roman, bieten sich zur Unterstützung an, erzeugen im Kopfkino des Zuschauers allerdings schon sadistische Entführungs-Szenarien. Der Fall tritt jedoch nicht ein, stattdessen nimmt Lola freiwillig und unbedarft ihr Angebot an, sich als Hure Geld zu verdienen - eine nur schwer nachvollziehbare Entwicklung, wie so ziemlich alle späteren Entscheidungen der ab dort nur noch spärlich auftauchenden Dame.
Viel mehr konzentriert sich Kleindl daraufhin aber allmählich auf die Figur des Max, der zwischen all den krummen, zwielichtigen Geschäften im Geheimen eine Liebe für Lola entwickelt und dafür sodann auch seine Partner belügt, ohnehin mehrere Jobs vergeigt und durchweg im Minus steht. Den einzigen Ausweg sieht er im Ausland, mit Lola und ihrer Tochter an seiner Seite, doch dafür muss er seine alten Kumpane hinterrücks in eine Falle locken, gegenseitig ausradieren. Was jetzt ausgesprochen spannend klingt, zieht sich in Wirklichkeit nur äußerst schleppend, geradezu beiläufig voran. Erzählerisches Unvermögen ist wohl Kleindls größte Schwäche, wie auch die (bescheiden ausgedrückt) wenig aufregende Führung der Darsteller. Dafür bleiben ihm aber einige stilistische Stärken, die inzwischen nur noch selten im modernen Kino anzutreffen sind.
Wie in Serge Moatis vergessenem Meisterwerk 'NUIT D'OR - DIE NACHT AUS GOLD' gelingt ihm ein fast schon selbstverständlicher Sog in die neon-durchflutete Nacht - schnörkellos, nicht mal schwelgerisch, sondern neutral gelassen als einsam-stumme und manchmal brutal-eskalierende Gegend für unseren ratlosen Helden Max, der zunächst zu den Klängen eines romantischen Disco-Grooves "Stay with me" seine anfänglichen Annäherungen bei Lola genießt (in einer kurzweiligen Montage von Herbst-Spaziergängen und Spielhallen-Fun alà Romeros 'ZOMBIE'), sich aber auf der Suche nach einer gemeinsamen, doch scheinbar unmöglichen Fluchtmöglichkeit immer wieder in die Dunkelheit der Stadt verirrt, mit demselben Song als omnipräsente Erinnerung.
Der einzige Vertraute ist da ein Taxi-Fahrer, den er immer wieder trifft, welcher ebenso von vergangenen Weibergeschichten berichtet und sogar Fotos anbietet, bei manchen Fahrten aber auch einfach stumm bleibt und Mitleid für Max und seine anbahnende Einsamkeit ausdrückt - so stumm wie auch jene Frau in der berüchtigten Gangster-Bar, die von Roman in Schutz genommen wird, aber dennoch nicht anders kann, als weiterhin in Ruhe zu verharren, sobald sich nämlich abzeichnet, dass er nie zurückkommen wird. Die gleichsam bitter-trostlose Rechnung für diese Maßnahme muss dann ebenfalls Max tragen, dessen zukünftiges Ziel des Glücks mit Lola ihm aus den Händen gleitet und in einer fieberhaften Suche durch die finsteren Gassen gipfelt, in der er ohnehin von Schuld getrieben, aber auch deutlich aus Verlustangst, um seine Existenz zu rennen beginnt.
Schlussendlich findet er Lola in den Fängen ihres Mannes wieder, was für sie allerdings kein Problem zu sein scheint. Gleichgültig begegnet sie den Fragen von Max und weist ihn sowie seine Pläne mit kalter Schulter ab, gibt ihm zum seelischen und körperlichen Tode frei. Ein Schlusspunkt ultimativer Enttäuschung, gefolgt von einem rotzig-eingeläuteten Abspann, der die drastische Hoffnungslosigkeit des Narrativs nochmals unterstreicht. 'NEON' ist da im Endeffekt genauso wie Alan Vydras 'ABFLUG BERMUDAS' eine deutschsprachige Underground-Tristesse männlicher Gefühlsverletzungen im Milieu-Ambiente, die schon seit längerem auf Wiederentdeckung wartend unter uns im VHS-Mantel schlummerte.
Ein gelungenes Gesamtpaket wie z.B. Roland Klicks 'SUPERMARKT' ergibt sich dabei leider nicht, dafür ist Kleindls erzählerisches Repertoire nur leidlich ergiebig und konventionell, atmosphärisch kann er aber durchaus punkten, mit ungeschönter Trostlosigkeit und ideologischer Gnadenlosigkeit gegenüber/mit dem Naiven. Allzu bezeichnend dafür steht der Inhaltstext der Videokassette, den ich im Folgenden zitiere: "Neon ist ein knallharter Thriller mit Toten, Schiebereien und Schiessereien. Max, die Hauptperson dieser Geschichte, ist ein lebensgieriger und verzweifelter Grossstadt-Odysseus. In dem von Gangstern, Zuhältern und Prostituierten geprägten Milieu verkörpert er den immer erfolglosen Typen und scheitert letztlich endgültig, da er zu weich ist."
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