EINE FRAU UNTER EINFLUSS - Ich glaube und hoffe ja, es ist keine Schande, wenn man bei diesem Film etwas in Bedrängnis kommt, um über ihn zu schreiben. Man denkt sofort, nach nicht mal einer Stunde Laufzeit: holy shit, ich bin viel zu spät hier angekommen, so etwas hab ich noch nie gesehen und es ist ein glorreiches Erlebnis bar jeder Vorstellung. Und dabei ist es nicht mal ein wirklich komplizierter Film - vom Aufbau her. Es gibt nur eine Handvoll aufgelöster Szenen, der Narrativ hüllt sich nicht in komplexen Mysterien und Twists oder sonst so nen Kram - dramaturgisch folgt er eben keiner festen Regel, bleibt aber stattdessen hochgradig wahrhaftig und zieht einen so stark in sich selbst rein, macht den Zuschauer zum Teil der Familie und lässt sein suburbanes Eigenleben geschehen, als wäre es klipp und klar ungeschönte und ungestüme Reportage.
Aber wir reden hier nicht von steifer Reportage, dafür sind allein Kamera und Schnitt noch zu frisch, wenn auch behutsam, aber doch so objektiv und packend, dass die 2 1/2 Stunden Filmlänge wie im Flug vergehen. Es dürfte sogar ruhig länger gehen: wir bleiben schon am Ball, denn es ist unsere Familie (und natürlich mit gewitztem Geschick teilweise besetzt mit Regisseur Cassavetes' eigener, niedlicher Sippe). Das kannte ich kaum noch vom Medium Film, dass ich so ein investierter Beobachter sein durfte und nicht auf außerordentlich Spektakuläres gespannt war, stattdessen schlicht auf das Wirken von Gena Rowlands und Peter Falk. Beiderlei stellen nervöse Zeitgenossen dar, sind dennoch normale Menschen, kein formelhaftes Gestelze und keine Drama-Fettigkeit - vorallem die Gena: eine Gottheit im Spiel! Ihre Figur soll natürlich bipolar und mit emotionalen Schwierigkeiten behaftet sein, aber der geistig-zermürbende Einfluss ist da ja nur angenehm-aufgedrehte und mitfühlbare Zugabe zum omnipräsenten Einfluss der Liebe ihres Ehemannes.
Einen ruppigen und um das Beste für alle bemühten Kerl spielt da der Peter Falk, aber auch mit SO EINEM DICKEN, BEDINGUNGSLOSEN HERZ. SIE allerdings ist das Sahnehäubchen - ich konnte nicht anders als durchweg strahlen, wenn sie da ganz nah bei uns dran war. Cassavetes ist mit seinem Blick ja immer etwas unter Augenhöhe und fast schon klaustrophobisch auf visueller Tuchfühlung, da kann man nur intim werden - man hat aber auch so kaum Zeit zum Durchatmen, es folgt nämlich anfangs ein pures Glück nach dem anderen - obwohl, ich muss eingestehen, vorher gibt's noch Auswüchse ihrer seelischen Problematik, aber die Sehnsucht zwischen den beiden ewig Verliebten zueinander ist stets unaufhaltbar und hält halt durch.
Sowieso hinein in eine meiner neuen Lieblings-Sequenzen, in welcher Falk seine Grubenarbeiter-Kumpels zum Spaghetti-Essen bei sich zuhause einlädt, wo alle beieinander sitzen, REICHLICH Smalltalk betreiben und sie von all diesen Gästen fasziniert ist und kennenlernen möchte - alles ist Liebe und jede Eigenart wird zelebriert, total genial! Quirlig ist sie, unsere Gina, unsere Mutter, ohne Frage, doch alle Anderen auch: es sprudelt das Leben aus allen Ecken und der Film braucht sich dabei nicht um dramaturgisches Get-to-the-Point-ing bemühen, macht es sich gemütlich und überrascht dann umso mehr, wenn die Bombe aus dem Nichts platzt und aus purer, menschlicher Spannung heraus ein Abzug erwirkt wird, der sich im Nachhinein dennoch wieder aufbauen kann - denn so ist das Leben nun mal: ein ständiges Auf und Ab, ein dysfunktional geschrotteter und spaßiger Rollercoaster.
Von der Leinwand tropft endlose und doch unfassbar humane Hemmungslosigkeit. So ein Exzess und das beständige Auftürmen des Zaubers haben natürlich auch ihre Folgen und so zerschlägt die harsche Realität sowie ein nahender Nervenzusammenbruch den Bann des Ungewöhnlichen und doch Herzlichen - Sie muss zur Therapie und wir als Familie müssen gezwungenermaßen ohne unsere Mutter auskommen. Frustration, Wut, Rat- und Ziellosigkeit bleiben unserem Vater übrig, um uns und sich am Leben zu erhalten. Aber er versucht sein Bestes - auch wenn er die Hilfe seiner Kumpels nicht brauchen will und sich offenbar sowieso einige Feinde macht. Man kann's eben auch nicht jedem recht machen. Gute Absichten und der Drang nach der schönen Zeit sind in so einem Fall aber dennoch unabdinglich und so wollen wir auch Mutters Rückkehr feiern.
Es läuft nicht wie geplant - wer weiß auch schon, wie man bei sowas reagieren muss? Eins steht jedoch fest: so wie sie sich selbst zermartert, sich aus Zwang zurückzuhalten, das schmerzt noch mehr als ihre Nicht-Anwesenheit. Ein wahres Comeback geht nun mal mit Schwung und mit der beliebten Persönlichkeit - nur damit kann auch ihr geholfen werden. Natürlich kommen da zunächst wieder bittere Schwierigkeiten auf und man fühlt sich erneut nah am Abgrund, doch auch sowas muss man anerkennen und runterschlucken, anpacken - andersrum wird's nur noch schlimmer. Wir müssen's laufen lassen und auf die Art für sie kämpfen. Mutter ist nämlich nicht verrückt, SIE LIEBT UND ZWAR MIT JEDER ZELLE! Mit ihr war's eine toughe Nacht, das ist im Nachhinein klar. Aber keine Sekunde möchte man missen. Dafür sind wir auf der Welt doch da: wir sind lebende Kreaturen - machen wir was draus. Und sowieso: bitte mehr Cassavetes für mich, jetzt!
ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB - Wie finster geht Heimatfilm? Hans H. König kennt in seiner Umsetzung des volkstümlichen Genres jedenfalls kein Pardon und entwirft zwischen endlos erscheinenden Flach- und Moorlandschaften ein krankhaftes Sittenbild dörflicher Spannungen, das im geheimnisvoll-wabernden und zunehmend seelisch-ätzenden Schwarz-Weiß geradezu gotische Züge annimmt.
Die psychologischen Ingredienzen versprechen schon von Anfang an Unheilvolles, imminent verkörpert vom stets schwarz gekleideten Stalker Dietrich (Hermann Schomberg), der die junge Dorfschönheit Dorothee (Ruth Niehaus) wie unter manischer Hypnose verfolgt - und das wohl nicht erst seit kürzester Zeit, schließlich ist ihr die omnipräsente Angst stets in allen Winkeln des Gesichtes verborgen. Folgerichtig blickt sie, wie ihr beschwörend-ins-Leere-blickender Großvater, auf ein Schicksal voraus, das zwar vor 300 Jahren geschah, aber seine Schatten auf die heutige Geschichte wirft: einstmals wurde die junge Wilhelmina von einem schwedischen Offizier vergewaltigt, woraufhin sie mit ihm in determinierter Geistesabwesenheit in das Moor ging und seitdem nie mehr gesehen wurde.
Die Aura der Wiederholung jener Umstände wird sie nimmer los und oftmals glaubt man auch, dass sie sich damit abgefunden hat. Die eigenen Eltern (Hilde Körber und Konrad Mayerhoff) sind da jedenfalls kaum eine Hilfe, folgen ihrem konservativen Lebensweg und hoffen mit trüber Stumpfheit, dass sie schlicht irgendwann von selbst mal darauf kommt, in Dietrichs Hof einzuheiraten. Der junge Architekt Ludwig (Armin Dahlen) kehrt jedoch genau dann in seine alte Heimat zurück, ist schnell verzaubert von Dorothees Anblick - ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruht. Das ruft allerdings ebenso Dietrich auf den Plan, der in seiner blinden Eifersucht sodann nichts unversucht lässt, sie an sich zu zwingen bzw. Ludwig mit gieriger Gewalt zu vertreiben - da ist Reifen-Zerstechen noch der Gipfel des Eisbergs.
Und selbst wenn die Natur da malerische Bilder abgibt, die an und für sich die glorreichste, schleswig-holstein'sche Idylle repräsentieren, schlummert in düster-monochromer Voraussage das unausweichliche Urteil sich gegenseitig zerfetzender, scheinbar natürlich-gegebener Feindseligkeiten. Auch in den kleinsten (Gesellschafts-)Zellen nämlich brodelt es bis zur unfassbaren Eskalation und macht jede landschaftliche Offenheit zum klaustrophobischen Martyrium. Legenden und Mythen erfüllen sich wie vorausgesagt und so gut wie von selbst, doch dies zeugt nicht von göttlicher/ausgleichender Gerechtigkeit, sondern von teuflischer, vergifteter Natur; vom tief innewohnenden Bösen des gewaltvoll-gesäten Bodens.
Aber davon verführen lassen sich immer noch die Menschen, verharren (auch aus Zwang) in den urtümlichsten Regeln ihrer selbst und des Vergangenen, gehen daran zu Grunde und richten andere zugleich. Die Folge für alle ist jedoch die Gleiche: zerfließen muss man im Dreck der umgebenden Leere, dem "Heimatboden", denn wer Schuld hat und wer Opfer ist, das ist letzten Endes fast ebenso schwammig wie das übersuppende, befehlende Dunkel in der Luft und auch in der Seele. Aber Regisseur König belässt es in diesem bezeichnenden Nachkriegsfilm bei einer eindringlichen Leere und setzt nach aller sicherer Todesangst zum Schluss hin auf Hoffnung und Versöhnung durch den Neubeginn der progressiven Jugend. Die starren Blicke der ewigen Furcht und das dunkle Wehen des Windes in den hohen, verdeckenden Sträuchern ringsherum wird man jedoch nie vergessen. Geister ruhen nie - und seien sie auch nur Rosen auf dem Heidegrab.
BOYHOOD - Das Schöne an dieser Zeitkapsel, die Richard Linklaters langjähriges Projekt repräsentiert, ist im stärksten Sinne die Verbundenheit und Identifikation, die sie zu den Generationen pflegt, welche darin ungefähr, plus minus einige Jahre, aufgewachsen sind. Da findet man schnell universelle Verbindungsstücke zum eigenen, kindlich-jugendlichen Werdegang, die nicht nur unfassbar gut bei Laune halten, sondern auch eine gewisse Reflexion erwirken, über Höhen und Tiefen, je nachdem wie viel auf einen selber zutrifft und wie nostalgisch man veranlagt ist. Das ist nun mal die beste Funktion von BOYHOOD: er verpackt in kurzweiligen Segmenten die Auffassungen eines Kindes im Verlauf der Jahre, macht es beinahe ebenso zum objektiven Beobachter wie wir und stellt Veränderungen, Wiederholungen, Erlebnisse und Einsichten fest, dass alle zwischen Kinositz und Leinwand auf Augenhöhe liegen - und das auch noch zusätzlich auf einer Meta-Ebene der Persönlichkeitsformung und Beobachtung am echten Wachstum seiner Darsteller.
Als Filmerfahrung entpuppt sich dieser Grundgedanke als meist locker-unaufgeregte und äußerst kurzweilige Studie - die Frage, welche sich unweigerlich stellen mag, What's the point?, wird durch Linklaters (offensichtliches) Sprachrohr Ethan Hawke als Slacker-Dad kategorisch relativiert, so alà "Die Reise war das Ziel". Das ist keine unbedingt profunde Lebensweisheit und vom Inszenatorischen her auch gar nicht mal so zielgerichtet aufgefangen. Wie in den meisten Linklater-Filmen spielt eben einfach auch das alltägliche Abhängen eine große Rolle - lockeres Quatschen, Musikhören, vorallem Videospielen, Freizeit verbringen, im Verlauf der Jugend natürlich in Verbindung mit Booze, Babes & Responsibility. Die daraus folgende Mentalität, nicht wirklich Bock aufs Erwachsenwerden zu haben, zieht sich nicht nur in der Entwicklung des Protagonisten durch, der irgendwie verschlossen, bescheiden und doch smart (oder eben ein Semi-Hipster) wird, sondern auch bei der Mutter (Patricia Arquette), die zwar dem geregelten Leben hinterherjagt und dennoch immer an die falschen Kerle gerät und dem (Wochenend-)Vater an sich, der jahrelang dieselbe Karre fährt, brotlose Musik verstrahlt und mit den Jahren zwar ein kleiner Spießer wird, aber zumindest eher zufrieden sein kann - sein freier Einfluss von außen zeigt jedenfalls eher Wirkung in der Erbauung seiner Kinder als der aller Anderen.
Das Erwachsenwerden fällt aber auch dem Film schwer, der sich anfangs eher in die aufregenden Umstände und Popkulturen seiner Zeit reinstürzt, sich zum Ende hin aber ernsthaft mal überlegen muss, wohin er überhaupt will. Ist auf jeden Fall eher ungeil und ehrlich gesagt auch gar nicht mal so spannend wie zuvor - und das, obwohl man trotzdem noch soviel vor sich hat! Kann ich nicht wirklich mit konform gehen. Der Grund für dieses Empfinden liegt aber ganz klar in meinem persönlichen Vergleich zum eigentlich alles beherrschenden Protagonisten, mit dem ich mich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr so ganz anfreunden konnte - sein (zugegebenermaßen doch zaghafter) Zynismus und seine Weltsicht passen eher zu der Generation, der er entwachsen ist (also nicht meiner), die Entwicklung dorthin macht schon wirklich Sinn, von meiner Sicht aus hätte er aber ein enthusiastischer Kumpel werden können, eben einer, der zu seinem Äußeren passt, das zum Schluss erschreckend starke Ähnlichkeiten mit Filmvater Ethan Hawke hat.
Aber da wird sich Linklater eben sicherlich auch nicht komplett an seinen Charakteren, sondern an seinen Darstellern orientiert, improvisiert haben - anders, mit einem festen Plan versehen, hätte die Geschichte wohl weniger, höchstens prätentiöser funktioniert, das kann man einsehen. Schließlich bleibt man innerhalb von 12 Jahren Drehzeit auch nicht ein und derselbe Regisseur (Ausnahmen bestätigen die Regel). Aber man kann ebenso verstehen, dass er ab einem gewissen Zeitpunkt aufhören musste, da die Geschichte einfach nicht mehr hergab, ohne vollkommen aus dem Ruder des Realismus zu laufen. Da denkt er sich in eine Sackgasse, wie das im Leben leider öfter der Fall ist, als man zugeben möchte. Dennoch will man sich diesen Umstand ja nicht in den Fokus des Lebenswillen setzen, wie es BOYHOOD zunehmend versucht, aber im Herzen eher davon abweichen möchte.
Allerdings, so wie er diesen Zwiespalt - ebenso wie die Bindungskraft der (ab und an dysfunktionalen) Familie - narrativ und seelisch verinnerlicht, das ganz normale Leben in den Mittelpunkt setzt und so durchgehend zur persönlichen Vereinnahmung ermuntert: das ist schon eine beachtliche Leistung und in seiner hochgradig-nachvollziehbar aufgezogenen Konkretisierung und Luftigkeit aufregend und einladend - so ziemlich auch ein Gimmick-Film, aber wenigstens einer, der mächtig Spaß und Elan darin hineinstecken will, sogar die unaufhaltbare Ernüchterung darauf mit Stolz durchzieht und sich folgerichtig nimmer ins filmische Regelwerk forcieren muss. Ob das der beste Weg war, sei mal dahingestellt, aber so unterschiedlich wie sich das Leben mit nur geringem Jahresabstand entwickelt, kann man das eh nicht mit Bestimmtheit festlegen. Es ist nun mal doch eine individuelle Zeitkapsel geworden - take what you like and go with it.
(Diese Kritik gibt es auch bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)
DAS TOTENSCHIFF - Die Schicksalsschwangerschaft des Titels kommt nicht von ungefähr. Bereits bevor der Vorspann beginnt, hat der amerikanische Seemann Philip Gale (Horst Buchholz) seine Papiere und sein ganzes Geld an eine ordinär-rabiate Hafennutte verloren. Fortan schlägt er sich mit leicht-frech-verschmitzter, aber auch frustrierter Miene durch die abweisende Bürokratie, um wieder in die Heimat oder zumindest auf ein Schiff zu kommen. Doch als Heimatloser wird er kaum menschlich behandelt, eher wie ein Toter, der selbst von der Polizei nachts über die Grenze geschafft wird, damit man sich nicht mit ihm abplagen muss. Das Konsulat verspricht Hilfe, doch auf die kann er lange warten, da zählt Eigeninitiative, heraus aus der Tristesse - da kann er einfach nicht anders, ganz der Abenteurer.
Beim Zwischenstopp seiner Reise, in einem kleinen französischen Bahnhofsdorf, begegnet er dem jungen Mädel Mylene (Elke Sommer), eine etwas scheue und doch einladende Persönlichkeit, die sich unserem Protagonisten innerhalb eines Abends öffnet. Ihre Stimme der Sehnsucht versucht ihn dazubehalten, als ob sie schon wüsste, welch Unheil vor ihm liegt. Ein Hoffnungsschimmer des Bleibens seinerseits kommt auch beim Zuschauer auf, das Glück liegt immerhin vor seiner Nase und Regisseur Georg Tressler verspricht da schon vom Inszenatorischen her provinziell-erwärmende Glückseligkeit und bescheidene Lebenspoesie. Doch alle herzliche Romantik & Erotik hält die eingeschlagene Timeline unseres Seemannes nicht auf - wie von Geisterhand getrieben führt er seinen Gang über die Schienen hinauf zur nächsten Hafenstadt durch.
Der nur 93-minütige Film erzählt diesen Weg mit kompromissloser und doch wehmütiger Pointierung in (durchweg abgeklärtem) Dialog, Bild und Musik, gnaden- und ausweglos-voranschreitend geschnitten, objektiv und gleichzeitig offenbarend in der Erzählung. Das Ziel ist nämlich klar festgelegt: kompromissloser Pessimismus, kaum der Abenteuerfilm, den die Verpackung versprechen mag. Denn sobald Philip auf dem zwielichtigen Kahn Yorikke angeheuert wird, gibt es für ihn kein Zurück mehr. Verlorene und ruppige Seelen an Bord (wirklich toll: Helmut Schmid), angeführt von rücksichtslos-konspirativen Vorgesetzten, die - wenn sie nicht schon Munition in Pflaumenmus-Dosen schmuggeln - bei passender Stunde den Untergang des Schiffes planen, den Tod aller dabei in Kauf nehmen, da diese schon tot sind.
Dies scheint gar nicht mal so fern von der Realität, so wie sie hier in Dreck und Kaltschnäuzigkeit die Tage und Nächte durch malochen, entweder von der Sonne verätzt oder stets hungrig in Fett & Öl eingeschmiert sind. Und immer wieder der Abstieg in den Heizungskessel, Schlund der Hölle und Seelen-zerschindendes Folterinstrument: hier ist man am Ende angekommen, fernab aller Gesetze nur noch die Hülle eines Menschen - ein arbeitender Körper, mehr nicht. Kein Wunder, dass unser Philip die Flucht plant, sich am Liebsten wünscht, doch bei Mylene geblieben zu sein. Falsche Pässe sind in Aussicht, doch dafür müsste er töten, eine krassere, doch nicht weniger enthumanisierte Bürokratie - keine Chance, das sieht auch sein desillusionierter Freund Lawski (Mario Adorf) ein, denn die Yorikke wacht ständig über ihrer Schulter im Hintergrund, es gibt kein Entkommen.
Das Finale gestaltet sich folgerichtig zur Apokalypse: die Vorgesetzten scheißen auf das Leben ihrer Männer, treiben das Schiff zum Siedepunkt und übergießen ebenfalls sich selbst mit den glühenden Kohlen und schluckend-schwarzen Massen des Meeres - alle gehen drauf, doch sie gehen zwangsläufig mit unter, alles Andere wäre ja wohl kaum fair. Philip und Lawski bleiben als Einzige am Rumpf der Yorikke übrig, bis nur noch eine schwimmende Holzplattform übrig bleibt. Manie zerfrisst den einen, der andere bleibt in der fatalen Unendlichkeit zurück - die Hölle öffnet ihre Pforten und reißt sich mit dornigen Ranken in die Haut rein. Fiese Konsequenz, aber immerhin ehrlich, wie alles an diesem kompromisslos-dargestellten Filmerlebnis. Große Gefühle bleiben am Land, der Rest ist nur noch das kalte Sterben.
GOOD WILL HUNTING - [...] Das ist aber eben auch die Crux bei einem Film über die Psychoanalyse: Alles ist transparent und greifbar präsentiert, dialogreich aufgetürmt, aber genauso wie der methodische Prozess an sich ist der resultierende Weg des Films eine verlängerte Zurschaustellung der Konflikte, aber keine Verinnerlichung. Gut, er entfernt sich im Verlauf allmählich immer mehr vom ersten Eindruck des Studio-/New-Wave-Genre-Hybriden und gibt sich dem ungebändigten, kumpeligen und doch sehnsüchtigen Menschsein sowie zahlreichen auflockernden Anekdoten hin – doch die einzelnen Formeln zur Plot-Vorantreibung sind noch immer offensichtlich da und schließen formgemäß ab, erfüllen Wünsche, öffnen und lösen dramaturgische Akte und münden sogar ins individualistisch-zauberhafte Happy End, ohne verbleibenden Subtext, dafür aber mit einer herzlichen Lebenseinstellungs-Empfehlung. [...]
DER TALENTIERTE MR. RIPLEY - [...] Diese psychologische Komponente am seelisch-entzweiten Abgrund repräsentiert durchaus die interessanteste Kraft im Gesamtkonstrukt des Films, allerdings hat sie gegen eine gelangweilte Bourgeoisie in der Figurenzeichnung und der selbst-zelebrierenden Inszenierung zu kämpfen, dass sie fast schon wie verschleierte Exploitation behandelt wird. Ohnehin will der Film von Anfang an das Gefühl eines Sexy-Suspense-Capers vermitteln, emuliert Saul Bass im Vorspann und begnügt sich mit heißem Jazz sowie exotisch-quirligen bis melodramatischen Klängen im Soundtrack, verliert diesen groovigen Charme aber immer mehr, denn: Willkommen in der Euro-Liga der oberen Zehntausend – nicht unbedingt die erfreulichste Ausgangslage und im Verlauf sowieso psychologisch kaum ergiebig (siehe dazu Gwyneth Paltrows Charakter: von der unwissenden, teils frustrierten Verlobten hin zur hysterisch-heulenden Verschwörungstheoretikerin). Verstehe: Sie soll so verblendet bleiben, aber da bleibt der natürliche Sog der Menschlichkeit etwas auf der Strecke. [...]
(Die komplette zu diesen 2 Matt-Damon-Filmen gibt es bei CEREALITY.NET zu lesen.)
LIEBE KANN WIE GIFT SEIN - Wieder mal ein Nachkriegs-Harlan-Film, jedoch einer, der gleichzeitig inhaltlich nicht unpersönlicher ausgefallen sein könnte und doch an so vielen Stellen wie möglich einen wahnwitzigen Räuden-Charme und von Harlan erwartete, sprießende Gefühls-Exzentrik ausstrahlt. Als mahnende Milieu-Kolportage versucht die Handlung einen reißerischen Abstieg in die finsteren Konsequenzen des neumodernen Künstlertums aufzuzeigen: Prostitution und Drogen-Abhängigkeit, ganz nach dem überkandidelten Prinzip von z.B. 'REEFER MADNESS'. Die urbane Unschuld von West-Berlin und "Präsidententochter" Willy Birgels, Magdalena Köhler (Sabine Sesselmann), verfällt darin dem skrupellosen Maler-Casanova Ferber (Helmut Schmid), für den sie in ihrem jugendlichen Leichtsinn romantische Ambitionen hegt, dieser jedoch nur auf die Erfüllung einer Wette aus ist und sie nach einem allmählich freizügiger gemalten Portrait ihrerseits für seine Ausstellung kalt fallen lässt.
Von diesem Cold Turkey an Liebe verschlägt es Magdalena, ebenso bei ihrem Vater ob der gesellschaftlichen Züchtigkeit in Ungnade gefallen, fortan in die Tiefen des bundesdeutschen Untergrund-Lebens, stets ausgenutzt von lustgierigen Kerlen am Rande der Kriminalität und Moral-verlassenen, schnauzenden Semi-Puffmuttern im "Pensionat" (Harlans eigene GOLDENE STADT lässt grüßen) - unweigerlich gerät sie schnell an die Morphium-Nadel, dämmert verstrahlt und zynisch dahin, während die Kamera des Öfteren in die unheilvoll-schattige Schräglage einfährt und der Soundtrack von Erwin Halletz im sanften Gitarren-Echo ihren Namen beschwört. Die komplette Verrohung und Zerstörung ihrer Seele versucht Jugendfreund und Arzt Stefan (Blacky Fuchsberger) aufzuhalten und für kurze Zeit scheint es, dass sie bei ihm wieder Halt finden könnte - eine erneute Sucht nach Liebe bahnt sich an.
(Im oberen Bild gerät Magdalena offensichtlich "auf die schiefe Bahn")
Da er jedoch der anständigen Malerin und Buchverkäuferin Susanne (Renate Ewert) versprochen ist, bleibt aber auch dieser Wunsch unerfüllt (da diese sowieso meint, ganz Scientology-sinngemäß: der Kaputten kann man eh nicht mehr helfen - meine Sympathien liegen klar bei Magda). Während er in den Hafen der Ehe gleiten darf, gibt ihr Körper auf, nicht aber ohne letztendliche Suggestion der Heiligsprechung am Sterbebett, von Fuchsbergers haltender Hand und dem Kreuz an der Wand ausgelöst. Ihr (und des Zuschauers) einziger Trost: ER ist immerhin glücklich und die Künstler, die sie in diese Lebenslage eingeschleust haben, verkommen in Schuld und Alkohol - und wir als Publikum haben hoffentlich was draus gelernt! Eine durchweg naive Moral und melodramatisch einfältig - daran hat auch der Harlan schwer zu knabbern, wird er sich als Haupt-Erotomane des deutschen Films (man denke an die lyrischen Leidenschaften seiner Novellen-Verfilmungen alà IMMENSEE oder die eingestreuten, lebensfroh-nackten Frivolitäten in Filmen wie VERWEHTE SPUREN, DAS UNSTERBLICHE HERZ, OPFERGANG und sogar JUD SÜSS) wohl kaum mit der dämonisch-folgenreichen Darstellung des geradezu erpresserisch-verdorbenen Künstlertums und deren destruktiven Einfluss auf junge Blondinen identifiziert haben (wobei er Letzteres wohl am Ehesten nachvollziehen konnte und wahrscheinlich auch - teilweise sadistisch - genoss).
Die christliche Ebene - verkörpert durch Paul Klinger, der Magdalena (äußerst bezeichnender Name, nicht nur im biblischen Sinne, sondern auch in Bezug auf Harlans eigenen Output, siehe MAGDA, DIE MAGD) als aus irgendeinem Grund in den heimischen Haushalt gerufener Priester Gehör und vergebungsvolle Aufnahme im Hause Gottes anbietet - nimmt man dem Regisseur dann eher ab, der sich seiner Gattin Kristina Söderbaum zuliebe in seinen letzten Lebensjahren dem Katholizismus verschrieb und Spätwerke wie HANNA AMON und ICH WERDE DICH AUF HÄNDEN TRAGEN mit geistlichen Figuren der inneren Weisung besetzte - ob er es damit immer ernst meinte, besonders hinsichtlich der Gesamtwirkung des erstgenannten Films, sei mal dahingestellt. Je tiefer Harlan nämlich auch hier mit seiner Hauptfigur in den Abgrund reitet, desto weniger ist er an psychologischer Feinfühligkeit, als an grober Exploitation interessiert (man bemerke dazu auch den 2-mal kurz eingestreuten Erklärbär-Voiceover Heinz Petruos), die ähnlich eines Ernst Hofbauers moralische Mahnung oberflächlich zwar propagieren will, aber darin sogar eher den Unterhaltungsfaktor findet.
In der sleazigeren zweiten Hälfte des Films scheint seine Aufmerksamkeit für die Milieustudie am meisten durch, lässt er doch sein aufbrausend-geführtes Ensemble - angereichert mit brachial-tönenden Größen wie Werner Peters, Reinhard Kolldehoff und Friedrich Joloff, dem homosexuellen Darsteller des "Boris" aus ANDERS ALS DU UND ICH - in schön kaltschnäuziger Manie frei (allen voran Hauptdarstellerin Sesselmann offenbart ganz nach dem Format der Söderbaum gleichzeitig biestige und verletzliche Seiten) und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Drastik etwaiger Geschäftspraktiken, rotziger Umgangstöne und halbdurchsichtiger Negligees geht.
Da ist er dem genüsslich-auskotzenden Bild des Künstlers in diesem Film nicht ganz unähnlich und sucht dabei noch in allen Ecken dieser eigentlich billig-schmierigen Auftragsarbeit der ARCA-Film seine bekannten Symbole - von der zerfressenden Sehnsucht und "Blut-Begießung" Menschen-replizierender Gemälde über die Ausstattung normaler Wohnungen mit morbiden Gegenständen wie Totenköpfe bis hin zum Tod der Opferfrau. Jener letztgenannter Schlusspunkt scheint ihm als Skandal-Regisseur ohnehin wie auf den Leib geschrieben und die Story an sich ist ebenso indiskutabel spekulativ und moralisch-fragwürdig, gewiss oftmals total Over-the-Top - eine gewitzte Heuchelei von Harlans Seite aus lässt sich dennoch nicht verklären, auch wenn er hier noch weit unter seinen eigenen künstlerischen Möglichkeiten arbeiten muss.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen