Sonntag, 9. Oktober 2016

Tipps vom 03.10.- 09.10.2016

Liebe Laser,
was ist diese Woche doch wieder schnell vergangen. Im Grunde habe ich sie als solche ja gar nicht empfunden, da das Filmfest Hamburg vielerlei Menschen und mich dazu in all seiner Blüte zu sich rief und permanent Eindrücke bereithielt, dass mir erst jetzt, am Ende des Regenbogens, bewusst wird, was ich noch alles zu schreiben habe (Tweets als Kritiken reichen eben noch nicht aus). Knapp 30 Filme habe ich in der Zeit geschafft, meine Favoriten auch schon via Textform abgearbeitet, aber in den nächsten Wochen geht die Nachbetrachtung erst recht in die Vollen, wenn bei einigen relevanten Vertretern versucht werden muss, das Gros an Arthouse-Topoi in der prall gefüllten Murmel auseinander zu halten. An gemeinsamen Kriterien in der künstlerischen Sprache des Weltkinos hat es gewiss nicht gemangelt, so wie die Langsamkeit zelebriert wurde, Nahaufnahmen ab und an behauptet Gefühle evozieren sollten, Handkameras Rücken verfolgten, Musik beinahe komplett verbannt und auch sonstige zwischenmenschliche Interaktionen auf ein Minimum reduziert wurden. Das kann am Ende des Tages (Akkreditierten- und Abendvorstellungen in geballter Union) enorm schlauchen, umso fantastischer ragen die Ausnahmen heraus, die dem Formalismus der Nüchternheit Alternativen mit Risikofaktor, Intelligenz, Charakterstärke, echten Szenen (!) und Vielschichtigkeit entgegentreten konnten. Zwischendurch dann aber nicht minder wichtig: Das Miteinander unter Freunden, Kollegen, wohlbekannten und neuen Gesichtern, zusammen im Festzelt am Grindelhof, wo es beheizt ist und (manchmal) volle Thermoskannen stehen, während die Temperaturen Richtung Oktober nun wieder kräftig sinken.

 
Verpflegung darf sodann ebenso nicht unterschätzt werden: Mindestens eine Dose Rockstar Energy pro Tag MUSS in den Körper fahren (generell zur Halbzeit am Tagespensum gesichteter Filme), eine ausgewählte Zwischenmahlzeit beim Backhus oder Abendbrote mit Döner und Falafel sowieso, zweimal McD für nen Royal mit Käse und stilechten Milchshakes (Kelly Reichardts „Certain Women“ hatte als Werbemaßnahme dazu verleitet) sowie ebenso zweimal Dunkin Donuts, um am Latte Macchiato mit Bananen-Sirup Gefallen zu finden. Das Lokalkolorit verdient bestimmt nicht schlecht in diesen Tagen, erst recht, wenn Ewan McGregor frühmorgens vorm Abaton seinen Kaffee trinkt, jedoch nicht in „Elle“ reingeht, wo sich eben tolle deutsche Untertitel wie „Tönt gut“ tummeln. Ist vielleicht auch nochmal reizvoller als ein roter Teppich, obgleich man dort zumindest Nasen wie Axel Ranisch und Peter Trabner live erwischen kann, wenn man im Kinosaal nicht gerade schleppende QandA's mitkriegt, bei denen von M.X. Oberg bis Ruby O. Fee und „Jesús“-Regisseur Fernando Guzzoni so einige feine Gestalten teilnahmen. Olivier Assayas, Andrea Arnold und Konsorten waren wohl ebenso zugegen, aber warum jeden von denen erwischen wollen, wenn man sowieso von einer Leinwand zur nächsten hopst, für eine Extra-Pressevorführung von „Personal Shopper“ auch mal einen genuinen Langweiler-Streifen zur Hälfte verlässt, später am Abend jedoch drei grauenvoll tranig substanzlose Wichtigtuer in scheinbar endloser Agonie absitzt. Da ist selbst ein Lav Diaz im Nachhinein kurzweiliger geraten als man zunächst angenommen hatte. Sind wir Festivalgänger Masochisten, vielleicht ohnehin geisteskrank bei jenen geballten Horror-Erfahrungen internationaler Filmkunst mit einigen Sahnehäubchen oben drauf? Zweifellos, doch zum Ausgleich bestehen immer noch genug Mittel, um sich ein bisschen von der Last des cinephilen Weltschmerzes zu lösen, z.B. wenn das Michel-Kinderfilmfest parallel Perlen der Doofheit wie „Allein gegen die Zeit“ anbietet oder Gameboy Color in der Tasche gegen Donkey Kong siegen lässt.


Zuhause aka Schlafplatz macht dann auch noch den Blick frei für die beachtlich zynischen Woody-Woodpecker-Cartoons, wenn man mal wieder zu früh aufgestanden ist, zwischendurch auch mal den Schnitt für tolle Dildo-Messen einplant und ab 8.30 Uhr Tickets für den nächsten Tag bucht. Aktivitäten, welche die geistige Fassung weitgehend ebenso stabil halten, während man einige kuriose Schlafrhythmen (wie 18.00 bis 23.00 Uhr) bewandert und von den Nachrichten in der Welt höchstens noch mitkriegt, was Trump wieder alles gesagt hat – und dann taucht der auch noch in „Weiner“ auf und nennt Anthony Weiner halt einfach mal pervers. Die fließenden Übergänge aus Realität und Fiktion waren im Filmprogramm ohnehin ein beliebtes Thema, genauso transgressiv gingen manche Meinungen in den Sitzen neben einen auseinander und fanden sich in genau den richtigen Momenten wieder – erst recht, wenn Hunde auf der Leinwand auftauchten. In der Hinsicht hat Siegfried Bendix diese Woche zu alledem noch ein Projekt auf Facebook gestartet, dass mit dem klangvollen Titel „Der Hund im Film“ selbsterklärend als Denkmal für jenes Tier gelten soll und kontinuierlich Eindrücke aus den verschiedensten Filmen mit dem besten Freund des Menschen einstellt. Jeder Like wird dankend angenommen, ich bin zudem als Admin dort aktiv. Gern gesehen war dann auch das Bier zum Abschlusstag nach dem letzten und schlimmsten Film des Fests, „Motel Mist“, doch im Grunde wäre nichts dagegen einzuwenden, würde solch eine Zeit wie jene, die von der Gesamtheit des Filmfests ausgeht, länger als nur an die 10 Tage andauern. Nächstes Jahr kann also nicht schnell genug kommen, Entzugserscheinungen wird aber insofern schon vorgebeugt, indem man wieder reichlich aus der Bücherhalle ausgeliehen hat. Sollte sich aus dem Bestand an Filmen was ergeben, wird das aber noch bis nächste Woche warten müssen, denn bis zum hiesigen Redaktionsschluss war einfach nicht mehr hinzukriegen, als die folgenden Empfehlungen im besten Kinoformat zu nennen. Meiner Meinung nach ein angemessener Trost, aber den eigenen Anspruch schmerzt es natürlich immer ein bisschen. Nichtsdestotrotz: Lesen wie die Weltmeister, Leute, macht ja auch klug und so, demnächst kommt eh wieder mehr!




ELLE - "[...] Verhoeven wandert zwischen den Individuen, wie sich zudem Nervenkitzel und Erdung im inszenatorischen Ballett abklatschen, speziell den Reiz des Eindringens auf privater wie intimer Ebene durch vielerlei Kontexte definieren. Für alle Fantasien und Wahrheiten finden sich hier gemeinsame Nenner, bis man die Furcht per Wink vom Fenster aus einlädt. Die Sterblichkeit wird zum Freund und das Leben zur Last, Wechselwirkungen und Widersprüche bestätigen die Regel. Doch Regeln und Rollen können in Verhoevens Film nicht weniger festgelegt sein, wie auch das angedeutete Spiel mit den Klischees zu Pointen transformiert wird, potenzielle Intentionen des Öfteren ins Gegenteil verkehrt werden, ohne dem Innern des Ensembles dafür die Spannung nehmen zu müssen. Der Menschenkenner am Enthemmen und Selbstbewusstsein des Schocks weiß um die Überflüssigkeit der Kompromisse, weshalb es an Direktheit selten mangelt, an der Erkenntnis kollektiver Geheimnisse aber auch zur Wahrheit ohne Eindeutigkeiten kommt. [...]"


(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)




AMERICAN HONEY - "[...] Nun könnte sich der Zuschauer einige Szenarien denken, mit denen solch ein Milieu auf die Spitze getrieben wird – doch Frau Arnold vertraut seit jeher auf die Stilsicherheit nüchterner Beobachtung. Und so bleibt sie auch hier ökonomisch, um externe Eingriffe zu vermeiden und die innewohnenden Gefühle in figurenbezogenem Respekt aufzulösen. [...] Die Struktur der Ausbeutung ist hier eine recht besondere, als Teil eines Lebensstils, der in seiner Repetition des Feierns, Chillens und dennoch indoktrinierten Verkaufs ebenso genau die abstumpfende Maloche birgt, die jeder andere Job mit sich bringt. Die Deutung bekommt man zwar schneller mit, als Arnold sie in der nicht immer optimal genutzten Länge zu vermitteln versteht, doch sie ist nur ein Aspekt unter vielen, die diesen Querschnitt des amerikanischen Zustands ausmachen. [...] Wohlgemerkt ist die Sehnsucht bei Arnold kein Anlass zum Kitsch, und schon in der Kameraführung durch Robbie Ryan von dynamischem Wankelmut, in der das Format am Zwang vorbei auf den Menschen blickt, auf Momente reagiert, in ihnen lebt, dass sich auch reichlich Unvorhersehbares in den Filmverlauf mischt. [...]"


(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)




WAR DOGS - "[...] Doch obwohl sich der dramaturgische Verlauf im Grunde an durchaus gängigen Strukturen abarbeitet, steckt der Teufel eben im Detail, in Figuren vom Schlage des Phillips’schen Schaffens, die ihren Status der Selbstverständlichkeit genüsslich rücksichtslos gegen die Wand fahren. Nach der „Hangover“-Trilogie nimmt der Humor im Angesicht globaler Mechanismen eine kleine Auszeit, zwingt aber dennoch die Art Typen auf, die mit selbstgefälligen Eiern den Amerikaner raushängen lassen und sich dort bereichern, wo am schnellsten Kohle zu machen ist. [...] Nach Vergangenheit sieht das nicht aus, am politischen Statement übt Phillips aber kaum enorm überhöhte Knalleffekte à la „Pain & Gain“, wie er am Beispiel Diverolis allein dessen Abgeklärtheit als kritischen Fokus anwendet, ein lupenreines Arschloch herauskristallisiert, wie es Darsteller Hill in seiner bisher fettigsten Form punktgenau durchsetzt. [...]"


(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)




Hat Jim Jarmusch es wirklich noch nötig, auf die Schwingen des Pathos aufzuspringen, wenn er den Status des Künstlers nach über 30 Jahren des Schaffens als Autorenfilmer reflektiert? Seine Geschichte über „Paterson“, den Charakter (Adam Driver) und die gleichnamige Stadt binnen New Jersey, in welcher erstgenannter wohnt und wirkt, schrammt insofern brenzlig nah an der Prätention (inklusive ausgestellter literarischer Referenzen) entlang, sprich an einem Kitsch vom Formate „Stay“, jenem überbordenden Metaphernmelodram von Marc Forster anno 2005. So ergänzt sich leider einiges an konstruierter Bedeutungsschwere, wenn sich mehrmals Zwillinge im Hintergrund tummeln, die Mitmenschen und Vorbilder Patersons eindeutige Gemeinsamkeiten voll surrealer Zufälle teilen, bis sogar ein japanischer Tourist mit denselben Ambitionen der Poetik zur schicksalhaften Fügung des Glücks beiträgt, welche dem Künstler inmitten der Arbeiterklasse den Antrieb zum Weitermachen widerfährt. Addiert wird jene symbolische Romantik sodann von einer gestriegelten Milieuzeichnung, an der Jarmusch Lebhaftigkeit vorspielt, allein von Schnitt und Kamera her jedoch schon in einem Korsett künstlerischer Weisung angesiedelt bleibt, das allerdings genauso gut entschlüsseln lässt, wie stark der Film seinen Protagonisten verinnerlicht.


Allen sieben Tage der Woche widmet sich das Narrativ in einigermaßen kurzweiliger Variation, welches sodann die stille Alltäglichkeit Patersons mit seiner Aufnahme von Geschichten kontrastiert, welche seine Fahrgäste untereinander austauschen, während er das Leben in Paterson, also ihm und der Stadt - Trennung ausgeschlossen - in Gedichten zu reflektieren versucht, die gleichsam auf der Leinwand eingeblendet werden und ein vollständiges Portrait dieses Fleckchens Amerika versuchen, bis hin zum täglichen Feierabendbesuch in der Bar und Spaziergängen zum lokalen Staudamm. Mitinbegriffen blickt Paterson dabei auch auf seine Beziehung zu Künstlerin Laura (Golshifteh Farahani), die als Figur allerdings, mitunter bewusst, eine schwache Persönlichkeit abgibt und eher in den zu Lyrik verarbeiteten Anekdoten aufblüht: In ihrer Kunst stur auf Schwarz-Weiß-Kontraste fixiert und diese wahllos an Gardinen bis hin zu Cupcakes anwendend, gibt sie ihrem Beau gleichsam oberflächlich oft den Ratschlag, seine Gedichte für alle Welt per Copy-Shop zur Verfügung zu stellen (nach Ansicht des Films natürlich redundant, so wie jeder eins ist) und ihr eine Gitarre zur Karriere als Countrysängerin zu schenken. Dass sie den Tag über dauernd Klamotten vor dem Spiegel ausprobiert und auch nichts daran zu ändern versucht, dass lediglich Paterson stets den gemeinsamen Hund Marvin Gassi geht, hinterlässt insgesamt natürlich einen faden Beigeschmack.


An parallelen Beziehungskrisen mangelt der Film jedoch ebenso nicht, so wie das Thema der Paarung durchweg formuliert wird, selbst bis in eine Lokalberühmtheit wie Lou Costello hinein, der mit Partner Bud Abbott einst ein großes Comedy-Duo des 20. Jahrhunderts ergab, demnach eine Statur sowie einen nach ihm benannten Park in der Stadt vorweisen kann - Romeo & Julia dürfen da als Anspielung gewiss ebenso wenig fehlen. Die Wahrnehmung der Verbundenheit offenbart dann aber auch keinen himmelhohen Stolz, wie man es bei solchen Signalen vermuten würde, viel mehr äußert sich Paterson als Gesamtbild mit einer Bescheidenheit, die sich nicht übermäßig in Dramatisierung üben muss, selbst in vermuteten Momenten baldigen Geschehens nicht auf filmische Klischees eingeht. Stattdessen wird die zuvorkommende Beobachtung unter Menschen der Fokus, ein gemütlich umherwandernder, helfender und mit jedermann kommunizierender Paterson die Zentrale der Empathie, die sich neben ihrer Sanftheit auch durch ihre Schwächen auszeichnet. Ein Smartphone z.B. benutzt der Herr nicht, obgleich es ihm vieles vereinfachen würde, weshalb er sich in mindestens einer Notfallsituation auch eins ausleihen muss. Gleichsam ist die Niederschrift seiner Gedichte in einen gewöhnlichen Notizblock stets zur Vergänglichkeit verdammt, schließlich hält er sich ja auch ein den menschlichen Regeln unbewusstes Tier im Haus - wobei Hund Marvin mit seinen drolligen Reaktionen natürlich so ziemlich das Herzstück an Humor in diesem Film ausmacht.


Nicht, dass Paterson äußerlich einen großen Verlust suggerieren oder lamentieren will, wenn seine Werke verschüttgehen, doch in diesem der wenigen Extreme des Films offenbart sich zumindest dann doch noch einiges an greifbaren Gründen, warum er zu Laura steht, in welcher Güte sich jene Beziehung beweisen kann und wie Paterson und Paterson so oder so zusammenhalten. Trotz aller inszenatorischer Unaufgeregtheit, zarten Worten und ungefähr authentischer Menschlichkeit bewegt sich Jarmusch mit seiner aktuellen Arbeit dennoch eher auf oberflächlichem Terrain, insbesondere in der Austauschbarkeit des Scores vonseiten seiner Band Sqürl, der zusammen mit den repetitiven Tagesabläufen sicherlich den Alltagstrott exemplifiziert, von New-Age-Bullshit aber genauso gut nur schwer zu unterscheiden wäre. So schwingt auch das Pendel des gesamten Films eben zwischen Wahrhaftigkeit und verkappter Einfältigkeit, wenn der Stellenwert der Kunst auf den regionalen Querschnitt umgesetzt wird, selbst Hip-Hop als moderne Dichtungskunst die Plattform überlässt und im Grunde eine optimistische Variante Kafka light an der Erfassung des Menschseins übt. Es ist zumindest kein Fehler ohne Wiederkehr, einen derartig gemäßigten Pathos nachzufühlen, wenn der Film dazu auf die Güte, kreative Möglichkeiten und Kommunikation der Vergebung innerhalb der menschlichen Spezies hinweist, obgleich sich das Jahr 2016 noch kräftig am Gegenteil abarbeitet.

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