Sonntag, 8. November 2015
Tipps vom 02.11. - 08.11.2015
THE GIFT - "[...] Hauptsächlich aus Robyns Perspektive beobachten wir die Wechselwirkung zwischen Schuld und Verantwortung, wie sehr man sich einem Menschen, dem Freund oder der Liebe öffnet oder verschließt. Aber auch, wie viel Vertrauen oder Misstrauen empfunden wird, Schmerzen verursacht oder Lügen auftischt werden, um die Wahrnehmung zu färben. Eine beachtliche Bandbreite an emotionalen Dilemmata, die trotz ihrer Komplexität in einem geradlinigen Thrill verpackt werden, der weder den Zuschauer noch sich selbst für dumm verkaufen muss, um den Zwiespalt der Figuren spürbar zu machen. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
ERINNERUNGEN AN MARNIE - Die neueste und leider fürs Erste letzte Produktion aus dem Hause Studio Ghibli in traditioneller Animation vereint nochmal alle Stärken, die das japanische Haus der Kreativität von anderen Mitstreitern unterscheidet: Der von Anfang an innige Fokus auf die Charaktere (in diesem Fall die zwölfjährige Anna); der aufrichtige Umgang mit emotionalen Komplexen; der Rückzug in die Ruhe sowie zur Güte der Menschen; der Verzicht auf schwarzweiße Weltbilder; die Euphorie zur Fantasie, Kunst und Freundschaft in Bild, Ton und Narrativ; eine Dramaturgie, die nicht von designierten Antagonisten oder Bedrohungen ausgeht, sondern schlicht Selbstzweifel behandelt und zu guter Letzt eine angenehme Ladung Kawaii. Die ersten dreißig Minuten durch möchte man weinen, ob das nun Tränen des Glücks, des Mitleids oder der Wehmut werden, ist gar nicht mal so genau zu benennen, hauptsächlich ist man jedoch von der Schönheit überwältigt, die sich unvergleichbar vor einem entfaltet. Sobald die Begegnung zwischen Anna und der kleinen Marnie aus der Villa am Marschland vollzogen wird, legt sich der Score von Takatsugu Muramatsu besonders ins Zeug, die bezaubernde Aufregung daran zu erleben. Seine Untermalung hält solange an, dass es schon überakzentuiert wirkt, während man auch so dahinter kommen will, wie sich diese Freundschaft entwickelt beziehungsweise wie sie überhaupt funktioniert.
Sehnsucht, Neugier und eine unerklärliche Gemeinsamkeit beflügeln da den kindlichen Geist, jenseits von Zeit und Raum nach einer Katharsis zu suchen, welche der Unzugänglichkeit im Alltag entgegenwirken könnte. Regisseur Hiromasa Yonebayashis Adaption des gleichnamigen Kinderromans von Joan G. Robinson macht das im Verlauf schließlich an einer Handlung fest, die der Auflösung von Mysterien ein nicht unerhebliches Stück an Gewichtung überlässt. Im direkten Vergleich zu früheren Ghibli-Werken (die Ausgangssituation lässt schon an MEIN NACHBAR TOTORO erinnern) wird die Synergie von Realität und Fantasie dadurch nicht so leichtfüßig hingenommen - die Selbstverständlichkeit dazu ist zwar immer noch dieselbe, mündet hier allerdings in ein Melodram, das unter anderen Umständen in sentimentalem Kitsch versinken könnte. Yonebayashi selbst kokettiert besonders zum Ende hin mit solchen Tendenzen, anhand derer (verallgemeinert gesagt) „alles miteinander verbunden ist“. Solch eine Entwicklung ist vielleicht nicht die idealste, sicherlich auch für die Zielgruppe um einige Lagen durcherklärt, doch das Herz sitzt weiterhin am rechten Fleck. Es macht weiterhin einen Unterschied, wie ehrlich die Meister hinter solchen Werken es meinen, wenn die charakterliche Selbsterkenntnis im Mittelpunkt steht. Die Balance innerer Offenbarungen und handlungstechnischer Fixierung mag hier nicht ganz ohne Mühe gelingen, die Belange des Herzens haben dennoch Vorrang. Das wird kaum noch allerorts geschätzt; da lohnt es sich, dies innezuhalten.
UNTER DEM SAND - "[...] In diesem Sinne ist auch die Figurenzeichnung des Ensembles teilweise schlicht und reduziert; Regisseur und Autor Zandvliet nutzt solche eindeutigen Elemente allerdings zu einer Spannung, die sich durchaus auch auf den Diskurs um Schuld, Disziplin und Humanität einlässt. Insbesondere Rasmussen steht zwischen den Fronten, muss Gnade und Pflicht abwägen, hart durchgreifen oder Verständnis zeigen. Stets steht dabei das Verhältnis von Opfer und Täter im Raum, die sich potenziell in ihre Gegenseiten verwandeln können, solange diese als Reste des Krieges gewertet werden. Zandvliets Film lässt diese Reibung in ermatteten Eskalationen aufblühen, sein Anliegen bleibt aber größer als die Umsetzung. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
LOVE - Nur mal ein kurzer Eindruck zu einem überlangen Film: Das Kino zu enthemmen, die Wollust abzufeiern und als Ausdruck der Liebe voller Selbstverständlichkeit einzubinden, ist eine recht löbliche Tat. Ob man das nun Pornographie oder subtil gen Null nennen will, ist erstmal Nebensache, solange Entkrampfung auf der Leinwand gegeben ist. Von daher legt Noé seinen Fokus hier auf eine urbane Romantik der Körper, Reibungen und Impulse; Haut an Haut, Lippe an Lippe, Rein und Raus. Jene einzelnen Abschnitte der Innigkeit zeigen ein aufregendes Verständnis zur rauschhaften Erotik, Noé besitzt allerdings mehr Geschick (und Musikgeschmack) in der Euphorie des Gefühls, als dass man mit seinen Charakteren mitfühlen könnte. Fragmentarisches Narrativ hin und her: Was sich beim Pärchen/zeitweise Dreiecksbeziehung abspielt, ist recht spärlich ausgearbeitet, könnte wahrhaftig sein, wenn Noé es nicht ständig mit Referenzen und Selbstzitaten ausfüllen würde.
Überall Poster anerkannter Filmgeschichte; der Protagonist erzählt von seinem Traum eines Films mit sentimentalem Sex; "2001 - Odyssee im Weltraum" hat sein Leben verändert; "Menschenfeind" steht im Videoregal, das Hotel aus "Enter the Void" als Model bereit; der Sohn heißt Gaspar, der Nebenbuhler Noé. Es ist fast schon derartig plump, dass es sympathisch sein könnte, wie überhaupt die gesamte Naivität des Films, der sich zwischen Glück, Sehnsucht und Verlust bewegt, allem per Voice-Over hinterhertrauert und nicht nur Blümchen-Sex anstimmt, sondern auch zwangsläufig zu dunklen Swinger-Fickschuppen (Rectum?) und Transsexuellen findet. "LOVE" denkt durchaus mit dem Schwanz, lässt ihn auch in Großaufnahme kommen (inklusive ein bisschen CGI-Beihilfe) und behandelt dennoch einigermaßen offen die Schwächen der Männerzunft: Die Unsicherheit, die Irrationalität, den Schmerz sowie die Angst vor Vergangenheit und Zukunft. Dementsprechend sieht man mehr Fellatio und Handjobs, als dass Vaginas verwöhnt werden.
Nicht falsch verstehen: Es glitscht und flutscht recht saftig zwischen den Schenkeln und Backen der Darsteller; das intensive Liebesspiel ist beiderseits genießbar. Das Fehlen einer starken weiblichen Perspektive macht die ganze Sache allerdings schon recht einseitig, auch wenn sich Noé gerne in den Geburtskanal verkriecht, soviel Verzweiflung er dem Leben ja zurechnet. Jene Gefühlslagen kann man als Zuschauer ja auch von sich kennen, aber "LOVE" bewegt nur bedingt zur Selbsterkenntnis. Sinnlich ist er ja, aber zur Befriedigung fehlt eben doch noch genau das an seinen Figuren, was sie uns liebenswert machen würde, abgesehen von ihrer Profession und ihrem Junkie-Dasein in allen Belangen. Andernfalls hat man wie bei jedem Porno auch nur ein Ventil für den fickrigen Hormonausschuss - hier nun mit einer Rahmenhandlung, die einen leider doch hängen und aushungern lässt. Nur geil genug für einen One-Night-Stand, ganz profan gesagt.
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