Sonntag, 25. Oktober 2015
Tipps vom 19.10. - 25.10.2015
NEONSTADT - "Was ich haben will, das krieg ich nicht. Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht". Ungestüm kommt der Zeitgeist der Jugend um die Phase zwischen Punk und NDW herum hier in fünf Episoden daher, die sich im faustdicken Eigensinn zu Liebe und Selbstbewusstsein äußern und dabei dennoch saukomisch, tragisch, impulsiv und frech zugleich auftreten. Nicht, dass dafür in allen Fällen überhaupt Genremuster oder spekulatives Drei(t)akten zur Anwendung kommen - der urbane Umgang ist hier stattdessen bereits von der ersten Episode an ("Verliebt, verlobt, BRD-igt" von Gisela Weilemann) ein abgeklärtes Spiel im Milieu, das seine Sehnsüchte von Mann und Frau spielerisch ausspäht sowie in bunten Lichtern illustriert. Genauso knackig die Klamotten, Frisuren, der Slang, die Akzente und der ungezwungene Bezug zum Sex - irgendwie doch ganz drollig, voller Unschuld und so frei wie rotzig im Umgang, dass sich die Dramaturgie auch je nach Belieben, aber weiterhin stimmig, die ganze Nacht hinweg umorientieren kann. Botschaft oder Moral müssen nicht dahergeführt werden, da der Zustand des Zeitgenössischen schon entschieden für sich spricht.
In der zweiten Episode, "Star" von Helmer von Lützelburg, folgt sodann der Drang, darin aufzugehen, etwas darzustellen und dem Mief sowie U-Bahnen des Alltags zu entkommen, obgleich das Innere nicht wirklich mitgehen kann zu dem, was mit dem Äußeren dargestellt werden soll. Wie findet sich da zwischen den Zeilen, im Mantel der Schönheit, das Glück unter jenem Sonnenuntergang, der von dunklen Türmen umkreist scheint? Imagepflege ist eben heute wie damals eine schwierige Frage des Selbstbewusstseins. Die dritte Episode hingegen, "Running Blue" von Dominik Graf, koppelt sich in ihrem Selbstbewusstsein ein Stück weit vom dargestellten Gesamtkomplex ab und stellt sich einen Waffenschieber-Gangsterpathos mit kahler Stirn und Coolness vor, der Mechanismen der Übermächte in einen kontemporären Rahmen setzt, darin die Strenge in der Existenz per Unterwelt abwickelt und mit Aussichten auf die lieben Kleinigkeiten auflockert. Letztendlich endet es da aber so, wie derartige Geschichten immer Sch(l)usspunkte setzen und wirkt daher (auch handlungstechnisch) quasi wie eine vereinfachte Variation von "Eine Rose für Jane".
Die vierte Episode, "Panter Neuss" von Hans Schmid, geht dafür aber wieder in die Vollen und fungiert als Highlight mit einzigartiger Charakterstudie, die ein kaputtes Wesen mit einer gleichgültigen Gesellschaft fusioniert und dieses darin auf umso schönere Wege des Unkalkulierbaren geraten lässt, ohne Wahrhaftigkeit aufzugeben oder zu forcieren. Der kapitalistische Wunschtraum hat eben keine Chance gegen das Individuum, dass so herzensgut und doch unbeholfen abfetzt, bis die Anziehungskräfte das Zelluloid zerreißen. Also geht es zur fünften Episode nicht nur vom Titel her in die "Disco Satanica" von Wolfgang Büld, der jenen Nachtzirkus mit entsprechenden Hits unter der Lichterkugel füttert und Hormone gegenseitig anbaggern lässt, bis die provinzielle Schnauze überfahren wird und zum Killer mit Travolta-Maske mutiert. Der Beischlaf wird dabei natürlich nur bedingt eingedämmt und spritzt Blusen voll, solange das Wochenende ansteht - Vorsicht allerdings vor der Eifersucht, die hat Schaum aus dem Feuerlöscher vorm Mund! Sowas Wildes und Rohes, schlicht Unmittelbares an Film ist aus deutschen Landen vielleicht nicht mehr ganz so gängig zu sehen, was schade, aber umso sehenswerter ist. Hoffen wir zumindest auf eine baldige Verewigung im Heimkino, damit die "Neonstadt" immer wieder besucht werden kann.
SCHOOL OF THE HOLY BEAST - Einerseits ist es schon komisch, wie solch japanische Exploitation stets mit visueller Brillanz auftreten und in ihrem Exzess mit Leichtigkeit treffende Pointen des Zeitgeists (siehe bereits die Montage des Intros dieses Films) und der Kritik einbauen kann. Andererseits sind die Geschichten darum stets so einfach, dass sich die Balance zwischen Reißertum und Melodram nicht immer glaubwürdig halten lässt. In solchen Fällen heißt es ohnehin: Man wird wahrscheinlich schon von Vornherein wissen, auf welch spezielle Genrefaktoren man sich einlässt und gerade, was japanisches Kino betrifft, sollte man dessen kulturellen Eigensinn berücksichtigen, der weißgott nicht mit dem allgemeinen Konsens und abendländischer Moral vereinbar ist.
Umso hemmungsloser kommt dann allerdings Norifumi Suzukis Zeugnis der Erotomanie daher, welches geistliche Symbole keck umspielt und für einen Thriller einsetzt, der spielerisch die Doppelmoral des Klerikus entlarvt und dabei gegen den guten Geschmack verstößt, ohne jedoch haltlose Beleidigungen am laufenden Band zu äußern. Viel mehr wird die Selbstgefälligkeit der religiösen Geheimgesellschaft ins Visier genommen sowie die Abschottung vor der Welt, dem Menschlichen und speziell dem Bewusstsein zum eigenen Körper - zwar überspitzt in genussvollen Extremen, aber eher frech als karikaturenhaft. Auf der storytechnischen Ebene kulminiert jenes Konzept zudem in der Erforschung zur Vergangenheit der Protagonistin Maya Takigawa (Yumi Takigawa), deren Existenz aus dem Leiden innerhalb der Klostermauern erst erschaffen wurde und im Ursprung so verklärt wird, dass ihr weiteres Leiden im Bewusstsein der Wahrheit angetan wird.
Zudem aber sind ihre Antagonisten nicht gerade grundlos so wie sie sind, ebenso von der Geschichte gebrandmarkt und in einen Glauben hineingestiegen, dessen Widersprüche zum mentalen Selbstbetrug führen, wie es jüngst auch in "El Club" (2015) nur die Eskalation hervorbringen konnte. Die hat es dann aber auch in sich, schreitet zur Entschlossenheit individueller Selbstbestimmung UND explodiert in einem blutigen wie nackten Bilderrausch, der gleichsam ins Übernatürliche und Hymnische mündet - und das gar nicht mal so verrückt oder zynisch, dass der charakterliche Rahmen darunter leiden muss. Eine schöne Symbiose aus konfrontierender Glaubensfrage und bildhübscher Drastik, Ken Russell und Marquis de Sade würden ihre helle Freude daran haben.
DIE MELODIE DES MEERES - Sich rein visuell von diesem Werk einnehmen zu lassen, ist gar nicht mal zu schwierig und erst recht nicht unfair gegenüber dem restlichen Inhalt des Films, welcher die Schönheit von Mythen und Zauberei in die Wirklichkeit überträgt und ein spannendes wie herzliches Narrativ daraus entwickelt. Das Abenteuer um zwei Geschwister, die im Verlauf von allem entrissen werden, was sie ausmacht, dabei aber auch erst zusammenfinden, sehnt sich nach Heimat sowie der Wahrhaftigkeit und Hingabe der Gefühle, wie es einerseits der kindlichen Zielgruppe gerecht werden dürfte, aber sich dafür auch nicht an diese anbiedern muss. Sehr löblich ist auch der runtergeschaltene Gang in Sachen (ich nenne es einfach mal so) "Blödi-Humor", der sonst die Spannweite der Themen und Emotionen mit brachialer Komik niederschmettern würde.
Nicht, dass "Die Melodie des Meeres" komplett ohne Humor auskommen würde, im Gegenteil, doch der Spaß macht weder einen Witz aus sich selbst noch aus seinen Charakteren. Die sind nämlich in zweierlei Hinsicht so liebevoll gezeichnet, dass sie nicht bloß funktionär für simples Tearjerking oder Comic Relief herhalten oder im Gegenzug übererklärt werden. Die Schicksale besitzen bereits im visuellen Rahmen emotionale Resonanz (toll, das verstärkt über die Bilder allein erzählt wird), werden aber auch zugleich über die farbige Ortssprache zum Leben erweckt und vermeiden zudem im Endeffekt komplett die Aufteilung in Gut und Böse. Dabei gelingt in einfacher Dramaturgie mit durchgängiger Leichtfüßigkeit reichlich Kreativität, die zudem mehrere kleinere Figuren und Geschichten als Teil des Ganzen miteinander verknüpfen kann, ohne überladen zu wirken. Ohnehin blüht darin eine Euphorie für Fantasie auf, die noch von einem dringlichen Gefühl der Wiedererlangung unterfüttert wird.
Die Spannung basiert sodann erneut auf Muster eines Rettungsplans, eines Countdowns sowie einer Art Prophezeiung, wie sie im modernen Kino nicht mehr wegzudenken sind. Vielleicht schöpft sich die Geschichte da zum Ende hin etwas aus, wenn sich Erwartungen erfüllen, die den eigenständigen Mythos in eine gängige Erzählform bugsieren und sich da in die Länge strecken. Andererseits entschädigt der Film dann wieder mit dem Abschluss einer tragisch schönen Reise, die eine Einigung der Welten zum Tränenfluss einer bittersüßen Katharsis avancieren lässt. Im Klartext: Es war einfach nur sehr schön, eigenständig und aufrichtig, sowohl in der liebevollen Optik als auch im liebevollen Plot. Eine klare Empfehlung für klein und groß zum stilechten Starttermin um Weihnachten herum.
MACBETH - Die nachfolgende Kritik wurde von Stefanie Schneider und mir zusammen verfasst - kleiner Hinweis: ich hab mehr über die positiveren Aspekte des Films herausgekitzelt ;)
"[...] Es folgt ein Delirium in eine kaum entlastende Heimkehr, die im Morast versinkt, da die Macht mit sauberen Händen über allem ruht. Kurzel reflektiert die kontemporäre Politik wie Polanski – aber wo seine Adaption darauf aus war, die Tyrannen, gleich welcher Herkunft, ausbluten zu lassen, spürt das modernere Pendant der Qual seiner Hauptfigur als Übertragungskette des Grauens nach. [...] Kurzel weiß dieses Schicksal in einen Rausch aus Erschöpfung und Schock zu verwandeln. Daher zieht sein zweiter Spielfilm zwar große Stücke auf, legt seinen Fokus jedoch auf ein menschliches Martyrium im tief versumpften Mittelalter, statt ein Historienepos aufzufahren. Er tritt mit seinem Bruder Jed ans Schlagzeug und rumst ins Fieber eines Vergifteten, das Chance, Schuld und Sühne zu einem Stimmungsstück der Verlorenen ballt. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
IRRATIONAL MAN - "[...] Regisseur und Autor Allen setzt diese Konflikte wie gewohnt in einen leichtfüßigen Rahmen mit Jazz der Marke Easy Listening, kreiert stilsichere Konversationen mit neurotischem Flair, welche sich im oberen Mittelstand mit Beobachtungen und Einsilbern über Dostojewski („He got it!“) bis Heidegger und dem Faschismus begnügen [...] Dennoch verlässt man den Film mit einem Gefühl der Teilnahmslosigkeit, da das Menschliche eher im Rechtfertigungszwang aufgeht und sich für einen gehobenen Umgangston vom Praktischen abkoppelt, das sträflich unterrepräsentiert scheint [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
Bonus-Zeugs:
ICH UND EARL UND DAS MÄDCHEN - "[...] Im Grunde der Geschichte schlummert das Psychogramm eines Egomanen, der sich nur durch andere definieren kann – seien es Filme oder Menschen. [...] Dieser filmische Poser verpasst sich zudem noch selbst Zynismus, als Greg Rachel in seinem Voice-over zum Spielball des Publikums umfunktioniert, ob sie überleben wird oder nicht. Die Zuckerglasur des Ganzen legt sich natürlich ins Zeug, ein Trostpflaster zu spenden, indem sie nicht nur durch eine Anekdote von Gregs Lehrer McCarthy (Jon Bernthal) ankündigt, dass ein Mensch nie stirbt, weil im Nachhinein immer wieder etwas Neues an ihm zu finden sein wird. [...] Zudem ist ein ehrlicher Umgangston zeitweise ebenso anzutreffen [...] Vieles davon kennt man aber schon anhand anderer Genrebeispiele – jetzt eben mit dem anbiedernden Gimmick der Weltkinoreferenzen und dem Tearjerker Krebs. Laut diesem Film schafft Film alles, doch der Film an sich schafft zu wenig, obwohl er meint, das Herz am rechten Fleck zu haben."
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
THE LAST WITCH HUNTER - "[...] Vielleicht liegt dies an seinem Schauspiel, das ausgerechnet unter der Ägide von Breck Eisner (dessen Remake von „The Crazies“ für effektives Horrorkino sorgte) zum nuschelnden Expositionsanrufbeantworter verkommt und in den Kampfszenen reichlich amüsante Grimassen von ihm abverlangt. Trotz der gelegentlich reichhaltigen Ausstattung schafft es aber keiner der Herren, Tempo aufrechtzuerhalten, da sich der Großteil des Films durch Erklärungen über Hexen, Geheimkonsulate, deren Sentinel-Monster und ach so wichtige MacGuffins definiert. [...] Ein weiteres Symptom für einen Film, der niemals in die Gänge kommt und stattdessen Standardbilder von Rückblenden, Schwertkämpfen mit CGI-Monstern in dunklen Höhlen sowie dem nahenden Ende der Welt bemüht. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
A PERFECT DAY - "[...] Das Szenario um eine Gruppe von fünf Helfern ohne Grenzen zur Zeit des Bosnienkrieges rattert witz- und stillos durch ein Arsenal an forcierten Schlagfertigkeiten, das alle zwei Szenen entweder auf Ü-40-Coolness pocht oder oberflächliche Betroffenheit übt. Genauso anbiedernd pendelt der permanent angeschaltete Soundtrack von Classic Rock über Marilyn Mansons „Sweet Dreams“ zu austauschbaren Synthesizerflächen, damit jede Stimmung genauso eindeutig bleibt, wie es die Charaktere sind. [...] Wer neu ist, braucht vielleicht noch Eingewöhnung, aber es dauert nur die gesamte Laufzeit, um im gleichen Atemzug Fairness gegenüber der Bevölkerung zu verlangen und eine dicke Leiche als „Fat Fuck“ abzutun. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
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