Der letzte Film, der in der Retrospektive zu Hans W. Geißendörfer auf CEREALITY.NET noch fehlte (wirklich alle seine 17 Spielfilme sind also auf der Seite vorhanden), ist jetzt auch besprochen worden, deshalb:
IN DER WELT HABT IHR ANGST - "[...] Drum herum kündigt sich also trotz kleinstädtischer Atmosphäre in Bamberg ein Chaos an, dem Geißendörfer mit einer rasanten Abfolge der Ereignisse, direkt in die Eskalation, entgegenkommt. Ohnehin ist das Prozedere im Verlauf bedingt reflektiver Natur; eher eines, bei dem man in unregelmäßigen Abständen „Auch das noch!“ als Zuschauer von sich geben darf. [...] Die Moral der Unschuld ist hier ambivalent, direkt in der Sühne gelandet und diese auch büßend, aber ebenso um romantische Belange der Freiheit kämpfend. Die Schlussfolgerung Geißendörfers dazu bleibt auch (mit Tendenz zur bitteren Unmöglichkeit) offen, nur flirtet sein modernes Märchen ebenso mit Drogenhysterie und kleinbürgerlichem Humor. Deren Lösungswege sind gewiss unkonventionell, aber auch ein Stück anorganisch, obgleich die Zwiespälte des Herzens, (wie oft bei Geißendörfer) unter Väter und deren Kindern, in nachvollziehbare Widerstände geraten. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
Da das Filmfest Hamburg nun diesen Samstag zuende ging, kommen nun auch langsam mehr Texte zu den jeweiligen Filmen raus. Also nun in qualitativer Reihenfolge:
THE LOBSTER - Sich solch eine außergewöhnliche Groteske über die Regelmäßigkeiten der Liebe auszudenken, ist ja schon eine Meisterleistung, die in diesem Rahmen weder auf Publikumstauglichkeit achten muss noch auch nur einen Anteil davon vergraulen sollte. Giorgos Lanthimos übergreifendes Erzählmittel ist da zwar auch das des Voice-overs, aber keines der künstlichen Sympathie, sondern ebenso schon ein eigenwilliges Unding, das wie der Film an sich mit bitterem Humor ans Schienbein tritt. Ein Heer an Herzlosigkeit erlebt man sodann in der Darstellung einer Dystopie, deren Menschlichkeit in aller Selbstverständlichkeit das Single-Leben verbannt hat und Pärchenbildung zum existenziellen Wettbewerb gestaltet, der so geregelt von statten geht wie er die monströse Jagd auf Einzelgänger zum Dienste der Selbsterhaltung aufstellt. „The Lobster“ will dann auch gar nicht mit Empathie punkten, sondern stellt schlicht die omnipräsente Panik im Anzug dar, die sich den sozial-peitschenden Abläufen ergibt, sie gegebenenfalls zum eigenen Vorteil manipuliert und schlussendlich doch von ihnen zerfleischt werden. Allerdings gibt es da nicht nur eine Seite der Ideologie, sondern wie so oft in der Science Fiction den Widerstand, der in seiner emotionalen Sterilisierung zum Single-Zwang nicht minder brutale Gesetze vertritt. So tritt eine gewisse Zweiteilung im Film ein, die aber zum Herzen des umgebenden Rahmens führt und weiterhin in Lanthimos' obskurem Wunderland einer selbstständigen Filmsprache verweilt.
Schön auch, dass gestandene „Weltstars“ das mit sich erlauben lassen, Komplettverräudung verwirklichen und genau die Sicherheit unterlaufen, die man mit ihren Gesichtern verknüpfen würde. Stattdessen lässt sich Lanthimos keine Grenzen und balanciert Nihilismus und Zynismus mit diesem süßen Streif der Hoffnung, der sich von allen Regeln absetzt und in seinem verstörten Verständnis eine neue Form des Glücks aufbohrt. In dieser Vision einer verzerrten Menschlichkeit hat aber auch jede Liebe einen Schmerz der Selbstgeißelung inne, bis hin zur offensiven Verstümmelung, eben deshalb natürlich, weil sonst die Verwandlung zum Tiere auf einen wartet. Der Selbsterhaltungstrieb, wie wir ihn so schon kennen und Fortpflanzung in der menschlichen Natur anregt, ist hier die Waffe schlechthin, für die jede Patrone passgenau ins Magazin gelegt werden muss. Ansonsten hilft nur noch die grobe Handarbeit der Verzweiflung und da lässt es sich genauso lügen und geheim kommunizieren, wie es dieser Ansammlung an Systemen nur recht sein könnte, wenn denn die Auslese sie nicht zwangsläufig und herzlos eliminieren würde. Glücklicherweise konnte „The Lobster“ so einem Rotstift entkommen und als Film neue Emotionen und Situationen entdecken, die unserem Verständnis von Menschsein und Kino die Augen herausschneidet, damit wir mit unserem Sinnen besser verstehen lernen.
THE DUKE OF BURGUNDY - Das schönste an Peter Stricklands Inszenierung neben der Präsenz seiner Hauptdarstellerinnen ist dieser Hang zu euphorischen Sequenzen, also solche, die per Montage, aufreizenden Bilderwelten und dem Soundtrack von Cat's Eyes barockes Gold erschaffen, in dem permanente Ekstase vorherrscht. Sie sind die Schlagsahne der Sinnlichkeit in einem leichten wie eigenen Liebesfilm, der sich den Strukturen von Rollenspielen im sado-masochistischem Fetisch sowie dessen psychologischen Auswirkungen annimmt, ohne auf mörderische Eskalationen oder überhaupt dramaturgische Lösungen zu setzen, die um Zugänglichkeit betteln. Wirklich sperrig ist hier aber auch nichts, sondern von den Strahlen herbstlicher Sonne in ein hedonistisches Miteinander getaucht, das seine Kadrierung so perfektioniert wie es die Sehnsucht ab- und aufprallen lässt. Emotionale Bindungen sind da für den Zuschauer eher zweitrangig vermittelbar, stattdessen erlebt man die Macht der Bindung im wortwörtlichen Sinne sowie dessen gewitzte Wechselwirkungen, welche die Ausführerin der Schmerzen zum Diener der Schmerzwilligen macht.
Trotz dieser Beschreibung ist die Erotik am „Duke of Burgundy“ eine subtile, die sich nicht am Exzess vergreift, sondern eben die Erwartung, das Innehalten und das Kopfkino zur Spannung erhebt. Blicke und Berührungen erschaffen einen unsichtbaren Strudel zum Herzen, genauso die exquisite Ausstattung in all ihrer anschmiegenden Fülle. Holzschränke, blau verzierte Fließen, Reihen an dunkelgrünen Büchern, Sesseln und natürlich das Gros an gesammelten Schmetterlingen zeichnen ein Traum vom Vergangenen, der sich in seiner komplexen Verspieltheit zur Liebe auch gerne ins Unterbewusstsein, in die Dunkelheit edler Kisten und staubiger Keller im Kerzenschein begibt, um dort das Delirium zu fürchten und zu verschlingen. Es wird surreal oder auch superreal, wenn das Innere nach außen auf die Leinwand gekehrt wird und seine Flügel über der Liebe ausbreitet, bis wir wieder bei den eingangs erwähnten Sequenzen cineastischen Glücks wären. Es hilft da nichts, mit logischer Achtsamkeit an das Erleben heranzugehen, das Strickland dort choreographiert und somit einen Seelenglanz illuminiert, der dem simplen Erzählen einen Streich spielt; den Bann von Körper, Liebe und Verkleidung als Film formvollendet.
RIGHT NOW, WRONG THEN - "[...] Im Mittelpunkt steht der Regisseur Ham Cheon-soo (Jeong Jae-yeong), der in der winterlichen Kargheit mit zufälligen Begegnungen den Tag verbringt und erst am Namen in seiner Funktion erkannt wird. In gemächlicher Gangschaltung und teils mit klimpernder Jahrmarktsmusik unterlegt, transportiert der Film seinen Protagonisten mit leichtfüßiger Distanz, hält ihn in seiner Prätention für eben jene Wurst, die Redundanzen am laufenden Bann produziert, um zu beeindrucken. [...] Hong Sang-soo zeigt also in ausgiebiger Beobachtung die Lächerlichkeit jener inneren Deutung am Beispiel seiner eigenen Berufsgattung, die sich gerne liebenswerter Ticks und Eigenarten zur intellektuellen Multidimensionalität hingibt. Das psychologische Spiel treibt einen Schabernack, der sich unabhängig von seiner Ausgangslage durchaus souverän gibt, doch im Kontext zu einem hintergründigen Lachwerk wird. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
MISTRESS AMERICA - "[...] Es ist nur allzu bezeichnend, wenn Tony davon spricht, jemand zum Lieben finden zu wollen, statt jemanden, mit dem er ständig mithalten muss. [...] Tracy will ihre Arme überall ausstrecken und die Welt umarmen, verliert jedoch im Overdrive die Bodenhaftung, auch von ihren Mitstreitern. Umso schwieriger wird es für sie, herauszufiltern, was sie jemandem gönnen darf oder nicht; wo Input und Output anfangen oder aufhören und wie sie auf der Suche nach der Zukunft noch in aller Freundschaft verbleiben kann. Kleinunternehmer haben es schwer, doch am Ende helfen sie sich immer gegenseitig – daher können Baumbach und Gerwig ihre beschwingte Komödie der Schwesternschaft auch nicht pessimistisch enden lassen. Sie sind in ihrer Aufregung doch souverän unaufgeregt und mitunter so motivierend und herzlich wie ein TED-Talk [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
Und zum Schluss noch ein Neustart, der gerne auch besser hätte sein können:
PAN - "[...] Querverweise zu den bekannten und in diesem Kontext zukünftigen Figurenverhältnissen sind (Drehbuchautor) Fuchs’ größte Schwäche, doch über Langeweile muss sich niemand beklagen. Ausgerechnet in den Actionsequenzen mit erwartbarer Konklusion schaltet man jedoch unweigerlich auf Durchzug und erlebt beachtlich wenig emotionale Resonanz. Das hat durchaus mit einem Übermaß an CGI zu tun, aber auch mit einer nur oberflächlichen Ambition seitens Wright. Wenn aber etwas von ihm bleibt, dann das Pompöse, der Hang zur Ausstattung und einigen extravaganten Kameraeinfällen, die von einem effektiv geführten, doch austauschbaren Cast bewandert werden [...] Die Thematik kratzt an derselben Oberfläche wie „Wer ist Hanna?“: Sehnsucht nach Familie und Vertrauen, Glück unter unmöglichen Umständen – hier auf ein simplifiziertes Konzept geeicht, bei dem Peter unter allen Umständen an sich glauben muss. Für die Kleinen reicht es, bleibt aber natürlich mehr Mittel zum Zweck als Ansporn für ausgereiftes Storytelling. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
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