Zunächst mal geht es weiter mit der Hans-W.-Geißendörfer-Retrospektive auf CEREALITY.NET. In chronologischer Reihenfolge:
CARLOS - "[...] Hans W. Geißendörfer gebraucht das Genre so in „Carlos“ einerseits für eine freie Adaption von Friedrich Schillers „Don Karlos“, andererseits zieht er die gesamte Romantisierung der Filmwelt zurück und schafft ein Abbild des Leidens, an dem Gute wie Böse untergehen. [...] Insbesondere der Impuls zur Männlichkeit und Macht zerstreut hier das Leben und nimmt dafür ein blutiges Ende in Kauf, während die Frauen dieses Films vor rationaler Fassungslosigkeit den Abstand aus der Enge suchen. So trifft man in diesem Anti-Western auf reichlich ermattete Recken, die von der Glanzlosigkeit ihrer Zeit wissen und sich niederschießen lassen, sobald alle rudimentären Verhandlungen ihre Funktion erschöpft haben und sich im Kugelhagel aufgeben. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
DIE ELTERN - "[...] Der Rhythmus von Geißendörfers Film könnte unter heutigen Gesichtspunkten ebenso disharmonisch erscheinen, keine gängigen Formeln verfolgen oder sich mit leicht identifizierbaren Figurenzeichnungen begnügen. Umso eher erliegt man jedoch dem Reiz eines komplexen Netzwerkes an psychologischer Ambivalenz. Zwischen kindlicher Unschuld, häuslichen Mysterien und Eskalationen bietet diese Wundertüte von Film zudem reichlich inszenatorische Konzentration – erneut getragen von Kameramann Robby Müller und der Musik Eugen Thomass’ als überzeugende Veräußerlichung eines alle betreffenden Traumas. Das vereint Herz und Schönheit, aber auch Wahnsinn und Schock in sich. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
TÄTOWIERUNG - Es gibt ja dutzende von hiesigen Exploitationwerken, Reportfilmen oder auch Melodramen vergangener Jahrzehnte, in denen großspurig vom realistischen Anspruch gesprochen wird - die sind sozusagen Filme ihrer Zeit und angeblich schonungslos. Viele davon wirken unter heutiger Ansicht natürlich fast schon lachhaft, aber egal, wie hoch die qualitative Spannweite angesetzt wird: Ein filmischer Rahmen, die Verfolgung einer Dramaturgie und ausgewiesene Absichten bleiben immer irgendwie über. Johannes Schaaf dagegen schafft es bei diesem Film scheinbar mühelos, ein glaubwürdiges Abbild seiner kontemporären Ära abzugeben. Ohne den Anker einer wirklich greifbaren Dreiaktstruktur oder ähnlichem versehen, zeichnet er den Alltag des jungen Zuchthäuslers Benno (Christof Wackernagel), der anhand der Bemühungen des "netten Onkels" Lohmann (Alexander May) ins normale Leben reintegriert werden soll. Dabei durchläuft Benno aber stets seine Eigenart innerhalb des Westberliner Milieus - wo es scheißegal ist, wie jemand voran kommt und wo Arbeit nicht als Selbstverständlichkeit angeboten sowie von Bennos Lustlosigkeit oder besser gesagt Unfähigkeit zum Engagement gar nicht mal in Anspruch genommen wird.
Aber Lohmann und seine Frau versuchen immer wieder die gutgemeinte Eingliederung in jene idealistischen Gesellschaftsmuster, wie sie auch das abwegige Verhalten Brunos im lockeren Samariter-Modus mit Hang zur Antiautorität einfach nicht wirklich ernst nehmen und beiläufig unterschätzen. Ermöglichung ist eben nicht gleich Verständnis. Was ich hier aber fast wie ein Motto schreiben kann, wird nicht derartig entschieden vom Film ideologisiert, stattdessen stellt er seine Eindrücke im rasenden Tempo dar und legt dabei Perspektiven offen, die schlicht wahrhaftiger und für sich selbst wirken als das Gros einer beliebigen Sozialstudie. Man könnte das einen Reportage-artigen Ansatz nennen, doch dafür ist die Ästhetik des Films immer noch virtuos (nicht überstilisiert) und die Stimmen halt synchronisiert - ganz zu schweigen von George Gruntz' beatigem Soundtrack, welcher aber bewusst kaum als Pointierung der Szenen genutzt wird. Jedenfalls gelingt es dem Film, in einer Art darzustellen, die nicht werten will oder überhaupt Szenen im eigentlichen Sinne präsentiert.
Es bleibt natürlich durchweg kohärent, aber man wird auch nicht an der Hand gehalten, wie man sich zu all dem fühlen soll. Kann auch sein, dass man es als Zuschauer schwer hat, sich dort einzufühlen - was ich mir aber nicht unbedingt vorstellen kann, so wie die Figuren hier als echte Menschen durchgehen. Allen voran dabei: Helga Anders in der Rolle der Gaby, die Tochter jenes Bruno aufnehmenden Ehepaares. Die kümmert sich auch kaum um ihre Zukunft, hat einen unbeschwerten Charakter, vielleicht noch Bock auf Gehalt und ist ansonsten ganz sie selbst; passt in kein Schema, wie allzu passend zum Film an sich. Vielleicht ist es für den geschulten Zuschauer dann schon fast natürlich, dass Bruno was mit ihr anfängt/anfangen will, doch für diese Erfüllung gebraucht Schaaf kaum Stichworte des Erwartbaren und lässt die Beziehung genauso gut wieder fallen, so bindungsgleichgültig Gaby und ihre Generation einfach sind. So verhält es sich hier quasi mit allen charakterlichen Verhältnissen, die immer am Bruch stehen und freiwillig in einer Realität Wurzeln schlagen, die gegen sie arbeitet.
Voll symbolischen Wert besucht Lohmann mit Benno und Gaby auch die Mauer (im Film wird auch DDR-Radio gehört - derartige Aspekte werden normalerweise recht scheu oder gar nicht im Kino jener Tage behandelt), doch macht für seine Schutzbefohlenen fast einen Spielplatz draus, obwohl nichts ferner von der Realität sein könnte. Ohnehin ist es sogar ein Platz für Tourismus, die Geschichte dahinter für Benno langweilig. Unfassbar, wie abgekoppelt alles voneinander wirkt und ein Bild der Bundesrepublik schildert, wie es sich kaum einer so radikal traute - ohne die Funktion eines Plädoyers oder ähnlichem dahinter. Kann man da schon von filmischen Nihilismus sprechen? Eher nicht, denn obwohl sich der Film einer "herzhaften Empathie" entzieht, wie es den Lohmanns vielleicht am gefälligsten entgegenkommen würde, ist er hautnah an seinen Charakteren, obgleich er sie nicht zu erklären versucht. Die "Tätowierung" stellt da bis zum Schlusspunkt eine befremdliche und gottseidank nicht eindeutige Filmerfahrung dar, an der sich keine Moral oder spekulative Psychologisierung feststellen lässt, wo der Weg kein Ziel braucht und wo Impulse wirklich als solche einer emotionalen Perspektivenlosigkeit eintreffen. Kein leichter und gleichsam kein beschwerlicher bzw. schwer betroffener Film; eben wirklich mal einer, auf den das Prädikat "realistisch" zutreffen darf.
CODENAME U.N.C.L.E. - "[...] Diese aufgebrezelte Adaption der Serie „Solo für O.N.C.E.L.“ (1964 bis 1968) erdenkt sich den Kalten Krieg als Dandy-Abenteuer zwischen zwei Weltmächten und verknüpft Weltgeschichte mit Eskapismus. Im Retrofitting zur modern tauglichen Sause ist also Hanebüchenes erlaubt und erwünscht – Regisseur und Koautor Ritchie bleibt diesen Prinzipien treu und haucht dem Ganzen mehr Leben ein, als es eine derart späte und auf Markennamen basierende Stofferneuerung normalerweise erfordert. [...] Da wird im mediterranen Klima im Smoking und mit Lederhandschuh geprügelt, getrickst und geschossen. Ganz schön tough, aber auch mächtig trivial. Grund genug für Ritchie, den Spaß mit einer Lust zu untermauern, die zu einigen der spaßigsten Sequenzen des Kinojahres führt. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
STRAIGHT OUTTA COMPTON - "[...] Dabei wird trotz der eventuellen Selbstdarstellung (die überlebenden Mitglieder waren in der Produktion involviert) nicht auf Unbequemes, Frauenfeindliches, Gewalttätiges oder Naives verzichtet. Pathos und Melodram darf man an verschiedenen Stellen allerdings schon erwarten, wie es eben auch zur Stilistik des Rap-Genres dazugehört. Regisseur Gray nimmt dafür vielleicht eine allzu bereitwillige Stellung ein, doch sein Film zieht weniger ideologische oder moralische Schlüsse, lässt auch mal eine Menge vergnüglichen Blaxploitation-Charakter frei und macht ohnehin Lust auf N.W.A., da er seinem Sujet in passender Ästhetik und Mentalität gerecht wird. Ein „Love & Mercy“ ist hier zwar nicht gelungen – dafür fehlt ihm der Ansporn zu einer Erfahrung jenseits des Narrativs –, doch „Straight Outta Compton“ macht Wut und Laune, wie man sich diese chaotischer und profaner nicht wünschen könnte."
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
Bonus-Zeugs:
WONDER WITTE ist in da house und zeigt Josh Trank und Fox, wie ihr Film kein Loser geworden wäre, for real, yo!
BARBIE - EINE PRINZESSIN IM ROCKSTAR CAMP - "[...] Reizvoll wird er aber hauptsächlich durch den Fakt, dass man ihn sich im Kino anschauen kann. Und Junge, wie erbärmlich alles auf der großen Leinwand erscheint. [...] Ein Argument kann vielleicht für die omnipräsente Künstlichkeit des Ganzen gemacht werden, die beinahe bewusst den hohlen Charakter des Films selbstkritisch offenbart und uns somit rhetorisch belehrt. Dann wäre man aber auch sehr gnädig in der Annahme, dass sich im Wust der „Barbie“-Filme wirklich um irgendetwas besonders Gedanken gemacht wurde, so sehr hier Malen nach Zahlen betrieben wird und zudem die faulsten Gags jenseits der Samstagvormittagsunterhaltung aufgetürmt werden. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen