Ehe es losgeht, gibt's mal wieder ein bisschen Eigenwerbung oder wie auch immer man das nennen könnte. Februar meldet sich an der Haustürklingel und verkauft ein Reißbrett an Reißern. Drum lasst auch ihr euch von dieser Montage des Kino-Monats überzeugen und rocken:
Wer da den Kopf verliert, was er sich genau einverleiben soll, bekommt ausgewählte Empfehlungen und Überblicke wie gehabt auch in illustrer Artikel-Form auf CEREALITY.NET:
http://www.cereality.net/thema/filmempfehlungen-im-februar-024070
Noch Fragen (ohne Shaft)?
Gut - jetzt, da dies geklärt ist, wollen wir mal den Reigen an Tipps entfachen:
A MOST VIOLENT YEAR - J.C. Chandor hängt es nicht an die große Glocke, dass sein neues Werk anno 1981 spielt. Weniger um Zeitkolorit und inszenierte Geschichte bemüht, entwickelt er eine universelle Reflexion zur menschlichen Gewalt, zur Verantwortung, sprich zu den Grenzen zwischen rechtens und unrechtens. Entrückt von unserer heutigen Lebensqualität und dennoch im Archaischen wiedererkennbar konzentriert er einen ungewissen Druck von allen Seiten zusammen, der demnach vom Innern der Charaktere heraus erlebt wird. Drum ist der Blick zur Skyline New Yorks hier von Anfang an ein verschwommener, eine unsichtbare Barrikade aus den Augen der Ambition erkannt. Jene Ambition geht stets auf zweierlei Pfaden zum Ziel, findet eine funktionierende Mechanik im pseudo-legalen Untergrund, strebt gleichsam nach respektabler Bürgerlichkeit.
Was als Gangster-Romantik à la Scorsese durchgehen könnte, entbehrt hier jedoch jeder Glorie, dafür webt Chandor sein Ensemble in naturalistisches Licht und körnigen Farben. Sie illustrieren die Ruhe selbst, doch ist diese stets die Ruhe vor dem Sturm. Gewalt knallt da aus dem Nichts herein, doch ihre Auswüchse halten sich klein, fern vom Genre-Exzess – der Einfluss auf die Umgebung ist jedoch unmissverständlich einschlagend und verkettet sich zum stetig anwachsenden Geschwür, das Image aufrechtzuerhalten, während die Existenz bröckelt; Unbekanntes und Unerwünschtes zuschlägt. Diese dunklen Flächen unten drunter kommen immer wieder von der Tonspur, aber stets aus den Handelnden hervor - Alex Eberts Score fühlt nicht mit, sondern ist das ausgestrahlte Gefühl. So ist auch die Kamera pure Empathie; keine Show und auch nicht abweisend, sondern ein zusätzliches Organ des Gesamtkörpers. Problematiken werden zwar meist anhand glaubwürdigen Dialoges geregelt, doch es lassen sich immer wieder Hinweise der angeboren-verfestigten Verhältnisse im Hintergrund finden.
Sei es zum einen der Tennisball-Automat - der von Abel Morales' (Oscar Isaac) Seite aus zum zwielichtigen Gegenüber schießt, wo er selber wie ein Ball von diesem entweder gekontert oder ins Aus entlassen wird - oder zum anderen das Loch im Heizöltank, das man noch halbwegs mit einem Taschentuch stopft, während daneben Blut klebt. Eine Wertung solcher Umstände erlaubt sich Chandor ebenso wenig wie er überhaupt kaum in Genre-Regeln denkt; die Selbstverständlichkeit moralischer Grauzonen bewandert, ohne präzise Schwarz-Weiß-Lösungen anbieten zu wollen. Das komplexe Interieur, auch jenes der Ehe, sieht sich schlicht gezwungen, unberechenbaren Hürden entgegenzutreten – da bohrt der Nihilismus am Menschen rum, sticht die empirische Nadel in Horizont und Schnee, welche allesamt des Wehrens unfähig sind.
Zwischen jenen Richtungen einen Mittelweg zu finden, erweist sich da kryptischer als gedacht, führt aber wie bei Friedkins „Brennpunkt Brooklyn“ ins urbane Fegefeuer, aus dessen Kälte und Härte man sich aber noch mit weiterer Schuldenbelastung befreien kann. Steht man letzten Endes noch als gerechter Mensch da, wenn man deswegen gleichzeitig Vergebung übt, aber auch eigennützig handelt und zudem noch die Schlinge um den eigenen Hals schnürt? Chandor fordert da (überfordert aber nicht) vom Kino eine Bitterkeit jenseits der Dramaturgie: konkrete Bewältigungen und Konsequenzen, die man nur zu spüren braucht – reicht vollkommen zum gezielten Treffer. Das bedarf vieler geschickt inszenierter Schichten und schenkt dem Film augenblicklich Mehrwert, obwohl er sich weder unnötig verquatscht noch ins Prätentiöse verzerrt.
Er stellt Machtlosigkeit und Verzweiflung essenziell-filmisch dar und das ist weiß Gott leichter gesagt als getan. Man braucht einfach einen originären Ansatz für solche Lagen und da ist der junge J.C. schon so einigen Zeitgenossen weit voraus; im Potenzial weiterhin unberechenbar, auf jeden Fall frei von Schludrig- und Belanglosigkeit. Er packt den Menschen an seinem siedenden Bild von der Zukunft, obwohl er hier in der Vergangenheit unterwegs ist – scheinbar haben wir uns aber auch einfach nicht großartig verändert. Das Leben trägt eben seine Früchte im Rhythmus („good year“ oder „bad year“ z.B.), dafür hat es auch immens feste Wurzeln inne und 'A MOST VIOLENT YEAR' mehr als nur eine Nebenader davon.
SWEENEY TODD - DER TEUFLISCHE BARBIER AUS DER FLEET STREET - Tim Burtons Sondheim-Adaption findet in der Vorlage schon gerne die beliebten Themen des Regisseurs, geht es doch vornehmlich um Ausgegrenzte, Abwegige, sprich finstere Gesellen, die schlicht missverstanden sind (und dennoch die Fetzen fliegen lassen). Im Vergleich zu solch herzhaften Antagonisten wie Alan Rickman und Timothy Spall wirkt ihr folgendes mörderisches Handeln dementsprechend reizvoll bis gar sympathisch. Der Schlusspunkt der Rache nimmt daher einen großen Teil der persönlichen Erfüllung für Charaktere und Narrativ ein, leitet aber unmissverständlich in eine tragische Note über, mit der auch schon alles begonnen hatte. Die letztendliche düstere Todes-Poesie ist für den Regisseur ein Idealfall, doch darauf arbeitet er sodann konsequent und stimmig genug hin, als dass die Eigenarten der Musical-Verfilmung hier zum schmückenden Beiwerk verkommen.
Exzellent choreographiert er die Intimität seines Ensembles, erkundet ihre konzentrierten Domizile der verzweifelten Verwirklichung mit angemessen-objektivem Tempo. Die Inbrunst der musikalischen Gefühlsausdrücke geht daher auch nicht in ausschweifendem Licht, Prunk und Statistenfülle auf - die Stimme im gezeichneten Gesicht und der blutige Schnitt mit der Klinge lassen da schon alles Nötige raus; die jeweiligen Persönlichkeiten suchen ihre Identität dann bezeichnenderweise genügsam in zersplitterten Spiegeln und ihren wenigen verbliebenen Freunden, den Rasiermessern. Der innere Druck brennt aber unentwegt und so prescht ein opulentes Liedgut nach dem Anderen durch das graublaue London, das zudem mit der Künstlichkeit von CGI unterfüttert wird. Doch selbst dies arbeitet effektiv im Sinne des Films, da Burton mit der artifiziellen Oberfläche eine Durchschaubarkeit erzielt, die wiederum klaustrophobische Stimmung herbei fördert (siehe Mrs. Lovetts Tagtraum).
So oder so evoziert er unangenehme Orte, Fantasien und Psychogramme; disharmonische Innen- und Aussenleben, die ihre Konfrontation zumindest in einer kompositorischen Harmonie abhalten können. Da die Motivation des Sweeney Todd nämlich auf Schicksal und Tod beruht, gesellt sich nun mal das Schicksal erneut hinzu, um den Kreislauf des unausweichlichen Todes in rabiater Konstruktion aufzustellen - nicht nur für Antagonisten und andere Opfer, sondern ebenso/umso einschlagender für die Hauptbelegschaft. Das Verständnis ist dennoch durchweg auf der Seite des Fehlerhaften, misanthropischen Erotomanen und Zerrissenen; findet ebenso den schwarzhumorigen Genuss in zerplatzten Schädeln sowie im unfreiwilligen Kannibalismus wie auch die bittere Romantik in Stillleben des Ausblutens. Im Endeffekt eine schier ungebändigte Auseinandersetzung mit dem Sterben, diese dritte R-Rated-Arbeit von Burton, doch keinesfalls eine verblümte, höchstens exzessiv-introvertierte, wenn man so will. Ein sehnlich verschrobener Reißer der Seelenpein.
VERWÜNSCHT - Bei kaum einem anderen Werk in letzter Zeit habe ich so oft ein "Awwwww" abgelassen, obwohl dem Film vielerorts ein ironisches Spiel mit den märchenhaften Idealen und Wünschen des Disney-Films nachgesagt wird. Natürlich ist hier der Kontrast zwischen PRINZESSIN (!) und Großstadt-Abgeklärtheit ein Quell für (überraschenderweise nicht total plakative) Fish-out-of-Water-Situationskomiken, doch letztendlich ist der ganze Sinn dahinter, dass beide Seiten voneinander lernen. Und so pumpt die zuckersüße Romantik aus dem Märchenwald das Herz des Rationellen auf, während aus den zweidimensionalen Bilderbuchikonen eben allmählich dreidimensionalere Persönlichkeiten werden. Insgesamt ergibt das erst den wahrhaftigen "true love's kiss". Das ist so einfach gehalten, dass es nur so vor Naivität strotzt, doch einerseits drückt keine Mentalität dem Gegenüber einen totalitären Stempel auf, behandelt sich stattdessen mit Respekt und Liebe; andererseits findet man einen ungenierten und ehrlichen Umgang zueinander, selbst wenn es für manch einen zu schön ist, um wahr zu sein.
Als Gourmand von zuckersüßem Eskapismus kann man sein Glück bei diesem Film ohnehin nicht fassen: Unsere Amy Adams geht vollkommen knuffig-steil; goldige Musical-Nummern verstärken durchweg den einladenden Niedlichkeitsfaktor; Patrick Dempsey hängt nicht vollkommen das ungläubige Karriere-Arschloch raus, das solche Rollen potenziell mit sich bringen; reichlich Sequenzen verformen Erwartungen und Klischees zum effektiven Glück; sowie Timothy Spall. Man packt es nicht, mit welchem Elan hier Kitsch konstruiert und dekonstruiert wird; so oder so immer ein stimmiges Gleichgewicht der Verhältnisse herrscht, dem man in kindlicher Herzenssache begegnen darf, ohne dass man sich als erklärter Einwohner der Realität verschaukelt oder bedrängt fühlen muss. Kevin Limas Film denkt nämlich nicht an Zynismus, sondern an ein bisschen mehr Lebensfreude für jedermann. Magie und Fantasie können in Portionen ja nicht schaden, da geht immer was und man braucht sich auch nicht dafür schämen, mal vom Leben naschen zu wollen. Echt liebenswert, ganz ironiefrei gesagt.
STILL ALICE - Richard Glatzer und Wash Westmoreland setzen mit ihrem Portrait vom Leben mit Alzheimer die richtigen Töne des Respekts; betteln nicht um Empathie und Tearjerking, verstärken stattdessen glaubwürdige Stadien im Zusammenspiel der Charaktere, welche die Symptome so entgegennehmen müssen, wie sie kommen. Dialoge erreichen den Zuschauer angenehm unkonstruiert; selbstverständlich, aber nicht forciert mit Eckpunkten von Sorge, Familie und Persönlichkeit arbeitend. Es geht nun mal auch unaufgeregt, Glatzer & Westmoreland verzichten aber auch nicht auf rein filmische Vermittlung: anhand audiovisueller Blockadenbildung kehren sie die innere Verzweiflung nach außen, ohne mit dem Finger auf die Wunde zu drücken. Ohnehin vermeidet man Aufregung oder entschiedene Misere, findet den Spagat zwischen der Angst vor und der Konfrontation mit dem Verlust. Einige inszenatorische Gefälligkeiten lassen sich zwar nicht vermeiden - so kann man sich wohl einig sein, dass die Gefühlslagen auch vollkommen ohne Musik angekommen wären. Nichtsdestotrotz ergibt sich insgesamt ein ermutigendes Beispiel für moderne, menschennahe Dramen: die einschlagende Kunst der Bescheidenheit.
THE VOICES - Ich würde euch gerne an dieser Stelle mehr zum Film sagen, aber Ascot Elite hat extra hierfür eine Sperrfrist bis Ende März installiert, obwohl der Film schon letztes Jahr öffentlich zugänglich auf dem Fantasy Filmfest lief. Muss man nicht verstehen, oder? Also sagen wir das mal so: Ryan Reynolds könnte ein mimisches Wunderwerk sein; Anna Kendrick könnte besonders niedlich ausschauen; der Film könnte ein naives Schwarzkomödchen mit schizophrenem Provinz-Charakter sein; ihm könnte es im Verlauf an entschiedener Absurdität mangeln, aber er könnte letzten Endes trotzdem mit einigen frischen sympathischen Überraschungen aufwarten. Das ist natürlich alles blanke Theorie, aber ich schätze mal, man darf sich trotzdem freuen.
WILD CARD - "[...] Da findet Regisseur West eine inszenatorische Konzentration, die zwar schon von vornherein mit gemächlicher Kohärenz im Konkreten unterwegs war, nun aber besonders gestalterisch-betont den Blick aufs Abenteuer Glücksspiel richtet. Genre-Schauwerte von Action und Thrill wurden da schon längst zur Seite geschafft, drum wirkt so ein dringlicher Fokus auf das charakterliche Gelingen Wilds recht erfrischend im ansonsten ziemlich alltäglichen Gesamtgefüge jener Filmwelt. Wie es aber nun oft ist, kann man seiner Bestimmung des Lebensweges nicht so leicht entkommen. Zurück auf null, gefangen in der Erwartung der eigenen Person und des narrativen Korsetts. [...]"
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
INHERENT VICE - Verquaste Literatur eines kriminalistischen Prozederes zum Chill-Faktor umzumünzen, kann nur bis zu einem bestimmten Level die Ungeduld abhalten, wie man an Paul Thomas Andersons neuen und äußerst selbstgefälligen Film feststellen wird. Seine Pynchon-Adaption im Taumel der Originaltreue suggeriert ein zurückgelehntes Schwelgen im Unaufgelösten und Zufälligen, forciert in seinen vornehmlich investigativen (wenn auch cleveren, nicht unbedingt erheiternden) Dialogen jedoch schlicht das Vorantreiben des entschieden undurchschaubaren Plots. Dies soll zum bizarren Amüsement des Stoner-Tollpatschentum beitragen, führt aber zugleich zu seiner nichts-schenkenden Mysterien-Erbauung, die zudem durchweg jeder filmischen Ergriffenheit aus dem Weg geht. Visuell probiert Anderson auch nur wenig Variation, verlässt sich stattdessen auf die Konzentration einigermaßen vergnügter, darstellerischer Energie. Deren Gesprächswelt entspricht zwar der Vorlage, entzieht sich jedoch einem Leinwand-gerechten Hook.
Es gilt dennoch, sich anhand uriger Dumpfheit in ein abwegiges Zeitkolorit zu verlieren, umso fremdartiger die surrealen Noten einzunehmen. Die daraus entstehenden, cineastisch-beglückenden Momente sind allerdings spärlich verteilt, wiederum nicht so Grenzen-durchbrechend oder gar psychedelisch wie man sich wünscht. Als Fingerübung fürs Genrespiel findet Anderson aber nochmals den Hang zum Unbeeindruckten und zur Ruhe; die Selbstständigkeit des Entbehrlichen, ab und an auch den lauen Morgengrauen am Strand sowie den Wiederaufbau von Beziehungen - reizvoller als jede Verschlüsselung wiegt nun mal die menschliche Nähe. Leider spielt sie hier nur die zweite Geige in einem Ensemble an kurz aufspielenden Nebenerscheinungen, die man nicht wirklich Charaktere nennen möchte. Lediglich Josh Brolin sticht da neben Joaquin Phoenix' Privatdetektiv heraus; erbeutet eine liebenswürdig-konträre Markigkeit als zunehmend unberechenbarer Hardboiled-Quatschkopf.
Die meisten anderen Figuren definieren sich hingegen nur durch ihre Unberechenbarkeit, ordnen sich eher dem Narrativ unter, so dass keine ihr Potenzial ausleben kann. Schon eine realistische Reflexion im Pynchon-Labyrinth, aber wie viele Wege dort in lasche Pfützen der Gleichgültigkeit führend - und das obwohl der Soundtrack Spiel, Spaß und Spannung mit elektronischer Unterstützung und Evergreen-Philosophien verspricht. Alles eben gut gemeint: Anderson und Co. halten sich gediegen-ambitioniert am Laufenden, laden sich nicht zuviel Ballast auf und leben vor sich hin wie in einer Hippie-Kommune, suchen den menschlichen Kontakt in der Kommunikation. Dass dabei hauptsächlich heiße Luft zustande kommt und diese mit ihrem mäßig involvierenden Crime-Gehampel zeitgleich gefühlte drei Stunden beansprucht, ist die Sympathie dann leider doch nicht ganz wert. Man wird die Erfahrung und ihre Höhepunkte zumindest nicht bereuen, wohl aber ihre unausweichliche Ernüchterung. So ein schönes Nichts muss man wohl auch mal einem PTA zur Abwechslung gönnen.
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