Sonntag, 9. November 2014

Tipps vom 03.11. - 09.11.2014



CITIZENFOUR - Wie weit sieht man sich selbst vom NSA-Skandal betroffen? Empörung war ja auf allen Ebenen zu spüren, doch scheinbar hat man's schnell hingenommen, quasi als unausgesprochene Gewohnheit, dass die Weltregierungen eh alles abhören, meistens weil man selber als Otto-Normal-Bürger aufgrund des kleinen Interessenfeldes der eigenen Person offenbar nichts zu befürchten hätte, à la "Was wollen die mit meinen Daten schon anfangen?". Man hatte stattdessen schlicht ikonische Bilder von Edward Snowden vor Augen und den öffentlichen Sensationalismus eines globalen Whistleblower-Thrillers, um das Thema für sich eventuell abzuhaken. Sogar die Merkel wurde ausspioniert, wie ulkig! Danach ging für jeden alles wie gehabt weiter.


Doch wie weitreichend die Implikationen von Snowdens Informationenausgabe in Effekt traten und ihn auch speziell als Person im Mechanismus der sinestren Informationsbeschaffung trafen, zeigt diese umfangreiche und sehr konkrete Dokumentation von Laura Poitras, die sich mit ihren Mitstreitern innerhalb dieses Themas ebenfalls in die Gefahr der nicht nur digitalen Beobachtung und Verfolgung begab. Konzeptionell wagt sie dabei nach einer abstrahierten Zusammenfassung vorangegangener Ereignisse eine Konfrontation mit dem Zuschauer, der in minimal-montierter Fassung ihre tagelangen Begegnungen mit Snowden und anderen Journalisten in einem Hotelzimmer in Hongkong erlebt.

Von dort aus lässt Snowden sich auf die Preisgabe seines Wissens ein, erklärt im minutiösen Detail, wieviel Überwachung schon anhand normaler Mobilgeräte geleistet werden kann bis hin zur internationalen Infrastruktur des gesamten NSA-Komplexes, vorgetragen mit einer Entschlossenheit, die im Vornherein allein durch die angesprochenen Maßnahmen motiviert und von Poitras nicht noch nachträglich emotionalisiert oder heroisiert wird. Hier soll schlicht die nackte Wahrheit für sich stehen. Diese bricht nämlich mit ihren effizienten und entmenschlichenden Maßnahmen im Verlauf immer weiter auf ihn ein, auch wenn er sie nur von außen wirklich mitbekommt, aber wie ein Gefangener in dieser potenziell fatalen Zelle des Hotelzimmers außerhalb der USA verweilt.


Für ihn und alle Umstehenden zieht sich die Schlinge spürbar zu, da reicht schon das reine Kopfkino der zukommenden Erläuterungen durch Fernsehen, Internet und 'The Guardian'. Schauerlich erlebt man dabei, wie auch die Macht des freien Journalismus im Angesicht von sanktionierten Menschenrechtsverletzungen ein Risiko eingeht, bis hin zur Filmemacherin Poitras selbst. Der Mensch Snowden jedenfalls, der sich bewusst als Initiator entblößt, nimmt aber den meisten Druck auf sich, um mit seiner Präsenz ein Zeichen zu setzen, selbst wenn er dafür einen Großteil seines Menschseins und seiner Freiheit aufgibt.

Doch in Sachen Freiheit sieht es eh finster aus, je breiter sich die Investigationen zur Spionage in die Welt ausbreiten und Informationen zu Tage schöpfen, welche mit ihrer Brisanz und Darstellung in der Dokumentation an sich schon als belastbares Material auch gegen die Macher dieses Filmes gelten könnten. Aber ein Streif der Hoffnung kommt mit neuen, anonymen Informanten der geheimen Wahrheit zusammen, auch wenn sie mit ihrem Wissen schlicht nicht sicher bleiben können. Man muss alles Aufgeschriebene zerreißen, zerschreddern und womöglich verbrennen, wenn dabei noch das Prinzip der Privatsphäre unantastbar bleiben soll.



Die kalte Erkenntnis des hautnah-realen Films ist aber das stetige Verschwinden der Privatsphäre anhand einer Welt-überspannenden Verbundenheit der Datenbeschaffung, der man sich schon längst ergeben hat und die von den Obersten scheinbar geduldet und verharmlost wird, während die Verfolgung des Aufdeckers jenes Sammelnetzes höchste Priorität erlangt, mehr mediale Aufmerksamkeit erwirkt als der Skandal an sich. Dagegen setzt 'Citizenfour' allerdings ein einvernehmendes, direktes und furchtloses Zeichen, gegen das Vergessen eines aktuellen Zustandes.




IM KELLER - "Mehr oder weniger freiwillig schließt man sich unter der unbarmherzigen Führung von Ulrich Seidl in eine provinzielle Unterwelt versteckter Perversionen und Obsessionen, ausgelebter Machtfantasien und auch psychischer Verstörungen ein, denn „Im Keller“ herrscht moralische Gesetzlosigkeit im Sinne extremer Selbstgefälligkeiten. Mit stummer Statik wird sich dabei an horrible Bilder eines zeitlosen Alltags geklebt, bei dem man sich wünscht, das eingebaute Neon-Licht würde versagen, damit man es nicht alles mit ansehen müsste. Fluchtmöglichkeiten sucht man als Zuschauer ohnehin vergebens wie das unwissende Meerschweinchen bei der Schlange im Gehege. [...]"

(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)

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