Sonntag, 14. September 2014

Tipps vom 08.09. - 14.09.2014



VISITORS - "[...] Mit dem Titel „Visitors“ und dem Umstand, dass Reggio vereinzelt über den Mond schwebt, steigt im Zuschauer die Suggestion auf, vielleicht aus den Augen eines ausserirdischen Besuchers zu sehen - immerhin ist jenes virtuelle Auge auch noch dazu fähig, seine Motive in Zeitlupe und Zeitraffer zu analysieren. Und je nach Zuschauer kann es dann auch variieren, was man in diesen detaillierten Analysen erkennt, denn obwohl Reggio eine Reihe von Emotionen, Bewegungen und Momenten aufbietet, bleiben diese einfach und teilweise abstrahiert, eben wesentlich, aber nicht extrem. Doch als menschlicher Beobachter besitzt man einfach auch die Gabe der Wiedererkennung und so einfach und lang, wie man z.B. in die dargestellten Menschen blicken kann, ist eine verständnisvolle Identifizierung nur eine Frage der Zeit, obwohl die Frage, warum sie so (auf uns?) reagieren, noch immer bleibt und umso stärker nach einer Lösung verlangt, da uns als Zuschauer direkt in die Augen zurückgeschaut wird. "Sind wir die theoretischen Schuldigen, bloße Beobachter und Analytiker, gar Reflexionen? Egal, was nun die Antwort ist: wir lernen offenbar über die human condition Bescheid. [...]"


(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)





UNDER THE SKIN - (GESICHTET BEIM FANTASY FILMFEST IN HAMBURG)


Eine irre Angelegenheit, diese berüchtigte Eigenmacht von Jonathan Glazer mit Scarlett Johansson in der Rolle eines (vermutlichen) Aliens als Fremdkörper in der vom genauen Grund her nicht näher definierten, aber dennoch sinestren Erforschung unserer Erde. Nur sehr langsam entfaltet sich der mysteriöse Komplex der perfiden Verführung in künstlicher Haut und weiblicher Körperform - zunächst als einstudiert-glaubwürdiger Mechanismus der pragmatischen Ressourcen-Aufnahme, später in der Verwirrung der natürlich-umgebenden Umstände als Suche der Sinnlichkeit anhand einer für den Ausserirdischen unbekannten menschlichen Hülle. Jene Langsamkeit ist aber weder provozierendes Arthouse-Kalkül noch bedeutungsschwangeres Drängeln auf Atmosphäre - nein, Glazer verhält sich stattdessen ganz dezent und elegant, lässt das fremdartige Handeln einfach passieren und erzeugt fortwährend, auch dank seinem gleichzeitig distanzierten und sehr sinnlichen Gesamtkonzept, eine durchgehende Ungewissheit, welche aber ganz eigen und ruhig voranschreitet, sowie den Zuschauer kompromisslos auf die Reise mitnimmt.



Ein schön abwegiger Hybrid aus Wahrnehmungsebenen, der sich dabei ergibt, sobald die Falle der Geschlechts-fixierten Hypnose zuschnappt, ihre Opfer in eine pechschwarze Blase einfängt und verzehrt, hingegen aber ebenso das Alltägliche und Menschliche aus Perspektiven einfängt, die es ebenso durchweg merkwürdig erscheinen lassen (auch wegen dem schottischen Akzent der Anwohner). Toll aber auch, dass in dieser Auffassungs-Konstellation keinerlei Vorurteile herrschen oder gängige Gesellschaftsmuster sinnig erscheinen können, da die Ausserirdische jene Werte gar nicht kennt, nur schwer nachvollziehen kann, auf jeden Fall alle mit demselben Ansatz der oberflächlich-übernommenen Menschlichkeit anspricht, ob nun beim Baby oder beim Mann mit Neurofibromatose - während der Film dabei auch inszenatorisch trocken bleibt und die Reaktion des Zuschauers darauf eben ihm selbst überlässt, ganz konsequent verharrt in der Rolle der Aussenseiterin.



Somit ist Glazers Film auch eine Entdeckungsreise, eine Re-Etablierung des Für-Uns-Selbstverständlichen - ein bisschen wie in John Carpenters 'STARMAN' oder jüngst Godfrey Reggios 'VISITORS' (siehe oben), nur eben mit einer bloß abstrakt-verborgenen Form der Romantik zum Unbekannten, so wie das Alien in diesem Film schließlich auch bei einem Menschen unterkommt, den es erstmals nicht laut Auftrag in die Falle lockt, da es sich zuvor im Nebel verlaufen hat (ein toller Kontrast zum metaphysischen Dunkel der 'Männerfalle') und nun auf unbekannten Terrain schlicht auch Hilfe braucht. Darauf scheint die dralle Erotik oder eben Funktion des menschlichen Wirtes für das unbekannte Wesen endlich durchzudringen, bleibt aber wie gesagt in einer stetigen Ungewissheit, welche schließlich auch einer Hilflosigkeit angesichts gewaltsamer Situationen des Menschseins ausgeliefert ist und höchstens nur noch von der neutralen Natur des Planeten begnadigt bzw. liegen gelassen wird.

 
Es scheint zum Schluss auf jeden Fall in den unbekannten Ursprung zurückzukehren, doch Glazer gibt darauf keine direkten Antworten, aber eben doch reizvolle Ansätze des Verstehens und Weiterdenkens in einem Film aus der schlichten und irgendwie doch schönen/morbiden Objektivität des Andersartigen - dessen Handlungen wir auch fürchten können, da macht der Film keine Missverständnisse, obwohl er eben auf Plakativität verzichtet, einfach die abstrakten Abläufe zeigt und in ihrer bizarren Krassheit schier einwirken lässt, jedoch nicht in minutiösen Detail auswalzt, bis keine Fantasie mehr übrig bleibt. Doch auch auf diesem Wege wird 'UNDER THE SKIN' einen guten Teil seiner Zuschauer ratlos oder frustriert zurücklassen, was man auch verstehen kann bei solch einer stummen Studie der Erde, ihrer Bewohner und einer darin nebenher stattfindenden Zersetzung aus dem Blickfeld des Unmenschlichen.




Auf jeden Fall ist er etwas ganz Anderes und Frisches in der Filmwelt, eben ein Ausserirdischer mit einer aufregend-neuartigen Sicht auf die Dinge und da mag er das Fürchten lehren oder Fragen offen halten, aber man kommt einfach nicht an ihm und seinen einnehmenden, unbeschreiblich-kunstvollen und ineinander verschmelzenden Eindrücken vorbei, wie auch niemand an dieser enigmatischen Figur von Scarlett Johanssons Charakter im Film vorbeikommt - er verführt uns ins Kino hinein, wie schon lange nichts mehr zuvor und jeder, der hierzulande die Chance hat, ihn auf der großen Leinwand zu sehen, sollte es mal ausprobieren. Ob man dabei im positiven oder negativen Sinne umgehauen wird, ist letztendlich egal - so etwas hat man so noch nicht gesehen.  


(Diese Kritik gibt es auch bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)





MAN OF TAI CHI - Keanu Reeves ist mit seinem Regiedebüt vielleicht einer der respektvollsten und intensivsten Martial-Arts-Filme der letzten Jahre gelungen, mehr noch als Gareth Evans mit seinem RAID-Duett - elegant und schnörkellos führt er uns in eine ideologische Arena der Kampfkünste ein, bei der er anhand des sympathischen Protagonisten Tiger Chen (als er selbst) und seines alten Meisters die Schönheit und Flüssigkeit des Tai Chi in purer Dynamik einfängt, dann aber auch mit konzentrierter Intensität im Kräfte-Austausch wirken lässt, während die Kamera stets in weit eröffnender Kohärenz verharrt, jedoch durch den höchst ökonomischen Schnitt die innewohnende Dynamik perfekt zur Geltung bringt.



Doch Reeves' Film ist nicht nur eine technische Meisterleistung, sondern auch eine kongenial minimalistisch-vermittelte Reflexion der Philosophie des Gleichgewichtes jener Stärken, der Tradition, Ehre und Verantwortung des titelgebenden Stils in einem Narrativ, der den bescheidenen und besonnenen Chen auf seiner Suche nach dem inneren Pfad, dem lang ersehnten Abschluss seiner Fähigkeiten, in die langsam zersetzenden Fänge der Destruktion leitet, manifestiert durch Reeves selbst als geheimnisvoller Millionär und Untergrundkampf-Veranstalter Donaka Mark.

  


Dieser verbirgt sich in einer abgeschlossenen, hart-finsteren und mit alles-beherrschender Technik bewaffneten Zelle der Kontrolle, eine Eigenmacht jenseits des Gerechten und der Menschlichkeit (weshalb ihm die engagierte Hongkonger Polizistin Sun Jingshi, gespielt von Karen Mok, auf den Fersen ist) - hier will er auch den noch leicht ungewissen Geist und Unschuld von Chen einnehmen, welcher bisher stets im Einklang mit seiner Umgebung und seinen Mitmenschen war, nun aber auf streng zusammengedrückter Fläche zur totalen Verausgabung seiner Fähigkeiten gezwungen wird, sich natürlich stilvoll beweisen kann, aber immer mehr von innen korrumpiert wird.

  


Dabei geht es ihm anfangs ausschließlich um die gute Sache, den Erhalt des Tempels seines Meisters zu sichern, doch je härter ihm sein neuer Auftraggeber die Mentalität eines Kriegers injizieren will und auch anhand gnadenlos-fatalistischer Bedingungen mit visueller Suggestion und Verwirrung des entmoralisierten Showkampfes zusetzt, umso brutaler und haltloser verändert sich sein Wesen - sogar soweit, dass er völlig unvermittelt seinen wahren Meister bekämpfen will, aber doch ein paar lehrende Schläge einstecken muss.



Viele derartige Filme würden in solchen Fällen auf esoterische Schönfärberei und dialoglastige Weisheiten setzen, Reeves hingegen versteht die Energie und Macht des Kampfes, der körperlichen Ekstase in purer Bewegung an sich - er spart daher auch überbordendes Spektakel aus (abgesehen von einem etwas deutlich computeranimierten Autounfall), bleibt stattdessen durchgehend spannend und zielgerichtet auf seine Charaktere und deren Motivationen (im Ring) fokussiert.

  


Schließlich entfesselt er sodann in der Konfrontation und Entscheidung der Ethiken von Kampfkunst und skrupellosem Tötungsgeschick einen geradezu sinnlichen Showdown im alten Tempel, der Mano-A-Mano abgehalten wird, aber auch ganz klar eine mentale Auseinandersetzung in Chen repräsentiert, auf die der Film mit geschickter Geradlinigkeit hingearbeitet hat und schließlich mit der respektvollen, doch effektiven Klarheit der Harmonie auflöst - bis hin zu einer natürlichen Offenheit, welche den gesamten Abspann über anhält, selbst im urbanen Horizont des modernen Chinas.


Der 'MAN OF TAI CHI' geht letztendlich den gerechten Weg ein und erlangt seine Vorbildsfunktion des Wahrhaftigen und Bescheidenen zurück, mit der steten Hoffnung, dem Bösen die Stirn zu bieten. Das mag eine simple Botschaft aufzeichnen, doch Reeves destilliert sie in solch klares und erhellendes Wasser, dass es einen mit geradezu urtümlicher Konsequenz und Elegie zu packen versteht und an die essenziellen Quellen des Actionkinos herantasten lässt.




THE ROVER - (GESICHTET BEIM FANTASY FILMFEST IN HAMBURG) 

Australien - Land der staubigen Dystopien, zumindest im filmischen Sinne. So begibt sich auch 'ANIMAL KINGDOM'-Regisseur David Michôd nochmals auf finster-apokalyptische Pfade, die sich zuvor schon u.a. George Miller und Brian Trenchard-Smith geleistet hatten, nun aber ausgestattet mit einer rohen Tristesse, die jegliche eskapistische Lust auf eine wild gewordene Endzeit vermissen lässt. Jener Umstand ist aber weiß Gott kein Mangel, eher ein existenzialistisch-abgeklärter Segen der Hoffnungslosigkeit - wo die rechtschaffensten Genreregeln und versöhnliche Erlöserfantasien der Vergangenheit angehören, hier ist jeder nur noch für sich alleine im Dreck der verlebten Zivilisation. Skrupellosigkeit ist an der Tagesordnung, aber von der fiesen Anarchie eines 'MAD MAX' keine Spur, selbst wenn manche Elemente selbstverständlich allein dem Setting geschuldet auch hier vorkommen: es gibt schlicht keine Zukunft mehr und das Leben bricht eben in schlichter Ödnis langsam und bequem ein, in schwüler Hitze und im schweigsamen Zusammensein zur Bereitstellung der wenig verbliebenen Dienstleistungen und Ressourcen - nur noch ein schwach aufrecht-erhaltener Schatten vergangener Gesellschaftsstrukturen.


Bezeichnenderweise haben wir auch in diesem skizzenhaften System einen einsamen Wanderer als Protagonisten am Ruder, den oft schweigsamen und mitgenommenen Eric (Guy Pearce), der mit seinem Auto durch die trostlose Szenerie fährt, 10 Jahre nach dem ultimativen Zusammenbruch von allem. Wie der Zufall aber so will, wird sein Schlitten bei einem Zwischenstopp von einigen flüchtenden und verletzten Halunken gestohlen, weshalb er diese fortan im Verlauf des Films verfolgen wird, koste es was es wolle. Es ist die Determination eines Verzweifelten und eines Wütenden, die ihn vorantreibt - gleichzeitig intensiv, bedacht und innerlich wehleidig hinsichtlich seiner kompromisslosen Entscheidungen bahnt er sich seinen direkten Weg durch einen Kontinent, der größtenteils aufgegeben hat, entweder die individuellen Besitztümer bis zum Tode schützt oder auch wegwirft, denn was für einen Sinn hat das alles noch, wenn man eh früher oder später im Staub verrecken wird? Eben echte Endzeit-Stimmung, vergleichbar in etwa mit der tiefen, bitteren Todesgewissheit des Videospiels 'ONE CHANCE' - hier ist Endstation, der letzte Atem der Menschheit verdampft einfach allmählich.


Doch Eric gibt nicht so einfach das Letzte auf, was er noch hatte, was nun mal in diesem Auto steckt und daher beruft er sich mit Waffenzwang auf den zurückgelassenen Bruder der Ganoven, den leicht minderbemittelten Rey (Robert Pattinson), um zumindest dieses Stück Vergangenheit wiederzuerlangen, aber ebenso ultimativ, aber aus eigener Hand hinter sich zu lassen: ein letzter Ruheort für seine eigene verlorene Menschlichkeit, welche auf dem Weg dorthin scheinbar wieder einen Funken von Lebendigkeit und Humor erhält, aber mit horribler Gewalt nochmals entzogen wird. Wie genau sich das alles entwickelt, sei an dieser Stelle nicht verraten, auf jeden Fall geht Regisseur Michôd dafür einen sehr behutsamen und doch spannungsgeladenen Weg, der einerseits die authentisch-verkommene Welt ausgiebig erforscht, aber ebenso seine inneren Wracks von Charaktere, die sich einer universellen Hund-frisst-Hund-Brutalität ausgeliefert sehen, dementsprechend reagieren müssen, aber immer tiefer in die Perspektivenlosigkeit einsacken, je mehr alles Humane um sie herum in allgegenwärtig-erdrückender Leere zerbröselt.



Michôds Film ist dabei größtenteils stets siedende, schleichende Suspense, immer am Abzug, gefährlich und schließlich in den eskalierenden Momenten präzise mit seinen lahmlegenden Schocks. Hier werden keine stilistischen Kompromisse eingegangen oder explizit ausgewalzt - everything's fucked and the movie just knows it. Deshalb bleibt auch nur selten Zeit zur Auslastung, wenn man hier jenseits der alten Regeln überleben muss und sich, dem festen letzten Ziel folgend, dennoch in ausweglose Zonen begibt. Die Atmosphäre beherrscht alles und lässt deshalb auch so einiges an den gemachten Plänen schiefgehen, weil es unter den Umständen anders gar nicht mehr geht und dennoch tief verletzen, tosen und in Trauer versinken lassen kann (siehe dazu auch den höllisch guten Score von Antony Partos, der schon im Alleingang das beste Element zu Michôds Vorgängerfilm ablieferte). 'THE ROVER' ist da gleichsam knallhart und ohne falsche Sentimentalität bittere Fallstudie - auf der großen Leinwand natürlich ein einnehmend-ehrlicher Blick in die Unendlichkeit, aber hierzulande wieder nur hauptsächlich aufs Heimkino relegiert. Da kann man den Schmerz vom Schlusspunkt des Films gleich nochmal ein bisschen mehr nachvollziehen. 

(Diese Kritik gibt es auch bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)




COLD IN JULY - (GESICHTET AUF DEM FANTASY FILMFEST IN HAMBURG) 

Schnurstracks begibt sich Jim Mickles Film in die Invasion einer otto-normalen, texanischen Familienzelle anno 1989, als der furchtsame Vater Richard (Michael C. Hall) in seinem Haus des Nächtens einem Einbrecher gegenübersteht und mit zögernder Entschlossenheit Blut fließen lässt. Die Leiche wird von der örtlichen Polizei eingesackt, doch schon schnell wird klar, dass die mühsam weggewischten Hirnfetzen noch ihre Spur hinterlassen werden, da sich Richard damit den jüngst aus dem Knast entlassenen, mächtig angepissten Vater des Eindringlings, Ben Russel (Sam Shepard), auf den Hals gehetzt hat - nur einer der vielen Gründe Richards, eine durchgehende Aura der Angst den gesamten Film über zu verspüren, unterstützt von einem fettfreien Schnitt- & Kamerakonzept, sowie einem authentischen Synthesizer-Puls der Marke Carpenter. 'COLD IN JULY' gibt nämlich beinahe voll konsequent einen angenehmen 80er-Jahre-Ton an, speziell was den schnörkellosen Verlauf der ersten Hälfte mit ihrer tighten Tension angeht, während Charakterzeichnung und Setting einem genüsslichen B-Action-Produkt jener Zeit entsprechen - nur eben, dass der Protagonist als provinzieller Bilderrahmenbauer mit Vokuhila äußerst Schiss in den Knochen hat, der alte verfolgende, aber agil-clevere Knacker ihn hingegen auf den Zehenspitzen hält.


Zur Mitte hin scheint der Fall jedoch gelöst und da flackert kurz ein enthemmtes Licht der Befreiung mit Country-Rock-Euphorie durch - aber nichts ist wirklich so, wie es scheint: Zeugenschutzprogramme, korrupte Bullen und verheimlichte Identitäten sind so einige Faktoren, die unseren Richard stutzig machen und weiterhin angespannt lassen, in welche Richtung seine Moral gehen wird. Er muss es halt einsehen: er ist ein viel zu netter Kerl und Familienvater, um den Fall des alten Mannes liegen zu lassen und gemeinsam mit dessen investigativen Kriegskameraden Jim Bob (Don Johnson), inkl. großer Klappe und rotem Cadillac, wird sich aufgemacht, herauszufinden, hinter welchen bösen Buben nun wirklich alle her sind. Ab jenem Zeitpunkt flacht der Film in seiner Spannung etwas ab, sobald er seine neue Buddy-Situation etabliert und die Handlung in ein unbekanntes Terrain außerhalb des Eigenheims versetzt - was nicht als schlecht zu verstehen ist, da sich hier eine gute Menge sympathischer Kerl-Charakterzeichnung und Humor herausschlagen lässt, stets mit den gewissenhaften, ultra-taffen Synth-Crescendos und Electrosnares im Rücken.


Aber wie hart es dann abgeht, sobald dem Zuschauer vermittelt wird, mit was für fiesen Schweinebacken man es in den finalen Antagonisten zu tun hat: einer ist eine gigantische Bestie, die sich, so muss Jim Bob schnell schmerzlich feststellen, viel größer auftürmen kann, als sie im Auto sitzend ausschaut und zudem Bud-Spencer-mäßig seinen Hut mit einem Schlag von oben von der Fontanelle runterzimmern kann (Ob Philip Michael Thomas seinem alten MIAMI-VICE-Kollegen dieses Stilmittel aus ZWEI-SUPERTYPEN-IN-MIAMI-Zeiten beigebracht hat?) - der Andere ist ein pornographisch-verdienender Frauenquäler und Snufffilmer mit dem bezeichnenden Decknamen Frank Miller (Wyatt Russell aus '22 JUMP STREET', der nicht nur wie Kurt Russell aussieht, sondern auch wirklich dessen Filius ist) und eine so unmenschliche Wanze, dass man in Richards Augen bereits das aus vielen tollen Filmen bekannte 'wütende Zucken' erkennen kann. Allerdings, so muss ich leider gestehen, verpasst es der Film mit seinen charakterlichen Entscheidungen und etwas Tempo-hemmenden Zwischenstopps zur inneren Entscheidung immer etwas, Richard wirklich zum rechtschaffenen Badass-Hero des Films zu mustern, selbst nach einer unfassbar epischen Momentaufnahme im an 'DEADLY REVENGE' erinnernden Finale. Daraufhin hätte er den Hauptanteil des Karma-entladenden Bodycounts liefern müssen, so aber wird immerhin noch letzten Endes ein Klimax entfesselt, bei dem die sich sicher fühlenden Arschgeigen von unseren Helden belagert und mit Blei der Gerechtigkeit vollgepumpt werden. 



Wer am Ende richten darf, wird schon sinnig aufgelöst, mag zwar nicht so recht befriedigen, aber immerhin zieht die Furcht endlich erschöpft von dannen und in dem Moment hat der meist ökonomische Film seine konkret-geradlinige Geschichte auch restlos und Epilog-frei fertig erzählt - schöne Sache! Zum Abspann fetzt noch die atemberaubend-knallige Rockhymne über die Tonspur hinweg und da wünscht man sich im Nachhinein noch ein paar mehr Songs (und ein bisschen weniger Handkamera) in die Mitte des Films hinein, um die ethische Zwiespältigkeit Richards pointierter und dem referenzierten Genre gemäß malerischer zum Ausdruck zu bringen - so aber bleibt dennoch ein wunderbar abgeklärtes, sympathisches und teils erfrischend-naives Stück Männerkino, welches zwar durchweg zielgerichtet mit provinzieller Furcht und Macho-Härte jongliert, aber auch ein wahrhaftiges Herz für die Verteidigung der Unterdrückten beweist und dieses ganz nach klassischem Goodguy-Prinzip zelebrierend-handfest einlöst. Ein gewinnender Reißer mit ungewöhnlicher Umkehrung in seinen Halbzeiten, insgesamt aber eine wahrhaftig elegante Kugel, die da geschoben wird. 

(Diese Kritik gibt es auch bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)




IT FOLLOWS - (GESICHTET AUF DEM FANTASY FILMFEST IN HAMBURG) 

Ein sehr konservativer und größtenteils zurückgenommener Slow-Burn-Horrorfilm aus den Surburbs, angelehnt an Carpenter'sche Stilistiken, vorallem in technischer Hinsicht - dabei hauptsächlich Urängste aus Teenie-Sexualität schöpfend wie beim standardisierten Gros des Slasher-Genres, nur eben mit einer konsequenten, unerklärt-übernatürlichen Eigenmacht am Start. Die Retro-Avancen stellen in diesem Zusammenhang eine gewisse Problematik dar, einerseits erlaubt man sich hin und wieder modernere Formalitäten (wie unnatürliche Digitaleffekte), die eine Disharmonie zur jeweiligen entgegengesetzten filmischen Ebene schaffen - zudem dann doch ernüchternd Konventionen erfüllen -, andererseits will der Stil mit aller Kraft eine dringliche, ätherisch-schaurige Atmosphäre erschaffen, die man womöglich nicht so stark verinnerlichen kann, auch weil die Charaktere und Settings in ihr allzu klassischen Rollenmodellen entsprechen und die allgemeine, inhaltliche Substanz des Ganzen für meinen Geschmack etwas zu überschaubar bleibt (variiert je nach Erwartungshaltung des Zuschauers).


Ganz abgesehen davon, bleibt ein sehr methodisch-geschicktes Gruselstück auf Augenhöhe mit ganz angenehmen (im Dialog etwas steifen) Teens, die unabhängig von den Eltern auch mal im Kreis sitzend miteinander abhängen und allmählich mit den bekannten Zuckungen der Adoleszenz in Kontakt kommen, nun aber im Angesicht unbekannter Terror-Geister eine unaufhaltbare Furcht erleben, die man immer wieder mit den selben Mitteln zu bekämpfen versucht, welche aber schlicht immer wieder zurückkommen kann (jener Prozess wird so oft wiederholt, dass man knapp 3mal einen passenden Schlusspunkt für den Film erwartet, der aber doch erst viel später kommt). Interessanterweise können diese verfolgenden Gestalten die Form von Bekannten ihrer Opfer annehmen und ab und an wird darin ein Subtext verdrängter Vergangenheit (oder so ähnlich) suggeriert, doch Regisseur David Robert Mitchell belässt es beim Ansatz, kramt schlichtweg kaum irgendwelchen überbordenden Bullshit aus dem Hut - was schon eine sehr löbliche, respektvolle und geschickte Genre-Erfahrung hervorbringt, aber für mich persönlich ein Gefühl von Trockenheit hinterließ, auch weil man emotional nur insofern abgeholt wird, dass man die Hormone der Protagonisten nachvollziehen kann.


Ist für einen normalen Horrorfilm sicherlich total in Ordnung, nur der rechte Funken der Besonderheit, des Erfrischenden, wohl auch gewissermaßen der eigenen Stimme, mag nicht komplett überspringen. Mitchell weiß auf jeden Fall Tension aufzubauen und in gewissen Augenblicken die erschreckende Pointe anders als erwartet zu setzen, sowieso furchterregende Konzepte unaufhaltsamer Verfolgung zu vermitteln - von daher bleibt er in Zukunft ein interessanter Kandidat, der hier schon mit geringen Mitteln eine Menge mehr aus reinster Bescheidenheit aus erreicht hat, als so manch anderer, selbsterklärter Retro-Reißer. Er trifft die Balance die meiste Zeit wirklich gut, aber er muss noch lernen, über den Tellerrand zu schauen, sich nicht auf düstere Synth-Drones und von HALLOWEEN emulierte Steadycam-Unterhaltungen zu verlassen, auch wenn's stilecht ist...und manchmal dann doch wieder nicht. Er ist da irgendwie so unentschlossen wie ich über seinen Film, aber empfehlen kann ich ihn dennoch. 

(Diese Kritik gibt es auch bei den DREI MUSCHELN zu lesen.) 


BONUS ROUND

Zum Einen möchte ich auf eine neue Ausgabe vom Podcast 'WITTE AM LABERN' hinweisen, in welcher ich über die berüchtigten MORTAL-KOMBAT-Filme der 90er Jahre für knapp 50 Minuten rede - die Aufnahme erfolgte mitten an der Nacht, an der Grenze zum Halbschlaf, dürfte aber dennoch die richtigen Töne treffen, soweit es geht:




Und zum Zweiten möchte ich eine neue Sektion meinerseits auf moviepilot.de namens 'WITTE'S FLEXIBLE SCHRIFTEN' vorstellen - einem Blog, auf dem ich bei Gelegenheit immer über einige Sachen schreiben werde, die aus welchem Grund auch immer in keine andere meiner Publikationsformen passen. Also eher was für die Komplettisten der Freunde meiner Schreibarbeit, aber auch so hoffentlich lesenswert. Den Anfang macht ein Artikel über das sehr empfehlenswerte Videospiel 'ONE CHANCE':


"[...] Dabei ist jede individuelle Entscheidung, die der Spieler trifft, ein stets variierender Pfad für den Ausgang der Timeline eventueller Überlebenschancen, welche zugegebenermaßen meistens sehr dramatisch, sogar teils frühzeitig enden, daher aber nimmer loslassen, weil allein die daraus resultierende, schlicht imaginäre Schuld, selbst in minimalistischster Form dargestellt, auf dem Spieler wie ein Stein im Herzen lastet. [...]" 

Zu lesen auf: http://www.moviepilot.de/news/spiele-empfehlung-one-chance-134998 


Und siehe da, für jenen Blog habe ich jüngst noch einen weiteren Artikel verfasst, erneut eine Empfehlung für ein Videospiel, in diesem Fall 'MOGEKO CASTLE', ein ziemlich emotional-taffer Geheimtipp:


"[...] Über allem liegt zudem eine markante, psychologische Note hinsichtlich einer möglichen, verdrängten Verarbeitung von Vergangenem, von (körperlichen, adoleszenten) Ängsten, von einer ewigen Liebe Yonakas zum eigenen, scheinbar geistig-entzweiten Bruder und vorallem von der Suche und Anerkennung des individuellen Glücks, welche auf der metaphysischen Ebene des in Kapiteln eingeteilten Prozederes des Spiels parallelisiert und letzten Endes empathisch-behutsam und doch bitter konfrontiert wird. [...]" 

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