LEBEN UND STERBEN IN L.A. - Als geistiger 80's-Nachfolger von William Friedkins eigenem 'FRENCH CONNECTION' beherbergt diese seine L.A. Story neben der ähnlich ausgeprägten, authentischen Prozedur kerniger Polizeiarbeit einen großen Anteil von zwielichtiger Erotik, welche er zuvor bereits im kontroversen 'CRUISING' (1980) erforschte. In diesem Fall wird Homo/Bi-Sexualität mehr zwischen den Zeilen angedeutet, was aber umso besser zum Licht-&-Schatten-Szenario der prunkvoll-designten Millionenstadt passt, die selbst ihre Verbrechen in ästhetische Formen gießt.
Friedkin flirtet da nicht nur auf der Bildebene durchweg mit dem Gedanken, verleiht dem stylischen Superbullen Chance (William Petersen, inkl. recht bezeichnendem Rollennamen) in seiner unterkühlt-berechnenden Macho-Ummantelung eine Leidenschaft zum Risiko, zum Kokettieren mit dem Tod (Bungee-Jumping) und richtet seinen Drang auf Gerechtigkeit als Faszination zum 'Bösen', in diesem Fall Willem Dafoe als Geldfälscher Eric Masters.
Nomen est Omen, gilt ebenso für Eric, welcher ein Meister seines Faches ist und mit einer derartig präzisen Methodik an seine illegale Kunst herangeht, dass er aus Stolz nicht mal davor zurückschreckt, diese in Flammen aufgehen zu lassen oder sowieso mit brachialster Gewalt einzuschneiden, wenn der Endkunde nicht ebenso liebevoll mit ihr umgeht. Sein 'bescheidenes', unterschwellig-brodelndes Auftreten ist unserem Protagonisten/Anti-Helden Chance nicht ganz unähnlich, der für die Erfüllung seiner Mission - die Rache für seinen ermordeten Partner - sogar das Gesetz übertritt und Leichen in Kauf nimmt, weshalb die gegenseitig-anziehende Spannung beider Pole im Verlauf immer mehr Früchte trägt - und seien diese auch destruktiver Natur.
Dass sich beide Herren dabei stets mit Frauen umgeben, ist da auch nur von geringer Bedeutung - so ist Chances Geliebte abhängig vom Risiko, dass er sie einbuchten könnte, während Erics Konkubine ebenso gut die Funktion eines seiner Kunstwerke erfüllen dürfte, so wie sie hauptsächlich auf seinen privaten Videobändern verewigt wird. Ebenso hat die Erscheinung aller Frauen im Film immer ein gewisses androgynes Flair, mit der Selbstverständlichkeit von Bisexualität. Niemand hat in den 1980ern nun mal mehr Lust auf altbackene Gesellschaftsbilder, speziell in dieser Stadt, die im gleißenden Neon-Licht Tag und Nacht, Schönheit und Gewalt, zum Erblühen bringt. Einzig und allein der unerfahrene Cop John Vukovich (John Pankow) ist massiv skeptisch gegenüber den risikofreudigen Methoden seines neuen Partners Chance, lädt eine innere Schuld auf sich, die nach Wiedergutmachung sucht und dabei strikt dem konventionellen Regelwerk folgen möchte, so wie es auch die Vorgesetzten gerne hätten.
Als Chance jedoch von der Leidenschaft zerfressen und John alleine zurückgelassen wird, bleibt ihm allerdings nur noch der direkte Weg zur Ehrerbietung/Liebe übrig - hinein ins Feuer, mit sicherem Todesmut im Risiko stehend. Darüber hinaus erfolgt schlussendlich auch die Adaption des Chance/Eric-Charmes, vom Look bis hin zur Stimme (ebenfalls ein Motiv aus 'CRUISING') - nicht umsonst heißt der Film 'LEBEN UND STERBEN IN L.A.', eben ein Prozess, der sich ständig wiederholt. Darin finden sich sodann erneut einige Parallelen zu Friedkins 'FRENCH CONNECTION'. Dort ging man zwar ebenso an die Grenzen der Moral und des Gewissens, um mindestens genauso skrupellos/leidenschaftlich wie die Gegenseite die persönliche Erfüllung zu erhalten - hier jedoch wird jenes Ziel, im Vergleich zum Vorgänger, mit dem Tod des Verbrechens erstmals direkt eingelöst, wobei aber dessen Appeal im Gesetz (!) weiterlebt. Ein bisschen 'EXORZIST' kann man darin auch nicht verleugnen.
So sieht's nämlich aus: Friedkin steigt dieses Mal gänzlich in die Hölle ab und gibt sich dem Genuss dieses Schauplatzes hin; strotzt vor inszenatorischer Energie und einem pumpenden Wing-Chung-Soundtrack, je tiefer in den hedonistischen Moloch eingedrungen wird. Sprengt die kubistischen Rahmen der Interieurs des Öfteren mit knallig-rotem Licht, selbst in normalen Treppenhäusern eines Polizeireviers (man ist dort also ebenso in der Hölle angekommen) und stellt die Gefahr Seite an Seite neben dem vermeintlich Sicheren/Guten. Die Dualität steckt da schon im Design drin, ist also ein vorgefertigtes, harmonisches und doch ursprünglich-konträres Konzept.
Repräsentiert die Stadt Los Angeles an sich ohnehin perfekt, die Wolkenkratzer, Palmen, Industrie, Ghettos, Bonsai-Gärten in Gefängnissen, Schwarz & Weiß am sonnig-stimmigen Horizont zusammenmischt und dabei durchweg hip & eigenmächtig (wie auch der pointiert-fragmentarische und audiovisuell-selbstsichere Erzählstil Friedkins) die Gefühle des Zuschauers beherrscht und auch je nach Laune überrascht. 'Take a chance' ist hier die Devise und wirkt daher besonders aufregend, nicht nur als handfester Cop-Thriller.
GODZILLA - "[...] Edwards huldigt mit seinem schnörkellosen Narrativ nicht nur bewährten Genre-Zutaten, sondern bringt auch etwas zurück in den Monsterfilm, was man schon seit langem vermisst hat: Demut, Sprachlosigkeit, Massivität. Mit seinem „Monsters“ hat er durchaus bewiesen, dass er den animalischen Gestus jener Kreaturen nicht als profunde Bösartigkeit, stattdessen als instinktive Naturgewalten präsentieren kann, die sich kaum weniger um uns Menschen scheren könnten und fernab humaner Regelungen ihrem eigenständigen Verhalten und Zauber Ausdruck verleihen. Diesen Gedanken vergisst er erst recht nicht in diesem Film, der selbst den fiesesten Exemplaren der megalomanischen Tierwelt Momente der Nachvollziehbarkeit und Empathie verpasst – nur dass er es diesmal zusätzlich schafft, den Menschen ins Blickfeld der Biester zu rücken, mit einem Hauch von esoterischer Wunschtraum-Naivität. [...]
Wenn dann nämlich allesamt, also Publikum und Charaktere gemeinsam in Ego-Perspektive mit 3D-Optik, in den von dichten Wolkengebilden verhangenen Moloch des Monsternestes eintauchen, der zu György Ligetis „Atmosphères“ ein infernalisches Bild der Hölle auf Erden entfacht, fühlt man sich vollends zwischen mystischen Giganten – zwar ganz klein, aber doch mittendrin als Teil des Ganzen. Der Nervenkitzel der Furcht und der Faszination vor beziehungsweise mit dem Unberechenbaren ist wieder da im Kino. Oder kurzum für Eingeweihte: der beste Godzilla-Film seit Shusuke Kanekos „Godzilla, Mothra, King Ghidorah – Giant Monsters All Out Attack“."
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
SUPERSTAR: THE KAREN CARPENTER STORY - Vollkommen unabhängig von den Beteiligten der Geschichte inszenierte Todd Haynes 1987 dieses dramatisierte Portrait der Karriere Karen Carpenters, dargestellt anhand von Barbie-Puppen innerhalb höchst detaillierter Miniaturbauten und eingefangen von behutsamen, pointiert-montierten und dennoch eindringlichen Perspektiven, hinein in die bittere Seelenpein eines mit sich selbst ringenden Starlets im Angesicht des Showbiz und vor allem des Otto-Normal-amerikanischen Achiever-Familienlebens.
Als Dokumentationsfilm bringt "Superstar" sodann auch teils verfremdetes, kontemporäres Footage in den Narrativ herein, erstellt auf der visuellen Essay-artigen Ebene - auch mithilfe von Interviews einiger Zeitzeugen - ein Bild von den USA, das im Schatten des grausamen Vietnam-Krieges auf der bemühten Suche nach dem Gefühl der Geborgenheit war und sich daher nur allzu willig dem sanft-romantischen Sound der Carpenters zuwandte.
Doch der Schmerz hinter der Ablenkung dieser süßen Balladen-Fassade lässt sich nur schwer verklären, wird aber mit Gewalt derartig unterdrückt, dass er sich immer stärker manifestiert - selbiges gilt für unsere Protagonistin Karen, welche am Druck des Erfolges und dem Fokus aufs eigene Image der Anorexie verfällt.
Die Industrie ist da kaum eine Hilfe und tritt daher nur selten in Erscheinung (höchstens deren Opfer), dafür jedoch eher das Elternhaus und ihr Bandleader & Bruder Richard, die in ihrer altbackenen bzw. Working-Man-ambitionierten Mentalität kein rechtes Verständnis für das (zu der Zeit offenbar noch nicht besonders in der Öffentlichkeit aufgeklärte) Leiden der jungen Karen aufbringen können, ihr Verhalten stattdessen verurteilen und es damit psychologisch noch mehr festigen.
Bezeichnenderweise wirkt dieses Szenario einer latent-unterwürfigen Familieneinheit durch die idealisierte, doch klaustrophobische Suburbia-Miniaturwelt mit ihren steif-plastischen Figuren-Abbildungen von vergangenen Menschenleben sodann besonders erdrückend - da spürt man die inneren Qualen selbst in den muffigsten VHS-Kopien des Films, der (sicherlich nicht nur) aufgrund von verletzten Musikrechten seit 1990 offiziell nicht mehr gezeigt werden darf.
Wie ehrlich und emphatisch er jedoch in seinen minimalistischen Rahmenbedingungen mit dieser zersetzenden Stardom-Geschichte umgeht, die unter normalen Produktionsumständen komplett rein gewaschen worden wäre, ist jedoch eine beachtliche, erschütternd-melancholische Leistung, die auch heute noch ein verständnisvolles, tragisches und auch furchterregendes Echo hervorbringt.
HEAVY METAL - Das Filmkorn prasselt in beständiger Manie nieder, wenn man 'HEAVY METAL' auf Blu-Ray sichtet. Ein unumgängliches Merkmal der zahlreichen Ebenen, die in diesem 35mm-Animationsfilm zu visuell-atemberaubenden Welten geschaffen wurden. Soviel Aufwand & Ambition, die da drin stecken, gründen sich natürlich auf den zahlreichen, variierten Stil-Auswüchsen der phantastischen Vorlage, aber auch auf deren Geist vom Pulp-Enthusiasmus, der vor allem pubertierende Geeks & Macker ansprechen soll, somit auch ein Ventil (nicht nur) für sexuelle Eroberungsfantasien und exploitative, 'verbotene' Schauwerte darstellt.
Neben dem Genre-Sleaze, der von futuristischem Hardboiled-Noir hin über Conan-artige Fantasy-Schlachten reicht, beherbergt der Film aber zudem eine durchweg leichtfüßige, gar satirische Ader der Übertreibung von Sex & Slime, Space & Creatures - auch getragen vom drollig-sarkastischen Voice-Cast (inkl. Harold Ramis, John Candy, Eugene Levy). Wenn dann nämlich adoleszente Protagonisten aus ihrem stinkigen Mittelamerika-Alltag herausgezogen werden, um das Bestehen weit entfernter Galaxien in verstärkter Körperfassung zu entscheiden, während auf dem Soundtrack Musical-ähnlich die neuesten Rock-Hits aufspringen und Wände einreißen, zeugt das von eskapistischer, rotziger Punk-Attitüde und wird dementsprechend grotesk, mit massig dicken Brüsten, abgezeichnet (in liebevollem Detail zu den ursprünglichen Comic-Künstlern).
Nicht umsonst erlebt man dabei auch ein Arsenal an jüdischen Charakteren, Mythen ("Looks like something out of the Ten Commandments"), Symbolen und Urängsten (Zombies im zweiten Weltkrieg). Da schwebt stets ein Gefühl der Befreiung und Flucht, Selbstverwirklichung und Rechtschaffenheit durch den episodenhaften Narrativ, der stets im Kampf gegen das über die Jahrtausende hinweg manifestierte Böse (das in einer entfernten Anfangssequenz von den fiesesten Amöben bis hin zu Adolf Hitler reicht) neben all dem anarchischen Galaxy-Fun auch auf Supermänner und sexy Golems zurückgreift.
Nirgendwo wird dies deutlicher, als in der letzten halben Stunde des Films, die am stärksten als klassischer Spielfilm-Narrativ ausgearbeitet wurde und den meisten Pomp beinhaltet, nur noch wenig Humor, aber dafür reichlich Mythos, Action, auch Spaß und Spannung bereithält. Dort beauftragt eine vom rücksichtslosen Bösen gefährdete Zivilisation die letzte Überlebende eines Krieger-Stammes, die schweigsame Taarna, sie retten zu kommen - eine Mission, der sie schicksalhaft Folge leisten muss, denn dafür wurde sie auserkoren (= Golem). Ihre glorreiche Aufrüstung, mit dem fliegenden Gefährten an ihrer Seite, sowie das nachfolgende Gefecht, erinnern nicht von ungefähr an das Kino des jüdischen Regisseurs Zack Snyders, der (als einer unter vielen) ebenfalls zugab, von 'HEAVY METAL' inspiriert worden zu sein.
Dies schlägt sich auch in der Struktur seines 'SUCKER PUNCH' nieder, der nicht nur den episodenhaften, metaphysisch-Genre-variierenden Struggle des HEAVY-METAL-Komplex hommagiert, sondern auch dessen Rahmenhandlung mit einer unterdrückten Protagonistin, welche sich allmählich jenseits von Zeit und Raum als starke Frau gegen das Böse behauptet (speziell in der alternativen Version im Bonusmaterial). Bezeichnenderweise legt Komponist Elmar Bernstein in dieser Sektion seinen empathisch-zauberhaften Fokus und schafft inmitten des ganzen, außerirdischen Wahnsinns (courtesy of u.a. Dan O'Bannon & Jean Giraud) eine emotionale Grundlage mit Larger-Than-Life-Leidenschaft. Feministische Power darf eben auch nicht fehlen, wenn hier auch stark fetischisiert.
Dies gepaart mit der ohnehin beständigen, filmischen Power macht 'HEAVY METAL' zu einem bunten, ekstatischen und krassen Wunderwerk der frühen 80er Jahre, dem nur wenige Realfilme gleich kommen, was Ausgelassenheit, Exzess und Fantasie betrifft. Inhaltlich ist er sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss, doch wenn soviel psychotronisch-verruchter und sexuell-naiver Spaß im Spiel ist, ist das auch schon eine Menge wert - selbst wenn nur für den 12-Jährigen in uns.
DJANGO UND DIE BANDE DER BLUTHUNDE - Ein außergewöhnlicher, gotisch-angehauchter Vertreter des Spaghetti-Westerns. Anthony Steffen wandelt als bleihaltiges Gespenst Django durch die zynische Prärie eines versifften Americanas, das in seinem selbstherrlichen Sadismus und Hedonismus vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein scheint; ohne rechtliche Konsequenzen Dynamit-Werfen als Duelle abfeiert und Gesetzeshüter bei Tageslicht niederballert. Doch der Schatten der Vergangenheit holt sie sodann ein, agiert womöglich sogar als Aufbäumen des Gewissens, setzt voraussagende Todesdaten per Kreuz in den staubigen Boden und lässt die einstigen Täter derartig verzweifeln, dass sie sich in ihrer Manie womöglich selbst richten.
Ich sehe das Szenario durchaus als Limbus - ein Totenreich, dass den Weg zwischen Himmel und (der oft erwähnten) Hölle bestimmt, von dem die innewohnenden Seelen glauben, noch auf Erden zu verweilen. Doch Django nimmt ihnen allmählich diesen Glauben, tritt er doch in den überraschendsten Momenten als plötzliche Eingebung vor die Verräter, welche ihn zum Tode verurteilt haben. Niemand kann vor ihm flüchten, selbst in den engsten Behausungen scheint er sich aus den umhüllenden Tapetenmustern und (teils entrückt-unnatürlichen) Schatten seiner selbst heraus zu manifestieren - ganz zu schweigen, wie er diese panischen Gesellen sodann des Nächtens heimsucht und in die verschlingende Dunkelheit der 'Natur' entführt.
Seine gar göttlich-rächenden Kräfte schicken die Fieslinge von Dirty City (!) wohlweislich ins Fegefeuer, sorgt damit aber auch für die Vertreibung des normalen Volkes, das weichen muss, damit seine Gegner freies Schussfeld haben. Da Regisseur Garrone diesen Auszug allerdings trotz aller unterdrückender Härte wie einen Exodus inszeniert und mit dem stärksten, zelebrierenden Stück des Soundtracks unterlegt, suggeriert er die Befreiung der Unschuldigen vom Bösen und womöglich auch den Eintritt ins Himmelreich. Je näher das Gleichgewicht der Gerechtigkeit hergestellt wird, desto greifbarer wird aber auch Django wieder zum Menschen und verliert einstweilig seine übernatürlichen Kräfte. Er fängt an zu bluten und muss sich verstecken, wird 'sterblich' und muss sich nun mit fairen Mitteln im Limbus bewähren, zu welchem Seelenheil er schließlich streifen wird.
Natürlich lernen die Sadisten nichts von ihrer vorherigen Furcht und verfahren erneut bestialisch und geldsüchtig, anstatt zu versuchen, ihre eigenen Seelen zu retten. Deshalb triumphiert Django letztlich auch vollends in seiner Rache, hinterlässt die letzten Verbliebenen im sicheren Tod und dem einsamen Goldrausch, verschwindet erneut wortlos in die Stratosphäre, wie er in sie hinein geschossen kam. Welch ein erfrischend-metaphysisches, behutsames Schauerstück, das seine etabliert-unterhaltsamen Genre-Versatzstücke in Schatten, Nacht und psychedelische Unschärfen wirft, die Geister der Vergeltung heraufbeschwört und mit letztendlich hypnotisierend-furchterregender Aura zuschlägt.
DER PFARRER VON ST. PAULI - Welch irrwitziges Abenteuer uns Rolf Olsen da wieder aufgetischt hat! Wie gehabt mit Curd Jürgens als titelgebenden "(...) von St. Pauli" lässt er dieses Mal, wie es den Anschein hat, christliche Werte ans Hamburger Dirnen-Milieu heranführen. Bei einer derartigen Konfrontation gibt's erwartungsgemäß reichlich lustige Spannung, wird sodann auch von Spielleiter Olsen mit dem Hang zur exploitativ-naiven Kolportage in kurzweilige Sphären gerückt, die zwar den Glauben nicht verhöhnen dürften, aber dennoch frech wie Oskar auftreten.
Da haben wir ihn nämlich, den Pfarrer auf der Reeperbahn, Konrad Johannsen, der seit einer gar göttlichen Intervention auf einem sinkenden U-Boot im Krieg an den Gottvater glaubt und sein Wort nun mit katholischer Kutte an reichlich verruchte Jünger verteilt. Allen rät er empathisch vom sündigen Wege ab, zwischen Zuhältern, Halsabschneidern und Macho-Schweinen, doch Olsens Kamera versäumt keineswegs den Blick auf kurze Röcke, ganz zu schweigen von blanken Brüsten. Im Grunde ist sein Pfarrer aber auch eine recht progressive Type, der Hippies duldet (weil Jesus quasi die Kommune erfunden hat), wie ein Lausbub Fußbälle ins Fenster donnert und auch die Kluft zwischen Arm und Reich nicht ab kann.
Besonderes Verständnis zeigt er da für ein junges Mädel, dass von einem reichen Sohnemann schwanger im Stich gelassen wird und sich daher in der Elbe ersaufen will. Dies gipfelt in einer wahrlich abgefahrenen Szene, in welcher Johannsen diesen seinen Schützling quasi als Schocktherapie in eine Leichenhalle zur Totenschau einlädt - wo sie mal anfassen soll, wie kalt die tote Haut da ist und wie viel warmes Leben in ihr selbst doch steckt. Der blanke Wahnsinn und mindestens so ulkig wie die Kochkünste Heinz Reinckes, der als Pfarrers-Assistent Titus ab und an die Pfannkuchen auf die selige Fontanelle fliegen lässt.
Doch auf dieser Welt herrscht nicht immer solche Heiterkeit und so regiert der Moloch die Hansestadt, stellvertreten durch das unmenschliche Puffclub-Hauptquartier "Der goldene Käfig" (!). Dieser zwingt perspektivenlose Migranten zum Erpressungsmord und kidnappt auch Johannsons weiblichen Schützling, damit sie ja das Baby abtreiben dürfte. Erstgenanntes Opfer, Luigi, wendet sich sodann zur Beichte beim Pfarrer, welcher verspricht, kein Wort über die beweiskräftigen Details auszupacken, wenn Luigi sich denn selbst der Polizei stellt - was durch eine Kugel im Herzen leider nicht mehr zustande kommt.
Nun hadert Johannsen mit der Schweigepflicht und sucht beim Kirchenvorstand Rat, doch die halten an ihren altbackenen Dogmen fest - na, das ist ja mal eine tolle Bande, denkt sich Johannsen und macht sich stattdessen auf eigene Faust in den goldenen Käfig, wo er mit Leichtigkeit die Bodyguard-Schränke verdrischt und die schleimigen (teils sächselnden) Bosse abfällig klein macht. Aber auch unser christlicher Superheld wird Opfer von deren Gerissenheit - muss eine folgenschwere Denunziation über sich ergehen lassen, weil die kriminellen Herren seinen Vorgesetzten einen Tipp geben, dass er Damenbesuch bei sich hat (welchen sie natürlich selbst zu ihm heraufgeschickt haben).
Schweren Herzens muss er Hamburg verlassen und wird stattdessen ins Inseldorf Norderkrug versetzt, wo der Film nun fast komplett seine letzten 40 Minuten verbringt und schon ziemlich wie ein eigener Narrativ funktioniert. Das erinnert an Stelvio Massis 'CONVOY BUSTERS' (1978), wird hier jedoch im Schlusspunkt, anders als im Maurizio-Merli-Reißer, noch zur ultimativen Lösung des Falls aus der ersten Filmhälfte herangeführt.
Vorerst wird Johannsens Glaube aber mächtig auf die Probe gestellt: die hauptsächlich evangelische Dorfgemeinschaft (u.a. angeführt von Helga Feddersen und Rolf Olsen selbst) ist von der schäbigen Vergangenheit des neuen Pfarrers alles andere als begeistert und meidet den Besuch in seinem unbeheizten Gotteshaus (da wurde stilecht im Winter gedreht). Lediglich ein weiteres junges Girl, Dagmar (Barbara Lass, mit Damenbart), das in der örtlichen Schenke von der Chefin gemobbt wird, schließt sich seiner Mission an, wird dafür im Dorf aber noch stärker als 'Flittchen' verstoßen.
Hinter dem Vorwurf steckt aber auch ein Fünkchen Wahrheit - so probiert sie auf der Überfahrt zur Nachbarinsel Tüsum den innigen Kuss mit ihrem Retter, doch der muss leider Gottes ablehnen, auch wenn er so gerne möchte. Da hat er sodann noch ein klärendes Gespräch mit dem örtlichen Evangelikus, dessen Lösung des Problems schlichte 'Feigheit' ist. Und so macht Johannsen Dagmar mit eng umschlungenen Händen und einer wehmütigen Melancholie im Auge klar, während draußen vor der Tür der eiskalte Himmel und das stürmische Meer winterlich-romantisch dahinrauschen, dass seine Liebe zu Gott über seinem persönlichen Glücke steht und sie stattdessen einen jüngeren Burschen vom Dorf nehmen soll.
Dies wird auch bei einem gepflegten Tee mit Rum besiegelt, einem Getränk, das sich unser etwas lockerer Pfaffe des Öfteren gerne im Verlauf des Films genehmigt, gleichsam seine innere Herzensgüte und volksnahe Rustikalität repräsentiert. Das bringt angenehmes Feeling, auch wenn das hanseatische Bieder-Ambiente zunehmend in Sturm, Modder und milchigen Kameralinsen versinkt. Darin darf sich Johannsen nach seiner 'feigen' Glaubensprobe nochmals als würdiger Menschenfreund bewähren, als er ein paar Dorfkerle aus ihrer feigen Furcht herausholt, um zusammen ein paar arme Seelen von einem bald kenternden Kutter zu retten. Danach ist der Gottesdienst in so einem leichtherzigen Genre-Stück natürlich gut gefüllt.
Und weil ihm der Fall aus Hamburg noch immer schlaflose Nächte bereitet, kommt er schließlich auf des Rätsels Lösung, wer hinter den ganzen Verbrechen steckt - an dieser Stelle sei der Täter nicht enthüllt, bis dahin hat man ihn als Zuschauer aber schon längst erraten. Als Belohnung kommt Johannsen wieder nach St. Pauli zurück und verheiratet dort als doppeltes Happy-End seine beiden geretteten Mädels mit ihren aufrechten Beaus. Da hat man's mit Gottes Hilfe wieder mal zum publikumswirksamen Comeback geschafft!
Olsens Film geht da natürlich auf Nummer Sicher, hält die Milieu-Krimi-Elemente in dieser St. Pauli-Episode etwas zurück und erschafft damit eine etwas harmlose Angelegenheit, die vor allem in der zweiten Hälfte durch Bescheidenheit, aber immerhin auch provinzieller Atmosphäre glänzt. Die solide, Reportage-artige Handkamera Franz X. Lederles waltet durchweg ihres Amtes und fängt genauso herrlich-schnoddrig die sleazige Unterwelt ein, wie auch einige brachial-klamaukige Gags, während die mehr sehnsuchtsvollen Melodrama- und Spießbürgertum-Szenarien behutsamere Eindrücke erhalten, welche dem oberflächlichen, doch nachvollziehbaren Drang nach Hoffnung die nötige, sympathisch-melancholische Stimmung verleihen.
Wie stark Olsen sich dem christlichen Glauben verpflichtet fühlte, sei mal dahingestellt. Bei seinen Verhältnissen erkennt man aber jedenfalls erneut ein eskapistisch-schönes Verständnis für seine Figuren. Er macht gehörig filmisch-leichte Werbung für Selbstbestimmung und jugendliche Liebe, legt besonderen Wert auf die Nachvollziehbarkeit des Pfarrers, dessen Weg hier durchweg gefolgt wird - vom 2. Weltkrieg über St. Pauli bis hin nach Norderkrug, fast ohne Ablenkung. Wir/Olsen sind stets bei ihm, wie Gott offenbar auch - Kino als gegenseitiger Gottesdienst? Da ist Johannsens Glaube (in uns) so oder so unerschütterlich, aber auch einsichtig, liberal und kumpelig-kämpferisch - eine Fantasie-Figur aus dem Olsen-Fundus, idealisiert im Angesicht der aufkommenden, aufklärerischen 70er Jahre (die auch ihren Jesus-Kult hatten), ohne Berührungsängste zur Erotik (aber eher zur Liebe, wegen Zölibat und so).
Also doch wieder ein exploitativer Märchenfilm, den wir hier sogar in zweigeteilter Narration erleben. Eine naive, stilistisch eigentümliche Kraut-Merkwürdigkeit aus wilden, plakativen Zeiten, aber stets das charmant-herzliche und rotzig-unterhaltsame Milieu-Genrebastard-Kintopp zwischen Halletz-Trompeten, Weihrauch-Orgeln & Paloma-Akkordeons, wie wir es doch so gerne sehen und in seiner unbemühten Unbedarftheit heutzutage umso schwerer vermissen.
DER MEINEIDBAUER - Rudolf Jugerts Adaption des Ludwig-Anzengruber-Bühnenstücks - gar nicht mal die erste von vielen Verfilmungen jenes Stoffes - lebt in ihren stärksten Szenen so intensiv-eingeengt im virtuellen Kammerspiel, dass man schnell merkt, welch eine nur schwer ablenkende Fassade die gesamte Heimatfilm-Aufmachung doch ist. Denn in jenen dort wirkenden Charakteren lebt der Hass, die Enttäuschung und der starrköpfige Stolz, verfestigt durch altbackene Anfeindungen und zerschossene Träume. Ein finsteres Provinz-Drama archaischer Gewalt und zwischenmenschlicher Spannung im Drang nach dem offiziellen oder auch fühlbaren Recht, ohne Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen.
Und alles fängt bereits mit dem Tod an: der Wirt vom Fernerhof, Jakob, erleidet einen fatalen Unfall und hinterlässt seine langjährige Geliebte Paula Roth (Heidemarie Hatheyer) sowie zwei uneheliche Kinder, den Buben Jakob und das Madel Marei, die aufgrund ihrer Herkunft allesamt hinterrücks im Dorf als heimatlose Zigeuner beschimpft werden. Laut Testament steht ihnen der Hof zu, doch Ferner-Halbbruder Mathias (Carl Wery), der sich stets als erster Knecht abrackerte, will das nicht zulassen und versteckt das Dokument - gerät aber in Bedrängnis, da er vorher einen Brief an den Verstorbenen verschickte, in dem er seinen Missmut über jenes Testament beteuerte.
Da sich aber auch dieser Brief nicht auffinden lässt, übt er sich zunächst in Sicherheit und besteht entschieden darauf, zukünftiger Herr des Hofs zu werden - worauf Paula nicht eingehen mag und mit ihm deshalb vor Gericht zieht. Dass der skrupellose Mathias sich dabei einen Meineid einschwört, wagt keiner zu vermuten, doch ein gewisser scheinheilig-bescheidener Nachlass-Notar, Christoph Demut (Joseph Offenbach), konnte den Brief zufällig doch noch an sich nehmen und beginnt fortan, Mathias damit zu erpressen, was dieser nur widerwillig in Kauf nimmt. Im Grunde hätte er aber auch nichts dagegen, die Paula in ihrer bittersten Stunde zu ehelichen, damit sie doch noch auf dem Hof bleiben kann, aber so eine Frechheit kann sie nur mit empörten Gelächter quittieren, selbst wenn sie dafür wieder nach oben in die Grenzschenke zurückziehen muss - denn eines Tages, so glaubt sie entschlossen, wird wieder Gerechtigkeit herrschen!
Und so vergeht eine Dekade in jenem Tal, in das der Sohn von Mathias, Franz (Hans von Borsody) nach einem gut bezahlten Studium zurückkehrt und sich prompt in eine junge Dame verliebt, welche sich schnell als die Tochter Paulas, Marei (Christiane Hörbiger), entpuppt. Beide frönen sodann dennoch einer lieblichen Romantik, wie man sie aus dem Genre am ehesten kennt, während jedoch gerade in ihrem Haushalt alles andere als Liebe, Frieden und Heiterkeit herrscht: Mutter Paula hat sich nur schwer damit abgefunden, als Gastwirtin hausieren, wahrt zwar die Miene der zufriedenen Gleichgültigkeit, muss sich aber mit der Grenzpolizei rumschlagen, die wie ärgste Nazis ihren schmuggelnden Sohn verfolgt, der auch nur endlich raus will aus diesem ungerechten Mief.
Der unerkannte Franz kann da auch nicht anders, als so gut zur Hilfe zu kommen, wie es nur geht, selbst wenn ihm klar ist, dass Paula ihn nie akzeptieren würde - Hauptsache, ihm bleibt trotzdem, wenn auch nur ein Quäntchen, Zeit zur Liebe. Die Lage spitzt sich jedoch zu, als der Herr Demut im Sterben liegt und ein Pastor ihm zuspricht, die Ungerechtigkeit nicht länger bestehen zu lassen (da er sonst nicht in den Himmel hineingelassen wird, versteht sich) - sodann wandert der schicksalhafte Brief in Paulas Hände: der Tag der Rache ist gekommen. Doch der Zuschauer darf sich sicher sein: so einfach gibt der Meineidbauer nicht auf!
In derartigen inneren und äußeren Konfrontationen von Schuld, Sühne, Eigennützigkeit und Rachetrieb schäumt das behutsam inszenierte Drama insbesondere vor schauspielerischer Kraft, welche in den klaustrophobischen Kulissen, eingefangen von stets unaufdringlicher Kamera-Arbeit (jedoch mächtig unterstützt von den treibenden Musik-Kompositionen Friedrich Meyers), in ein geradezu naturalistisches Licht gestellt wird - speziell, was die Duell-Funktion von Hatheyer vs. Wery betrifft: da brennt die Luft. Ihre untergeordneten, aber nach Versöhnung strebenden Nachfahren-Darsteller, geben da zwar ein etwas schwächeres Gegengewicht, unterstreichen jedoch die Notwendigkeit einer Abwendung noch schlimmerer Konsequenzen.
Da kann man von Glück reden, dass Anzengrubers Stoff im Großteil dennoch aufs Ganze geht und Regisseur Jugert jene folgenschweren Passagen mit pointiertem Geschick in eindringliche, aufbrausende Enthüllungen verpackt, durchweg die Kurzweiligkeit hält - und das in so einem normalerweise recht schnell abgenudelten Ambiente. Die Romantik und Erotik auf der anderen Seite der Medaille hingegen gibt sich viel zu schüchtern/zugeknöpft und ohnehin kann man dadurch die ursprüngliche Theatralik der Materie nur schwer verleugnen (so wie Paula es auch mit ihrer inneren Frustration hält) - da fehlt ein Stück weit der Wagemut und vielleicht auch die esoterische Inspiration eines Harlans oder eben Helmut Käutners - jener langjähriger Lehrmeister Jugerts, unter dem er als Regieassistent agierte.
Als stimmiges Acting-Powerhouse mit der Konsequenz einer (ebenso in anderen Heimatfilmen, u.a. 'WETTERLEUCHTEN AM DACHSTEIN' vorkommenden) göttlichen Rache nach Art des alten Testaments (= quasi der "MacGuffin" dieses Films), gibt diese Variante vom 'MEINEIDBAUER' dennoch ordentlich Gas in Sachen kleingeistiger, doch nachvollziehbarer Intrigen-Suspense und gehört damit zu einer wenigen, löblich-toughen Ausnahmen im sonst so harmlosen Heimat-Kintopp. Hier ist eruptive Zersetzung aus dem Innern angesagt und das macht wie erwartet einen Heidenspaß. BTW: Neuerdings auch auf DVD aus der FILMJUWELEN-Reihe erhältlich. In guter Qualität sogar, obwohl der Trailer klarer ausschaut als der Film an sich. So ganz in HD würde dem aber ein bisschen der klassische Räuden-Charme fehlen, schätze ich mal, doch wer weiß...
BAD NEIGHBORS - [...] So wirkt die recht fixe und unumständliche Erfahrung dieser semi-freiläufigen Genre-Evergreen-Variante letzten Endes hauptsächlich auf genüssliche, Publikums-wirksame (teils spießig-harmlose) Pointen ausgerichtet, anstatt endlich mal wieder wahre, gleichgültig-hedonistische Anarchie anzuzetteln (siehe im Vergleich dazu Harmony Korines „Spring Breakers“ oder auch Nima Nourizadehs „Project X“) – die Gag-Einheit mit Familiensinn liegt im Punktestand vorne.
Lebhafte Stärken wie der beständige, engagierte Spielspaß aller Beteiligten und die ausgiebig-sommerliche Frische in der audiovisuellen Umsetzung der schon oft so-ähnlich-erlebten Geschichte kommen somit aber als beglückender, permanent-unterhaltsamer Ausgleich zur Geltung. [...]
(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)
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